Rebecka Edgren Aldén - Die achte Todsünde
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Rebecka Edgren Aldén - Die achte Todsünde
 
Rebecka Edgren Aldén - Die achte Todsünde
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"Nacht über Reykjavik" von Arnaldur Indriðason

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Bauchgefühl klärt auf

Der junge Erlendur Sveinsson ist Verkehrspolizist in der isländischen Hauptstadt. Die anfallenden Aufgaben für ihn und die mit ihm Streife fahrenden Gardar und Marteinn lauten Verkehrs- und mehr noch Alkoholkontrollen durchführen, die eine oder andere Ruhestörung oder Schlägerei beenden, Frauen vor häuslicher Gewalt retten sowie Betrunkene versorgen. Wäre das der einzige Plot des Buches – niemand würde es zu Ende lesen. Doch neben der durchaus interessanten Sozialstudie des rauen und einsamen Landes im Nordatlantik in den späteren 1970er-Jahren kommt bald Spannung auf, als der Obdachlose Hannibal ertrunken aufgefunden wird.
Erlendur kann den Todeshergang einfach nicht glauben, was durch verschiedene Bemerkungen und Beobachtungen weiterer Personen aus dem Umfeld des Toten unterfüttert wird. So fand eine Freundin Hannibals einen Ohrring in seiner letzten Behausung, einer Heißwasserrohrleitung außerhalb der Stadt und am gleichen Tag seines Ertrinkens kam eine 34jährige Frau von einer Party nicht mehr nach Hause und niemand weiß, wo sie geblieben ist.

In bedächtiger, aber eben durchdachter Weise und geradezu melancholisch beschrieben ermittelt Erlendur nun in seiner Freizeit – freilich auch unter Ausnutzung seines aktuellen beruflichen Status‘ – auf eigene Faust und entdeckt neben Ungereimtheiten auch Zusammenhänge. Mehr und mehr lässt der Autor den jungen engagierten Mann zum Kriminalisten werden, der letztendlich sogar beide Fälle aufklärt. Die Handlung entwickelt keine besondere Hast, alles geschieht gemächlich und lässt die Vorstellung entstehen, in Island nimmt man sich einfach mehr Zeit für alles. Gewisse Längen werden durch die zu Papier gebrachten Gedanken Sveinssons überbrückt, kann man diesen doch gut folgen und sich selbst das Eine oder Andere zusammen reimen.
Der Schluss überrascht nur wenig und ist kein echter Aufreger, selbst wenn die Auflösung bis dahin nicht augenfällig wurde.
„Nacht über Reykjavik“ ist bietet sehr gute und spannende Genre-Unterhaltung und wer den Autor kennt, weiß, dass diese Geschichte das „Prequel“ einer ganzen Reihe mit dem schließlich Kommissar gewordenen Erlendur ist. Es lohnt sich die Geschichte zu lesen.

Vielen Dank an Uli Geißler, Freier Journalist und Autor aus Fürth / Bayern
© 2015 Redaktionsbüro Geißler für das Literaturportal schwedenkrimi.de

"Eiseskälte" von Arnaldur Indriðason

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"Manche Menschen werden erst durch ihr Verschwinden sichtbar" (Tabor Süden)

Der Roman "Eiseskälte" ist Arnaldur Indriðasons elfter Kriminalroman mit dem isländischen Querdenker und Einzelgänger Erlendur Sveinsson. Wobei der Kommissar in den letzten beiden Romanen nur am Rande auftauchte. In den Büchern "Frevelopfer" und "Abgründe", in denen Erlendurs Kollegen Elínborg bzw. Sigurður Óli sich auf die Tätersuche machen müssen, wird beiläufig erwähnt, dass Erlendur sich im Osten von Island aufhält. Man erfährt in diesen zwei Büchern sonst weiter nichts, was Erlendur in den Ostfjorden macht, es heißt, er verbringt dort seinen Urlaub.
Die drei genannten Kriminalromane spielen alle innerhalb von drei Wochen im Herbst des Jahres 2005. Während Elínborg und Sigurður parallel an verschiedenen Fällen arbeiten, erfährt man nun in "Eiseskälte", was Erlendur in die Ostfjorde verschlagen hat.
Erlendur hat sich in Bakkasel, dem verfallenen elterlichen Hof, eingerichtet. Dieser Hof liegt im Reyðarfjörður und Erlendur sucht nach den Schatten seiner Vergangenheit. Ein Teil seines Lebens und seiner Geschichte ist für alle Zeiten mit diesem Landstrich verbunden, ein schicksalhaftes, gnadenloses Ereignis in seiner Jugend, fesselt ihn an diese Gegend. Nicht nur die Ereignisse aus seinem eigenen Leben, das Verschwinden seines Bruders im Schneesturm, sind es, die ihn nicht zur Ruhe kommen lassen, sondern auch andere ungelöste Fälle; unerledigte Angelegenheiten - lose Enden, die er in Händen hält. Vor vielen Jahrzehnten, im Januar 1942, begannen unheilverkündende Vorfälle, die ihre Auswirkungen bis in die Gegenwart zeitigen. Eine große Truppe britischer Soldaten, die im Fjord stationiert waren, versuchten in einem Schneesturm zum Nachbarfjord zu gelangen. Viele gingen verloren und eine große Suchaktion wurde gestartet. Einige schafften es mit Schwierigkeiten zurück in die Sicherheit, andere nicht. Doch alle wurden gefunden, ob nun tot oder lebendig. In der gleichen Nacht verschwand eine junge Frau im gleichen Gebiet, als sie ebenfalls über den Pass wollte. Sie wurde jedoch nie gefunden. Ihr Schicksal hat schon immer die Neugierde von Erlendur erweckt. Nun ist er gekommen, um dieses Rätsel zu lösen. Er, der selbst nach Antworten auf die Rätsel seiner Vergangenheit hungert. Wie Erlendur dabei vorgeht, erklärt Friedrich Ani anhand seines Kommissars Tabor Süden, der ja Ähnlichkeiten mit Erlendur aufweist: "Zu erzählen ist jetzt dessen (des Vermissten) Biografie anhand der Aussage von Freunden und Verwandten, die schließlich in einem schöpferischen Akt des Kommissars oder Detektivs münden, der das Wesen des Abwesenden neu erfinden muss und dabei, womöglich, der Wirklichkeit nahekommt."

Zwei Geschichten werden erzählt. Das spurlose Verschwinden von Bergur, Erlendurs jüngerem Bruder im Schneesturm und von Matthildur, der jungen Frau, die ebenfalls spurlos verschwand. Gleichzeitig gelingt es Arnaldur zu beschreiben, was der Verlust und der Kummer bei denjenigen anrichtet, die zurückbleiben und für den Rest ihres Lebens mit diesem Rätsel leben müssen. Er beschreibt diese Leere, die zurückbleibt, die Schuldgefühle, die es auslöst mit wahrer Tiefe und Einsicht in die menschliche Natur. Das Rätsel von Matthildur, das der eigentliche "Kriminalfall" in diesem Roman ist, ist gleichzeitig eine anmutige Liebesgeschichte. Wie viele der Liebesbeziehungen in Arnaldurs Romanen geht auch diese schief, gibt es doch wenige glückliche Ausgänge in den Romanen von Arnaldur. Die Menschen, die mit der vollkommen unerwarteten Abwesenheit eines Menschen fertig werden müssen, haben jede Freude und Neugierde am Leben verloren. Einige, darunter auch Erlendur, werden vom schlechten Gewissen für die zurückliegenden Ereignisse oder Vergehen gepeinigt, können sich nicht vergeben und scheinen auf den Tod zu warten, der immer gegenwärtig ist. Die Atmosphäre des Buches ist melancholisch und frostig mit einem Hauch Todessehnsucht. Die Handlung erzeugt einen Sog und nimmt einen mit auf eine Reise in das frostige Innere schuldbehafteter Menschen. Der Leser, die Leserin, findet sich inmitten eines Alptraumes wieder, den er oder sie so niemals erwartet hätte. Teile des Buches sind buchstäblich haarsträubend, da der blanke Horror dem Leser entgegen schlägt. Edgar Allan Poe läßt hier grüßen.

Reykjavik, mit seiner großstädtischen Ausprägung ist nicht vorhanden. Da ist der verfallenen Hof von Erlendurs Eltern, die Wege von Erlendur durch trostlose ländliche Gebiete, in denen er Bewohner findet, die dabei sind, ihr sterbliches Leben zu verlassen, ob sie nun im Seniorenheim oder auf halb verfallenen Höfen leben. Er trifft Menschen, die Tätigkeiten ausüben, die fast der Vergangenheit angehören. Im Kontrast dazu blitzt immer wieder die Gegenwart dieses Fjords durch. Der Bau der neuen Aluminiumhütte und das Erstehen von Islands größtem Stausee. Hier manifestiert sich die neue Zeit. Erlendur, der selbst durch die Zeit gefallen zu sein scheint, lehnt diese Entwicklung ab. Man kann davon ausgehen, dass auch der Autor diese Entwicklung kritisch sieht.

Arnaldur sagt über diesen Roman: "Ich will den Lesern nicht die Spannung nehmen, Man kann vielleicht sagen, das Buch handelt von Rache und davon, wie trübsinnig es ist, wenn man versucht, mittels Rache Gerechtigkeit herzustellen." Erlendur, der in diesem Buch sich davon verabschiedet nach Gesetz und Ordnung zu handeln, denn er greift auf Maßnahmen zurück, die weit davon entfernt liegen, gesetzestreu zu sein, findet einige Dinge heraus, die ihm und anderen Frieden bringen. Vermutungen werden zur Tatsache und die alten Geister kommen zur Ruhe. Auch Erlendur findet letzte Gewissheit und er kommt zur Ruhe, findet seinen Frieden. Den alten Erlendur wird es nicht mehr geben. Das Ende ist ein trauriges.

Vielen Dank an Jürgen Ruckh aus Esslingen
© Januar 2013 Literaturportal schwedenkrimi.de - Krimikultur Skandinavien

"Frevelopfer" von Arnaldur Indriðason

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Das Mädchen aus Akranes

Die Leiche eines jungen Mannes, Runólfur, wird im angesagten Þingholt-Viertel von Reykjavik tot aufgefunden. Er lag auf dem Boden seines Wohnzimmers, seine Hose war heruntergelassen und er war mit nichts anderem bekleidet als mit einem blutigen T-Shirt, auf dem "San Francisco" stand. Die Kehle des Mannes war durchgeschnitten worden. Es stellte sich heraus, dass er vor seinem Tod Geschlechtsverkehr hatte. Später wurde das Schultertuch einer Frau im Schlafzimmer unter dem Bett gefunden. Das Tuch roch intensiv nach Gewürzen, nach indischen Gewürzen. Als bei der Spurensicherung die Vergewaltigungsdroge Rohypnol in der Jackentasche von Runólfur und auf dem Wohnzimmertisch gefunden wird, später auch bei der Autopsie im Mund und Rachen des Toten, deutet alles auf eine Frau als Täterin hin. Hatte da jemand blutige Rache genommen?

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Elínborg, Erlendurs Kollegin übernimmt diesen Fall. Ihr Chef Erlendur Sveinsson jagte seine eigenen Geister der Vergangenheit in den Ostfjorden. Er hatte sich einige Tage freigenommen und ist in seine alte Heimat aufgebrochen und niemand hat Kontakt mit ihm. Sein Auto steht verlassen in Eskifjörður am Friedhof. Von ihm keine Spur und keine Nachricht. Arnaldur Indriðason nimmt sich nun die Zeit uns Elínborg auch privat näher zu bringen. Wussten wir aus den vorausgegangenen Kriminalromanen mit Erlendur schon ein wenig über seine Kollegin, so bekommen wir jetzt ausführliche Informationen geliefert. So ausführlich, dass es manchmal schon ein wenig zu viel ist. So ist die ständige Wiederholung der Kochkünste von Elínborg manchmal etwas ermüdend, obwohl ihr Hobby ihr bei der Aufklärung dieses Falles sehr entgegenkommt. Etwas weniger wäre in diesem Fall sicher besser gewesen. Elínborgs Probleme mit ihren Kindern und ihr Verhältnis zu ihrem Mann werden detailliert geschildert aber im Grunde nicht vertieft. Trotz aller Einzelheiten, so hat ihr ältester Sohn Valþór eine eigene Blogseite im Internet auf der er auch über persönliche Dinge innerhalb der Familie schreibt oder ihrer Tochter, die hochbegabt ist, bleiben die Probleme doch nur an der Oberfläche. Die Person Elínborg bleibt dem Leser trotz allem fremd. Die Schilderung ihrer Persönlichkeit erreicht nicht die Tiefe, welche Arnaldur mit Erlendurs Beschreibung erreicht.

Auch Elínborg muss reisen. Sie fliegt in das Heimatdorf von Runólfur, um sich dort nach den Verhältnissen des Toten zu erkundigen. In Reykjavik konnte sie nichts über den jungen Mann herausfinden. Sie reist in eine fremde Welt, in ein trügerisches Dorfidyll. Solche Orte können seltsam sein, wie es ein Bewohner treffend ausdrückt. Sie erfährt, dass der Vater des ermordeten Mannes bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen ist. Kristjana, die Mutter des Toten, erinnert Elínborg in gewissem Sinne an Erlendur, der sich ebenfalls nie von seiner Vergangenheit hatte lösen können oder wollen. Er klammerte sich an eine alte Gedankenwelt, an alte Sitten und Werte, die im Verschwinden begriffen waren, ohne dass irgendjemand es bemerkte oder sie vermisste. Eine seltsame Atmosphäre aus Schweigen und Geheimnissen umfängt Elínborg. Ein ehemaliger Freund von Runólfur sagt zu ihr: "Ich habe mein ganzes Leben hier verbracht und verstehe vieles immer noch nicht, obwohl ich hier zu Hause bin. Freunde können sich im Nu in Scheusale verwandeln. Und Geheimnisse hütet man bis in den Tod."

