Leseprobe
Prolog
Er fuhr aus dem Schlaf hoch, zu Tode erschrocken. Erst
allmählich begriff er, wo er war. Der strenge Geruch des Strohs
in der Matratze und das enge Lager brachten ihm langsam die Erinnerung
zurück. Und die Stille. Er hustete prüfend, als könnte
mit dem Laut aus seiner Brust die Wirklichkeit greifbarer werden. Dann
tappte er im Finstern umher und starrte auf die Stelle, wo seines Wissens
das Fensterloch sein musste. Jetzt wurde die Dunkelheit etwas lichter.
Er war in der Hütte, unten am See. Er war allein, weil es so abgemacht
war. Das war nichts Ungewöhnliches, denn er war hier, um Windbruch
für den Winter zu Brennholz zu hacken. Wie schon so oft hatte der
Bauer ihn hergeschickt. Und es war November. Nun war er wieder in der
Wirklichkeit angekommen - jetzt begriff er, dass dieser Traum ihm Angst
eingejagt hatte. Dieser Traum, der ihn regelmäßig quälte.
Doch nun war er wach und wusste: Es war nur ein Traum.
Er lachte, kurz und freudlos, aber immerhin lachte er. Er merkte, dass
er dringend Wasser lassen musste. Einen Moment saß er auf dem
Bett und wiegte sich vor und zurück. Dann stand er auf, ging auf
Strümpfen zum Herd und legte die Hand ans Ofenrohr. Es war kalt.
Doch als er die Ofentür öffnete, sah er noch etwas Glut. Er
blies kräftig, und Flammen züngelten empor. Er legte ein paar
Scheite darauf, blies noch einmal, und das Feuer brannte wieder. Knisternd
sang es im Ofenrohr.
Dann tastete er nach dem Eimer - hinausgehen wollte er nicht. Der Gedanke
an die Kälte draußen ließ ihn erschaudern. Es plätscherte
hohl. Er schüttelte die letzten Tropfen ab; ihn fröstelte.
Durch die Scheibe konnte man so gut wie nichts erkennen, denn draußen
war es noch dunkel. Der Mond schien nicht. Noch musste er nicht aufstehen.
Er streckte sich, spürte seine Lebensgeister zurückkehren
und schlug sich zum Aufwärmen die Arme um den Leib. Er war wieder
bereit. Weder Angst noch Schrecken waren übrig geblieben. Wovor
sollte er sich fürchten? Die Angst hatte einzig in den Träumen
ihren Platz. Nirgendwo sonst.
Er kroch wieder aufs Lager und zog das Fell über sich. Das Stroh
raschelte beruhigend. Er versank darin wie in einer Kuhle. Noch musste
er nicht aufstehen, erst bei Tagesanbruch. Noch konnte er liegen bleiben
und nur von Zeit zu Zeit ein paar Holzscheite nachlegen, damit es in
der Hütte schön warm blieb.
Und dann musste er einen kurzen Novembertag lang arbeiten. Er war schon
früher einmal hier gewesen. Hier brauchte er sich vor niemandem
zu fürchten. Er schlief wieder ein. Ohne Angst. Er schlief ruhig.
Keine Träume störten seinen Schlaf. In der Hütte war
es gemütlich warm, denn er hatte noch einmal Holz nachgelegt. Das
wird bis zum Morgen reichen, hatte er gedacht. Und jetzt schlief er,
tief und fest. Ein großes, eingerolltes Bündel, ein junger
Mann in einer Hütte, nicht weit von Tallsvedjan entfernt. Es ist
November, noch ist es nicht sehr kalt, und bisher liegt kaum Schnee.
Er schläft. Er denkt nicht an seinen ein paar
Jahre älteren Bruder. Er denkt an nichts. Er denkt nicht an jene
Sommernacht, nein. Das tut er nicht oft, und wenn er es manchmal doch
tut, dann spricht er in Gedanken mit seinem Bruder, und dem gelingt
es, die Ängste der Nacht zu bannen. So wie es dem Feuer im Herd
oder der warmen Kuhle im Bett gelingt. Den Albtraum. Nein, jetzt schläft
er. Doch wenn er wieder erwacht, sind die Ängste wieder da. Dann
sind sie Realität. Nicht wie nach Träumen.
Aber jetzt, jetzt schläft er. Der andere Mann sah den Rauch aufsteigen.
