"Fein gesponnen
ist die Lüge" von Ingrid Kampås
Irgendetwas scheint die deutschen Verlage zu zwingen,
den Umschlägen skandinavischer Romane Fotos von dunkelroten Holzhäuschen
an idyllischen Seeufern zu verpassen - unabhängig vom Inhalt. So
auch in diesem Fall. Ingrid Kampås` Roman spielt keineswegs in
einer einsam gelegenen Hütte, sondern in einem fiktiven Ort nahe
der realen Stadt Varberg an der schwedischen Westküste. Nicht nur
irreführend, sondern sperrig und im Hinblick auf den Text fast
unsinnig: der deutsche Titel "Fein gesponnen ist die Lüge".
Es geht nämlich gar nicht so sehr um Lügen, sondern um Geheimnisse.
Der schwedische Originaltitel "Herz aus Eis" wäre griffiger
und textbezogener gewesen.
Mari, Krankenschwester, Anfang 40, verwitwet, ein Kind - sie steht im
Mittelpunkt der Geschichte. Bei einem Hausbesuch findet sie den Sohn
der Patientin erstochen auf - was im Dorf kaum jemanden wundert oder
gar berührt, war der junge Mann doch ein drogenabhängiger
Kleinkrimineller - die würden "oft ermordet", wie es
an einer Stelle des Buches heißt. Kurz darauf liegt des Toten
Freund im Straßengraben - ebenso tot. Auch er eher ein Ausgestoßener.
Doch nun beginnen Köpfe und Herzen der Einwohner von Sundsby teilzunehmen.
Mari erfährt in Gesprächen lang verborgene Geheimnisse, Zusammenhänge,
Familiendramen. Vergessene Fotos tauchen auf und ermittelnde Polizisten
- und so nach und nach baut sich ein Bild auf von dem, was passiert
sein könnte. Nach knapp 50 Seiten der erste von diversen kursiv
gesetzten Einschüben. Gedanken des Mörders, Erklärungsversuche.
Das Raten beginnt. Wer könnte das sein? Ein Gestörter auf
jeden Fall, der einen "Auftrag erfüllt". Nach weiteren
50 Seiten ein Verdacht, ein Motiv.
Und nach der Hälfte des Romans scheint es klar zu sein ...
Oder doch nicht?!
In klarer, schnörkelloser Sprache erzählt Ingrid Kampås
ihre Geschichte. Aber: unnötig detailversessen beschreibt sie die
Örtlichkeiten - das geht auf Kosten der Spannung. Zahlreich und
oberflächlich dagegen die Charaktere - das geht auf Kosten des
Verständnisses. Dazu legt Ingrid Kampås manchen ihrer Figuren
fast philosophische Reflexionen in den Mund (resp. den Kopf) über
große Themen wie Schuld und Scham, Glaube und Kindererziehung
- unmotiviert und ablenkend mitten im Lauf der Handlung. Die psychologische
Konstellation der Betroffenen, die Seelenlage des Täters - hochinteressant.
Aber am Ende dann doch nicht ausgelotet, sondern nur serviert.
Ist dieses Buch ein Krimi? Oder eine Erzählung, in der Tote, Polizei
und ein Mörder vorkommen? Oder eine Geschichte rund um die tiefen
Gedankengänge der Schriftstellerin? Es liest sich schnell und gut.
Doch als letzter Eindruck bleibt eine gewisse Verwirrung übrig. Vielen Dank an Dörte Rahming aus Rostock
© Januar 2005 - Literaturportal schwedenkrimi.de - Krimikultur Skandinavien |
"Fein gesponnen
ist die Lüge" von Ingrid Kampås
Frau Kampås' pädagogisches Proseminar
oder einfach nur der schlechteste Krimi 2004
Mari ist Krankenschwester und lebt mit ihrem kleinen
Sohn Anton in dem Dorf Sundsby. Eines Tages macht sie einen Hausbesuch
bei der bettlägerigen Vera und findet im Badezimmer deren Sohn
Bengt ermordet auf. Kurz darauf wird Bengts Freund Janne überfahren
sowie ein weiterer Jugendfreund der zwei, Sven-Göran, erschossen.