Sigurður Óli hat nur eine marginale Rolle in diesem Roman. Dafür gibt er einen Hinweis auf einen  Freund von Runólfur. Eðvarð einen Lehrer. Über diesen Eðvarð baut Arnaldur eine Nebenhandlung in diesen Krimi ein. Beim Erzählen dieser Nebengeschichte ist Indriðason wieder ganz bei sich. Das neunzehnjährige Mädchen Lilja aus Akranes verschwand vor Jahren spurlos. Eðvarð kannte dieses Mädchen. Er war ihr damaliger Lehrer. Und so ist Indriðason wieder bei seinem Thema. Verschwundene Menschen. Menschen, deren Schicksal im Nebel liegen. Gespenster, die die Zurückgebliebenen nicht loslassen. So wie der verschwundene Bruder Erlendur umtreibt, so hat auch dieses Mädchen Menschen zurückgelassen, deren Schicksal von ihrem Verschwinden beeinflußt worden sind. Auch in diesem Fall bleibt ihr Verbleiben ungelöst. Nichts was ein Hinweis auf das Schicksal des Mädchens aus Akranes gegeben hätte. Nur ein Verdacht, der bleibt.

Dies ist sicher nicht der stärkste Krimi von Arnaldur, aber er gibt doch einen Blick auf den Menschen Elínborg frei. Man merkt es dem Roman an, dass er mit der Absicht geschrieben worden ist, uns Elínborg näher zu bringen.  Der neue Roman, "Svörtuloft" der in Island schon erschienen ist, bringt uns Sigurður Óli näher. Auch da hat Erlendur Pause. Hoffen wir, dass es Arnaldur Indriðason dann besser glückt, uns den Menschen Sigurður näher zu bringen.

Vielen Dank an Jürgen Ruckh aus Esslingen
© April 2010 Literaturportal schwedenkrimi.de - Krimikultur Skandinavien

"Kälteschlaf" von Arnaldur Indriðason

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ob Lenor’, die ich verloren, bei den Engeln selig wär’.
(Edgar Allan Poe „Der Rabe“)

Der achte Roman von Arnaldur Indriðason mit dem sonderbaren und eigenen Kommissar Erlendur Sveinsson ist ein Kriminalroman über Verluste und Zufälle, die das Schicksal der Menschen bestimmen aber auch über Gespenster aus der Vergangenheit, die einen ein Leben lang verfolgen. Der Originaltitel von „Kälteschlaf“ lautet „Harðskafi“, ein Berg in Ostisland am Eskifjörður. Harðskafi bedeutet etwas Schroffes oder Karges. Der isländische Titel deutet auch darauf hin, worauf die Geschichte zusteuert, zurück in die Kindheit von Erlendur, zurück in seine Vergangenheit, in die Tiefen seiner Seele. Erlendur, der jedes Jahr in die Ostfjorde fährt, zu dem verlassenen elterlichen Bauernhof, dort auf den Harðskafi steigt und durch die Berge oberhalb von Eskifjörður streicht, um seinen eigenen Dämon zu jagen.

In einer kalten und dunklen Herbstnacht wird eine Frau, María, tot in ihrem Sommerhaus am Þingvallavatn aufgefunden. Erhängt an einem Balken im Wohnzimmer. Sie hatte schon eine Zeit lang mit Problemen zu kämpfen. Ihre Mutter, mit der sie ein enges Verhältnis hatte, starb nach langer, schwerer Krankheit. Dieser Tod machte ihr schwer zu schaffen, sie steigerte sich in eine manische Trauer hinein. Die Schlinge schien ihr Weg aus der Hoffnungslosigkeit gewesen zu sein. Alles deutet auf Selbstmord hin. Auch für die Polizei, die den Fall bald abschließt. Aber als Erlendur von einer Freundin der Toten eine Kassette übergeben bekommt, welche die Aufnahme einer Séance enthält, an der die Tote teilnahm, läßt ihn dieser Fall nicht mehr los. Die Umstände des Selbstmordes und Mitgefühl für die Tote, die sich das Leben nahm, treiben Erlendur dazu, die Geschichte der Frau auszugraben und herauszufinden, warum ihr Leben so plötzlich und auf so traurige Weise endete. Bald stößt er auf einen weiteren Todesfall in der Familie. Marías Vater ertrank im Þingvallavatn.
Buchtipp
Camilla Läckberg - Die Eishexe: Kriminalroman (Ein Falck-Hedström-Krimi 10)
Die Geschichte um den Tod der Frau umspannt eine weitere. Zwei Vermißtenfälle aus der Vergangenheit, ungelöste Rätsel über zwei junge Menschen, die plötzlich und ohne Spuren zu hinterlassen verschwanden, quälen Erlendur. Hinzu kommt sein eigenes Gespenst aus der Vergangenheit. Sein jüngerer Bruder, der in einem Schneesturm verschwand und  nicht mehr auftauchte. Dieses Geschehen wird zum ersten Mal in einem Zusammenhang erzählt und damit die Bruchstücke aus den vorausgegangenen Erlendur-Romanen zu einem Ganzen gefügt. Das Thema dieses Romans ist die Frage, ob es ein Leben nach dem Tod gibt. Die Tote war zwanghaft auf der Suche nach einer Antwort auf diese Frage. So besessen, daß sie einen Pakt mit ihrer Mutter schloß, bevor diese starb. Erlendurs Ermittlungen führen ihn mitten hinein in die Welt des Mystischen, Spiritistischen und in den Glauben an ein Leben nach dem Tod. Er selber glaubt nicht an eine Welt  voller Geister und Wiedergänger. Er, Erlendur, glaubt an den Zufall.

Dieser achte Fall des isländischen Kommissars Erlendur Sveinsson unterscheidet sich von den vorhergegangenen. War er in den Ermittlungen schon immer als Einzelgänger geschildert worden, so hat er sich in diesem Buch von aller polizeilich korrekten Arbeit verabschiedet. Seine Kollegen und seine Partner, die in den anderen Romanen noch eine größere Mitwirkung hatten, spielen in diesem Roman nur eine marginale Rolle. Erlendur ist ein getriebener, ein gejagter, der unbedingt die Wahrheit herausbekommen möchte. Er macht den Fall zu einer persönlichen Angelegenheit. Und Indriðason gelingt ein intelligenter raffinierter Plot. Es ist hier nicht die Stelle, all zuviel über den Plot zu verraten, da sonst die Spannung dieses Buches absolut verloren geht. Obwohl der Leser, allein schon durch die Rückblicke, die Arnaldur in die Handlung einflechtet, ziemlich schnell eine Ahnung davon bekommt, was geschehen sein könnte. Aber war es so? War es Selbstmord oder doch ein raffinierter Mord? Am Schluß fehlen die Beweise und das Buch läßt einige Fragen offen. Es ist ein emphatischer Roman, der von Verlusten, Schuld und Vergebung handelt. Elementare Fragen, auf die Erlendur auf seine Art Antworten zu finden hofft.

Manchmal, wenn man ein Buch liest, kommen einem andere Bilder und Stimmungen in das Bewußtsein. Ausgelöst von anderen Büchern oder Filmen, die man gelesen oder gesehen hat. Assoziationen, die sich einem aufdrängen. So ging es mir bei „Kälteschlaf“. Mich hat das Buch beim Lesen stark an die Filme von Alfred Hitchcock „Marnie“ und „Vertigo“ erinnert. Nicht aufgrund der Handlung, mit denen „Kälteschlaf“ wenig Parallelen aufweist, sondern von der Grundstimmung, von den Bildern, Stimmungen, die beim Lesen entstehen. Dies mag subjektiv sein aber der Traumzustand, in dem sich manche Figuren zu bewegen scheinen; Obsessionen, welche die tote Frau aber auch Erlendur vorantreiben, ja ihr Leben bestimmen, sind auch Themen dieser beiden Filme. Es gibt noch einen anderen Film, der für den Roman in seiner Grundidee, Pate gestanden haben könnte, nämlich der Film „Flatliners“.

Es kommt mir noch eine andere Geschichte beim Lesen von „Kälteschlaf“ in den Sinn. Eher keine Geschichte sondern zwei Gedichte von Edgar Allan Poe. „Der Rabe“ und „Lenore“. Die verstorbene Mutter von María hieß Leonóra. In den beiden Gedichten von Poe wird um Frauen geklagt, die denselben Namen – Lenore - tragen. Die Männer trauern um ihre Geliebten. Schicksalsfragen werden gestellt. So wie María der Frage nachgeht, ob es ein Leben nach dem Tod gibt. Bei Poe ist die Antwort „Nimmermehr“. Bei Arnaldur wird diese Frage nicht beantwortet. Es ist kein okkultistischer Krimi, sondern ein Roman, der elementare Fragen stellt und an dessen Ende, so hofft man, auch Erlendur seinen Frieden mit seinem Gespenst schließen kann und sich von seinem Dämon befreit. Auch wenn ein Medium zu Erlendur sagt: „Wir haben alle unsere Wiedergänger. Nicht zuletzt du.“

Laßt frei die Tote gehen
Aus Hölle auf zu hohem Rang(Edgar Allan Poe „Lenore“)

Vielen Dank an Jürgen Ruckh aus Esslingen
© August 2009 Literaturportal schwedenkrimi.de - Krimikultur Skandinavien

"Codex Regius" von Arnaldur Indriðason

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"Am 4. November 1955 legte die Gullfoss im Hafen von Reykjavik an. Es war ein großer Tag im Leben der isländischen Nation. Eine unüberschaubar große Menschenmenge nahm den Nobelpreisträger für Literatur, Halldór Laxness im Hafen von Reykjavik in Empfang, und es wurden Reden zu seinen Ehren gehalten. "Diese Szene, die Arnaldur Indriðason fast am Ende seines neuen Buches "Codex Regius" beschreibt, fand so auch statt. In der Biografie von Halldór Gudmundsson über Laxness kann man über diesen Tag folgendes nachlesen: "Halldór Laxness reiste am 28. Oktober von Göteborg nach Kopenhagen, wo der Verlag Gyldendal ihm zu Ehren einen Empfang gab, und am Tag danach bestieg er die Gullfoss in Richtung Heimat. Als das Schiff am 4. November in Reykjavik anlegte, hatte sich eine große Menschenmenge am Hafen eingefunden, wobei es bezeichnend war, dass es nicht Vertreter des offiziellen Islands waren, die ihm einen solchen Empfang bereiteten - noch nicht - sondern der Gewerkschaftsverband und der Verein isländischer Künstler. Hannibal Valdimarsson, der Laxness einst scharf für seine Übersetzung von "In einem anderen Land" kritisiert hatte, und der Musiker Jon Leifs, der dem jungen Autor Manieren beizubringen versucht hatte, begrüßten den Dichter und betonten dabei den Sieg der isländischen Nation, ja der isländischen Nationalität. Laxness antwortete mit einer kurzen Ansprache, in der er dem isländischen Volk mit den Worten eines Dichters dankte, der seiner Geliebten ein Gedicht sendet: " Danke du mir nicht für diese Gedichte; du warst es, der sie mir allesamt zuvor gegeben hat."

"Codex Regius" ist ein Thriller. Ein Thriller, der Mitte der fünfziger Jahre spielt. Schauplätze sind Kopenhagen, Schwerin, Amsterdam und Berlin. Die Geschichte beginnt 1863 in Island und endet 1971 mit der Heimkehr der Handschriftensammlung von Árni Magnússon von Kopenhagen nach Reykjavik. Es ist ein literarischer Thriller, der nichts anderes zum Inhalt hat, als die alten isländischen Sagen, die Edda. Das ist auf der einen Seite das schöne und interessante an diesem Buch, ist aber auf der anderen Seite auch sein größtes Manko. Wer als Leser kein Interesse und keine Vorliebe für dieses Sujet mitbringt, wird das Buch bald auf die Seite legen. Denn auch die kleinen Hinweise auf die Literatur Islands in den fünfziger Jahren, die in der oben beschriebenen Szene gipfelt (in dem Arnaldur Halldór Laxness zu einem Protagonisten des Romans macht), verlangt auch ein wenig Wissen über die isländische Literatur. Wer aber dieses Wissen mitbringt oder bereit ist, gewisse Dinge nachzulesen, hat bestimmt Vergnügen an diesem Buch.

Die eigentliche Handlung des Romans findet im Jahr 1955 statt. Der Protagonist, der Ich-Erzähler Valdemar, reist auf Empfehlung eines isländischen Gelehrten nach Kopenhagen, um sich dort in der Geschichte der mittelalterlichen isländischen Manuskripte weiterzubilden. Er soll in der dänischen Hauptstadt, an der Universität, einen alten, etwas schrulligen Professor aufsuchen. Und mit diesen zwei Personen, dem Professor und Valdemar, hat Arnaldur ein Gespann geschaffen, dass einen an die Sherlock Holmes Geschichten von Sir Arthur Conan Doyle erinnert. Nicht nur im Duktus der Sprache, sondern auch dieser speziellen Personenkonstellation wegen. Wie Doyle seinen Dr. Watson führt Arnaldur mit dem Studenten Valdemar einen Ich-Erzähler ein, der zugleich die Sichtweise des Lesers bestimmt. Valdemar, ein isländischer Student vom Land,  ist etwas naiv und begriffsstutzig und dem von seinem Schicksal getriebenen Professor hoffnungslos unterlegen. Dieser Professor, getrieben von einem Ereignis, das ihn im Gestapo Gefängnis während der deutschen Besatzungszeit in Kopenhagen ereilt hat, stürzt sich mit ganzem physischen Einsatz in die Suche nach den verschollenen Seiten im "Codex Regius". Und diese fehlenden Seiten im "Codex Regius", die sogenannten "Lieder der Lücke" sind, um einen Begriff von Hitchcock zu nehmen, der MacGuffin dieses Thrillers.

