Einem bekannten Bonmot zufolge sagt eine Literaturinterpretation oder Rezension mitunter mehr über den Interpreten beziehungsweise Rezensenten aus als über den Roman. So rückt in Alexandra Beverfjords Krimidebüt „Grabesdunkel“ je nach Lesart mal der Journalist Joakim Lund Jarner, mal seine junge Kollegin Agnes Lea in den Mittelpunkt des Interesses.
Sex, Crime und zwei Journalisten
Liegt das Augenmerk auf Joakim liest man „Grabesdunkel“ eher als von Stieg Larsson und dessen Helden Mikael Bloomkvist inspiriert. Wie Larssons Protagonist ist auch Joakim Lund Jarner investigativer Journalist, der sich mit einem mächtigen Industriellen angelegt und seine Beweise nicht genügend abgesichert hat, sodass er zwar nicht wie Bloomkvist ins Gefängnis muss, jedoch vom Investigativteam der Zeitung in die Kriminalredaktion „strafversetzt“ wird. Genauso gut kann man aber auch in der jungen, engagierten und durchaus ehrgeizigen Journalistin Agnes Lea eine jüngere und etwas weniger traumatisierte, aggressive und polarisierende Annika Bengtzon sehen. Wie Stieg Larsson und Liza Marklund arbeitet auch Alexandra Beverfjord seit vielen Jahren im Journalismus und ist heute Nachrichtenredakteurin bei der großen norwegischen Tageszeitung „Dagbladet“. So viel zu den Vorbildern. Doch was heißt das nun für „Grabesdunkel“?
Der Fall bietet eine treffsichere, Spannung und Aufmerksamkeit versprechende Ausgangslage: Die junge und hübsche Studentin Helle Isaksen wird von ihrer Mitbewohnerin Ester brutal ermordet in der gemeinsamen Wohnung aufgefunden. Der Journalist Joakim Lund Jarner und seine junge Kollegin Agnes Lea von der „Nyhetsavisen“ werden mit dem Fall beauftragt. Wie es nicht anders sein kann, geraten sie bei ihren Recherchen selbst in Gefahr, denn sie kommen einem geheimen Kreis mächtiger Männer auf die Spur, denen Helle und andere junge Frauen als Prostituierte dienten. Auch Ester, die Agnes mit brisanten Informationen versorgt, wird kurz darauf ermordet, und Agnes brutal vergewaltigt. Sex and Crime – der klassische Krimiplot also, der Spannung garantiert, er funktioniert auch in „Grabesdunkel“. „Ein regelrechter Pageturner“ lobte denn auch, nun ja, ausgerechnet Alexandra Beverfjords eigene Zeitung „Dagbladet“. Doch was recht ist, muss auch recht bleiben.
Alles richtig gemacht
Tatsächlich ist der Autorin ein spannendes Erstlingswerk gelungen, das seine Protagonisten und Leser in Atem hält. Das Ausgangsszenario ist erfolgversprechend gewählt, die Umsetzung rasant und kompetent, das Protagonistenpaar sympathisch und leidenschaftliche Journalisten, die sich mit Leib und Seele ihrer Arbeit verschrieben haben, und die Intrigen und Machtspiele in der Redaktion sind das Tüpfelchen auf dem „i“, das dem Ganzen genügend Sprengstoff für weitere verheißungsvolle Krimis mit Joakim Lund Jarner, der zumindest in „Grabesdunkel“ kein zweiter Mikael Bloomkvist ist und wird, und Agnes Lea, die ebenfalls nicht den Anspruch erhebt, in Annika Bengtzons Fußstapfen zu treten – dazu bleiben beide doch zu brav, doch wer weiß, ob sich das künftig nicht noch ändern wird. Das Potential dazu hätten sie – und ihre Autorin auch. „Grabesdunkel“ ist ein gelungenes Debüt, zwar ohne große Überraschungen, doch überzeugend und mit Verve erzählt.
Vielen Dank an Alexandra Hagenguth
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