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"Der Menschensammler" von Elsebeth Egholm
Wer darf leben, wer muß sterben? Ein sehr blutiger und sehr guter Beitrag zu einem aktuellen Thema Elsebeth Egholm lebt in Aarhus. Aarhus ist zufällig auch der Sitz von Scandiatransplant, der Organisation, die für die fünf nordischen Länder Spenderorgane verwaltet und Wartelisten führt. Die Zahl der verfügbaren Spenderorgane ist immer geringer als die Zahl derer, die ein Spenderorgan benötigen. Dieser Mangel ist strukturell. Überall dort, wo ein struktureller Mangel an Gütern herrscht, finden Menschen Mittel und Wege, diesen Mangel zu beheben. Da das Organ-Spendewesen dem Markt (noch) entzogen, gesetzlich hoch reguliert und wegen seiner Emotionalität Gegenstand kontroverser ethischer Debatten ist, können diese Mittel und Wege nur illegal sein. Genau das ist das Thema von Elsesebeth Egholms Krimi "Der Menschensammler". Der Plot ist sehr spannend, obwohl er vollkommen konstruiert wirkt. Drei Themen – Organbeschaffung und Organspende, die Umtriebe von Rechtsradikalen in Aarhus und das komplizierte Verhältnis von Eltern zu ihren erwachsenen Kindern – werden ineinander verschränkt. Die Konstruktion funktioniert jedoch, weil sie der Autorin gestattet, die gesamte Verwertungskette von Spenderorganen zu zeigen und die ethischen und moralischen Dilemmata der beteiligten Personen – Hinterbliebene, PatientInnen, ÄrztInnen, Angehörige - facettenreich vorzuführen. Die Figuren des Buches müssen sich fragen: Gibt es eine moralische Verpflichtung zur Organspende? Müssen die Angehörigen von Verstorbenen dulden, daß ihren Toten ungefragt Transplantate entnommen werden? Soll ich eine Niere für eine wertvolle Information hergeben? Sollen die knappen Organe weiterhin nach medizinischer Notwendigkeit verteilt werden, oder soll man die MusterbürgerInnen gegenüber dem arbeitslosen Migranten oder dem verurteilten Straftäter bevorzugen? Darf ich die Warteliste manipulieren, damit mein einziges Kind überleben kann? Auch Egholms bewährtes Personal, die Kriminalredakteurin Dicte Svendsen, ihr Freund Bo und der Ermittler John Wagner, muß sich neben ihren Ermittlungen diesen Fragen stellen. Elsebeth Egholm ist es gelungen, ihre gewichtigen Themen in einen spannenden, schnell geschnittenen und naturgemäß ziemlich blutigen Krimi zu packen. Tonfall und Sprache der Erzählung sind angenehm sachlich und empathisch zugleich (Übersetzung: Kerstin Schöps). Zu kritisieren ist einzig der vom Verlag gewählte törichte deutsche Titel "Der Menschensammler", denn natürlich werden keine Menschen gesammelt. Der Originaltitel "Liv og legeme" (Leben und Tod) trifft es viel besser. Gute Kriminalromane antizipieren gesellschaftliche Entwicklungen. Wie sehr Elsebeth Egholm bereits 2008 auf der Höhe der Zeit war, zeigt eine Meldung im lesenswerten Biopolitik-Blog des Journalisten und Anwalts Oliver Tolmein: "In Sachen Organtransplantation sind die USA seit langem Vorreiter. Jetzt sollen dort die Kriterien für die Verteilung von Spender-Nieren grundlegend verändert werden. Bislang war das entscheidende Kriterium für die Verteilung des knappen Guts Spendernieren neben der Verträglichkeit die Zeit, die jemand auf eine Transplantation gewartet hat. Künftig sollen dagegen, so sieht es ein Vorschlag vor, der bis zum 1. April 2011 öffentlich diskutiert wird, Lebensqualitätskriterien im Mittelpunkt stehen: Das (gemessen nach einem bestimmten Index) beste Fünftel der Spendernieren soll für Patienten reserviert werden, die nach der Transplantation die höchste geschätzte Überlebensdauer aufweisen. Die