Kurz nach Erscheinen des letzten Bandes im April
1977 tönten die bundesdeutschen Kulturschaffenden, Hauptabteilung
Wort, unisono:
Grandios, genial - ein Meisterwerk, vergleichbar nur
mit Balzacs "Comedie Humaine"! Was derart euphorisch bejubelt
wurde, waren zehn simple Taschenbücher in der Preisklasse von drei,
vier und fünf Mark achtzig, die Kriminalromane des schwedischen
Autorenteams Maj Sjöwall und Per Wahlöö, die ab 1968
in schöner Regelmäßigkeit auf den deutschen Markt gekommen
waren, zum Teil allerdings erheblich gekürzt. Inzwischen liegt
die Polizisten-Saga erstmals vollständig übersetzt vor, als
Kassette zum Mitnahmepreis. Es ist ein handliches Teil, das im Ikea-Regal
gut zur Geltung kommt. 2062 Seiten stark präsentiert sich der "Roman
über ein Verbrechen", und es ist schon aufschlußreich,
in den Neunzigern noch einmal darin zu blättern. Wer allerdings
verfolgt hat, wie zum Beispiel Joseph Wambaugh seine L.-A.-Cops agieren
läßt oder was Elmore Leonhard nach wie vor an gut verrückten
Geschichten zu erzählen hat, wird beim "schwedischen Modell"
schnell abwinken.
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SCHWEDENHAPPEN |
Matjeshering auf Dill mit saurer Sahne und Schnittlauch.
Eine Schale Maränenrogen mit einem Kranz aus feingehackten
Zwiebeln, Dill und Zitronenscheiben. Geräucherter
Lachs in dünnen Scheiben auf zarten Salatblättern.
Hartgekochte Eier in Scheiben. Bückling. Geräucherte
Scholle. Ungarische Salami, polnische Wurst, finnische
Wurst und Leberwurst aus Schonen. Eine große Schale
mit Massen frischer Krabben. Sechs verschiedene Sorten
Käse auf einem Holzbrett. Radieschen und Oliven,
Pumpernickel, ungarisches Landbrot und ein knuspriges,
leicht angewärmtes Baguette. Landbutter in einem
hölzernen Butterfässchen. Die jungen Kartoffeln
kochten auf dem Herd still vor sich hin, und aus dem Topf
stieg Dillduft auf. Im Kühlschrank lagen vier Flaschen
Piesporter Falkenberg, Dosen mit Carlsberg Hof, und im
Gefrierfach eine Flasche Lojtens-Akvavit.
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Zu perfekt ist diese Serie konstruiert, zu offensichtlich die Absicht,
den "Zusammenhang zwischen Gesellschaftsverhältnissen und der
Entwicklung und dem Schicksal der Menschen bewußtzumachen."
Eine Kopfgeburt, am Schreibtisch ausgeheckt - faktenreich und politisch
klar ausgerichtet. Alles ist stimmig: die Argumente, die Einsichten und
Zweifel der Herren Kommissare so menschlich und doch auch so langweilig.
Oder möchten Sie Ihren Tag mit diesen Menschen beginnen?
"Die Uhr zeigte Viertel nach fünf; es regnete. Martin Beck putzte
sich lange und sorgfältig die Zähne, um den schalen Geschmack
im Mund loszuwerden. Und es schien so, als ob es ihm glücken würde.
Dann knöpfte er den Kragen zu und knotete den Schlips. Lustlos blickte
er auf sein Gesicht im Spiegel, zuckte die Schultern und ging hinaus auf
die Diele. Ging weiter durch das Wohnzimmer, sah sehnsüchtig auf
das halbfertige Modell des Schulschiffs Danmark, an dem er am Abend vorher
viel zu lange gebastelt hatte, und trat in die Küche.
Die ganze Zeit bewegte er sich vorsichtig und lautlos, teils aus alter
Gewohnheit, teils um die Kinder nicht zu wecken.
Er setzte sich an den Küchentisch.
"Ist die Zeitung noch nicht da?" fragte er.
"Die kommt erst gegen sechs", erwiderte seine Frau.
Es war schon hell draußen, aber der Himmel war bezogen. In der Küche
herrschte ein graues Halbdunkel, weil seine Frau das Licht nicht angedreht
hatte. Sie nannte das sparen.
Der Mann öffnete den Mund, aber er schloß ihn gleich wieder,
ohne etwas zu sagen. Es würde doch wieder zu scharfen Worten kommen,
und dafür war jetzt der falsche Moment. Statt dessen trommelte er
vorsichtig mit den Fingern auf die Resopalplatte und blickte auf die leere
Tasse mit dem blauen Rosenmuster. Sie war am Rand etwas abgesprungen und
hatte einen braunen Riß von der Kante herunter. Die Tasse hatte
ihre ganze Ehe miterlebt; mehr als zehn Jahre. Seine Frau schlug selten
etwas entzwei, jedenfalls nicht so, daß es Scherben gab. Es war
komisch, daß die Kinder das von ihr geerbt zu haben schienen. Konnten
solche Eigenschaften vererbt werden? Er wußte es nicht.
