Leseprobe
1
Mads Hammer saß auf der äußersten
Kante des Ledersofas und stützte sich mit den Ellbogen auf den
Oberschenkeln ab. Konzentriert lauschte er dem Mann, der vor ihm auf
dem Stuhl saß.
Niels August Henriksen, Geschäftsführer der Firma Finanzpartner
AG, lehnte sich zurück und atmete den Rauch seines Zigarillos durch
die Mundwinkel aus. Er ließ Mads nicht eine Sekunde aus den Augen.
Es war frühmorgens. Vor den Panoramafenstern ging die Sonne auf
und tauchte die Festung Akershus jenseits des Hafens in morgendliches
Licht. Sie saßen in einem der größten und mondänsten
Büros von Aker Brygge, dem Stadtteil mit den teuersten Räumlichkeiten
in Oslo. Doch Mads dachte weder an das Büro noch an die Aussicht.
"Eine Sache müssen Sie wissen, Hammer", sagte Henriksen.
Seine Stimme war heiser und laut.
"Es gibt eine ganze Reihe von Investmentgesellschaften in Oslo.
Überall dort arbeiten Personen mit einem gewaltigen Ego, die sich
für die besten der Welt halten. Sie verdienen ein paar Millionen
im Jahr und sehen das als Bestätigung dafür, daß sie
viel schlauer sind als die meisten anderen in diesem Land."
Mads schluckte. Noch vor zwei Tagen war er arbeitslos gewesen.
"Die Wahrheit ist, daß die meisten von ihnen Arschkriecher
sind, Schafe, ohne Verstand und ohne Gespür für das Geniale.
Ihnen fehlt die Fähigkeit, in großen Maßstäben
zu denken. In wirklich großen! Verstehen Sie mich? "
Mads nickte vorsichtig und schluckte erneut. Er hatte eine neue Chance
bekommen, die Chance seines Lebens, das wirklich große Geld zu
machen. Wenn alles gut lief, würde er in wenigen Jahren ein Gehalt
in siebenstelliger Höhe einstreichen. In sechs oder sieben Jahren
konnte er Gesellschafter werden und mit einem achtstelligen Gehalt rechnen.
Er hatte Glück gehabt. Die Firma Finanzpartner gehörte zu
den wichtigsten Investmentgesellschaften Oslos. Er konnte es kaum glauben,
daß er hier saß.
Henriksen war zierlich, hatte markante Gesichtszüge und volles
graues Haar, das nach hinten gekämmt war. Wie immer war er tadellos
gekleidet - mit einem schwarzen Anzug und einem kreideweißen,
frisch gebügelten Hemd. Der Rauch quoll stoßweise aus seinem
Mund, während er fortfuhr: "Es gibt nur einige wenige Große
in dieser Branche. Von ihnen lebt der Rest der Schafherde, in deren
Glanz sonnt sie sich."
Er klopfte die Asche in den Kristallaschenbecher, beugte sich zu Mads
vor und sah ihm tief in die Augen.
"Den Schafen in unserer Branche fehlt etwas Essentielles. Gute
Schulnoten und Hartnäckigkeit - das reicht nicht. Sie brauchen
komplexere Fähigkeiten."
Mads lehnte sich vorsichtig zurück. Seine Hände schoben sich
in die Ritzen des Ledersofas und krallten sich fest.
Arbeitslos sein, das war etwas für Fünfzigjährige draußen
in der Provinz. Daß es ausgerechnet ihm passieren würde,
mit achtundzwanzig Jahren und als Angestellter von Stockholm Securities,
einer der renommiertesten schwedischen Investmentbanken, war schlichtweg
undenkbar gewesen. Stockholm Securities - der Name hatte einen ganz
besonderen Klang, und das weit über die Grenzen Schwedens hinweg.
"Man braucht drei Dinge, Hammer. Erstens einen Kopf, der schneller
denkt und mehr Kapazität hat als die Köpfe der Konkurrenten.
Man muß sein Fach beherrschen, die Spielregeln kennen, kreativ
und lösungsorientiert sein. Ein guter Kopf ist eine Notwendigkeit,
aber alles andere als ausreichend. Da können sogar noch einige
von den Schafen mithalten." Henriksen lächelte zum ersten
Mal seit langem. Doch das Lächeln verschwand ebenso schnell, wie
es gekommen war.
