Leseprobe
Eine alte Geschichte
Er hatte sich durch das Gebüsch am Wegesrand gezwängt und
gerade einen halben Schritt auf den Weg getan, als er das Auto und die
Männer sah. Einer von ihnen stand ihm zugewandt. Er erkannte ihn
sofort wieder, ließ den Plastiksack fallen, drehte sich um und
begann zu rennen.
»Hol dir den Dreckskerl! Ihm nach, verdammt noch mal!«
Er warf einen Blick über die Schulter. Er hatte etwa fünfundzwanzig
Meter Vorsprung, erkannte jedoch, dass dies niemals ausreichen würde.
Sein Verfolger war um die dreißig und lief mit weit ausholenden
Schritten. Hastig zerrte er seine Kapuze aus der Trainingsjacke hervor
und zog sie sich im Lauf über den Kopf. Sie hatten also auf ihn
gewartet. Er war nicht sonderlich überrascht, aber er hatte etwas
anderes im Sinn gehabt.
Kurz vor der Ortschaft war er abgebogen und nach Norden gefahren. Zuerst
einige Kilometer lang auf rissigem Asphalt, dann weiter auf einem Waldweg,
der geradewegs nach Osten führte. Der Weg war wohl erst vor kurzem
angelegt worden. Damals hatte es ihn noch nicht gegeben. Die alte Landstraße
verlief näher am See entlang. Als der Weg hinauf zu dem lang gestreckten
Bergrücken anstieg, hielt er kurz an, kurbelte das Fenster herunter
und blickte hinaus. Zu seiner Linken, in einigen Kilometern Entfernung,
lagen der längliche See und dahinter ein paar Häuser und Felder.
Er warf einen Blick auf die Karte auf dem Beifahrersitz. Hundegebell
ließ ihn plötzlich aufsehen. Er nahm das Fernglas aus dem
Handschuhfach, setzte es an. Aus einem der Schornsteine stieg Rauch
auf, er fixierte die Stelle. Registrierte das Auto vor dem Haus. Und
den Hundezwinger, in dem er den hartnäckig bellenden Hund erkennen
konnte. Dann legte er das Fernglas beiseite und fuhr weiter. Nach einer
Weile überquerte er den Fluss. Es gab kein Brückengeländer,
das verraten hätte, dass er dort verlief, nur ein Rohr, das in
den Weg eingebettet war und den Wagen beim Befahren hochspringen ließ.
Zwei leichte Stöße. Im Rückspiegel sah er das Funkeln
des Wassers und einen Vorhang aus wildem Buschwerk am Ufer. Er müsste
größer sein, dachte er. Aber er wusste, dass er sich nicht
irren konnte. Es gab keinen anderen Flusslauf in der Nähe. Er hielt
nicht an, sondern fuhr in gleichmäßigem Tempo weiter. Nach
anderthalb Kilometern tauchte ein Haus auf. Mit schnellem Blick musterte
er das Gebäude, während er daran vorbeifuhr. Ein Neubau, noch
immer lagen einige Erdhaufen am Sockel des Fundaments. Einfach. Einstöckig,
schlichtes Bauholz. Eine Jagdhütte. Der Schatten eines Fahrzeuges
auf der Rückseite des Hauses. Doch es schienen keine Menschen dort
zu sein. Er fuhr noch einige Kilometer weiter, bevor er an einem Wendeplatz
anhielt, den Motor abstellte und ausstieg. Einen Moment blieb er still
stehen, lauschte. Dann machte er ein, zwei Schritte, nahm seine Zigarettenschachtel
aus der Tasche und zündete sich eine Zigarette an, konzentrierte
sich darauf, dass seine Bewegungen natürlich wirkten. Er rauchte
ausschließlich, wenn er der Meinung war, dass es einem Zweck dienen
könnte, wenn es ihn mit seiner Umgebung verschmelzen ließ,
seiner Anwesenheit eine Art Legitimation verschaffte. Wie in diesem