Sie nahm den Kaffeekessel vom Herd und goß ein. Er hörte mit
dem Trommeln auf.
"Willst du nicht ein Smörgas haben?" fragte sie.
Er trank vorsichtig und in kleinen Schlucken und hockte ziemlich krumm
an der Tischkante.
"Du solltest wirklich etwas essen", begann sie wieder.
"Du weißt, daß ich morgens nichts essen kann".
"Es wäre aber besser für dich, bei deinem empfindlichen
Magen."
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SCHWEDISCHE HERINGSPASTETE |
Fleisch von 6 grünen
Heringen mit einer Gewürzgurke, einer großen
Zwiebel, einer Handvoll frischer Petersilie durch die
Maschine drehen. Mit Pfeffer, Salz, Kapern, einem Ei,
einer Tasse Semmelbrösel, einer Tasse süßer
Sahne gut mischen. In einer gebutterten feuerfesten Form
20 Minuten im Ofen gratinieren. Mit Tomatensauce und geriebenem
Käse bestreut servieren.
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Er strich sich mit den Fingerspitzen über die Wange und spürte
einige vergessene Bartstoppeln, ziemlich klein und scharf. Er trank
einen Schluck.
"Ich kann dir etwas Brot rösten", schlug sie vor.
Fünf Minuten später stellte er die Tasse lautlos auf die Untertasse
und hob den Blick zu seiner Frau. Sie hatte einen roten, flauschigen Morgenmantel
über dem Nylonnachthemd an und stützte die Ellbogen auf den
Tisch, das Kinn in der Hand. Sie war blond, mit hellem Teint und runden,
etwas vorstehenden Augen. Die Augenbrauen pflegte sie färben zu lassen,
doch während des Sommers waren sie ausgebleicht und nun fast ebenso
hell wie das Haar. Sie war ein paar Jahre älter als er, und obwohl
sie in den letzten Jahren etwas zugenommen hatte, begann die Haut am Hals
welk zu werden.
Als die Tochter vor zwölf Jahren geboren wurde, hatte sie ihre Anstellung
in einem Architekturbüro aufgegeben und seitdem keine Lust mehr verspürt,
wieder in den Beruf zurückzukehren. Als der Junge in die Schule kam,
hatte Martin Beck vorgeschlagen, ob sie nicht eine Halbtagsstelle annehmen
wolle, doch sie hatte ihm ausgerechnet, daß es sich kaum lohnen
würde. Außerdem war sie bequem von Natur aus und mit ihrem
Hausfrauendasein zufrieden.
Ja, ja, dachte Martin Beck, erhob sich und schob wortlos den blaugemalten
Schemel unter den Tisch. Dann stellte er sich ans Fenster und blickte
in den Nieselregen hinaus."
Martin Beck von der Rikspolis Stockholm, Abteilung Kapitalverbrechen,
ist der Miesepeter vom Dienst. Er ist ein magerer und nicht sonderlich
großer Mann und natürlich unauffällig gekleidet. Ärmlich,
könnte man auch sagen. Zugeschrieben aber werden ihm "enorme
Fähigkeiten": Intuition und ein gutes Gedächtnis. Das
reicht, um die ihm und seinen Kollegen überantworteten Fälle
zu lösen. Viel mehr darf man von Martin Beck auch nicht erwarten.
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GABELBISSEN |
Ein Pfund fette Salzheringe
2 Tage wässern. Häuten und entgräten, in
4 cm große Stücke schneiden. Die Happen mit
Lorbeerblättern, Zwiebelringen, Pfefferkörnern,
Wacholderbeeren und Nelken in einer Schüssel schichten.
Mit Kräuteressig und Olivenöl bedecken und mindestens
10 Stunden ziehen lassen.
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Nach der Halbzeit des Sozialepos, in "Und die Großen läßt
man laufen", hat Beck sich dann endlich entschlossen, seine Frau
zu verlassen und in eine Zweizimmerwohnung zu ziehen. "In einem
Anfall von Übermut war ihm die Idee gekommen, seine drei besten
Freunde zum Essen einzuladen. Angesichts der Tatsache, daß seine
Kochkünste sich auf das Kochen von Eiern und Tee beschränkten,
erschien ihm jetzt die Einladung als reichlich leichtsinnig."
Was also macht der kluge Mann?