restlichen vier Fünftel der jährlich etwa 7000 von Toten gespendeten Organe sollen vorzugsweise an Empfänger aus der Altersgruppe des Spenders gehen, sie sollen also zwischen maximal 15 Jahre jünger oder älter sein als dieser. In der medizinethischen Diskussion wird dieser Vorschlag, der von UNOS (United Network Organ Sharing) kommt, als Paradigmenwechsel verstanden: Bisher, so heißt es, sei es um Fairness gegangen, wer zuerst gekommen sei, habe zuerst ein Organ erhalten, nun gehe es um effizienten Umgang mit einer knappen Ressource... (Es) dürfte nicht allzu lange dauern, bis diese oder eine vergleichbare Debatte in Deutschland ankommt, denn die Diskussion über Rationierung - also die Begrenzung sinnvoller medizinischer Leistungen aus ökonomischen Gründen - ist zuletzt vom Ethikrat auf die Tagesordnung gesetzt worden... Je effizienter man die knappen Güter aber einsetzen will, desto größer wird die Gefahr, dass hier ein Kanon an Werten und Normen etabliert wird, der mit den ansonsten auf Akzeptanz und Nicht-Diskriminierung setzenden gesellschaftlichen Entwicklungen nicht mehr viel zu tun hat." Vielen Dank an Dr. Kerstin Herbst aus Berlin © März 2011 Literaturportal schwedenkrimi.de - Krimikultur Skandinavien |
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"Blutzoll" von Elsebeth EgholmEntscheidet unsere Herkunft über unser Leben?
Elsebeth Egholm betreibt in „Blutzoll“ „Existenzforschung“. Sie spürt der Frage nach, wie sehr unsere Herkunft unsere Existenz beeinflusst und was sie für unser Dasein bedeutet. Und was passiert, wenn uns unsere Wurzeln plötzlich abhanden kommen? „Sie haben eine Frauenleiche beim Showboat gefunden.“ (…) „Und ihr wart zufällig in der Nähe?“ (…) „Wir waren in einem Restaurant in Graven, als Rose anrief.“ Sie sagte das mit einem Blick zu ihrer Tochter hinüber, die dicht neben einem jungen Einwanderer stand. Wagner begriff plötzlich, dass Dicte ihre eigenen Probleme hatte. Von Familien und anderen Banden Die hat Dicte Svendsen in der Tat gleich mehrfach. Zum einen kämpft sie nach wie vor mit den schrecklichen Erinnerungen an die Zeit vor ein paar Monaten, als ein Serientäter ihr Leben bedrohte. Zum anderen hat ihr ihr Lebensgefährte, der Fotograf Bo, gerade mitgeteilt, dass er zur Kriegsberichterstattung für drei Wochen in den Irak gehen wird, und zu guter Letzt enthüllt ihr ihre 18jährige Tochter Rose, dass sie einen jungen Einwanderer, den Moslem Aziz, zum Freund hat. Die Probleme sind vorprogrammiert. Außerdem erinnert sie der Fall der jungen Frauenleiche, die hinter einem Müllcontainer am Hafen von Århus gefunden wird, an ihre eigene Vergangenheit. Es stellt sich nämlich heraus, dass hier illegale Geschäfte mit Leihmüttern gemacht werden. Dicte selbst hat als junges Mädchen ihr Erstgeborenes zur Adoption frei gegeben. So beginnt die Journalistin, auf eigene Faust zu recherchieren und gerät dabei in die Schusslinie der skrupellosen Menschenhändler. Gleichzeitig ist da Anne, Dictes Freundin und Adoptivkind eines Pastorenehepaars, die erfährt, dass sie nicht die ist, die sie zu sein glaubte. Auch Wagner, der ermittelnde Kommissar, berührt der Fall auf einer privaten Ebene, wird er doch von seiner Frau Ida Maria bedrängt, eine künstliche Befruchtung durchführen zu lassen. Hier also Menschen, die sich nichts sehnlicher wünschen, als ein Kind. Dort junge, osteuropäische Mädchen ohne Hoffnung, die das einzige, aus dem sie Kapital schlagen können, nämliche ihren Körper, zum Verkauf feilbieten und anderer Leute Kinder austragen – Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung herrscht auf beiden Seiten.