Da Mari mit dem Polizisten Åke befreundet ist und als Kreiskrankenschwester
auch sonst alle Dorfbewohner und insbesondere die Ermordeten kennt,
ist sie immer nah dran am Geschehen bzw. an den Ermittlungen. Damit
hat Ingrid Kampås die typische Szenerie eines Puzzle- bzw. Rätselkrimi
à la Agatha Christie geschaffen, was im Jahr 2004 schon etwas
anachronistisch wirkt.
Schlimmer aber als die veraltete Form - es könnte ja dennoch gut
erzählt sein -, ist aber, dass "Fein gesponnen ist die Lüge"
ein durch und durch schlecht geschriebenes Buch ist. Das liegt zum einen
daran, dass Ingrid Kampås permanent das Präsens benutzt.
Warum? Das bleibt das große Geheimnis der Autorin und Krankenschwester
Ingrid Kampås. Die sonst die Spannung steigernde Wirkung des literarischen,
historischen Präsens verpufft so jedenfalls völlig und bleibt
wirkungslos. Zum anderen bedient sich Krankenschwester Kampås
auch sonst eines stark moralisierenden und noch mit der dümmsten
Romanfigur immer mitfühlenden Gestus: "Marita! Niemand ist
böse auf dich. Ich schaue, was ich tun kann. Fahr jetzt nach Hause
und schlaf." Na dann, gute Nacht, Mari!
Buchtipp |
|
"Fein gesponnen ist die Lüge" ist Krankenschwester Kampås
persönliches, pädagogisches Proseminar und ungefragt erklärt
sie ihren Lesern die Welt: "Kinder haben ein Bedürfnis nach
Ritualen. Alles muss sein wie immer und gemäß einer bestimmten
Ordnung vor sich gehen. Das schafft Sicherheit." "Sven-Göran
war in einer Nobelpreisatmosphäre aufgewachsen. (
) Erwartungen
und Forderungen, die auf ein Kind erdrückend wirken, wenn es nicht
so gesehen wird, wie es ist." Auch über die Prostitution weiß
Gutmensch Kampås Bescheid: "Was ist sie wert? Was ist er
wert? (
) Ein Geschäft, bei dem beide Partner einen Mehrwert
herausbekommen. Sie bekommt mehr Geld für Drogen und eine Bekräftigung
ihrer Existenz als lebloses Ding, dessen Wert zwischen den Beinen liegt.
Er bekommt Erlösung und Trost für das einsame Kind, das in
seinem Inneren weint." Und so geht es in einem fort; Dozentin Kampås
versteht es, treffsicher in jedes Klischee zu greifen: "Es geschieht
häufig, dass Menschen in eine Rolle gezwängt werden, der sie
im Grunde genommen nicht entfliehen können. (
) Wollen nicht
alle Männer die Erwartungen ihrer Väter erfüllen, und
sind nicht alle Kinder damit überfordert? (
) Aber vielleicht
ist er all dessen überdrüssig und will lieber in einem alten,
zerschlissenen Kittel Bilder malen?" Auch die hohe Kunst des Floskel-
und Phrasendreschens beherrscht sie: "Schön, dass es Menschen
gibt, die sich so engagieren", "Die Arme. Was hat der Arzt
sonst noch gesagt?", "'Wie schrecklich', sagt Mari. "'Ich
hatte keine Ahnung.'" Und nur ein paar Zeilen später: "'Das
ist schlimm.' Mari legt ihren Arm um Else-Britt, um ihr Mitgefühl
auszudrücken." Kurz zuvor: "Lars nimmt einen Schluck
Wein, bevor er sagt: Das ist schrecklich. Und der arme Janne.
Auch da keine Spur?'" Und in endloser Variation: "Wie traurig.
Dann wird sie wahrscheinlich nicht so schnell nach Hause kommen?".
Nein. "Wie schlimm für Vera"! Ja, schlimm für Vera
und vor allem für den Leser.
Darüber hinaus weiß Krankenschwester Kampås/Mari
für jede Romanfigur aus ihrem Reservoir an 1000 guten Pädagogen-Weisheiten
zu schöpfen: "Ach, man findet immer jemanden, mit dem man
sich unterhalten kann. Bestimmt. Du musst nur ein bisschen offen und
freundlich zu den Leuten sein, nicht zu große Erwartungen haben."