Augenblick. Er war einfach jemand, der seinen Wagen anhielt, um sich
die Beine zu vertreten, jemand, der sich eine Zigarette ansteckte und
die Aussicht genoss. Er spielte diese Rolle. Schlenderte eine Weile
umher, streckte und dehnte sich, ließ den Blick über die
Landschaft wandern. Es war Ende September. Eisblauer Himmel. Der Wind
hatte zugenommen. Dünne Wolkenschatten jagten über den Bergrücken
im Norden. Auf beiden Seiten des Weges erstreckte sich kilometerlanger
Kahlschlag. Er blieb stehen, mit halb geschlossenen Augen, spürte
die kühle Luft auf seinem Gesicht, sah, wie sich die jungen Zapfenkiefern
auf den kahlen Flächen im Wind bogen. Schließlich ließ
er die Zigarette fallen, trat sie aus und vergrub sie sorgfältig
im Kies. Mit schnellen Schritten ging er zurück zum Wagen und fuhr
denselben Weg zurück. Als er das Haus erneut passierte, ging er
vom Gas und heftete seinen Blick auf das Gebäude. Das Auto hinter
dem Haus stand noch immer dort, doch weiterhin war kein Mensch zu sehen,
kein Lebenszeichen weit und breit. Er fuhr wieder schneller. Beim Fluss
bremste er. Er entdeckte Reifenspuren, die vom Weg abzweigten, und hielt
an. Einen Augenblick saß er ruhig im Wagen, betrachtete die Umgebung,
versuchte sich daran zu erinnern, wie es damals ausgesehen hatte. Dichter
Fichtenwald. Sie waren den Fluss entlanggekommen. Waren von der alten
Landstraße abgebogen und dem Waldweg gefolgt, der parallel zum
Wasser verlief. Das graue Licht dieser Nacht. Etwas Fiebriges, Aufreizendes
hatte in der Luft gelegen. Ein Gefühl, als würden sie sich
schwebend, gleichsam tanzend bewegen. Und er hatte bereits gewusst,
was geschehen würde. Dann öffnete er die Tür und stieg
aus. Von nun an war jede seiner Bewegungen zielsicher, genau berechnet.
Er ging um das Auto herum, öffnete den Kofferraum, nahm den Plastiksack
heraus und faltete ihn zu einem rechteckigen Paket zusammen, das in
seine Jackentasche passte. Den klappbaren Spaten steckte er unter den
Gürtel, dann zog er die Jacke an. Das Klebeband stopfte er in die
andere Jackentasche. Er drehte sich um und überquerte den Weg.
Einen Moment lang dachte er, er habe Motorengeräusche gehört,
doch das hinderte ihn nicht. Ein schmales Band aus Bäumen entlang
des Flussufers war stehen geblieben. Nach Westen breiteten sich die
kahl geschlagenen Flächen aus. Er ging am unteren Saum eines Kahlschlags,
der etwa ein Jahr alt war. Seine Bewegungen waren geschmeidig und schnell.
Nach ungefähr einem halben Kilometer wurde er langsamer, inspizierte
den Abhang hinunter zum Fluss. Er erinnerte sich wieder genau. Dort
wo sich der Uferbereich ein wenig lichtete, eine ebenere Stelle bildete,
verharrte er, suchte die Gegend mit den Augen ab. Plötzlich lachte
er laut auf. Kein Mensch war hier gewesen. Auch aus dieser Entfernung
war er sich so gut wie sicher. Er lief hinunter zum Fluss, schob sich
durch den lichten Birkenwald und das Weidengebüsch, bis er die
Stelle erreichte, auf der weder Birke noch Weide richtig Halt finden
konnten. Er ging einige Schritte, bevor er die Bodenerhebung entdeckte.
Mit dem Fuß schob er das Seggegras und die Steine darunter weg.