"Zweitens muß man in der Lage sein, sein Herz zu gebrauchen.
In vielen Situationen ist das Herz tatsächlich das wichtigste Arbeitsmittel.
Man muß es verstehen, sich in einen Klienten hineinzuversetzen
und mit Gefühl und Verständnis zu reagieren. Niemand, wirklich
niemand wird bereit sein, etwas von Ihnen zu kaufen, wenn Sie nicht
wenigstens ein Minimum an Herz zeigen. "
Mads mußte zu Boden blicken. Er konnte Henriksens
intensiven Blick nicht allzulange ertragen.
Die Meldung, daß das Osloer Büro von Stockholm Securities
geschlossen werden würde, war für die fünfzig Angestellten
ein Schock gewesen. Die Geschäftsführung des Stockholmer Hauptsitzes
teilte mit, daß das Büro in Oslo ein Strategiefehler gewesen
sei - das war der offizielle Wortlaut. In Wirklichkeit war es Stockholm
Securities nie so recht gelungen, auf dem norwegischen Markt Fuß
zu fassen. Aus diesem Grund wurde in Norwegen kein Geld eingespielt,
weder im Aktienhandel noch im Corporate Finance. Die schwedische Geschäftsführung
war zu schwach. Die Händler, die sie an sich banden, bekamen hohe,
feste Gehälter und Firmenwagen der Luxusklasse. Zu guter Letzt
tat keiner mehr etwas. Die besten Deals machten die Händler privat.
Drei Jahre nachdem die Osloer Niederlassung ins Leben gerufen worden
war, wurde allen gekündigt und das Büro im Lauf weniger Wochen
geschlossen.
Die Nachricht von der Kündigung war zu einem denkbar ungünstigen
Zeitpunkt gekommen. Line war schwanger. Was würde geschehen, wenn
sie in Mutterschutz ging? Sie arbeitete als Programmiererin in der IT-Branche
und erhielt dort reichlich Aktienoptionen, hatte aber ein relativ geringes
Grundgehalt, und für die Optionen konnten sie sich nichts kaufen.
Eher im Gegenteil. Vorläufig hatten sie ihnen bloß zusätzliche
Steuern beschert. Mit ihrem geringen Grundgehalt würden sie nicht
lange zurechtkommen. Außerdem war ihr Vater der Ansicht, es sei
die Pflicht des Ehemannes, die Familie zu versorgen.
Nimm es nicht so schwer, Mads. Du bist nicht der erste, der arbeitslos
geworden ist, hatte Line gesagt. Sie begriff nicht, wie sehr es ihn
quälte, keinen Job zu haben.
Sie hätten sparsamer sein sollen, natürlich. Die teuren Restaurantbesuche
waren nicht nötig gewesen, ebenso wenig die Wochenenden im Ausland,
die Designerklamotten und der Schmuck. Doch das Schlimmste war der Gedanke
daran, was sein Schwiegervater sagen würde. Wie er die Hiobsbotschaft
wohl bei seinen Bekannten in der Freimaurerloge verbreiten würde.
Ganz deutlich glaubte er die nasale Stimme seines Schwiegervaters zu
vernehmen:
"Hören Sie, Richter Lorentzen, ich muß Ihnen von meinem
Schwiegersohn erzählen. Wußten Sie schon, daß ihm gekündigt
wurde? Allmählich glaube ich wirklich, daß er nichts taugt.
Es wird noch damit enden, daß meine Tochter ihn versorgen muß."
Alles in ihm zog sich zusammen.
Auch bei den Personalagenturen hatte niemand angebissen, ein paar Wochen
nach seiner Bewerbung war ein dünner Brief gekommen, in dem sie
ihm für sein Interesse dankten und mitteilten, daß sie zur
Zeit keine freien Stellen anzubieten hätten.
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Doch dann hatte das Telefon geklingelt. Ein Personalvermittlungsbüro,
das er gar nicht angeschrieben hatte. Ob er sich eine Anstellung als
Berater im Corporate-Finance-Bereich vorstellen könne? Er hätte
fast einen Herzinfarkt bekommen. Fünf Tage und zwei Gespräche
später hatte er das Angebot in der Tasche.