"Viertel vor vier verließ er das Polizeihaus und nahm die
U-Bahn nach Hötorgshallen. Dort kaufte er so ausgiebig ein, daß
er schließlich ein Taxi nach Gamla Stan nehmen mußte, um
mit seinen Vorbereitungen noch rechtzeitig fertig zu werden."
Um fünf vor sieben hatte Martin Beck den Tisch gedeckt und blickte
auf sein Werk.
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SCHWEDISCHER SALAT |
Kleine Würfel gekochtes
Rindfleisch, gekochte Kartoffeln und rote Rüben,
Bücklinge, Äpfel und Salzgurken sowie Kapern
und grüne Oliven mit einer Öl-Essig-Marinade
anmachen und mit gehackten Kräutern und Eiervierteln
garnieren.
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Einer der wenigen guten Freunde Becks ist sein Kollege Lennart Kollberg,
an dessen Person das Autorenpaar demonstriert, wie sexuell aufregend
in Schweden ein Eheleben sein kann. Die von ihnen immer wieder gern
beschriebenen Verrenkungen, die der fette Kollberg mit seiner Frau Gun
praktiziert, haben einiges dazu beigetragen, von einer "Revolution
des zeitgenössischen Kriminalromans" zu sprechen. Doch wie
es auch auf Fußböden und in Betten getrieben wird, ist ebenso
klischeehaft wie die Äußerungen und Gedankenspiele der "Bullen"
über Staat und Gesellschaft. Kollberg tippt nach einer danebengegangenen
Großfahndung sein Entlassungsgesuch - ein Musterbeispiel an Platitüden:
"Ich habe mich nach langer und gründlicher Überlegung
entschlossen, das Polizeikorps zu verlassen. Meine Motive sind persönlicher
Art, trotzdem will ich darüber in kurzen Zügen Rechenschaft
ablegen. Zuallererst halte ich es für notwendig, daß mein
Entschluß kein politischer Akt ist, auch wenn viele es so auffassen
werden. Das Polizeiwesen ist sicherlich im Laufe der letzten Jahre in
immer größerem Ausmaß politisiert worden, gleichzeitig
wurde das Polizeikorps als solches immer häufiger zu politischen
Zwecken ausgenutzt. Ich habe diese Entwicklung mit großer Besorgnis
beobachtet, aber mir selbst ist es fast immer geglückt, mich von
diesem Teil der Tätigkeit fernzuhalten.
Während der 27 Jahre, die ich im Polizeikorps Dienst getan habe,
haben sich jedoch dessen Selbstverständnis, Aufbau und Organisation
in einer Art verändert, die mich zu der Überzeugung gebracht
hat, daß ich nicht länger zum Polizeibeamten tauge, wenn
ich das überhaupt jemals getan habe. Vor allen Dingen ist es mir
unmöglich, mich mit einer Organisation dieser Art solidarisch zu
erklären. Daher sollte es sowohl im Interesse des Polizeiapparates
wie auch in meinem eigenen liegen, wenn mein Dienstverhältnis gelöst
wird."
Ein solches Schreiben mag erklären, warum in den späten Sechzigern
und frühen Siebzigern Sjöwall/Wahlöö bei Linksintellektuellen
so gut ankamen.
Kollberg also schmeißt die Brocken und geht. Der brave und weiterhin
grüblerische Martin Beck bleibt. Dieser Mann, der Menschenansammlungen
aller Art haßt und äußerst ungern reist, muß
sich dennoch einmal fortbewegen.
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KALBSFILET MIT KARTOFFELN UND PAPRIKAGEMÜSE |
Kalbsfilet bei mittlerer
Temperatur in Butter ca. 6 Minuten braten. Dazu gekochte
Kartoffeln und Paprikagemüse. Die Paprikaschoten
in Würfel oder Scheiben schneiden. Speck-, Zwiebel-
und Knoblauchwürfel anbraten, die Paprika hinzu,
mit Tomatenmark und etwas Wasser einrühren und auf
kleiner Flamme einköcheln. Mit Salz, Pfeffer und
Paprikapulverwürzen.
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Seine Reise nach Budapest läuft nach dem Motto "Kleiner Mann
erlebt große Welt" ab - nachzulesen in "Der Mann, der
sich in Luft auflöste". Im Speisesaal seines Hotels trinkt
und ißt er natürlich, was man mit Ungarn zu assoziieren hat.
Martin trank den Aperitif, der Barack hieß. Barack Palinka, erklärte
der Ober, sei ungarischer Aprikosengeist. Er aß Fischsuppe, die
rot und stark mit Paprika gewürzt und wirklich sehr gut war. Er
aß Kalbsfilet mit Kartoffeln in scharfer Paprikasauce, und trank
echtes Pilsener Bier. Als er Kaffee getrunken hatte, der eher ein Mokka
war, und noch einen Barack, fühlte er sich zufrieden und müde
und ging direkt hinauf in sein Zimmer.