Bei all den Nebenerzählungen könnte die Gefahr bestehen, dass „Blutzoll“ zum Lifestyle-Thriller verkommt, in dem eine Protagonistin und ihre emotionalen Befindlichkeiten in den Vordergrund gestellt werden. Doch davon ist der Roman meilenweit entfernt. Einfühlsam, authentisch und glaubwürdig Die in den Nebensträngen erzählten Geschichten über Aziz, Anne und John Wagner sind zu keiner Zeit privatistisch, sondern fungieren als Folie, vor deren Hintergrund der Mord an der jungen Leihmutter seine gesellschaftliche Kontextualisierung findet. Dabei erzählt Elsebeth Egholm jede Geschichte mit großem Einfühlungsvermögen. Das Zeitungsmilieu ist genauso authentisch dargestellt wie das der Einwanderer, die Personenschilderungen sind differenziert, und nie verrät sie ihre Charaktere an billige Klischees. So lässt sie beispielsweise Dicte nicht als die tolerante, aufgeklärte und politisch korrekte Journalistin reagieren, als sie von Aziz und Rose erfährt, sondern als Mutter, die sich, wohl wissend um die politisch-gesellschaftliche Situation und Haltung der Dänen, Sorgen macht und durchaus ambivalente Gefühle gegenüber Ausländern hegt. Was die Herkunft für unsere Existenz bedeutet Beeindruckend ist auch Elsebeth Egholms Schilderung des Einwanderermilieus als Gesellschaft in der Gesellschaft. Sie macht deutlich, wie wenig es manchmal braucht, vom Handlanger zum Mörder zu werden, vom Unschuldigen zum Schuldigen, und wie schwer es sein kann, sich von seiner Herkunft zu lösen, um ein anderes Leben zu leben. Doch auch die „Einheimischen“, die Dänen, sind nicht alles Unschuldslämmer. Opfer und Täter gibt es hier wie dort, und es gehört zu den ganz großen Verdiensten des Romans, die Einwandererproblematik, obwohl in einen Kriminalroman eingebunden, so nuanciert darzustellen. Dabei kreist letztlich alles um die Frage, wer wir sind, inwiefern unsere Herkunft unser Dasein beeinflusst und was passiert, wenn uns unsere Wurzeln abhanden kommen. Wer will, kann „Blutzoll“ als eine Art Existenzforschung betrachten. Darüber hinaus aber bietet der Roman alles, was einen guten Krimi auszeichnet: Spannung, eine glaubwürdige Geschichte und authentische Charaktere, die zur Identifikation einladen und von denen man unbedingt mehr lesen will. |
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"Das nächste Opfer" von Elsebeth EgholmMord im Moor
In der Flut nordischer Kriminalromane drohen manche Autoren, die noch keine "Klassiker" sind, manchmal unterzugehen. So auch die bisher nicht sehr bekannte Dänin Elsebeth Egholm - und dies völlig zu Unrecht. Sie hat es verdient, in einem Atemzug mit anderen, bekannteren Autorinnen wie Helene Tursten oder Liza Marklund genannt zu werden.
In ihrem neuesten Werk, "Das nächste Opfer",
geht es zum zweiten Mal um eine Journalistin (Marklund lässt grüßen!)namens
Dicte Svendsen, die über den grausigen Fund einer Frauenleiche
im Moor von Arhus berichten soll. Eng verknüpft wird dies mit ihrer
persönlichen Geschichte, ist die Leiche doch die Schwester ihrer
Nachbarin und wird von Svendsens eigener Tochter Rose aufgefunden. Dicte
Svendsen ist, im Gegensatz zu Marklunds kühler Karrierefrau Annika
Bengtzon, eine ganz anders geartete Journalistin. Sie lebt als alleinerziehende
Mutter einer Tochter etwas abseits von Arhus und hat eine nicht sorgenfreie
Beziehung zu einem Fotografen ihrer Zeitung. Beide bemerken eines Nachts,
dass die Scheune ihrer verreisten Nachbarn brennt. Durch Dictes und
Bos beherztes Eingreifen können die meisten Pferde und das Haupthaus
gerettet werden. Am Tag darauf entdeckt Dictes Tochter Rose bei einem
Spaziergang im Moor die Leiche der jungen Inger, über die zunächst
nicht viel bekannt ist, da sie nur vorübergehend bei ihrer Schwester
wohnt. In diesem Fall |
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