Leseprobe
Diese Geschichte handelt von Angst. Angst vor dem Wasser. Angst
vor dem Unbekannten. Angst vor der Tiefe und davor, daß es immer
dunkler wird, je tiefer man kommt. Daß der Druck steigt und die
Lebenschancen sinken, wenn man den Griff lockert und es einfach geschehen
läßt. Wenn man sich preisgibt. Und ich träume - ich träume,
eins zu sein mit meinem Element. Es ist dunkel, und ich treibe vorwärts
durch das Unbekannte, kann nicht stoppen. Habe keine Kontrolle.
Plötzlich strahlt ein Scheinwerfer auf, und ich sehe den Meeresboden,
ich bewege mich über den Schlick dahin, während der Ton meinen
Körper mit seiner Riesenfaust knetet. Wie in einem Schraubstock stecke
ich hoffnungslos fest. In meinem Traum. Der Griff dieser Faust ich kann
ihm nicht entkommen. Eine Pipeline taucht im trüben Wasser auf. Es
ist tief, woher weiß ich das? Es muß der Ton sein und das
so ganz andere Element. Und weil es dunkel ist. Ich bin gezwungen, Licht
mit nach unten zu nehmen. Der Ton preßt das Wissen in meinen Körper,
immer tiefer hinein in meinen Körper. Und die Pipeline mündet
in ein Bohrloch, von dem Rohre über den kargen lehmigen Boden wegführen,
andere Rohre tauchen auf und verschwinden allesamt in Dunkelheit, in Finsternis.
Stahlschlangen, unbiegsam und unbeweglich, ringeln sich über den
welligen Boden, über einzelne Stahlbrücken, über Risse
und Spalten, so als gäbe es die Härte des Stahls nicht.
Ein riesiges Fundament?! Beton. Wer bin ich? Wohin geht es? Der Lichtkegel
sucht sich aufwärts, immer weiter aufwärts. Wie lange? Wie weit
noch? Der Druck verändert sich, ich fühle es an dem Griff der
Riesenfaust. Licht? Ja, Licht, von oben jetzt. Ein graues Dämmerlicht,
in dem Fische ruhig vorbeischwimmen.
Eine gewaltige Ankerkette. Der Griff der Tonfaust verändert sich.
Ein Dach über mir? Was hindert das Licht? Kein Dach ... die Unterseite
eines Schiffes!
Die Schrauben bewegen sich gemächlich, drehen sich gegeneinander,
um das Schiff an Ort und Stelle zu halten. Die Tonfaust löst erleichternd
ihren Griff, und ich stoße an die Oberfläche. Wirklichkeit!
Richtige Töne, das Klatschen der Wellen und Möwengeschrei. Ich
liege auf dem sprühenden Wasser. Ich sehe die Schiffswand, die Spanten
drücken gegen die Außenhaut. Biegen sich wie Rippen, ich sehe
es aus meiner Fischperspektive, und nicht weit entfernt die große
Bohrinsel auf ihren Betonfundamenten, die, ich weiß es jetzt, tief,
unsagbar tief unter den Meeresspiegel reichen, bis dorthin, wo nur Druck,
Dunkelheit und Angst existieren. Meine AntiWelt.
Und die Sonne strahlt, die Möwen schreien, und der Himmel ist
blau. Ich lebe Gott, ich danke dir.
Unter mir lauert das Unbekannte. Diese Geschichte handelt von Angst. Meiner
Angst. Von mir. Ich kann mit diesem Wortungeheuer spielen, ohne seinen
giftigen Biß zu spüren; ich erzähle, und ich habe Angst.
Doch in der Welt, die ich schildere, wird dieses Wort nicht benutzt. Niemals!
Angst ist ein Nichts unter der Oberfläche.
Angst ist wasserlöslich, wird aufgelöst.
Angst verbindet sich mit dem Element selbst. Wird ein Teil von ihm.
Hat keinen eigenen Namen.
Keinen Namen.
Buchtipp |
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1.
Ein Schweißtropfen läuft langsam über die Stirn, dann
die Nase hinunter. Er wischt ihn irritiert weg.
Er steht über die geräumige Nylontasche gebeugt und füllt
sie mit Slips, Unterhemden, Taschenbüchern, Kassetten, Strümpfen,
T Shirts, Pullovern und Werkzeug. Er ist fünfunddreißig Jahre
alt, blond, durchtrainiert und braungebrannt. Wenn sein Blick nicht so
unzufrieden wäre, würde er richtig gut aussehen. Eigentlich
hat er keine Eile, aber er hetzt, als warte das Flugzeug nur noch auf
ihn.