Der "Codex Regius" besteht aus 45 Pergamentblättern in 6 Lagen. Nach Blatt 32 fehlen acht Blätter, die Stelle wurde im 18. Jahrhundert mit 8 leeren Pergamentblättern gefüllt. Die verlorenen Blätter enthielten Texte der Sigurd-Dichtung. Rückschlüsse auf das Verlorene sind nach der Valsungusaga und einigen anderen Zeugnissen möglich. 1643 gelangte das Manuskript in den Besitz des isländischen Bischofs und Handschriftensammlers Brynjólfur Sveinsson. Zusammen mit dem Flateyjarbók übereignete Brynjólfur 1662 dem dänischen König Frederik III, dieses Manuskript, wodurch es seinen Weg in die Königliche Bibliothek in Kopenhagen fand. Deshalb auch der Name des Codex als "Königliche Handschrift". Bei den Liedern des "Codex Regius" handelt es sich um eine Textsammlung, die der Bischof Brynjólfur dem isländischen Dichter Sæmundr enn fröði Sigfússon zuschrieb. Laut einer isländischen Saga-Überlieferung schrieb dieser um 1087 als einer der ersten solche Lieder schriftlich auf. Diese Annahme ist aber längst als irrig verworfen worden. Der "Codex Regius" wurde nach Meinung einiger Forscher 1271 von einem einzelnen unbekannten Schreiber angefertigt, wobei es sich allerdings um die Abschrift eines älteren Textes handelt. Dieser wiederum muss das Ergebnis einer weiteren Sammelarbeit gewesen sein. Die Lieder selbst sind wesentlich älter und dürften in ihrer vorliegenden Form zwischen 800 und 1000 entstanden sein. Diese Texte überstanden den großen Brand in Kopenhagen von 1728 und wurden 1971 an Island zurückgegeben. Heute kann man diese unbezahlbaren Handschriften im Árni Magnússon Institut in Reykjavik besichtigen.

Für viele Isländer und auch für den Professor in diesem Buch ist der "Codex Regius" und die alten mittelalterlichen Handschriften der größte Schatz der isländischen Nation. Oder, wie es der Professor im Überschwang der Gefühle äußert: "Unser Beitrag zur Weltkultur! Wir haben keine Akropolis, weil unsere Vorzeit sich nicht in Steinen, sondern in Worten manifestiert hat!"

Ein wichtiger Aspekt in diesem Buch beschreibt auch die Besetzung Dänemarks durch die deutsche Wehrmacht und die dänische Widerstandsbewegung und die Rolle, welche die nordische Mythologie für die Nazis hatte. Dadurch leitete sich auch ein spezielles Interesse an Island und den alten Sagen ab. So stammen der Hiltlergruß und das Hakenkreuz aus der nordischen Mythologie. Der Professor kam während der Besatzungszeit der Nazis in Kontakt mit der Gestapo und einem Geheimbund, der auf der Suche nach alten isländischen Manuskripten war. Aus dieser Konstellation ergab sich das geschilderte Ereignis im Jahre 1955. Seinen Höhepunkt findet diese Schilderung in der Bombardierung des deutschen Hauptquartiers der Gestapo in Kopenhagen, das Shell-Gebäude am 21. März 1945. Um 8.55 Uhr flogen die RAF ihren Angriff auf das Gebäude. Hier wird auch deutlich, wie genau Arnaldur Indriðason recherchiert hat, um so exakt wie möglich an den geschichtlichen Ereignissen zu bleiben. Ob er nun das Jahr 1945 oder das Jahr 1955 beschreibt. Immer spürt man, dass hier jemand seinen Finger am Puls der Zeit hat und das Zeitkolorit ziemlich exakt eingefangen wurde.

Und was ist mit der isländischen Literatur der fünfziger Jahre? Hier gibt uns Arnaldur einen kurzen Hinweis. Valdemar erwähnt, dass er zwei Bücher aus Island mitgebracht hat, die dort im Jahre 1955 erschienen sind. Sie heißen "Taxe 79" und "Das Uhrwerk".

"Das Uhrwerk" stammt von dem Schriftsteller Ólafur Jóhann Sigurdsson. Sigurdsson wurde 1918 als Sohn armer Bauern auf Hlid im Südwesten Islands geboren. Sein Wissen erwarb er sich autodidaktisch. Mit fünfzehn zog er auf Arbeitsuche nach Reykjavik und wurde dort als jüngstes Mitglied in die "Vereinigung revolutionärer Schriftsteller" aufgenommen. In den folgenden Jahren verdiente er sich seinen Lebensunterhalt als Arbeiter in Fabriken, im Straßenbau und bei der Ernte, als Laufbursche, Korrektor, Redakteur und hausierender Buchhändler. Er veröffentliche verschiedene Romane, darunter "Das Uhrwerk", "Zauber und Irrlichter" und "Drachen und Zaunkönige". Diese sind auch auf Deutsch erschienen.

Das zweite erwähnte Buch stammt von dem Schriftsteller Indriði Guðmundur Þorsteinsson, geboren am 18. April 1926 und gestorben am 3. September 2000. Indriði wurde auf einer Farm im Skagafjörður als Sohn eines ungelernten Arbeiters geboren. Er studierte in Héraðsskólinn im Laugarvatni von 1942-43. Er arbeitete als Fahrer in Akureyri von 1945-51 bis er als Reporter bei Tíminn anfing. Von 1959-62 arbeitete er als Reporter bei Alþýðublaðið und von 1962-73 war er der Herausgeber der Zeitung "Tíminn". Während der nächsten Jahre schrieb er, bis Indriði nochmals zum Herausgeber der Zeitschrift "Tíminn" von 1987 bis 1991 wurde. Indriði war der Vater von Arnaldur Indriðason. Indriði erzielte erste Aufmerksamkeit als Schriftsteller als er den Kurzgeschichtenwettbewerb 1951 mit der Geschichte "Blástör" gewann. Im gleichen Jahr veröffentlichte er die Kurzgeschichtensammlung "Sæluvika". 1955 veröffentlichte er seinen ersten Roman, "79 af stöðinni" ("Taxi 79"). Das Buch war sehr erfolgreich. Es handelt von den Schwierigkeiten eines  Mannes vom Land, der in die Stadt zieht und die anhaltenden Veränderungen in Islands Gesellschaft beschreibt, welche die Modernisierung und Verstädterung mit sich bringen. Der Roman wurde 1962 verfilmt und gilt als Meilenstein in der Geschichte des isländischen Kinos. Seine Romane "Land og synir" (1965) und "Norðan" (1973) wurden für den Literaturpreis des Nordischen Rates nominiert.Ich möchte an dieser Stelle nicht auf den begriff "Faction-Thriller" eingehen, den der Lübbe Verlag benutzt, da es wieder einmal einer dieser unmöglichen (und in diesem Fall auch falschen) Anglizismen ist, die ohne Überlegung verwendet werden. Sollte damit aber gemeint sein, dass der Thriller auf Tatsachen beruht, so ist dies richtig. Dies muß aber jeder Thriller, um glaubwürdig zu sein. Einige Eckpfeiler müssen auf sicherem Grund stehen, sonst fällt das Gebäude (die Handlung) zusammen. Die Eckpfeiler bei "Codex Regius" gründen tief. Die Geschichte, wenn sie auch etwas altertümlich daherkommt, ist gute Unterhaltung. Mit der oben erwähnten Einschränkung. Ein Roman über einen Aspekt der isländischen Geschichte, der Literaturgeschichte im besonderen. Wohl mehr für das isländische Lesepublikum geschrieben, bietet es doch einen Einblick in das Werk Indriðasons ohne Erlendur. Und natürlich die interessante geschichtliche und wissenschaftliche Bedeutung der mittelalterlichen Handschriften Islands. Oder wie sagt der Professor im Buch: "Der "Codex Regius" ist unsere Geschichte, die Geschichte der Erde und die Geschichte der Zeit." "Nicht wir bewahren ihn, sondern er bewahrt uns. Er ist unser zukünftiges Leben."

Vielen Dank an Jürgen Ruckh aus Esslingen
© Januar 2009 Literaturportal schwedenkrimi.de - Krimikultur Skandinavien

"Codex Regius" von Arnaldur Indriðason

Der Ehrenkodex
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Um es gleich vorweg zu sagen: Codex Regius ist kein einfacher Kriminalroman, auch ist er nicht der reine Thriller, als der er betitelt wird. Er ist vielmehr eine Mischung aus Fakt und Fiktion, im Angelsächsischen als „Faction“ bekannt.
Im Mittelpunkt des Romans steht der im 2. Weltkrieg verloren gegangene „Codex Regius“, die wichtigste isländische Handschrift, die die Götter- und Heldenlieder des Nordens enthält. Indridason verbindet dieses literarische Motiv mit der Figur eines Professors, der mittelalterliche Handschriften erforscht und stellt ihm einen jungen Isländer, Valdemar, zur Seite, der bei ihm studieren möchte. Doch statt eines Studiums erwartet Valdemar, der auch gleichzeitig der Erzähler ist und rückblickend von den Ereignissen berichtet, eine aufregende Suche nach den verschollenen Handschriften. Auf ihrer Reise quer durch Europa erfährt man als Leser viel über die Gräueltaten der Nazis, die sich unter anderem auch an Kulturschätzen anderer bereichert haben. So sind es insbesondere die nordischen Mythen, die ihnen zur Festigung ihrer Ideologie dienen sollten.
Indridason lässt die 50-er Jahre wieder lebendig werden, das zerstörte Berlin und die vom Krieg immer noch gezeichneten Menschen.
Was den Reiz dieses Romans ausmacht, sind neben der literarischen Kenntnis über die mittelalterlichen Handschriften die beiden so unterschiedlichen Charaktere. Da ist auf der einen Seite der eigenbrötlerische und eigensinnige Professor (dessen richtiger Name nirgendwo genannt wird, tritt er doch stets in seiner Funktion als Professor, weniger als Individuum auf), Alkohol und Drogen zusprechend, und auf der anderen Seite der junge Valdemar, anfangs naiv und feige, der sich von der Besessenheit des Professors mitziehen lässt.
Für den Professor ist es auch eine Frage der Ehre, den „Codex Regius“ wiederzufinden, ist er doch mit seinem ganz persönlichen Schicksal verknüpft. Teilweise wirkt es schon etwas unglaubwürdig, wenn die beiden auf ihrer Flucht aus Deutschland noch Hunderte von Metern durch eiskaltes Wasser ans rettende dänische Ufer schwimmen müssen um sich gleich darauf der nächsten heißen Spur zu widmen. James Bond lässt grüßen! Gleichzeitig aber wirken die beiden Figuren in ihrem Bestreben so ernst und ehrenvoll, dass man als Leser nicht umhin kommt, ihnen Erfolg bei ihrer Suche zu wünschen.
Im Laufe der Reise entwickeln sich die Figuren außerdem, fast wie im klassischen Bildungsroman: Valdemar gewinnt an innerer Stärke, während der Professor auch seine Zerrissenheit offenbart. So entsteht mit der Zeit eine Art Gleichgewicht und am Ende obliegt es sogar Valdemar, den Fall abzuschließen. Er ist durch die Schule des Lebens gegangen, die, so der Professor, wichtiger sei als jedes Studium.
Indridason stellt hier Gut und Böse nebeneinander, der Stoff, aus dem jeder Kriminalroman besteht. Und dennoch ist Codex Regius mehr, denn er zeigt, dass der Kampf gegen das Böse nicht ohne Verlust möglich ist. Wer sich jedoch mit Mut und Tatkraft gegen das Böse stellt, kann es zum Guten wenden. Dies ist die positive Botschaft, die der Roman besitzt.

Vielen Dank an unsere Rezensentin Katja Perret.
© Dezember 2008 Literaturportal schwedenkrimi.de - Krimikultur Skandinavien

"Todesrosen" von Arnaldur Indriðason

„Das System der Begrenzung des Fischfangs beruht auf der Fangmenge die den einzelnen Schiffen zugeteilt wird. Jedem Schiff wird ein bestimmter Anteil an der zulässigen Gesamtfangmenge (Total Allowable Catch, TAC) für die jeweilige Fischart zugeteilt. Die Fangbegrenzung für jedes Schiff für das jeweilige Fischfangjahr ist folglich festgestellt auf der Grundlage der TAC für die jeweilige Fischart und dem Anteil des Schiffs an der Gesamtfangmenge.“
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Arnaldur Indriðasons zweites Buch erschien 1998 in Island. Der isländische Originaltitel lautet „Dauðarósir“ und die deutsche Ausgabe erscheint nun unter dem gleichnamigen Titel „Todesrosen“. Der deutsche Verlag Lübbe schreibt dazu auf dem Klappentext: „Endlich in deutscher Übersetzung“. Nun liegt es sicherlich in der Verlagspolitik bei Lübbe, wann ein Buch eines Autors erscheint. Deshalb ist nicht ganz nachvollziehbar, weshalb der Verlag diese Veröffentlichung quasi mit einem Stoßseufzer der Erleichterung ankündet. Aber sei’s drum. Der zweite Fall von Erlendur und Sigurður Óli liegt nun vor und damit sind nun alle Krimis mit Erlendur und seinen Kollegen und Kolleginnen veröffentlicht. Bis auf das neueste "Harðskafi", das im letzten Jahr in Island erschienen ist. Aber nun zum Krimi "Todesrosen".

