Helsinki. Eine Frau verläßt das Haus. Sie war dunkelhaarig und fast schön. Die Männer überlegten bei ihrem Anblick, ob sie sie als Mädchen oder als Frau bezeichnen sollten... Sie drückte die Tür sorgfältig zu, ließ das Schloss einrasten, registrierte den Unterschied zwischen der zentralgeheizten Luft im Haus und der aggressiven feuchten Kälte draußen und ging mit knirschenden Schritten über die verschneite Einfahrt auf die Straße.
Sirje, so heißt die Frau, verschwindet. Sirje stammt aus Estland. Ihr Mann, ein Antiquar, wendet sich an Viktor Kärppä, ein Mann, der Aufträge verschiedenster Art erledigt. Matti Rönkäs Held Viktor Kärppä gehört zu der Kategorie "rückkehrender Einwanderer von Koivistos Gnaden", das heißt, er ist einer der früheren sowjetischen Staatsangehörigen mit mehr oder weniger finnischen Wurzeln, denen vom finnischen Präsidenten Mauno Koivisto (im Amt von 1982-94), in der Zeit nach dem Fall der Sowjetunion die finnische Staatsangehörigkeit und das Recht auf Rückkehr in das Heimatland garantiert wurden. In ein Land, in dem sie nie gelebt haben und dessen Sprache sie nicht sprechen konnten. Viktor Kärppä wird in diesen Fall hineingezogen, da er über ein großes Kontaktnetz unter den Immigranten aus den Gebieten der ehemaligen Sowjetunion verfügt.
Die Grenze zwischen Finnland und Rußland ist eine der schärfsten Grenzen zwischen Wohlstand und Armut in Europa, sogar in der ganzen Welt und ist schon seit langem ein Schauplatz für verdeckte Geschäfte. Matti Rönkä führt einfallsreich und scharfsinnig durch diese Geschichte von Kleinkriminalität und Verbrechen und durch diese Welt von finnisch-russischen Einwanderern und Bewohnern von ehemaligen Sowjetrepubliken wie Estland und Lettland. Der Hintergrund ist gründlich untersucht und wird ohne viel Gedöns präsentiert. Nur einmal bricht es aus seiner Figur Viktor heraus: "Weißt du, wenn ich lese, die größte Kluft im Lebensstandard würde von der Grenze zwischen Mexiko und Kalifornien markiert, kann ich nur lachen. Das ist doch Quatsch mit Soße! Die tiefste Kluft liegt da drüben in Värtsilä, wenn du nach Ruskeala rüberfährst. Da geht's los, Bettler, Dreck, schmutzige Lumpen und Tuberkulose. Einbeinige Kriegsversehrte, die auf dem Markt ungebrauchte linke Schuhe verkaufen. Das alles ist wahr, und solange ihr diese Wirklichkeit stillschweigend hinnehmt, seid ihr reichen Finnen genauso kriminell wie ich."
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Auf die Frage, dass seine Hauptfigur nun nicht gerade ein gewöhnlicher Held ist, antwortete Matti Rönkä: "Ich wollte einen einmaligen und entschieden anderen Typ von Darsteller, keinen saufenden, geschiedenen Polizisten mittleren Alters. Durch einen reinen Zufall hatte ich, ungewöhnlich, leicht verfügbares und interessantes Material über Karelien und den Menschen von finnischer Abstammung, die dort wohnen. Viktor Kärppä wurde aus der Erkenntnis heraus geboren, dass ich brauchbares Material zur Hand hatte.
Matti Rönkä wurde 1959 in Outokumpu, Nordkarelien geboren. Er ist ausgebildeter Journalist. Er hat bei der Zeitung und für das Fernsehen gearbeitet und arbeitet nun als Nachrichtensprecher für das finnische Fernsehen. Er hat drei Bücher über den Geschäftsmann und Privatdetektiv namens Viktor Kärppä geschrieben. Der grafit-Verlag legt nun das erste davon in Deutsch vor. "Der Grenzgänger" (Tappajan näköinen mies) war auch das erste Buch, das in Finnland erschienen ist. Gut, dass der grafit-Verlag bei der Veröffentlichung die Reihenfolge einhält, da die Bücher aufeinander aufbauen. Rönkäs Gegenstand in seinen Romanen ist, was in Finnland allgemein bekannt ist als "Verbrechen aus dem Osten", und das beinhaltet die Abwicklung zwielichtiger Tagesgeschäfte, wie falsche Markenware und alte Verbindungen zu Prostitution, Drogen und Auftragskillern. Rönkäs erster Roman "Der Grenzgänger" kam in die engere Wahl für den Helsinki Sanomat Literatur Preis, den Preis der Zeitung für den besten Debutroman des Jahres und auch für den Savonia Preis im Jahr 2003.