Dann zog er den Spaten hervor, klappte ihn auseinander und schaufelte
die Erde beiseite. Es dauerte ungefähr zwanzig Minuten, das gesamte
Skelett freizulegen. Er richtete sich auf, betrachtete es einen Augenblick
lang, drehte den Spaten in den Händen, hob ihn hoch und zerteilte
mit einem schnellen Stoß die Wirbelsäule, kurz über
dem Becken. Dann trennte er den Schädel von den Nackenwirbeln,
die Arme von den Schulterblättern. Er trat einen Schritt zurück,
stellte sich breitbeinig über die Grube, hob den Spaten und stieß
einige Male zu, bis er den Hüftknochen vom Becken getrennt hatte,
tat einen weiteren Schritt zurück und halbierte mit einem präzisen
Hieb beide Beine auf Höhe der Kniegelenke. Er strich sich ein paar
Schweißtropfen aus der Stirn. Dann trat er zur Seite, holte den
Plastiksack aus der Tasche, faltete ihn auseinander und begann systematisch,
die einzelnen Skelettteile einzusammeln. Den Brustkorb zertrümmerte
er mit Tritten, bevor er ihn in den Sack stopfte. Er warf einen Blick
auf die Uhr. Zehn vor zwölf. Knapp eine Stunde war es her, seit
er den Wagen verlassen hatte. Er durfte sich nicht zu lange hier aufhalten,
dachte er, nicht dieses Mal. Dennoch hielt er kurz inne und sah mit
suchendem Blick hinauf zu der spitzen Bergkuppe hinter ihm.
Plötzlich konnte er ihre Stimme wieder hören. Sie schien von
einer Stelle seines Zwerchfelles aufzusteigen. Ein wütender, gequälter
Aufschrei. Röchelnd, brodelnd, wie nach einem Hustenanfall. Du
darfst nicht gehen! Du darfst nicht! Er erstarrte. Ich komme doch wieder,
ich habe dich noch nie im Stich gelassen, versuchte er zu sagen, aber
sie unterbrach ihn erneut mit einem erstickten Schrei: Nein! Du darfst
nicht gehen! Komm zu mir!
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Etwas in ihm begann zu zucken, unkontrolliert. Er konnte ihre übermächtige,
vernichtende Kraft spüren. Für einen Moment wusste er, dass
er nicht umhinkam, ihr zu gehorchen. Dann atmete er tief ein, schloss
die Augen und zwang ihre Stimme in sich nieder, Stück um Stück,
während ihm der Schweiß übers Gesicht lief.Jetzt war
er der Stärkere. Der Stärkere und der Ältere. Er war
derjenige, der entscheiden musste, was für sie beide das Beste
war. Ich komme bald zurück, flüsterte er mit milder, tröstender
Stimme, als würde er mit einem Kind sprechen. Ich werde dich niemals
im Stich lassen. Ich komme zurück. Ich habe es doch versprochen.
Er lauschte. Nichts. Sie war still, als hätten seine Worte sie
zum Schweigen gebracht. Nur einer der Männer war ihm gefolgt. Er
bemühte sich erst gar nicht, schneller zu werden. Im Gegenteil,
er verlangsamte das Tempo, wartete darauf, dass der Mann zu ihm aufschließen
würde.
»So, du Dreckskerl!«
Er spürte den Würgegriff am Hals, als sein Verfolger ihn von
hinten packte. Abrupt blieb er stehen, entspannte seinen Körper,
ließ ihn beinahe kraftlos, ohne Kontrolle wirken. Er wartete so
lange, bis er spürte, dass der Druck nachließ, ergriff dann
das Handgelenk des anderen, riss den Arm nach oben, tauchte gleichzeitig
unter seinen Armen hindurch und zwang ihn so auf die Zehenspitzen. Er
ließ ihn eine trippelnde Pirouette ausführen, den Arm auf
den Rücken gedreht. Es dauerte nur den Bruchteil einer Sekunde,
ehe er mit einem festen Ruck wieder an ihm riss, sodass das Schultergelenk
des Mannes mit einem dumpfen Geräusch zerbarst. Erst da löste
er den Griff, ließ ihn rücklings zu Boden stürzen, erst
da hörte er den gequälten Schmerzensschrei, der den Lippen
seines Opfers entwich. Er drehte sich um, setzte seinen Fuß auf
das Becken des Liegenden und trat mit aller Kraft zu. Der Schrei brach