Die Kriminalgeschichte beginnt erfindungsreich. Die Leiche eines nackten jungen Mädchens wird auf dem Grab des isländischen Freiheitskämpfers und Wegbereiters der Unabhängigkeit Jón Sigurðsson gefunden. Sie ist unbekannt und es liegt keine Vermisstenmeldung vor. Schnell ist klar, dass das Mädchen zu der Unterwelt von Reykjavik Kontakt hatte. Ein Junkie. Einstiche von Nadeln am ganzen Körper. Die Ermittlungen dehnen sich bis in die Westfjorde aus, als der Werdegang des Mädchens untersucht wird. Denn die Tote schien aus den Westfjorden zu stammen und so machen sich Erlendur und Sigurður Óli auf, die Angehörigen des toten Mädchens zu finden. Doch dann stellt sich heraus, dass die Lösung des Falles in Reykjavik zu finden ist. Mit den üblichen Schwierigkeiten. Der Roman ist ein typischer skandinavischer Kriminalroman mit dem einschlägigen sozialen Realismus und Kritik an den herrschenden sozialen Zuständen. Arnaldur vermixt in seine Geschichte Gedanken über den Zustand der Fischindustrie, speziell dem Quotensystem und entwirft daraus eine feine konspirative Theorie. So ist die große Frage in diesem Buch, was die Quotenspekulationen und Immobiliengeschäfte mit dem Tod des Mädchens zu tun haben. Die Ermittlungen ergeben, dass der Tod des jungen Mädchens mit einem viel größeren Fall verbunden ist, der verantwortlich ist, für die größte Abwanderung in Islands Geschichte. Einer Abwanderung, die immer noch weitergeht.

Die Westfjorde sind eine einsame, menschenleere Gegend. 1910 wohnten hier mehr als 13.000 Menschen, heute sind es über 5000 Menschen weniger. Verlassene Höfe gehören zum Landschaftsbild. Keine andere Gegend Islands ist so stark von der Abwanderung betroffen wie diese isolierte Halbinsel. Durch die Rationalisierung der  Fischindustrie und den Verkauf von Fangquoten gingen viele Arbeitsplätze verloren. Die Menschen in den Fjorden sind aber auch nicht mehr unbedingt gewillt, in dieser Industrie zu arbeiten. Manche ziehen lieber fort. Und so verlassen die Bewohner der Westfjorde ihre Heimat in Richtung Hauptstadtregion. Ein ehemaliger Bewohner dieser Gegend erzählt Erlendur seine Geschichte: „War da in einem Kaff, wo die Fangquote einfach mir nichts, dir nichts verschwand, verkauft an einen von diesen reichen Herren in Reykjavik, und dann gab’s auf einmal keine Arbeit mehr. Die Quoten haben sich die Geschäftsleute in Reykjavik unter den Nagel gerissen. Fisch, der noch nicht einmal gefangen ist, wird verkauft und gekauft, und der ganze Reichtum konzentriert sich auf einige wenige, während die anderen in die Röhre gucken können. Alle Leute hier in der Gegend lebten vom Fisch, aber wenn andere ihn wegkaufen und wir ihn nicht fangen dürfen, ist es zappenduster.“

In diesem Kriminalroman ist Erlendur noch nicht ganz so introvertiert wie in den folgenden Romanen. Der Konflikt mit seiner Tochter Eva und seinem Sohn Sindri wird deutlich mehr Raum eingeräumt. Die berufliche Beziehung mit Sigurður Óli ist sehr konfliktträchtig, sehr von den gegensätzlichen Charakteren beeinflußt.  Die Beziehungen der Personen noch nicht so sehr ausgebaut wie in den weiteren Folgen. Elinborg, die in den nachfolgenden Kriminalromanen eine weitaus größere Rolle einnimmt, kommt hier fast nicht vor. Es ist ein Krimi, der ein zum größten Teil sehr isländisches Thema zum Gegenstand hat. Die Fischfangquoten und die daraus resultierenden Verwerfungen in der isländischen Gesellschaft, darunter die Abwanderung aus den ländlichen Bezirken in den Großraum Reykjavik.

"Die Übereinstimmung zwischen der wissenschaftlichen Fischereiberatung und den Entscheidungen der zuständigen Behörden ist eine grundlegende Voraussetzung für ein verantwortliche Ressourcensteuerung. Die Entscheidungen der Behörden über die zulässige Gesamtfangmenge beruhen auf sozialen und ökonomischen Faktoren und sind gleichwohl auf das langfristige Ziel der Sicherung einer nachhaltigen Fischerei ausgerichtet."

…Das Quotensystem ist natürlich gut, um die Fischbestände zu schützen, aber mit so einem Quotenanteil ist keinerlei Verantwortung verbunden. Die Inhaber können einfach so mit der Lebensgrundlage vieler Menschen in all diesen Fischerdörfern spekulieren; sie können sie kaufen, verkaufen, vermieten, vererben, verschenken.. Diese Leute haben völlig verantwortungslos gehandelt. Denen war es scheißegal, wenn es in den Fischerdörfern keine Arbeit gab. Hauptsache, sie verdienen sich eine goldene Nase. Ganze Landstriche hatten auf einmal keine Fangquoten mehr, und mit ihnen verschwanden auch die Arbeitsplätze.“

Vielleicht hat dieses sehr spezifische isländische Thema den deutschen Verlag dazu bewogen, den zweiten Teil der Erlendur-Reihe erst jetzt zu veröffentlichen. Aber dieser Kriminalroman ist nicht der schlechteste. Obwohl im Ganzen gesehen, die Geschichte schwächer ist als zum Beispiel in "Menschensöhne" oder im dritten Band "Nordermoor". Es fehlt ihm auch ein wenig an Kraft und Stimmigkeit. Aber zum Verständnis der Figuren und ihrer Beziehung zueinander ist dieser Krimi allemal notwendig. Und seit die isländischen Kriminalautoren das Genre intensiv bearbeiten, ist auch folgende Aussage von Sigurður nicht mehr aufrecht zu erhalten:

„Hier in Island werden Morde nicht unter solchen Vorzeichen verübt. Morde werden weder geplant noch Leichen mit Absicht an eine bestimmte Stelle gelegt, um dem ganzen eine tiefere Bedeutung zu geben oder Spekulationen darüber heraufzubeschwören. Morde werden hier im Affekt verübt. Meistens im Suff. Sie haben nie irgendwas Symbolisches an sich oder irgendeine tiefere Wahrheit. Morde sind hier schäbig, scheußlich und ganz und gar zufällig.“

Zitate aus der "Erklärung über verantwortliche Meeresfischerei in Island" unterzeichnet u.a. vom Minister für Fischerei und Landwirtschaft.

Vielen Dank an Jürgen Ruckh aus Esslingen
© Juni 2008 Literaturportal schwedenkrimi.de - Krimikultur Skandinavien

"Frostnacht" von Arnaldur Indriðason

"Seltsam, wie Menschen, die durch die Finsternis wandern, einander verloren gehen" (Gunnar Gunnarsson »Advent im Hochgebirge«)
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Es ist Mitte Januar. Die Weihnachtszeit ist vorbei und eine eisige Faust hielt die Erde umklammert. Ein eisiger Wind heult und pfeift um die Häuser von Reykjavik. Reykjavik wird zur "Winterstadt" zu "Vetraborgin", wie der Roman im isländischen Original heißt. Und so düster, so frostig und kalt wie das Wetter, ist auch die Handlung des siebten Falles von Erlendur, Sigurður Óli und Elinborg. Ein Junge, wird tot im Hinterhof eines Mietblockes gefunden. Festgefroren an der Erde an seinem eigenen Blut. Zuerst ist unklar, ob ein Unfall geschehen ist oder ob es sich um einen Mord handelt. Ein Mord aus fremdenfeindlichen Motiven, da es sich bei dem toten Jungen um ein Zuwandererkind handelt?

Der Junge, halb isländischer, halb thailändischer Abstammung, ist erstochen worden. Das Messer ist verschwunden. Ebenso sein älterer Bruder. Sofort leitet die Polizei eine großangelegte Suche ein und befragt die Bewohner des Mietblockes, die Mitschüler und Lehrer an der Schule, als sie herausbekommen hatten, wer der Junge war. Elías war sein Name. Elías, wie der biblische Prophet. Schnell stellt sich heraus, dass es an der Schule latente Fremdenfeindlichkeit gibt. Bei den Lehrern und bei den Schülern. So gerät ein Lehrer stark unter Verdacht, der sich sehr massiv gegen Ausländer geäußert haben soll. Aber Erlendur glaubt nicht so richtig an dieses Motiv. Aber es scheint kein anderes zu geben. Und so ergibt sich eine mühevolle Polizeiarbeit.

Der Fall des toten Jungen geht Erlendur besonders an die Nieren. Ein kleiner Junge, der fast so alt wie sein verschwundener Bruder war, als er diesen im Schneesturm verlor. "Erst jetzt, als er in seiner eigenen Wohnung allein mit sich und der nächtlichen Stille war, wurde ihm klar, was für einen tiefen Eindruck der tote Junge heute bei ihm hinterlassen hatte." Es erschüttert Erlendur und trotzdem ist er nicht ganz bei der Sache. Eine Frau ist verschwunden und auch dieser Fall liegt ihm sehr am Herzen. Erlendur hat den Ehemann im Verdacht, dass dieser seine Frau ermordet hat. Und fast macht Erlendur einen Fehler. "Er hatte einen kapitalen Fehler begangen und gegen die Grundregel verstoßen, die er immer hochgehalten hatte. Die erste Regel, die Marian Briem ihm beigebracht hatte. Nichts ist so, wie du glaubst, dass es ist. Er war sich seiner viel zu sicher gewesen, zu überheblich." Seine Hybris, wie Erlendur es selber nennt, hatte ihn und fast die Ermittlungen auf Abwege geführt.

In diesem Buch beschäftigt sich Arnaldur Indriðason vor allem auch mit Sigurður Óli. Man erfährt in "Frostnacht" viel über die Vergangenheit von Sigurður, über seine Gedanken, über seine Probleme (seine Frau möchte ein Kind adoptieren) und es ist vor allem auch Sigurður, der die Ermittlungen weiterbringt. Indriðason nimmt sich in diesem Buch viel Zeit, um Sigurður Óli zu charakterisieren. Óli ist nicht mehr so eindimensional, so nebensächlich wie in den anderen Büchern. Er bekommt eine Vergangenheit, die ihn nicht mehr so negativ zeigt. Natürlich erfährt der Leser auch wieder mehr über die Herkunft und die Geschichte  Erlendurs. Zum ersten Mal kann man die Gegend ungefähr lokalisieren, wo er geboren wurde. Er stammt aus dem Osten von Island, was ja schon bekannt ist aber nun erfährt man, dass er in der Nähe von Eskifjörður geboren worden ist. Man erfährt, wann und wie er zum ersten Mal mit einem Verbrechen in Berührung gekommen ist. Auch die Beziehung mit Valgerður geht weiter.

Ein Hauptthema in diesem neuen Kriminalroman ist die Ausländerfeindlichkeit. Das Ressentiment gegenüber den Ausländern. Diese Ausländerfeindlichkeit ("Island gehört uns. Nicht irgendwelchen Ausländern."), diese Gefühlskälte wird durch die Beschreibung des Winterwetters verstärkt. Reykjavik wird zur "Winterstadt". Kalt und abweisend. Alle mitmenschlichen Gefühle sind eingefroren. Kein Platz ist mehr für Wärme und Mitmenschlichkeit. Vor allem unter Kindern und Jugendlichen nehmen die Probleme zu. Das andere Thema ist die Einsamkeit der Menschen. Niran, der Bruder des toten Jungen ist nicht nur allein, sondern auch fremd in dieser Welt der Kälte. Die verschwundene Frau, die ihre Kinder wegen eines anderen Mannes verlassen hat. Sigurður Óli, der nicht mit seiner Frau über die Adoption reden kann und sich hinter der Arbeit versteckt. Marian Briem, der einsam stirbt und natürlich Erlendur, dem es immer noch schwerfällt, sich anderen Menschen gegenüber zu öffnen und der auch immer noch von Schuldgefühlen geplagt wird. Alle sind sie einsam und können sich nicht mitteilen.

Mehrere Nebengeschichten werden erzählt. Einmal die Geschichte der verschwundenen Frau. Dieser Fall wird mehr oder weniger "gelöst", führt Erlendur aber fast in die Irre. Eine Geschichte über einen vermutlichen Päderasten bleibt offen. Dieser Mann bewohnte die Nachbarwohnung des ermordeten Jungen und verschwindet spurlos, bevor die Polizei hinter seine Identität kommt. Und ebenso dürfen seine Tochter Eva, die sich scheinbar etwas von ihrem Drogenkonsum erholt hat und sein Sohn Sindri nicht fehlen. Sindri, der in der Vergangenheit seines Vaters im Osten von Island herumstöbert und der damit auch seine Schwester ansteckt. Und Marian Briem stirbt. Sein alter Mentor bei der isländischen Polizei, bei dem er sich oft Rat geholt hatte, stirbt einsam und allein. Dieser Tod bringt Erlendur dazu, wieder tief in die Vergangenheit zu blicken und über das Leben an sich nachzudenken: "Erlendur stand in der Kälte neben dem Grab und suchte nach dem Sinn von allem, von Leben und Tod. Wie immer fand er keine Antworten. Es gab keine endgültige Antwort auf die lebenslange Einsamkeit der Person, deren Überreste sich in der Urne befanden. Oder auf den Tod seines eigenen Bruders vor vielen Jahren. Oder darauf, weshalb Erlendur so war, wie er war, und weshalb Elías erstochen wurde. Das Leben war ein ungeregeltes Gewirr von Zufällen, und die bestimmten die menschlichen Schicksale wie Unwetter, die unverhofft hereinbrachen und Vernichtung und Tod mit sich brachten."

