"Triumph der Gewalt"
von Karl Arne Blom (1978)
"Die Stadt Lund wurde in eine freundliche, weiße und beruhigende Decke gehüllt. Die Bewohner freuten sich auf eine weiße Weihnacht. Man gewann den Eindruck einer friedlichen Idylle. Im großen und ganzen war dieser Eindruck vielleicht richtig. Lund ähnelte einem Postkartenidyll, die keinen Raum hat für Gewalttätiges, Brutales oder Erschreckendes. In Wirklichkeit aber war Lund keine romantische Weihnachtspostkarte mit schmuckem Schnee, Sorglosigkeit und warmherziger Freude."
Das Verbrechen streute seinen Samen aus.
Am Anfang dieses Krimis breitet K. Arne Blom das Schicksal von vier Jugendlichen vor dem Leser aus. Vier Einzelschicksale, von denen jedes anders verläuft. Ein Mädchen wird vergewaltigt, eine weiteres Mädchen belastet einen Mann, sie vergewaltigt zu haben, was sich als Lüge entpuppt, einer entwickelt sich zum Problemkind, weil er sich vernachlässigt fühlt, der andere wird von seinem Vater geschlagen und mißhandelt. Aber irgendwann finden diese vier Jugendliche, die von der Gesellschaft ausgegrenzt sind oder sich selbst ausgrenzen, zusammen. Und dieses Zusammentreffen kumuliert zur Gewalt. Später wird sich einer der Polizisten fragen, ob sich die Gesellschaft überhaupt darum kümmert, wie die Kinder aufwachsen. Fragen die Menschen sich, ob die Kinder die Behandlung und die Liebe erfahren, die sie haben müßten? Kümmern sich die Leute genügend um ihre Kinder, oder lassen sie sie einfach verkommen und verstoßen sie, wenn sie auf die schiefe Ebene geraten sind? Stell dir einmal vor, wenn sich die Menschen das fragten..."
Wieder treffen wir auf das Ermittlerteam in Lund, dass sich dieses Mal mit verschiedenen Verbrechen beschäftigen muß. Eine Frau wird ermordet, alte Menschen werden in ihrer Wohnung überfallen, brutal zusammengeschlagen und ausgeraubt und sie müssen sich mit einem Entführungsfall befassen. Ein Baby verschwindet am hellen Tag mit seinem Kinderwagen spurlos. Die Beamten Månsson, Holmberg und Westerberg, ihr Chef Olofsson die wir schon aus "Die Stunde der Wahrheit" kennen und andere, sehen sich wieder mit vielen Problemen befasst. Und mit einer Brutalität und Gefühlskälte der Täter aber auch mit Schicksalen, die durch diese Verbrechen verursacht werden. Sinnlose Todesfälle geschehen.
Blom benutzt die einzelnen Polizisten, um die verschiedenen Gesellschaftsanschauungen beschreiben zu können. Da gibt es den liberal Gemäßigten, den Radikalen, den Beamten mit leicht faschistischen Anhauch, den Verstandesmensch und den Emotionalen. Sie sind Schablonen, ohne aber so zu wirken. Sie haben immer noch ein Eigenleben. Auch die Protagonisten auf der anderen Seite, die Täter werden dazu benutzt, Fehlentwicklung der Gesellschaft aufzuzeigen. Das ist manchmal etwas holzschnitzartig aber trotzdem führt es natürlich dazu, mit den Tätern mitzuempfinden, deren Taten teilweise nachzuvollziehen.