Es ist still. Hinter ihm steht seine Frau in der Türöffnung,
hat ihm den Rücken zugewandt. Sie ist im siebenten Monat schwanger,
über dem Hohlkreuz hängt das Kleid locker herunter. Doch vorn
wölbt sich ihr Bauch schon deutlich. Er schielt hastig zu ihr hin,
als er die Kommodenschublade noch einmal aufreißt, um weitere Strümpfe
einzupacken. Man weiß ja nie.
Nein, man weiß nie.
Der fünfjährige Sohn kommt ins Zimmer. Er preßt sich an
Mutters Beine, während er Ian ansieht, der darauf das Packen unterbricht.
Seine Hände sinken herab. Müdigkeit überfällt ihn.
Ach könnte man sich doch unter eine schützende Bleidecke legen,
um geröntgt, operiert und von all diesen
lästigen Forderungen befreit zu werden! Für krank erklärt
werden, todkrank, wenn nötig!
Der Sohn sieht ihn an. Vom Rücken seiner Frau gehen Signale aus.
Er sagt, er tue es doch für sie beide, weil er sich um ihr Wohlergehen
sorge.
Verächtliches Schweigen. Ginge es nach ihnen, würde er nicht
fahren, so einfach ist es. Sie hat ihn schon so oft gebeten fahr nicht!
Fahr nicht!!
Er wiegt die Tasche in der Hand. Sie ist wirklich schwer.
Er sagt, er werde rechtzeitig zurück sein, ehe es soweit ist, doch
jetzt müsse er los. In diesen Zeiten könne man über jeden
Job froh sein, der einem angeboten wird. Sie fängt an zu schluchzen,
und der Junge rennt aus dem Zimmer. Ian hört, wie sich das Trommeln
der kleinen Füße immer weiter entfernt.
Jetzt hält sie den Rücken nicht mehr durchgedrückt, ist
in sich zusammengefallen und bebt. »Du hast doch eine Arbeit. An
Land«, flüstert sie.
»Werin es wenigstens eine andere Frau wäre«, sagt sie
leise. »Ich bin bald zurück«, erwidert er.
»Und ich werde dann hier auf dich warten? Werde ich das? Sag, werde
ich das wirklich?«
Er schafft es nicht, will nicht antworten, denn jetzt hupt ein Taxi
auf der Straße vor dem Haus. Seine Muskeln zucken, und er schaut
hinaus.
Strahlender Sonnenschein, es wird ein herrlicher Sommertag werden.
Er ist schon unterwegs; sitzt in Gedanken bereits auf dem Airport in
Aberdeen, um das nächste Flugzeug nach Stavanger zu nehmen.
»Leih dir ein Video aus«, sagt er. »Oder geh ins Restaurant,
dir fällt schon was ein, wir haben genug Geld, mach dir keine Sorgen,
ich bin bald zurück dann machen wir dort weiter, wo wir jetzt aufhören.«
In roten Versallen stürzt DEEP SEAHORSE über das runde blaue
Feld mit schwarzem Rand, das Logo, ein großer Aufkleber, schmückt
eine Tasche, Handgepäck, das ein etwa fünfzigjähriger
Mann über der Schulter trägt. Sein faltiges Gesicht zeugt
von teuer erkaufter Lebenserfahrung. Die Augen sind ausdrucksvoll, blikken
wehinü tig. Sein Haar ist grau, und der Haaransatz hat sich nach
hinten verschoben, dennoch wirkt die noch immer schlaksige Gestalt irgendwie
jungenhaft. Er bewegt sich geschmeidig, ja schön.
Er geht über das Vorfeld des Flugplatzes von Stavanger. Sonnenreflexe
funkeln in den großen Fenstern der Ankunftshalle. Seine Kleidung
ist abgewetzt, dieselbe Bundjacke Sommer wie Winter, als sei er ein Habenichts.
Doch ist seine Armut von anderer Art.
Die Maschine, in der er gesessen hat, ist jetzt leer, auch das Gepäck
ist ausgeladen. Vor einem Flugsteig warten schon eine Reihe Geschäftsleute,
die mit demselben Flieger zurück nach Göteborg wollen. Glenn
bemerkt sie nicht. Geistesabwesend tritt er in den kühlen Schatten
der Ankunftshalle, wo ein Tumult sofort seine Aufmerksamkeit auf sich
zieht.
Anfangs sieht er nicht, woher das Geräusch kommt, hört nur
laute Stimmen, hin und wieder Geschrei und entrüstetes Gemurmel.
Es rührt von einem Gepäckband her. Eine Gruppe von Passagieren,
vielleicht zurückkehrende MallorcaTouristen, wartet an dem Band,
und irgend etwas passiert dort. Frauen und Männer in leichter Sommerkleidung,
auf dem Kopf Panamahüte, gestikulieren und schimpfen worüber?
Danke an den G.Kiepenheuer Verlag für die Veröffentlichungserlaubnis. |