Es ist wieder ein Roman, der mit "feinem Pinselstrich" das Bild der heutigen isländischen Gesellschaft zeichnet. Kein Gesamtbild, sondern einen Ausschnitt, so wie er auch in anderen Kriminalgeschichten der Erlendur-Reihe Facetten dieser Gesellschaft gezeigt hat. Und fügt man diese verschiedenartige Ausschnitte zusammen, so erhält man ein immer größer werdendes Bild der heutigen isländischen Gesellschaft. Und der Mord? Er ist so sinnlos, wie es viele Morde sind.

Vielen Dank an Jürgen Ruckh aus Esslingen
© Juli 2007 Literaturportal schwedenkrimi.de - Krimikultur Skandinavien

"Engelsstimme" von Arnaldur Indriðason

Der tote Weihnachtsmann
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Kurz vor Weihnachten wird der Portier eines Hotels in einem Weihnachtsmannkostüm ermordert aufgefunden. Ein neuer Fall für den knurrigen Komissar Erlendur und seine Kollegen der Kripo Reykjavik. Um den Fall zu untersuchen quartiert sich Erlendur kurzerhand in das Hotel ein, wohl auch um sich ein wenig der trübseligen Vorweihnachtsstimmung alleine Zuhause zu entziehen. Das Hotel wird also quasi zur Bühne, auf der sich das ganze Drama abspielt. Man fühlt sich erinnert an alte Mrs Marple Spielfilme, die oft auch an einem Ort spielten, die Verdächtigen also eng beisammen waren. Und so wird auch zunächst die gesamte Hotelbelegschaft, angefangen vom Zimmermädchen bis hin zum Hotelmanager unter die Lupe genommen, die sich teilweise verdächtig benehmen. Unter Verdacht gerät schließlich ein englischer Hotelgast, der sich sehr für den Verstorbenen interessierte. Der Portier war nämlich in seiner Kindheit ein viel versprechender Chorknabe, bis er durch den Stimmbruch sein einzigartiges Talent verlor. Erlendur befragt auch die Schwester und den Vater des Opfers, die sich seltsam gleichgültig der grausamen Tat gegenüber verhalten. Nach und nach erfährt man von der unglücklichen Kindheit des begabten Jungen, der schließlich als einsamer Mensch im Keller des Hotels hauste. Indridason lässt Erlendur viele verschiedene Spuren verfolgen, die doch allesamt im Nichts verlaufen. Eine Rolle spielt wieder einmal die Beziehung zu seiner Tochter Eva Lind, die ihn regelmäßig im Hotel besucht. Seit ihrer Fehlgeburt, bei der sie beinahe selbst gestorben wäre, sind sich Erlendur und seine Tochter näher gekommen. In "Engelsstimme" beginnt sich langsam so etwas wie eine Beziehung zwischen den beiden zu entwickeln, vielleicht auch weil Erlendur sich ihr öffnet und ihr von einem prägenden Erlebnis aus seiner Kindheit berichtet.

Mit Erlendur hat Indridason einen Ermittler geschaffen, der noch einsamer, gequälter und trauriger ist als alle Van Veeterens und Wallanders zusammen. Vielleicht ist "Engelsstimme" auch ein kleiner Aufbruch für Erlendur, sich wieder neu auf Menschen einzulassen. Dies war dem Portier verwehrt geblieben, der, wie es sich am Ende herausstellt, Opfer unglücklicher Umstände wurde.

Mit "Engelsstimme" ist Indridason wieder einmal ein herausragender Roman geglückt, der tiefe Einblicke in menschliche Abgründe aufweist. Wie weit geht ein Mensch um seine Ziele zu verwirklichen? Wie verzweifelt kann ein Mensch sein um zu bestimmten Handlungen getrieben zu werden? Und wie sehr bestimmen uns die Erlebnisse unserer Kindheit und machen uns zu den Menschen, die wir sind? Dies alles sind Fragen, die angeschnitten werden, letztlich aber unbeantwortet bleiben.

Vielen Dank an unsere Rezensentin Katja Perret.
© Februar 2006 Literaturportal schwedenkrimi.de - Krimikultur Skandinavien

"Kältezone" von Arnaldur Indriðason

"Schrödingers Katze"

Kleifarvatn

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Der See Kleifarvatn hat Jahrhunderte auf Arnaldur Indriðason gewartet. Dieser rätselhafte See, der kommt und geht in seiner unheimlichen Dunkelheit, hat nichts weniger verdient, als Indriðasons Talente, um die passende Atmosphäre aus Angst und Kummer zu erschaffen. Wie bei dem Nordermýrin Bezirk (wo der Roman "Mýrin" spielt), der nie mehr der Stadtteil von Reykjavik im Gedächtnis der Leser sein wird, der er einmal war, so wird der See Kleifarvatn Teil der isländischen Literatur. Isländer sind daran gewöhnt, daß ihr Land durch gewaltige Erdbeben, gedehnt, aufgespalten und heftig zerrissen wird durch wahllos ausbrechende Vulkane. Aber jeder war überrascht, als ein großer See anfing, in einem langen Spalt zu verschwinden, der durch ein Erdbeben verursacht wurde. Der auslaufende See ist eine Eigenartigkeit, sogar nach isländischen Verhältnissen und hat Herden von neugierigen Schaulustigen an die unfruchtbaren Gestade des Sees gelockt.

"Wenn du dein Ohr auf den Boden legst, kannst du hören, wie der See ausläuft. Es klingt wie Wasser, das den Abfluß hinunterläuft."

Der See Kleifarvatn, der ungefähr 6 Kilometer lang und 2,3 Kilometer breit war, ist durch den Spalt drastisch geschrumpft. Jetzt ist er nur noch 2,5 Kilometer lang und ungefähr 1,8 Kilometer breit. Dies geschah im Jahr 2000. Der ca. 10 qkm große und bis zu 97 m tiefe Kleifarvatn ist der drittgrößte See des Südlandes und wird markant eingerahmt von der steilen, schroffen Felswand des Sveifluhals im Westen und den weicheren, abgerundeten und grüneren Abhängen einer Hochebene und der Vatnshlið im Osten. Der See entstand durch das Absinken des Bodens. In mehrjährigen Intervallen ändert er seinen Wasserstand.

Das Skelett

Zu Beginn der Geschichte wird ein Skelett mit einem russischen Sender in seiner Nähe auf dem ausgetrockneten Seegrund vom Kleifarvatn gefunden. Es ist schon sehr früh offensichtlich, daß das Skelett alt ist, und alles deutet darauf hin, daß das Verbrechen zur Zeit des Kalten Krieges stattfand. Zur gleichen Zeit, als Erlendur und seine Begleiter sich in die Zeit zurückversetzten, in die sie verschiedene Hinweise führen , erzählt der Autor eine andere Geschichte aus den Sechzigern, welche sich allmählich der Gegenwart nähert. Zum Schluß der Geschichte bekommt man das Gefühl, daß am Ende des Buches sich die Handlungsfäden so verweben, daß, wen der Leser das Buch zuklappt, er reicher an Erfahrung ist, und sogar ein bißchen klüger in den verschiedenen Geschehnisse der politischen Geschichte in den fünfziger und sechziger Jahre.

Indriðasons Fähigkeit Geschichte aus der Vergangenheit mit der fortschreitender Spannung der Gegenwart in eine komplexe Geschichte zu verweben, zusammen mit den zusätzlichen persönlichen Geschichten der Hauptpersonen aus den früheren Büchern, führt zu einer einzigartigen Vertrauenswürdigkeit.

Eine Zeitlang war es ein Klischee der Kritiker, wenn ein neues Buch von Indriðason erschien, immer zu verkünden: "Indriðasons bestes Buch bis heute!" Aber "Kleifarvatn" ist Indriðasons bestes Buch bis heute - einige von Indriðason eingeschobene Geschichten sind das Beste, was er je geschrieben hat. Zum Beispiel, gibt es da den absolut köstlichen Abschnitt im Buch von einem Mann, der ständig Sigurdur Olí anruft. Und es ist ein Zeichen von Indriðasons Klugheit als Romanschreiber, das so eine Geschichte in seiner Ausführung nie komplett ist, was für einen weniger guten Schreiber sehr verführerisch wäre.

Es wird gesagt, daß die Gattung "Thriller" eine Art "Ersatz" für eine leichtverständliche Erziehung in der modernen Gesellschaft sei. Indriðason erfüllt diese Anforderungen mit einem großartigen Hintergrund über die Stimmung während des Kalten Krieges; linke Studenten aus Island, die in den "himmlischen Staat" des kommunistischen Ostdeutschlands zum studieren gingen; und die moralische Einschüchter-ung und persönliche Bespitzelung, die damals so allgegenwärtig war.

"Ich war drei Mal in Leipzig, um meine Bücher vorzustellen," sagt Indriðason in einem Interview. "Auf meinen Reisen durch die Stadt besuchte ich auch das Stasi-Museum. Dort war es, wo ich die Idee bekam, einen Roman über den Kalten Krieg zu schreiben, der gut vorstellbar, in Leipzig spielen könnte. Island ist mit Leipzig historisch und kulturell verbunden, da Isländer während des Kalten Krieges dort studierten. Um diese Zeit las ich in der Zeitung, daß der Wasserspiegel des Sees Kleifarvatn gefallen sei, und ich erinnerte mich daran, daß eine Spionageausrüstung dort 1973 gefunden wurde. Das war der Funke für die Idee, wie der Roman beginnen sollte, welcher vor meinem geistigen Auge nach und nach zu einer "Kalten Krieg" - Geschichte wurde, mit Spionen, Liebe, Verrat und der ganzen Chose. Auch arbeitete ich wieder mit verschwundenen Menschen im Roman, wie ich es schon in meinen früheren Büchern getan habe, da vermißte Personen seit langer Zeit von besonderem Interesse für mich sind, und auch sicherlich Erlendurs Hauptinteresse sind.

Erlendur, Elinborg und Sigurdur Óli treffen wir wieder in guter Form an. Indriðason fährt damit fort, die Charaktere weiter auszuformen und ihre Geschichte dem Leser weiter zu erschließen, und es scheint so, daß sie sich entwickelt haben und etwas aus den vorherigen Erfahrungen gelernt haben. Es kann nicht gesagt werden, daß sie ihre Fehler und Überspanntheiten verloren hätten, welche der Autor dafür nutzt, nicht nur zu zeigen, daß sie menschlich und schwach sind, sondern auch als Aszendent im Laufe der Ereignisse. Jedermann und jede Person, auch die, welche in der Geschichte nur marginal vorkommen bleiben einem im Gedächtnis. Auch dies muß als eines der Stärken des Autors Indriðason festge-halten werden. Niemand ist zu unbedeutend oder zu geringfügig, um sich von einer Charakterbeschreibung zu befreien. Vielleicht mehr als in seinen früheren Büchern, spiegelt sich in Kleifarvatn wieder, wie detailliert der Autor seine Aufmerksamkeit dem kleinsten Detail gewidmet hat, die nicht direkt mit der Geschichte verbunden sind aber nichtsdestotrotz die Geschichte vertiefen; Neben-personen haben sich mehr Bedeutung erworben. "Wen ich mich setzte um zu schreiben, weiß ich nicht genau, was passieren wird, " sagt Indriðason. "Als ich mit diesem Buch anfing, hatte ich die Themen der vermißten Menschen und die des "Kalten Krieges". Als die tatsächliche Arbeit am Buch begann, kamen die anderen kleinen Geschichten. Tag für Tag saß ich am Computer, versuchte an etwas zu denken und schrieb; ich steckte in der Geschichte fest und versuchte, mich selbst zu disziplinieren. Ich habe immer versucht sogenannte "Nebengeschichten" zu schildern, um den Roman auszudehnen und "Nebendarsteller" um das Menschentableau zu vergrößern. Zur gleichen Zeit passe ich darauf auf, ein klares Bild der Handlung an sich zu behalten, welche sich in diesem Buch um den gewaltigen Schock dreht, der sich in dem Leben einer Person ereignet, die entdeckt, daß ein geliebter Mensch verschwunden ist. Wie reagiert diese Person, was tut sie/er? Gibt sie/er ihm/ihr die Schuld dafür? Ist sie/er schuldig? Ist es möglich, sich an einem gewissen Punkt wieder von dem Schock zu erholen? Glücklicherweise, sagt Indriðason, weiß ich die Antworten nicht aus eigenen Erfahrungen, aber ich versuche, mich in den Fußspuren derjenigen zu bewegen, die damit umzugehen hatten und versuche mir den Schrecken vorzustellen, den solch ein Mensch erdulden mußte und dann, wie sie/er in seinem Leben weitermacht.

Indriðason versucht noch einmal in diesem Buch einen anderen Stil der Kriminalerzählung und beweist wieder einmal, daß die isländische Kriminalliteratur nichts Unmögliches ist, wenn man sie auf die richtige Art und Weise angeht. Es gibt keinen Versuch, aus Island ein fremdes Land zu machen; es ist glaubhafter, daß der Roman in seiner eigenen "wahren Farbe" daherkommt ohne die rätselhafte Spannung auszulassen, das den Roman ausmacht. Manchmal ist die Handlung vielleicht vorhersehbar, aber dies macht nichts: manchmal ist es sogar ein Mittel, um darauf aufmerksam zu machen, wie Ereignisse unabwendbar sein können und wie Macht und Stärke von Menschen genommen werden kann.