Buchtipp |
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Getragen wird dieses Buch aber von einer Stimmung der Hoffnungslosigkeit. Hervorgerufen durch die meist sinnlosen brutalen Verbrechen, die ohne Sinn und Zweck sind. So kommt auch die Polizei an eine Grenze, an der sie das Geschehen nicht mehr erklären können. Einer fragt sich: "Warum gibt es immer Menschen, die anderen Böses antun?" Ein anderer erwidert darauf: "Ich weiß nicht, wo die Erklärung dafür zu suchen ist, daß wir heute solche Zustände haben. Ich weiß nicht, wer daran Schuld ist, welche Generation." Im Grunde geht es um zwei Fälle: der Mord an der Frau, der nicht aufgeklärt wird, obwohl die Polizei sich sicher ist, wer der Täter ist, diesen aber laufen lassen muß und um die Verbrechen der vier Jugendlichen und deren individuellem Schicksal. Ihrer Milieuschädigung, ihre schwer zu bewältigenden Erlebnisse. Und die daraus resultierende Frage: Wer ist Schuld an der Gefühllosigkeit und Verrohung der Gesellschaft?
Der Krimi ist ein Stück weit lehrstückhaft aufgebaut. Man kann das Geschehen, die Motive der Täter nachvollziehen. Trotzdem bleiben Fragen offen. Vieles kennt man aus den Diskussionen dieser Zeit und Sjöwall/Wahlöö haben ihre Spuren auch in Lund hinterlassen. Der Krimi ist dennoch spannend geschrieben, obwohl die Handlung vorhersehbar ist. Aber der unaufgeklärte Mord, der Entführungsfall lassen Platz für Spannung. Und die in diesen Krimi eingebettete Geschichte des Kriminalbeamten Erik Orre und seinem Sohn, der ebenfalls im Kreis der vier Jugendlichen eine Rolle spielt, läßt ein wenig Platz für Hoffnung. Obwohl man das Ende nicht kennt. Aber man sich wünscht, dass es gut ausgeht.
Vielen Dank an Jürgen Ruckh aus Esslingen
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"Die Stunde der Wahrheit"
von Karl Arne Blom (1976)
Irgend jemand ist immer dabei, der Federn lassen muß
"Der Nebel und die Dämmerung sanken allmählich herab. Der Herbst lag über der Stadt. Und die Fassade des Grand-Hotels sah genauso trübe aus wie der Himmel darüber. Die Luft war feucht, und die Menschen schlichen geduckt dahin." Es ist Oktober und der schöne Spätsommer macht einem trüben Herbst Platz. Gleichzeitig kommt das Unheil über die Stadt. Die ganze Stadt war vor Schrecken wie gelähmt. In der Luft lag eine eigenartige, gespannte Erwartung.
Die Stadt, die beschrieben wird, ist Lund, die alte Universitätsstadt in der südschwedischen Provinz Skåne län und der historischen Provinz Schonen. Die Studentenstadt, wie sie auch genannt wird, da mehr als ein Drittel der Einwohner Studenten sind, ist der Schauplatz der Kriminalromane von K. Arne Blom. Blom hat dort studiert und ist dort geblieben. Er hat Südschweden mit der Stadt Lund auf die Landkarte der Kriminalliteratur gebracht, lange bevor Mankell mit der Nachbarstadt Ystad das Augenmerk der Krimileser wieder auf Südschweden richtete.
Was versetzte Lund in Aufregung? Zwei grausame Morde wurden verübt. Das erstaunlichste und gleichzeitig das Erschreckendste war die Tatsache, dass niemand eine plausible Erklärung vorbringen konnte, aus welchem Grund die Morde verübt worden waren. Auffallend war, dass die Opfer Frauen von Polizisten waren, die am frühen Morgen brutal an der Haustüre erschlagen wurden. Die Stimmung, vor allem auch bei der Polizei war gedrückt. Und die Mordserie geht weiter. Und wieder ist die Ehefrau von einem Polizisten das Opfer. Und auch ihre kleine Tochter. Die Polizei versucht, dem Mörder eine Falle zu stellen.