Er hatte aus der Hütte Geräusche gehört, als wäre
der Mann dort drinnen kurz aufgestanden. Aber jetzt war es wieder still.
Vollkommen still. Hinter der Hütte stand ruhig und schützend
der Wald. Und unterhalb lag der See.
Er kehrte zum See zurück, um nachzusehen, ob er alles vorbereitet
hatte, ob alles bereit für das war, was geschehen sollte: im Morgengrauen,
nicht im hellen Tageslicht, sondern im fahlen Licht der Dämmerung.
Auf dieses Licht wartete er. Die Kälte spürte er nicht. Es
hatte sich schon Eis gebildet, zwar nur eine dünne Schicht, aber
die trug bereits. Er betrachtete die ausgesägte Eisplatte; sie
war nur ein paar Zoll dick, doch das Eis würde bald stärker
werden und auch Pferde und Schlitten tragen.
Eine ungewöhnliche Ruhe erfüllte ihn, Ich bin so ruhig, weil
ich eine Entscheidung getroffen habe, dachte er. Weil ich entschlossen
bin zu handeln. Jetzt. Denn es ist höchste Zeit.
Er ging ein paar Mal um das ausgesägte Loch. Es knackte im Eis,
ein leichtes, warnendes Knacken. Doch das Eis hielt. Es würde halten;
und bald würde es auch richtig kalt werden. Er spürte die
Kälte nicht, nur ein leichtes Ziehen im Unterbauch, deshalb musste
er häufig Wasser lassen. Der Mann in der Hütte hatte das nicht
gemusst. Er hatte den anderen die ganze Nacht nicht herauskommen sehen.
Nur schwache Geräusche gehört und den Rauch gesehen, der anzeigte,
dass der Hüttenbewohner Holz nachgelegt hatte. Jetzt im November
hatte es kaum geschneit, nicht einmal hier oben bei Tallsvedjan, ziemlich
weit vom Dorf entfernt. Aber eine dünne Eisschicht bedeckte den
See mit dem Loch in passender Größe.
Wenn doch der Morgen bald graute, dachte er trotzdem. Möge es schnell
hell werden, nur etwas hell, damit es endlich getan ist. Er stellte
sich breitbeinig hin und ließ noch einmal Wasser. Kurz spürte
er Wärme aufsteigen. Dann richtete er sich aufs Warten ein, nicht
nervös, aber voller innerer Anspannung. Die Zeit des Wartens war
um.
Ein letztes Mal kontrollierte er das Loch im Eis und hackte mit der
Axt die dünne Eisschicht auf, die sich über Nacht gebildet
hatte.
In der rechten Hand hielt er die Axt, das Messer in der linken. In seiner
Jackentasche steckten Lederriemen. Er klopfte prüfend auf die Tasche
und nickte. Er war bereit, Er war ganz ruhig, denn er wusste, was er
tun musste. Seinen Entschluss in die Tat umsetzen.
Buchtipp |
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Er ging auf die Hütte zu. Eine kleine Treppe führte zur Tür.
Das Dach war mit Birkenrinde gedeckt. Die Hütte war klein. Er versuchte
die Tür zu öffnen und merkte sofort. dass sie innen von einem
Haken gehalten wurde. Deshalb würde es schwieriger und geräuschvoller
werden als angenommen. Er stand ganz still da und lauschte. Er glaubte.
von drinnen leises Schnarchen zu hören, sonst nichts. Im zunehmenden
Licht des Tages betrachtete er die Tür eingehender. Seine Augen
waren an das Zwielicht gewöhnt, denn er hatte die ganze Nacht gewacht.
Da ist ein Haken, dachte er, und hätte beinahe das Holz der Tür
gestreichelt. Das würde weiter kein Problem sein. Nein, nein. Und
selbst wenn er sie nicht mit dem ersten Schlag öffnen könnte,
wäre das egal. Ein kleiner Haken konnte ihn nicht aufhalten. Er
zielte mit der Axt und schlug kräftig zu: Die Tür sprang sofort
auf. Mit langen Schritten war er bei dem schlafenden Bündel, das
sich nun rührte. Grob riss er dem Mann die Felldecke weg. Der Angegriffene
setzte sich auf und versuchte aufzustehen. Er riss die Augen weit auf
- eben noch hatte er geschlafen - und es schien, als ob er den Angreifer
erkenne.
Das sollte auch so sein.
Danke an den Heyne Verlag für die Veröffentlichungserlaubnis. |