Verschwunden - aber doch nicht verloren

Das Verschwinden ist eines der Hauptthemen in Arnaldur Indriðasons Büchern, da sie von besonderem Interesse in den Untersuchungen des Kriminalbeamten Erlendur sind, der unbestreitbar die Haupt-person in den meisten Büchern von Indriðason ist. Erlendurs Interesse an vermissten Personen hat seine Wurzeln in schmerzhaften Kindheitserinnerungen; sein jüngerer Bruder verschwand auf der Hochheide in den östlichen Fjorden in schlechtem Wetter, während er selbst, zusammen mit seinem Vater, mit knapper Not entkommt. Dieses tragische Ereignis lebt weiter in Erlendur, ist Teil seiner Persönlichkeit und erklärt einige Dinge in seinem Verhalten. Und andere "Verschwundene" hinterlassen ihre Spuren in seinem Leben, so wie er bei seiner Scheidung selbst aus dem Leben seiner zwei Kinder verschwand, Eva Linda und Sindri, als sie noch sehr jung waren. Als sie später - und jeder für sich - nach ihm suchen, scheint der Abstand zwischen ihnen und ihrem Vater unüberbrückbar, da er beladen ist mit ungelöster Schuld, Ablehnung und Gewissensbissen, Kummer und schlechten Gefühlen.

Und so spielt auch wieder Erlendurs besonderes Interesse, alte Fälle vermisster Personen, eine spezielle Rolle in dieser Geschichte. Menschen tauchen auf und verschwinden wieder (gerade so wie der See) und der Nebel der Zeit lichtet sich für eine kurze Zeit, so daß die vergessene Zeit plötzlich zum Vorschein kommt. Die Zeit hält an, Ungewißheit wird zu einem laufenden Zustand, die Wirklichkeit zu einer Möglichkeit unter vielen. Die Verschwundenen haben ein besondere unvergeßliche Anwesenheit und es ist nicht möglich, sie abzuweisen - sie sind Lebendig und Tod zur gleichen Zeit (und erinnern einen an Schrödingers Katze). Und manchmal ist es auch gerade so, als ob sie niemals existiert hätten.

Schrödingers Katze

Schrödingers Katze ist ein beliebtes Beispiel um ein Phänomen anschaulich darzustellen, das in der Quantenmechanik als "Überlagerung von Zuständen" bekannt ist. Ende der 20er Jahre entstand um den dänischen Wissenschaftler Niels Bohr die bis heute verbreitete Kopenhagener Deutung. Danach führt die Messung durch einen "bewussten" Beobachter dazu, daß das Teilchen, das sich zuvor in einem Überlagerungszustand befand, abrupt in einen der möglichen Zustände "springt" (Kollaps der Wellenfunktion). Diese Deutung führte zu dem paradoxen und immer noch häufig zitierten Gedankenexperiment von Schrödinger aus dem Jahr 1935 - der Ortszustand wird durch die Meßgröße "tot" oder "lebendig" ersetzt: In einer nicht einsehbaren Kiste ist eine Katze eingesperrt (Schrödingers Katze), die einem Überlagerungszustand aus "lebend" und "tot" ausgesetzt ist. Die Frage ist nun, in welchem Zustand sich die Katze nach einer gewissen Zeit befindet, wenn man nicht in die Kiste hineinschaut - analog zur Frage nach dem quantenmechanischen Zustand eines Systems, solange man keine Messung an ihm vornimmt. Als Antwort auf diese Frage wird gegeben, daß die Katze sowohl gleichzeitig lebendig als auch tot ist. Erst wenn man die Kiste öffnet, manifestiert sich der Zustand in einer 100% lebendigen oder 100% toten Katze. Erst die Messung durch einen bewussten Beobachter führt dazu, daß die Katze entweder lebendig oder tot ist.

Erlendur

Der Handlungsstrang, das private Leben von Erlendur Sveinsson, ist eine der Nebenhandlungen in Indriðasons Büchern, wie der Leser weiß, aber es ist ein wichtiger Faden, da dieser Faden ein Buch mit dem anderen verbindet - und den Leser mit Erlendur. Mit jedem Buch lernt der Leser mehr über Erlendurs Hintergrund, und das Bild von ihm vertieft sich. Das gleiche trifft auch auf seine Kollegen, Sigurdur Olí und Elinborg zu: Stück für Stück werden Beschreibungen der beiden eingefügt und wie bei Erlendur, werden sie dem Leser vertrauter.

Doch trotz dem unbestreitbaren Interesse der Leser an dem Polizistentrio und ihrem Privatleben, ist es natürlich immer das Verbrechen, das im Mittelpunkt steht und tatsächlich die Hauptgeschichte jedes Buches bildet. Unzweifelhaft ist es, wie Eulen nach Athen zu tragen, zu wiederholen was jedermann weiß - dass Indriðason mit jedem Buch gewachsen und gestärkt worden ist. Seine Hauptstärken scheinen drei zu sein: Erstens - es gab enorme Fortschritte in Indriðasons Schreibstil seit seinem ersten Buch bis zu seinem neuesten. Zweitens - er verharrt nicht in einer vorherbestimmten Formel, vielmehr scheint es so, daß er versucht, die verschiedenen Formen innerhalb der Thrillertradition zu untersuchen, und er ist in zunehmenden Maße geschickter darin geworden, viele verschiedene Handlungsfäden zusammen zu weben, viele Geschichten parallel zu erzählen. Drittens - Indriðason hat es extrem gut geschafft seine Geschichte in der isländischen "Wirklichkeit", wie wir sie kennen, anzusiedeln. Der letzte Punkt ist unzweifelhaft der wichtigste, und die Skepsis, daß dies sehr wahrscheinlich der Grund sein könnte, warum die Kriminalliteratur solange gebraucht hat, in der isländischen Literatur Fuß zu fassen.

Auf die Frage, ob ein Autor die "Krankheiten" einer Gesellschaft aufnehmen sollte, antwortet Indriðason:
"Ja, irgendwie gehe ich davon aus. Ist ein Mensch ein Autor, muß diese Person denken, sie/er hat eine irgendwie geartete Botschaft. Ich finde, ich habe etwas verständlich zu machen und ich habe gezeigt, daß ich die Herausforderung der Gesellschaft in der ich lebe, aufgenommen habe. Ich tue es kontinuierlich und bleibe auf der Spur, was in der Gesellschaft passiert. Jedoch möchte ich nicht nur das abdecken, was in den Medien berichtet wird. Ich möchte auch in den Mittelpunkt stellen, was außerhalb des Rampenlichts geschieht. Zum Beispiel schreibe ich viel über die Familie. Über kaputte Familien. Familien, die bestehen sollten, es aber nicht tun. Und schließlich schreibe ich über das Milieu, Häuser, Straßen, das Wetter, Reykjavik und Island. Ich versuche die Realität in meinen Büchern widerzu-spiegeln. Sonst hätte ich das Gefühl, sie hätten weniger Wert."

Wie bereits angeführt sind in Kleifarvatn, wie in seinen früheren Werken, vermisste Personen der Mittelpunkt, aber der Rahmen ist mehr im Einklang mit der Kriminalgeschichte. Die Geschichte ist aufgebaut auf zwei Hauptthemen. Eines ist die Geschichte über das Auffinden eines Skelettes am See Kleifarvatn und die Versuche der Polizei herauszufinden, wer die dazugehörige Person ist. Die andere ist die Geschichte über einen jungen isländischen Studenten in Ostdeutschland in den sechziger Jahren. In beiden Geschichten, verschwinden Menschen und in beiden wälzen sich die Geliebten der verschwundenen Personen in Kummer, und es braucht Zeit, dies zu heilen. Es sind Geschichten von Menschen, die verschwinden - aber die niemals ganz verschwinden, da ihr Schicksal nicht klar ist. Und die Ängste, derer die Leben, ist etwas, daß Erlendur sehr gut versteht.

Mehr wird von der Handlung hier nicht erzählt, außer anzumerken, daß es bewundernswert ist, wie gut Indriðason die Diskussion über den Kalten Krieg in den letzten Jahrzehnten nutzt und wie sein Text in verschiedenen Richtungen deutet: "heiße" Themen in der Gesellschaft, auf jüngste Naturkatastrophen, in die Geschichte, in die Literatur. Er erzählt eine Fabel aus Hoffnungen und Enttäuschungen, aus zer-brochenen Träumen und Verrat und webt alle diese Geschichten gekonnt zusammen. Ohne Zweifel ist "Kleifarvatn" Indriðasons bestes Buch, der Stoff der Geschichte ist völlig in der Wirklichkeit Islands verwurzelt - und in diesem Fall - auch in der internationalen Realität der verlorenen Visionen des Sozialismuses, dem Mißbrauch der Macht, Mord und Unterdrückung in Osteuropa zur Zeit des Kalten Krieges.

Diese Handlungsfäden sind in diesem Roman auf eine einfache Weise miteinander verwoben, in beidem, in der Erschaffung von Charakteren und in der Handlung, um eine düstere doch aufrichtige Kriminalgeschichte zu schreiben, die nichtsdestoweniger eine Betrachtung einer Überprüfung der Vergangenheit, der Liebe, des Verlustes und der Sehnsucht ist.

Vielen Dank an Jürgen Ruckh aus Esslingen
© August 2005 Literaturportal schwedenkrimi.de - Krimikultur Skandinavien

"Tödliche Intrige" von Arnaldur Indriðason

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Ich machte Fehler. Ich tappte in eine Falle nach der anderen. Manchmal bereitwillig. Tief in mir, wußte ich, dass die Fallen da waren und wußte, dass sie gefährlich waren, aber ich wußte doch nichts. Manchmal sagte ich zu mir, dass ich mich immer wieder selbst auf die Fallen einließ, so oft es nur ging."

Ein junger Rechtsanwalt sitzt in Untersuchungshaft und erinnert sich an eine verhängnisvolle Begegnung mit Bettý, die eines Tages in einem enganliegenden Kleid und einer goldenen Kette um ihren Knöchel, bei ihm erschien. Und wenn sie lächelte...

Ein neuer und fesselnder Krimi von Arnaldur Indriðason. Es ist eine besonders spannende, aufregende und raffinierte Geschichte über eine Femme Fatale - ein wenig im Geiste eines klassischen amerikanischen Krimis, aber mit unerwarteten Abstechern aus dem Genre. Die ersten Vergleiche, die einen beim Lesen anspringen, sind vielleicht "The Postman always rings twice" oder "Double Indemnity" von James M. Cain, welche beide großartig verfilmt wurden.

"In diesem Buch verfuhr ich nach einem speziellen Rezept, dass uns allen aus dem "Film Noir" vertraut ist, aber zur gleichen Zeit, versuchte ich, den Leser damit zu überraschen, die Dinge ein wenig anders zu machen" sagt Arnaldur. "Meine vorhergehenden Kriminalgeschichten waren mehr in der skandinavischen Tradition, ich nahm einen melancholischen Polizisten, konstruierte einen Platz für ihn in einer isländischen Kulisse, und erschuf dann eine Vergangenheit für ihn, die erklärte, warum er so wurde, wie er ist. Ich brach mit dieser Tradition, als ich "Gletschergrab" schrieb, einen internationalen Thriller. Nun richtete sich mein Interesse westwärts zu den Vereinigten Staaten und tauchte ein, in die gute alte aufregende und mehr unterhaltsame Tradition der amerikanischen Kriminalliteratur und versuchte, diese in einer isländischen Kulisse wieder auferstehen zu lassen. .... Ich habe über Dreierbeziehungen und über den Überfluss geschrieben, der immer größer wird und der in der Reichweite von immer mehr Menschen liegt, da die Menschen immer reicher werden, als jemals zuvor in der Geschichte Islands. Die Frage ist nun: Wie weit sind die Menschen bereit zu gehen, um sich Geld zu beschaffen? Haben wir nun ein gewisses Stadium erreicht, wenn eine Geschichte wie Bettý, wirklich geschehen kann?"

Der Leser schlüpft in Arnaldurs Buch mit der größten Unbefangenheit, da der Erzähler ein äußerst sympathischer Kerl ist. Der Erzählton ist leicht melancholisch und das hilft, sich in die Geschichte hineinzuversetzen. Das ist bisher wahrscheinlich das beste von Arnaldur geschriebene Buch und das erste von seinen Büchern, das einen "Ich" Erzähler hat. "Es war wirklich vergnüglich aus der Sicht einer Person zu erzählen," sagt Arnaldur. "Es ist ein ganz befreiender Vorgang eine Geschichte so zu erzählen und er öffnet alle Möglichkeiten, um den Handelnden von "innen" zu beschreiben. Aber zur gleichen Zeit, erfordert diese Art von "Noir" Geschichte einen besonderen Stil. Er ist in einem direkten hartgesottenen Ton geschrieben, aber ohne ihn ins extreme zu treiben, so das es auch etwas "weichere" Momente gibt. Diese Geschichte ist über eine Person, die Verluste erleidet, Verrat und dämonische Liebe und natürlich formt das den Stil des Textes. Und es handelt auch von Selbstvorwürfen und von Fragen, welche die Hauptperson so nachdrücklich verhöhnen: Wie konnte ich zulassen, dass dies mir passieren konnte? Was ist in mir, dass mich so weit gebracht hat? Wer bin ich?