Es ist ein Polizeiroman, im besten Sinne, der ausführlich die Arbeit der Polizei beschreibt. Es werden Mitglieder des Ermittlungsteams vorgestellt, ihre Ansichten zur Polizeiarbeit und zur schwedischen Gesellschaft, ihr Privatleben. Natürlich ist auch, wir sind in den 70er Jahre, die Sozialisation von Polizei und Verbrechen ein Thema. Es wird unter den Polizisten diskutiert und man bekommt in den Beschreibungen der Täter den Hintergrund der Tat, das "Warum" mitgeliefert. So sieht der eine die Aufgabe der Polizei darin, etwas gegen die Gewalt zu unternehmen, die Menschen zu schützen. Aber ihm kommen Zweifel, da die Polizei immer erst kommt, wenn das Verbrechen geschehen ist. Er fragt sich, ob man dem Verbrechen nicht vorbeugen konnte, um es zu verhindern. Denn das war doch wohl das einzige was Sinn hatte. Der andere wähnt sich im Krieg. Ein einziger unbarmherziger Krieg gegen alles, was Verbrechen und Verbrecher heißt, ein Krieg, der so lange weitergehen mußte, bis jedes Verbrechen ausgerottet, jeder Verbrecher vernichtet war. Ein Krieg im Namen der kleinen Leute, der Menschlichkeit und der Steuerzahler, der alle redlichen Menschen beschützen und Voraussetzung für ihre Sicherheit schaffen sollte. Funktionierte die menschliche Ordnung nur so?
Und was passiert, wenn in diesem großen Krieg, der wohl nie enden würde und viele unschuldige Opfer fordern würde, unschuldige Opfer, die zwischen die beiden kämpfenden Parteien gerieten - zwischen Polizisten und Verbrecher - eines dieses Opfer zurückschlägt? Dies beschreibt Blom in diesem Roman. Und er benutzt die Metapher des Stierkampfes. Der Torero gegen den Stier. Wobei der Torero für die Polizisten steht und der Stier für den Mörder. Man weiß, dass im Stierkampf der Stier meistens zur Strecke gebracht wird, aber ehe er dieses Schicksal erleidet, kann er noch viel Unheil anrichten.
"Der Torero soll sich so schnell wie möglich über die Absichten seines Gegners klarwerden. Er muß herauszubekommen versuchen, ob der Stier mutig angreifen, mit welchem Horn er voraussichtlich zustoßen wird. Jeder Stier ist ein Individuum und denkt, reagiert und handelt auf seine eigene, besondere Weise."
Und der Stier, der Mörder? Er befindet sich in einem Albtraum. Er fühlt sich, als sei er in die Hölle hinabgestiegen. Etwas in ihm war zerstört, er wurde von Gefühlen beherrscht, die mit Logik und Vernunft nichts zu tun hatten. Er war ein Getriebener. Ein Zwang trieb ihn vorwärts. Ein "Muß" wie er es nennt. Die Psychologen hätten sicher ein Wort dafür. Psychopath oder dergleichen. Die Menschen auf der Straße sicher andere: Verrückter, Untier, Bestie, Wahnsinniger. Aber er fühlt sich im Recht, denn die Rache ist mein. Alles, was ihr gegen die Meinigen getan habt, das werde ich auch euch antun... Aug um Aug, Zahn um Zahn.
Schlußendlich ist die Treibjagd zu Ende, der Mörder gefaßt und alle blicken in einen menschlichen Abgrund. Wer trägt letztendlich die Schuld? Derjenige, der durch sein Tun die Kettenreaktion ausgelöst hat? Oder derjenige, der in seinen Wahn verfiel? Diese Frage bleibt offen.
Und so kann man K. Arne Bloms Lund, übrigens der Geburtsort von Per Wahlöö, und das Team um den Kommissar Olofsson einen würdigen Platz neben dem Stockholm von Sjöwall/ Wahlöö und Svedelid und dem zukünftigen Ystad Mankells einräumen. Natürlich merkt man dem Roman das Patina der damaligen Zeit an, den Diskurs der siebziger Jahre, die Gesellschaftskritik, das Hinterfragen des Handelns einzelner Personen, ob Polizisten oder Verbrecher. Aber es ist sicherlich ein lesenswerter Krimi. Ein Klassiker.
Vielen Dank an Jürgen Ruckh aus Esslingen
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