"ihr Kunde investiert nicht einfach in eine Aktie, er kauft sich
das Gefühl, am Glück teilzuhaben." Henriksen deutete
mit dem Zeigefinger auf Mads. "Ihre Fähigkeit, die Gefühle
und Bedürfnisse der anderen zu verstehen, bedeutet alles. Das ist
es, was den Schafen fehlt. Sie wissen nichts über die Bedeutung
des Herzens bei solchen Geschäften."
Er machte eine kleine Pause, in der er Mads betrachtete und herumrätselte,
was wohl im Kopf dieses gutgekleideten, hübschen jungen Mannes
vor sich ging.
Sie hatten alle Informationen über ihn eingeholt. Mads war mit
Line verheiratet, einer sechsundzwanzigjährigen WAP-Programmiererin
bei Schibsted Telecom. Sie wohnten in einer Dreizimmerwohnung im Osloer
Stadtteil Briskeby. Ihre Miete betrug gut zehntausend Kronen im Monat.
Fünfundzwanzigtausend hatten sie auf dem Sparbuch und zwanzigtausend
in Anteilen an einem Aktienfonds. Der Kredit, den sie für ihr Studium
aufgenommen hatten, belief sich auf insgesamt dreihundertfünfzigtausend
Kronen. Sie fuhren einen zwölf Jahre alten Mercedes. Mads war sportlich,
lief gerne und hatte früher einmal auf Kurzstrecke trainiert. Als
Jugendlicher war er zeitweise auf die schiefe Bahn geraten: Mit siebzehn
hatte er eine Bewährungsstrafe für Einbrüche in Wochenendhäuschen
und Geschäfte bekommen. Er wurde auch verdächtigt, hinter
einer Reihe von Autodiebstählen gestanden zu haben. Doch solche
Erfahrungen waren nicht immer von Nachteil, dachte Henriksen und drückte
langsam seinen Zigarillo aus.
"Die dritte Eigenschaft ist die wichtigste. Sie ist es, die letztlich
die Besten von den Mittelmäßigen abhebt. Verstehen Sie mich
nicht falsch, Kopf und Herz sind wichtig. Aber ohne die dritte Eigenschaft
taugen Sie gar nichts, Hammer."
Den letzten Satz flüsterte er fast, hob seine Augenbrauen und sah
zu Mads hinüber, der offensichtlich keine Ahnung hatte, worum es
ging.
"Man muß es zwischen den Beinen haben. Man braucht einen
Schwanz !" Er packte sich selbst fest zwischen die Beine und starrte
sein Gegenüber an.
"Ohne Schwanz ist man ein Nichts. Sie müssen so geil auf das
sein, was Sie haben wollen, daß nichts Sie stoppen kann, koste
es, was es wolle! Ohne Ständer ist man nichts als ein armes Würstchen!"
Mads blickte zu Boden. Er fand es unangenehm und merkwürdig, daß
ihn sein neuer Chef derart anstarrte und sich selbst dabei zwischen
die Beine griff.
Henriksen ging zum Fenster und sah hinaus, während er fortfuhr:
"Man braucht Kopf, Herz und Schwanz, um einen wirklichen Coup zu
landen." Er hatte seine Stimme wieder gesenkt und sprach wie zu
sich selbst. "Für die meisten Investmentbanker sind alle Deals
über ein paar Millionen richtige Coups."
Mads schwitzte. Die Probezeit sollte sechs Monate dauern. Danach mußten
Henriksen und die anderen Gesellschafter überzeugt sein, daß
er, Mads Hammer, Kopf, Herz und Schwanz am rechten Fleck hatte.
Mit einem Ruck drehte Henriksen sich um.
"Schafe!" rief er und schlug mit der Hand derart fest auf
die Glasplatte des Tisches, daß die Kaffeetassen bedrohlich klirrten.
Mads zuckte zusammen und sah erschrocken zu Henriksen auf. "Für
uns Finanzpartner beginnt ein Coup bei Hundert! Hundert Millionen Kronen!
Meinen Sie, daß Sie das in Ihren Kopf kriegen, Hammer ?"
Henriksen beugte sich über die Tischplatte. Sein Kopf war nur noch
wenige Zentimeter von Mads' Gesicht entfernt. Aus seinem Mund roch es
unangenehm nach Zigarillo.
"Was sind Sie für einer, Hammer? Sind Sie einer von denen,
die einen Coup landen können?
Danke an den Piper Verlag für die Veröffentlichungserlaubnis. |