Dieses Buch unterscheidet sich von Indriðasons vorherigen Büchern. Anstatt sich auf die traditionelle Figur des Kriminalbeamten zu konzentrieren, und uns einen Blick in das Leben eines Polizisten zu liefern, ist die Hauptperson nun ein Rechtsanwalt, der, für die meiste Zeit der Geschichte, namenlos bleibt. Deshalb wird die Geschichte von einem straffen Erzählton angetrieben, den Arnaldur Indriðason von der ersten Zeile an durchhält. Die Geschichte wechselt mühelos zwischen der Gegenwart und der Vergangenheit, während die Geschichte allmählich ein Bild des Erzählers heraufbeschwört. Die Handlung ist raffiniert geschrieben mit ein paar unerwarteten Wendungen.

Der Ton der Geschichte ist sofort festgelegt, da die Hauptperson eines Verbrechens verdächtigt ist, und in Haft genommen wird. Natürlich ist der Rechtsanwalt stark beansprucht und ängstlich, und das bedeutet, das wenig Raum bleibt für Sarkasmus und Ironie, dass oft das Schreiben von Indriðason charakterisiert. Das Thema ist nicht finsterer wie in seinen vorherigen Büchern, aber da die Geschichte in der Ersten Person erzählt wird, von einer Person, die in einer hoffnungslosen Situation ist, gibt es nicht viel Raum für Leichtigkeit. Der Autor versorgt uns mit einer lebendigen Darstellung von der Vereinsamung des Rechtsanwalts, die Klaustrophobie und Verzweiflung. Und die erzählende Person ist so überzeugend gezeichnet, dass der Leser in keinem Moment an seiner schlimmen Lage zweifelt.

Indriðason zeichnet ein ebenso lebendiges Porträt von Bettý, eine klassische Femme Fatale, die nicht so oberflächlich und offen ist, wie sie ursprünglich zu sein scheint. ... Die Rolle der Femme Fatale, jedoch, hat sich im Laufe der Zeit entwickelt und verändert. Bettý ist das Verbindende, und die Beherrscherin des Erzählers und das Schicksal weiterer Menschen. Obwohl sie uns durch den verzerrten Filter, aus den sich vor Liebe verzehrenden Augen des Erzählers, offenbart wird, schafft es der Autor dennoch, ein differenziertes Portrait von ihr für den Leser zu schaffen, der ein wenig Sympathie für sie aufbringt, für eine ruhelose Frau, die meistens nur an sich selbst denkt. Bettý ist ein Risiko, das es Wert ist, aufgenommen zu werden. Für beide: seinem Autor und seinem Leser. Es ist ein psychologischer Thriller, in dem der Schwerpunkt in der inneren Spannung und gekonnten Erzählung liegt. Die Handlung ist perfekt ausgespielt, und, als eine Femme Fatale, wird Bettý unzweifelhaft im Gedächtnis vieler Leser bleiben, auch weil diese Geschichte eine interessanter Schritt in der Entwicklung von Arnaldur Indriðason als Autor ist.

Vielen Dank an Jürgen Ruckh aus Esslingen
© Juni 2005 Literaturportal schwedenkrimi.de - Krimikultur Skandinavien

"Menschensöhne" von Arnaldur Indriðason

Irrer Wahn vom ewigen Leben
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Ein grausiger Mord steht am Anfang dieses im weiteren Verlauf eigentlich sehr beschaulichen Thrillers. Ein alter Lehrer stirbt gefesselt im Feuermehr seines selbst in Brand gesteckten Wohnhauses. Bedächtig und mühsam entwickeln sich die Ermittlungen des Kriminalistenpaares Erlendur und Sigurður Óli nach der Vergangenheit des toten Lehrers. Vermutungen, versteckte Behauptungen und schweigende Kollegien machen die Suche nach Ursachen, Gründen, Motiven mühsam.

Der zur fast gleichen Zeit in den Selbstmord gestürzte Insasse einer psychiatrischen Klinik, Daniel scheint zunächst ein ganz eigener Fall zu sein. Erst sein höchst verunsicherter Bruder Pálmi stellt eine Verbindung her, nachdem er erfuhr, dass der alte Lehrer in den letzten Wochen mehrmals seinen aus dem Fenster gesprungenen Bruder besuchte.

Als aufkommt, dass Lehrer Halldór offensichtlich einige pädophile Übergriffe auf Schüler vornahm, scheint die Geschichte klar. Das lähmt auch etwas den Spannungsbogen. Zu eindeutig und einfach wirkt alles und auch die sich ergänzend ergebenden Erinnerungen verschiedener Mitwissender lassen wenig Raum für andere Erklärungsmodelle. Erst als man erfährt, dass nahezu alle Schüler einer bestimmten Sonderklasse inzwischen verstorben sind, erahnt man etwas komplexere Hintergründe. Die zu damaliger Zeit merkwürdige Verabreichung von Lebertranpillen an die Klasse des ermordeten Halldórs verwundert dann doch und schon scheint es doch augenfällig, wer vermutlich hinter den mysteriösen Todesfällen steckt.

Aber auch das sorgt nur bedingt für die Aufklärung, denn gegen Ende des Romans bekommt er einen gänzlich unerwarteten und auch bizarr anmutenden Schub, der leider etwas oberflächlich und plötzlich daherkommt. Das sich durch die neue Wendung entwickelnde Ende wirkt etwas zu krass aufgesetzt und nur gering glaubwürdig. Irgendwie passt es nicht mehr so ganz zum Duktus der bisherigen Geschiche, wenngleich es ein denkbarer Aspekt wäre. Doch das hätte eine detailliertere Recherche und einen weniger schlichten Aufbau nötig gemacht. Das tatsächliche Ende wirkt harmlos, ist es jedoch in keiner Weise, da es keine Position zu dem Geschehen bezieht. Diese ethische Selbstbewertung wollte der Autor aber möglicherweise provozieren.

Die Protagonisten von "Menschensöhne" sind ausgeprochen differenziert charakterisiert. Treffend erfasst er insbesondere die Gefühle und Sehnsüchte der beiden Brüder, den schizophrenen im entrückten Zukunftswahn und den anderen im depressiven Selbstzweifel und selbstbedauernden Schuldgefühl. Es scheint aber auch ein präziser Einblick in die Lebenswirklichkeit der anderen Menschen auf der nordatlantischen Insel zu sein, eine Beschreibung der Melancholie eines Landes voller Zukunftshoffnung und -ernüchterung. Es ist ein düsterer, wolkenverhangener Roman ohne jeglichen Freudensausdruck, traurig, still und in gewisser Weise hilflos.

Trotz aller Langsamkeit ist das erst jetzt veröffentlichte Erstlingswerk des sehr erfolgreichen Autors ein ausreichend spannender Roman über das inzwischen schon mehrfach aktiv gewesene und interessant kombinierte Ermittlerduo, welches die anfallenden Aufgaben angeht und in auf beschauliche aber erfolgreiche Weise löst.

Vielen Dank an Uli Geißler, Freier Journalist und Autor aus Fürth / Bayern
© Mai 2005 Redaktionsbüro Geißler für das Literaturportal schwedenkrimi.de

Beklemmend - beklemmender - "Todeshauch" von Arnaldur Indriðason

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Am Stadtrand von Reykjavik wird ein menschliches Skelett gefunden. Vieles deutet darauf hin, dass es dort schon eine Weile vergraben liegt. Erlendur und seine Kollegen der Reykjaviker Kripo sind mit dem Fall betraut und versuchen herauszufinden, wer in früherer Zeit in der Gegend des Skelettfundes wohnte und etwas darüber wissen könnte. So spüren sie die Schwester eines Mannes auf, der dort ein Ferienhäuschen besaß. Sie weiß Mysteriöses zu berichten. Die Verlobte ihres mittlerweile verstorbenen Bruders sei eines Tages spurlos verschwunden und nie wieder gesehen worden. Dies ist die erste Fährte, der Erlendur folgt. Aus Trauer um seine Verlobte bezog der Bruder das Häuschen nie, sondern vermietete es während des zweiten Weltkrieges als Wohnungen knapp wurden. Nur mühevoll lässt sich rekonstruieren, dass dort einmal eine Familie mit drei Kindern wohnte, von der man aber kaum etwas weiß. Dies ist die zweite Spur. Der Leser ist Erlendurs Ermittlungen stets einen Schritt voraus, denn gleichzeitig zur linearen Erzählung wird von eben dieser Familie und ihrem Leben berichtet. Dies sind die intensivsten und beklemmendsten Momente, geht es doch um Misshandlung in der Ehe. Indridason schildert die körperlichen und weitaus schlimmeren seelischen Qualen der Mutter so exakt, dass man am liebsten eingreifen würde, um dem Ganzen eine Ende zu bereiten. Geschickt nähern sich diese Rückblenden immer mehr dem Stand der Ermittlungen, bis es zur Überschneidung kommt und die Hintergründe der Tat schließlich gleichzeitig offengelegt werden. Genauso wie das Skelett, das in mühevoller Arbeit freigelegt wurde. Und so nähert man sich einem Ende, das nicht versöhnt und keine Hoffnung anbietet. Die Sünden der Vergangenheit können nicht gesühnt werden und das Böse wird bleiben. Ebenso hoffnungslos scheint die Lage von Erlendurs Tochter zu sein, die im Koma liegt und Erlendur selbst in tiefe Gewissensnöte stürzt. So erfährt man auch Dinge aus seiner Vergangenheit, die seinen zynischen Blick auf das Leben ein bisschen erklärbarer machen.
"Todeshauch" ist zudem nicht nur ein Kriminalroman, sondern auch ein Stück Zeitgeschichte über Island während des zweiten Weltkrieges. Sehr empfehlenswert.

Vielen Dank an unsere Rezensentin Katja Perret.
© April 2005 Literaturportal schwedenkrimi.de - Krimikultur Skandinavien

"Menschensöhne" von Arnaldur Indriðason

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Die Geschichte beginnt mit dem Selbstmord von Daniel, ein 40 Jahre alter Patient in einer Nervenheilanstalt in Reykjavik. Gleichzeitig verbrennt sich ein älterer Lehrer, ein Mann, der Daniel in den sechziger Jahren unterrichtet hat, der aber erst kürzlich damit begonnen hat, Daniel in der Klinik zu besuchen. Als Daniels Bruder herauszufinden versucht, was die beiden verband, findet er zu seinem Entsetzen Beweise für ein Medikamenten Testprogramm an Kindern, welches schrecklich schief ging.

Hier tauchen schon Erlendur und Sigurdur Ólí auf. "Ein klassisches Polizeiduo", meint Arnaldur. Sigurdur Ólí ist jung, dynamisch und unkompliziert, während er Erlendur als altmodischen, patriotischen Einzelgänger beschreibt, der isländische Geschichte und Geschichten liebt und an seiner Arbeit leidet. "Jeder Fall verfolgt seine Seele, macht ihn brummig, deprimiert und desillusioniert." Dazu muß Erlendur noch sein eigenes Päckchen tragen: Er ist geschieden, der Sohn ist Alkoholiker, die Tochter drogensüchtig.

"Ich glaube, ich habe aus purem Zufall einen Krimi geschrieben, es war keine bewusste Entscheidung. Erst als mein erster Roman fertig war, stellte ich fest, dass man ihn als Krimi bezeichnen konnte." Meint Arnaldur mit leichtem Understatement, denn sein Erstling "Synir duftsins" auf deutsch "Menschensöhne", war gleich ein großer Erfolg. Erschienen 1997. "Meine Detektive sind sicher auch unter dem Einfluss von Kriminalfilmen entstanden, von denen ich vielleicht berufsbedingt (er war von 1986 bis 2001 für die größte Tageszeitung des Landes, Morgunblaðið, als Filmkritiker tätig) mehr gesehen habe, als für mich gut war."

Sie ähneln dem klassischen Polizeiduo: der erfahrene, behäbige Ältere und der dynamisch, progressive Jüngere. Doch letztlich, so stellt Indriðason klar, seien Erlendur Sveinsson und Sigurdur Ólí typische Isländer. "Vor allem Erlendur: altmodisch, nationalistisch, düster, melancholisch. Einer, der abends in seiner Wohnung sitzt, Dokumentarfilme schaut oder historische Erzählungen liest."

Vielen Dank an Jürgen Ruckh aus Esslingen
© Februar 2005 Literaturportal schwedenkrimi.de - Krimikultur Skandinavien

"Gletschergrab" von Arnaldur Indriðason

"Es liegt viel Traurigkeit in der Zeit"
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Washington - Der amerikanische Geheimdienst CIA hält eine große Zahl von Akten über Nazi-Verbrecher zurück. Eine Arbeitsgruppe des US-Kongresses verlangt seit drei Jahren vergeblich die Herausgabe von mehreren hunderttausend Seiten. Nach Angaben von Mitarbeitern des Kongresses ist der Geheimdienst zwar verpflichtet, nach einem 1998 erlassenen Gesetz dem Kongress alle Seiten aus den geheimen Naziakten zugänglich zu machen. Das Gesetz werde von der CIA allerdings in ihrem Sinne interpretiert, hieß es. (Süddeutsche Zeitung vom 02.02.05)

Akte Napoleon - Carr erbte das Flugzeug auf dem Vatnajökull, als er zu Beginn der achtziger Jahre zum Direktor des militärischen Geheimdienstes aufstieg. Während seiner Einarbeitungszeit weihten ihn seine Vorgänger nach und nach in das Geheimnis des deutschen Flugzeugs auf dem Gletscher ein. Es hatte über fünf Jahre gedauert, bis Carr alles erfahren hatte, was es über die Maschine und ihre Fracht zu wissen gab. Er wußte, wie zu reagieren war, falls das Flugzeug auf dem Gletscher gefunden werden sollte. Dazu gab es einen präzise ausgearbeiteten Plan, den Carr in regelmäßigen Abständen überprüfte, Nur einige wenige Personen in den höchsten Positionen der amerikanischen Militärbehörden waren über dieses Flugzeug und den Plan informiert. Es war gelungen, dieses Wissen über all die Jahre hinweg innerhalb dieses engen Zirkels zu halten. Es wurde persönlich weitergegeben, wenn es einen Wechsel in den höchsten Ämtern gab, und eine Generation nach der anderen hatte die ganzen vierundfünfzig Jahre geschwiegen, die seit dem Absturz des Flugzeugs vergangen waren. Aus sehr verständlichen Gründen war es das bestgehütete Geheimnis des amerikanischen Militärs. Sogar Carr wußte nicht bis ins letzte Detail, welchem Zweck das Flugzeug gedient hatte, aber er wußte trotzdem genug. Carr wagte nicht, sich die Konsequenzen vorzustellen, wenn eines Tages herauskäme, was das Flugzeug zu verbergen hatte.