abrupt ab, nur ein halb ersticktes Wimmern war zu vernehmen. Er starrte
hinunter auf den Mann, zielte und trat zu, sah, wie sein Kopf zur Seite
fiel und er völlig verstummte. Dann lief er weiter. Verließ
den Kahlschlag und rannte Richtung Fluss, bis er vom Weg aus nicht mehr
zu sehen war. Erneut hielt er an, kehrte um und stieg die Anhöhe
hinauf, jetzt ganz gemächlich. Als er den Weg wieder sehen konnte,
ging er in die Hocke und zog sein Fernglas aus der Tasche. Die beiden
anderen Männer hatten ihren Kameraden gefunden. Er beobachtete,
wie sie sich zu ihm hinunterbeugten und ihn halb schleifend, halb tragend
zum Weg schleppten. Als sie es schließlich geschafft hatten, ihn
auf den Rücksitz zu legen, kehrte der eine zurück und holte
den Plastiksack. Auch auf diese Entfernung konnte er seine Reaktion
ablesen, als er ihn öffnete: Unverhohlenes Erstaunen ließ
den Mann für einen Moment wie gelähmt erscheinen. Er senkte
sein Fernglas und lachte leise in sich hinein. Er wartete, bis er den
Wagen davonfahren sah. Zuvor hatte er beobachtet, wie die Männer
die Motorhaube von dem Mazda aufbrachen, mit dem er gekommen war, und
den Verteilerkopf herausrissen. Da er etwas Ähnliches erwartet
hatte, zeigte er keinerlei Regung. Er dachte nach. Das Wichtigste war
nun, in den Besitz eines Autos zu kommen. Nach seinen Berechnungen hatte
er ungefähr eine Stunde Zeit. Er versuchte auszurechnen, wie weit
es bis zum anderen Ende des Sees war. Dann erhob er sich, warf das Fernglas
von sich und den Spaten, der noch in seinem Gürtel gesteckt hatte.
Auch den Pullover zog er aus, behielt nur die Jacke an. Es kostete ihn
eine gute halbe Stunde, ehe er die Kreuzung, die zu den Häusern
führte, erreichte. Er schwitzte, aber seine Atmung war unverändert
ruhig. Er lief mit gleichmäßigen, weit ausholenden Schritten,
vermied es, seine Kräfte zu verschwenden. Kein Auto weit und breit.
Als er in die Auffahrt bog, erhöhte er seine Geschwindigkeit, richtete
sich darauf ein, die letzten Meter so schnell wie möglich zurückzulegen.
Schon von weitem konnte er das Hundegebell hören. Als das Haus
vor ihm auftauchte, wurde er wieder langsamer und ließ seinen
Blick über das Gehöft schweifen. Der Wagen stand noch da.
Im Zwinger sprang ein großer Hofhund umher, wütend bellend.
Neben dem Haus befanden sich ein umgegrabener Kartoffelacker sowie einige
Reihen Beerensträucher. Er nahm den Weg quer über den Acker.
Das Gebell des Hundes wurde immer lauter, und noch ehe er den Hof erreicht
hatte, sah er, wie die Haustür aufging und ein Mann auf die Treppe
trat. Er lief geduckt weiter und zog dabei wieder seine Kapuze aus der
Jacke und über den Kopf. Mit wenigen Sprüngen war er vorne
an der Treppe. Der Mann hatte sich bereits wieder umgedreht und versuchte
ins Haus zu flüchten. Er aber hatte ihn bereits an den Schultern
gepackt und zu Boden gerissen, die Hand auf seinen Kehlkopf gepresst.
Der Mann schnappte pfeifend nach Luft und zitterte am ganzen Leib, sodass
er seinen Griff etwas lockerte und sich tief zu ihm hinunterbeugte.
»Den Wagen«, zischte er. »Die Schlüssel für
den Wagen!«
Der Mann starrte ihn an, ohne ein Wort zu sagen.
»Die Schlüssel!«, fuhr er ihn erneut an.
Als der Mann die Augen schloss und seine trockenen Lippen zusammenpresste,
ließ er ihn los und zog dafür sein Messer aus der Jackentasche.
Die Spitze der Klinge senkte er zum Augenlid, hob es hoch und erhöhte
langsam den Druck auf den oberen Rand der Augenhöhle, bis ein kleines
Rinnsal von Blut heraussickerte.
»Genau hier«, sagte er mit leiser Stimme. »Von hier
aus geht's direkt ins Gehirn. Vorsichtig, man kann jeden Millimeter
spüren...«
Die Augen des Mannes waren vor Angst weit aufgerissen.