Viktor Kärppä ist ein Auswanderer von Sortavala, Rußland. Er leidet an seinen finnischen Wurzeln während der Sowjetzeit und nun in Finnland wird er als ein suspekter Russe betrachtet. Sein Abschluß der St. Petersburger Sportakademie bringt ihm nichts. Dennoch hat Kärppä seine Finger in vielen Geschäften, macht Geschäfte mit vielen Herren in Finnland und in Rußland. Er grätscht ständig zwischen legal und illegal. Der Erzählstrang nimmt den Leser hinaus und über die Straßen von Helsinki und seinen Hochhäusern, zu den alten Holzhäusern von Sortavala und zu den Industriegebieten von Tallin. Viktor Kärppä selbst agiert als Erzähler. Er sieht und versteht Dinge, er fühlt und verdächtigt Im ersten Krimi und auch in den folgenden zwei, versucht Kärppä, ein Gleichgewicht zu finden zwischen Gut und Böse und, als ewiger Außenseiter, zwischen zwei Ländern. Ein Grenzgänger im wahrsten Sinne.
Nicht nur was die Grenze zwischen zwei Ländern betrifft, sondern auch die Grenze, die in einem selbst verläuft. "Wo verläuft die Grenze der Moral, wie weit reicht die Forderung, das richtige zu tun? Ich töte nicht, schlage nicht und raube nicht, aber wenn ich bei Dingen helfen soll, durch die ein Staat oder ein reicher Mann ein bisschen weniger einsackt, und wenn sich dadurch meinen Lebensunterhalt verdiene, dann bin ich dabei", sagt Viktor einmal im Buch. Und so tanzt Viktor auf vielen Hochzeiten. Der Inspektor Teppo Korhonen, der Geschäftsmann Ryshkov, estnische Drogenhändler und Kärppäs alte russische KGB Verbindungen haben alle ihre eigene Vorstellungen. Alle haben Aufträge für ihn oder wollen Informationen. Und er muß Sirje Larsson finden. Gleichzeitig macht sich Viktor auch Sorgen um die Gesundheit seiner alten Mutter in Rußland. Und er beginnt eine Beziehung mit der Studentin Marja Takala. Diese knospende Beziehung mit Marja Takala bedarf auch einiger Anstrengung. Es ist kein leichter Anfang. Hat sie doch Schwierigkeiten, dem Diener vieler Herren, die zwielichtigen Kontakte abzunehmen. So wirft sie ihm vor: "Der richtige Viktor ist unter all dem zu sehen, du kannst nicht alles kontrollieren, so gern du das auch tätest. Und das, was du verbirgst, ist am faszinierendsten. Aber du kannst ruhig ein bisschen mehr du selbst sein, die Kontrolle lockern, dir und den anderen vertrauen. Du selbst bist gut genug".
Ein anderer zentraler Charakter in der Geschichte ist der Inspektor Korhonen, ein Quälgeist von Kärppä. Korhonen versucht, sich über das Russenbusiness auf dem Laufenden zu halten, und Viktor hatte ihm einige Male erläutert, in welcher Beziehung bestimmte Dinge zu bestimmten Menschen standen. Korhonen verließ sich darauf, dass sich Viktor bemühte, nicht allzu sehr gegen die Gesetze zu verstoßen. Und es entwickelt sich so etwas wie Freundschaft zwischen den beiden Männern, mit doch so unterschiedlicher Abstammung und Ansichten. Man darf gespannt sein, wie es weitergeht mit Kärppä und Korhonen.
Vielen Dank an Jürgen Ruckh aus Esslingen
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