Washington - Die zurückgehaltenen Informationen sollen an-geblich zeigen, daß die US-Regierung nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs engere Kontakte zu ehemaligen Nazis unterhielt, als sie heute zuzugeben bereit ist. Ein Sprecher des amerikanischen Geheimdienstes CIA wies die Vorwürfe zurück. (SZ ebenda)

Akte Napoleon - "Vorgestern habe ich zum ersten Mal in meinem Leben Berlin gesehen. Ich glaube es war vorgestern. Seltsam, mitten im Krieg nach Berlin zu kommen. Da siehst du, was dabei herausgekommen ist, mich über den Atlantik zu schicken. Was steckt dahinter? Wollen sie sich mit den Nazis arrangieren? Versuchen sie, den Krieg schneller zu beenden? Wird es eine Offensive gegen Rußland geben? Man hat so vieles gehört. Die Deutschen wollen sich nicht dazu äußern. Ich weiß, daß sie zu einer Verhandlungskommission gehören, aber worum geht es bei diesen Verhandlungen?

Man merkt diesem Buch an, daß Arnaldur Indriðason jahrelang als Filmkritiker bei der isländischen Tageszeitung Morgunblaðið tätig war. Zu sehr erinnert das Buch an Filme, wie zum Beispiel an Alfred Hitchcocks "Der Mann, der zu viel wußte" oder "Der unsichtbare Dritte". Filme, in denen normale, unbescholtenen Menschen, plötzlich in internationalen Affären verstrickt werden. So ist es kein Wunder, daß der isländische Regisseur Snorri Thórissson, daran arbeitet, eine internationale Produktion für "napóleonsskjölin" auf die Füße zu stellen.

"Es waren absurde, völlig unbegreifliche Minuten, ein einziger Albtraum. So etwas gab es gar nicht. Nicht in Island. Nicht in Reykjavik. Nicht in ihrem Leben."

Krístin, beschäftigt im Außenministerium, erhält einen Anruf ihres Bruders, der auf dem Vatnajökullgletscher eine Winterübung abhält. Er erzählt ihr von vielen Soldaten auf dem Gletscher als die Verbindung plötzlich abbricht. Kurz darauf erhält sie Besuch von zwei Männern, die versuchen sie umzubringen. Nur knapp entkommt sie ihnen. Ein Toter bleibt in ihrer Wohnung zurück. Sie weiß, daß sie die Wahrheit auf dem Gletscher findet ...

Wie es sich für einen Thriller gehört, ist sehr viel Aktion, Gewalt, schneller Schauplatzwechsel, eine großartige Naturkulisse, der Vatnajökull, und eine gute Story in diesem Buch. Und natürlich eine tragische Liebesgeschichte und von Indriðason so bisher noch nicht gelesen, auch ein wenig Sex. Aber auch ein kleiner Exkurs über die Geschichte Islands nach dem Zweiten Weltkrieg und über die Stationierung der Amerikaner in Keflavik. Über das ambivalente Verhältnis der Isländer zu dieser Stationierung.

"Ich bin gegen diese Basis. Ich bin in keinem Verein und keiner Organisation, es geht mir nur um das, was ich selber empfinde. Mir ist dieser Gedanke an diese Truppen hier auf Island zutiefst zuwider. Mir ist es völlig egal, ob sie amerikanisch sind, englisch, französisch, russisch oder chinesisch, ich werde sie niemals akzeptieren. Nie im Leben werde ich mich damit abfinden. Und je mehr sich hier bei uns die Diskussion um Geld dreht, um Arbeitsplätze, Kündigungen, die volkswirtschaftliche Lage, desto fester wird meine Überzeugung. Mir ist es vollkommen unbegreiflich, wie die Diskussion auf dieses Niveau herabsinken konnte. Das hätte nie passieren dürfen. Ich begreife nicht, warum Island jetzt auf einmal aus finanziellen Gründen das Militär brauchen sollte. Wer sind wir eigentlich? Was ist aus uns geworden? ... Wir wollen uns nur an diesem Stützpunkt bereichern. Diese ganze Scheißnation besteht aus lauter Schmarotzern."

Akte Napoleon - "Die Stadt lag völlig im Dunkeln. Diese seltsame Stille über allem. Sie wissen, dass alles vorbei ist. Ich begreife nicht, was sie da zwischen sich aushandeln. Geht es um das Kriegsende? Wollen sie den Krieg auf dem Verhandlungswege beenden? Wir wissen, daß es nicht mehr lange dauern wird. Können sie das abkürzen? Es würde Tausende von Menschenleben retten. Die Russen werden vor uns in Berlin sein. Geht es darum? Wir haben etwas gehört über einen Ein-marsch in Rußland. Du hast gesagt, daß Patton die Russen angreifen will. Es heißt, Churchill sei nicht dagegen, er habe schon eine Strategie entwickeln lassen. Warum diese geheimen Gespräche mit den Nazis? Sollen sie mit uns gegen die Russen kämpfen?"

Washington - Laut der "New York Times", die an diesem Wochen-ende als erste über das Thema berichtete, soll die US-Regierung mittels des CIA Kriegsverbrecher und ehemalige Nazikollaborateure angeheuert haben. (SZ ebenda)

Akte Napoleon - "Das waren seinerzeit strategische Erwägungen der Militärs", sagte Miller schließlich. "Wir machen für die Politiker den Dreck weg. Haben immer für sie den Dreck wegmachen müssen." "Das ist mir klar. Trotzdem meine ich, daß es sich eher um einen Augenblick geistiger Verwirrtheit gehandelt hat. Am Ende des Krieges sind Dinge vorgefallen, die sich kein Krimiautor ausdenken könnte." ... "Es ist nicht unsere Aufgabe Geschichte zu schreiben", sagte er. "Nein unsere Aufgabe ist es, sie wieder auszuradieren und umzuschreiben", gab Carr zurück. "Es gibt heutzutage nichts mehr, was man historische Wahrheit nennen könnte. Wir haben soviel geheim gehalten, so viel gelogen, so viel erfunden, die Wahrheit über die Lüge erzählt und über die Wahrheit gelogen. Einen Teil herausgenommen und einen anderen an seine Stelle gesetzt. Das ist unsere Aufgabe. Irgendjemand hat einmal gesagt, daß die Menschheitsgeschichte nur eine Kette von Verbrechen und Katastrophen sei, aber sie ist auch eine Kette sorgfältig arrangierter Lügen". (Ein Schelm ist, wer dabei nicht oder gerade an den Irak Krieg denken muß).

Washington - Die frühere Abgeordnete und Mitarbeiterin der Arbeitsgruppe Elizabeth Holtzman sagte: "Ich glaube, daß die CIA das Recht verletzt und damit den Holocaust verharmlost hat". Dies sei ein Schlag gegen die Überlebenden des Holocausts und die Amerikaner, die ihr Leben im Zweiten Weltkrieg verloren hätten. (SZ ebenda)

Akte Napoleon - "Wie ist es Napoleon ergangen?", sagte Miller auf einmal. "Ergangen?..." "Fragen sie sich doch einmal, was mit Napoleon geschehen ist." "Was mit Napoleon geschehen ist?" Er starb isoliert im Exil auf der Insel St. Helena. Das weiß doch jeder." "Genau dasselbe haben sie damals auch gemacht." Krístin starrte den alten Mann fassungslos an. "Was sagen sie da"? flüsterte sie. "Das ist der Grund dafür, daß die Operation den Namen Napoleon erhielt." "Napoleon?" "Ihm sollte gestattet werden, seinen Hund mitzunehmen. Einen deutschen Schäferhund ..."

Vielen Dank an Jürgen Ruckh aus Esslingen
© Februar 2005 Literaturportal schwedenkrimi.de - Krimikultur Skandinavien

"Nordermoor" von Arnaldur Indriðason

Düsteres Land – düstere Tat - düstere Wahrheit
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Von Anfang an ist es da, dieses fröstelnde Gefühl. Vielleicht, weil es so oft regnet in der Geschichte, ganz sich aber, weil es dem Autoren gelingt, persönliche Anteilnahme zu erzeugen. Das unstete und problematische Leben des gestressten Kommissars sorgt in seiner detaillierten und präzisen Charakterdarstellung zudem für reale Nähe. Ein unspektakulärer Mord deutet auf die Normalität auf dem grünen Eiland hin. Andererseits umwirkt die vom Mörder bei der Leiche zurückgelassene, unverständliche Mitteilung das Geschehen geheimnisvoll. Die perverse Sammelleidenschaft des Ermordeten, kombiniert mit der häufig vorherrschenden Düsternis auf der friedlich-einsamen Insel, begleitet einen während der gesamten Ermittlungen mit einem steten Schaudern. Die Spannung steigt zwar nicht dauernd an, aber beispielsweise lösen die eingestreuten Erkenntnisse einer Genanalyse oder die Gewissheit, dass hier ein Fall gelöst, der seit einem Vierteljahrhundert auf ein Ende wartet, anhaltenden Lesereiz aus. Ob Arnaldur Indridason für dieses Buch den Titel „Bester skandinavischer Kriminalroman“ zu Recht erhielt, möge jede und jeder selbst bewerten – meiner Ansicht nach gab es zumindest noch ein paar weitere, ebenfalls dafür prädestinierte Kanditatinnen und Kanditaten. Aber sicher ist: Nichts an der Geschichte ist kompliziert, aber auch nichts ist banal. Der Roman verfügt über eine ausgezeichnete Geschwindigkeit, hat trotz vieler Dialoge keine Längen und bietet beste Krimi-Unterhaltung und das auch noch zu einem angenehm geringen Preis.

Vielen Dank an Uli Geißler, Freier Journalist und Autor aus Fürth / Bayern
© 2003 Redaktionsbüro Geißler für das Literaturportal schwedenkrimi.de

"Nordermoor" von Arnaldur Indriðason

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Nordermoor wurde zum besten Kriminalroman des Nordens 2002 gewählt und mit dem renommierten "Glasnyckel" ausgezeichnet. Das hat seine guten Gründe. Ein alter und wie sich schnell herausstellt, perverser Mann wird tot in seiner Wohnung im Reykjaviker Viertel Nordermoor aufgefunden. Gleich zu Beginn des Falles wird unsere Neugier vom Autor auf seine spezielle Art und Weise angestachelt. Auf der Leiche wird eine Nachricht bestehend aus drei Wörtern gefunden. Nur das letzte Wort wird nach einigen Seiten preisgegeben. Immer wieder kommt die rätselhafte Nachricht ins Spiel. Sie ist auch Hinweis darauf, dass dies kein typisch isländischer Mord ist. Denn der wird mehrfach als schäbig, sinnlos und schlampig bezeichnet. Wer hätte gedacht, dass es landestypische Morde gibt. Die Suche nach dem Mörder, die weit in die Biografien von Opfer und anderer Beteiligter zurückgreift, und das private Desaster von Ermittler Erlendur Sveinsson sind allein schon packend und das Lesen wert. Aber dieses Buch hat eine ganz besondere Stimmung. Eigentlich müsste man sich in den Film "Sieben" versetzt fühlen, denn es regnet und stürmt jeden Tag ununterbrochen. Die ganzen Ermittlungen finden in Dunkelheit und Dauerregen statt. Hinzu kommt, dass Erlendur gesundheitliche Probleme hat, seit 20 Jahren geschieden ist und wahre "Problemkinder" hat. Kaum Kontakt zum trinkenden Sohn und von seiner drogenabhängigen Tochter in eine seelische Berg- und Talfahrt geschickt wird.

All dies kann nicht wirklich Düsternis bei mir erzeugen. Dafür gibt es zwei Lösungen für mich. Immer wenn man Mitleid mit dem arg mitgenommenen, vom Sesselschlaf zerknautschten Erlendur hat, reagiert er körperlich oder verbal so kraftvoll, dass es einen Ruck gibt, und man weiß, der macht das schon. Der zweite Grund für die besondere Stimmung in dem Buch ist, dass einfach jeder jeden sofort duzt. Es gibt kein Sie. Hört sich einfach an, aber ich hab mir vorgestellt, wie es wäre, wenn es an der Tür klingelt, ein 50jähriger Kommissar der Kripo vor mir steht und Du sagt.Und dieses Phänomen auf den gesamten Tagesablauf übertragen macht eine so vertraute, intime Grundstimmung, als würden die Stimmen viel weicher, tiefer und wärmer klingen. Merkt man es ja schon beim Sprechen von Du und Sie. Dieses Buch ist nicht laut und reißerisch. Es hat eine große Tragik, viel Spannung und liest sich sehr schnell, wenn man sich an Namen und Schreibweisen gewöhnt hat. Eine Auszeichnung wert.

Vielen Dank an Lotta
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