»Sie stecken! Sie sind im Wagen, zum Teufel!«
Er ließ das Messer noch einen Augenblick an derselben Stelle verweilen,
bevor er es wegnahm. Er sah, wie sich das Blut im Auge sammelte und
die Wange hinunterrann. Dann erhob er sich, warf den Mann auf den Bauch,
drehte seine Arme auf den Rücken, fingerte das Klebeband aus seiner
Tasche und wickelte es einige Male um Hände und Handgelenke. Mit
den Beinen verfuhr er auf die gleiche Weise.
Der Hund im Zwinger hörte nicht auf zu bellen. Er warf einen Blick
hinüber zu den zwei benachbarten Häusern, die nur wenige hundert
Meter entfernt standen. Unbewohnt. Vernagelte Fenster, die Hofeinfahrten
zugewachsen. Er machte einen Schritt über den Gefesselten und ging
hinein ins Haus. Das Telefon stand im Flur, er riss den Hörer ab
und warf ihn in die Ecke. Dann begann er seinen Rundgang. Eine Küche.
Ein Wohnzimmer, sparsam möbliert. Durch die angelehnte Tür
des Schlafzimmers sah er das Einzelbett, das ihm bestätigte, was
er sich schon gedacht hatte: dass der alte Mann hier alleine wohnte.
Er schloss die Tür mit einem Gefühl großen Unbehagens,
ein Gefühl, das ihn immer dann befiel, wenn er zu nahe mit dem
Leben anderer Menschen in Berührung kam. Fotografien, Schmuck,
Erinnerungen, Kleider. Alles, was ein intimes, vertrautes Zeugnis von
ihnen ablegen konnte. Und die Gerüche, ihre Gerüche, die überall
waren, überall klebten und hängenblieben...
Er drehte sich um und ging eilig nach draußen. Der Mann lag unverändert
in derselben Stellung. Einen Augenblick erwog er, auch seinen Mund zu
verkleben. Als er jedoch den ruckartigen, angestrengten Atem hörte,
entschied er sich anders. Wie alt mochte er sein? Siebzig, fünfundsiebzig?
Er würde das womöglich nicht überleben, und von seinem
Tod hatte er keinerlei Nutzen. Er beugte sich zu ihm hinunter, packte
ihn an seiner Kleidung und zerrte ihn in den engen Flur. Dort ließ
er ihn fallen und wischte sich die Hände an der Hose ab. Dann machte
er einen Schritt nach hinten, holte aus und trat ihm kräftig in
die Seite.
»Verdammter alter Sack! Sei froh, dass du noch lebst, du Arsch!
Sag bloß keinem ein Wort, sonst wirst du es bitter bereuen...«
Er flüsterte nun nicht mehr, sondern ließ seine Stimme absichtlich
lauter, derber und brutaler werden, versuchte sie gewalttätig und
unbeherrscht klingen zu lassen. Er versetzte dem Alten noch einen Tritt
und hörte, wie dieser in einer Mischung aus Angst und Schmerz aufheulte,
ehe er hinausging und die Tür hinter sich schloss.
In Ånge bog er ab, fuhr ins Landesinnere Richtung Süden.
Es waren kaum Autos unterwegs. Keine Polizeiwagen. Wahrscheinlich würde
es Stunden dauern, bevor eine Fahndung herausgegeben werden würde.
Er fuhr gemächlich, nie zu schnell. Er war gelassen und ruhig,
beobachtete aber dennoch genau den Verkehr.
In regelmäßigen Abständen kehrte er in Gedanken zu der
Szene am Kahlschlag zurück, ließ sie vor seinem inneren Auge
Revue passieren, Moment für Moment. Eigentlich war das alles ein
großer Glücksfall gewesen, ein Zusammenspiel von Zufällen.
Dennoch hatte er das Gefühl, dass dahinter noch etwas anderes stand.
Ein Muster. Eine Kraft. Ein Wille. Sie hatte nach ihm gerufen. Hatte
ihn zu sich zurückgerufen. Sie hatte nicht vor, ihn freizugeben.
Das Gesicht von Kennet Eriksson tauchte vor ihm auf. Sein schwerfälliges,
grübelndes Erstaunen. Woran konnte er sich erinnern? Was begriff
er von der ganzen Sache überhaupt?
Danke an den Goldmann Verlag für die Veröffentlichungserlaubnis.
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