Zu große Erwartungen sollte der Leser auch weiterhin nicht an
dieses Buch und seine Autorin stellen. Denn es geht noch schlimmer.
Auf mehreren Seiten berichtet Kampås minutiös, wie ein Schwein
geschlachtet wird - nein, selbstverständlich hat das nichts mit
der Geschichte und den Morden zu tun -, ebenso wenig wie die Elchjagd,
die wir von Anfang bis Ende miterleben dürfen, und gut, dass Kampås
am Ende eines langen Absatzes, in dem sie jede Kleinigkeit aufzählt,
die sie in ihren Rucksack steckt, noch erwähnt: "Dann müssen
natürlich die Munition und die Waffe mit." Fast hätten
wir das vergessen, nachdem zuvor Thermoskanne, belegte Brote, eine Banane
(eine, genau eine!), Rosinen, Funkgerät mit neuen Batterien, Weidmesser,
Kompass, Taschenlampe, Fernglas, Erste-Hilfe-Verband, Streichhölzer,
Jagdplan, Jagdlizenz, Jagdkarte, Zugleine und Toilettenpapier eingepackt
wurden. Warum Kampås derart ausführlich über's Schweineschlachten
und die Elchjagd (samt dem Ausnehmen des Tieres) berichtet, bleibt ebenfalls
ihr Geheimnis. Mit der Handlung hat es jedenfalls nichts zu tun.
Etliche, etliche Zufälle später, die alle nach Smålandsstenar
führen, ist der Mörder endlich überführt. Gemäß
der Pädagogik von Frau Kampås handelt es sich dabei natürlich
um ein "verletztes Kind" im Erwachsenen, der "krank"
sein muss: "Was ich damit sagen möchte, ist, dass er krank
ist. Krank. Versteh das, Mari! (
) Er ist krank, und man konnte
ihm nicht helfen, da er selbst nicht einsichtig ist." Einsichtig
sind hoffentlich Autorin und Verlag, die uns bitte mit weiteren Mari-Krimis
aus dem Pädagogen-Hause Kampås verschonen mögen! "Fein
gesponnen ist die Lüge" verdient nur einen Titel: den des
schlechtesten Krimi des Jahres 2004.
Alexandra Hagenguth/
© Januar 2005 - Literaturportal schwedenkrimi.de - Krimikultur Skandinavien |
"Fein gesponnen
ist die Lüge" von Ingrid Kampås
Ausbruch des Leidens
Der Tod eines drogenabhängigen und wenig geliebten
jungen Mannes durchbricht den stillen, unbedeutenden Alltag der Bewohner
eines kleinen schwedischen Dorfes. Schließlich wurde er ermordet,
erstochen. Seine betreuungsbedürftige Mutter kann es kaum fassen
und erst die Recherchen der Krankenschwester, die ergänzend zu
den Ermittlern der Polizei aktiv wird, entdeckt Zusammenhänge,
die mit dem Tod des besten Freundes des Ermordeten sich zunächst
nur schwer zusammenbringen lassen.
Etwas langwierig bekommt man Einblicke in den Alltag der Jungen, die
Verwobenheit familiärer Geschichten und trotzdem bleibt die Wahrheit
noch lange im Verborgenen. In geruhsamer Langsamkeit vertiefen sich
die Erkenntnisse ohne jedoch so klar zu werden, dass sich Ahnungen sinnvoll
entwickeln. Erst auf den letzten Seiten offenbart sich, was der mit
der Krankenschwester befreundete Kommissar und sie selbst herausfanden.
Man versteht es, kann es dennoch nicht glauben.
Die Auflösung der Mordsgeschichte wirkt "hergeholt" aber
möglich. Das Leiden des Mörders scheint durch seine Taten
beendet, während das der Klagenden Verwandten, Freunde, Bekannten
der Opfer auf ewig bleiben wird.
Vielen Dank an Uli
Geißler, Freier Journalist und Autor aus Fürth / Bayern
© November 2004 Redaktionsbüro Geißler für das Literaturportal
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