Gerühmt wurde an dem Sjöwall/Wahlöö-Unternehmen,
daß anstelle des Einzelkämpfers für Recht und Gerechtigkeit
ein Team von Polizisten tätig ist - Martin Beck und seine Mitarbeiter.
Das Modell ist von Ed McBain abgekupfert, der zu der Zeit schon weit
über ein Dutzend Bücher über die Männer vom 87.
Polizeirevier veröffentlicht hatte. Bei ihm allerdings sind es
keine Pappkameraden, sondern Cops, die ihren Job erledigen und mehr
auf der Straße sind als im Office und daheim. Sie ersparen sich
auch weitgehend Reflexionen über die gesellschaftlichen Zustände,
langen vielmehr zu. Sie sind härter, abgebrühter und zynischer.
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BUDAPESTER SCHWEINESCHNITZEL |
4 Schweineschnitzel
Salz und Pfeffer
Paprika rosenscharf
4 El Schweineschmalz
2 Zwiebeln
1 El Tomatenmark
1/8 L Sahne.
Schnitzel mit Salz, Pfeffer und Paprika bestreuen und
die Gewürze leicht einreiben. Schmalz in der Pfanne
erhitzen und Schnitzel von beiden Seiten scharf anbraten.
Weitere 5 Minuten pro Seite braten. Aus der Pfanne nehmen
und warm stellen. Zwiebelringe in dem Bratfett anbräunen.
Tomatenmark und Sahne hinzugeben und gut durchkochen lassen.
Schnitzel auf dem Teller anrichten und die leicht dickflüssige
Soße übergießen.
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Der Layoutzeichnerin Maj Sjöwall und dem langjährigen Spanienkorrespondenten
Per Wahlöö, der als Kommunist 1956 vom Franco-Regime des Landes
verwiesen wurde, gelingt es allein bei einer Polizistenfigur, etwas
Schwung in den Laden zu bringen. Es ist der eitle und großkotzige
Gunvald Larsson, der seinen Kollegen ständig auf den Wecker geht.
Seine Auftritte sind gute Nummern, aber natürlich ist Martin Beck
dieser Mann nicht sonderlich symphatisch. Becks bleibt durchgängig
der alte. Selbst nach der Trennung von seiner Frau und in einer neuen
"Beziehung" lebend, ist sein Tagesbeginn nicht gerade das
Gelbe vom Ei."
Eine neue Liebe, und
ein wenig mehr Genuss
Am Morgen bereitete Martin Beck für sie beide das Frühstück
und sah ihr zu, als sie sich ankleidete.
Er hatte sie schon vorher mehrere Male nackt gesehen, hatte aber das
deutliche Gefühl, daß es viele Jahre dauern würde, bis
er sich satt gesehen haben würde.
Rhea Nielsens Körper war kräftig, sie hatte eine gute Figur.
Man konnte vielleicht sagen, daß sie ein wenig gedrungen oder
untersetzt war, aber ebensogut, daß sie einen ungewöhnlich
funktionellen und harmonischen Körperbau hatte. Desgleichen hätte
man auch sagen können, daß ihre Gesichtszüge unregelmäßig,
jedoch kraftvoll und ausdrucksvoll waren.
Es waren fünf Dinge, die er am meisten bei ihr liebte: den kompromißlosen
Blick aus den blauen Augen, die flachen, runden Brüste, ihre großen
hellbraunen Brustwarzen, das helle Schamhaar und ihre Füße.
Rhea Nielsen lachte heiser: "Schau du nur her! Manchmal macht es
Spaß, wenn man so angestarrt wird."
Sie zog den Slip an."
Und dann frühstückten sie mit Tee, Toast und Marmelade.
Anmerkung von Frank Göhre im Jahr 2007: Meine Haltung zu
diesen Romanen hat sich übrigens inzwischen wieder verändert:
Als ich sie in den Siebzigern zum 1. Mal gelesen habe, war ich begeistert.
Später fand ich sie zu pädagogisch - aus der Phase ist der
"Frühstücksbeitrag". Inzwischen finde ich sie wieder
sehr, sehr gut - interessant, wie der Blick sich wandelt!
© Frank Göhre
Februar 2007 - Literaturportal schwedenkrimi.de - Krimikultur Skandinavien
Die Geschichte erschien zuerst in "Frühstück mit Marlowe"
- Rezepte und Geschichten im Wunderlich Verlag, Reinbek 1991 - Überarbeitete
und erweiterte Ausgabe Rowohlt Taschenbuchverlag, Reinbek 1997