"Drei Blutsschwestern"
von Emma Vall
Über Geschichte und Gegenwart, über Treue und Freundschaft
und was sie heute noch zählen
Schweden während des Zweiten Weltkriegs:
Die drei Freundinnen Mildred, Märta und Agnes schwören sich
ewige Treue, doch dann erliegen sie dem Charme des norwegischen Widerstandskämpfers
Odd, der sie gegeneinander ausspielt. Jahrzehnte später stößt
die Journalistin Amanda Rönn bei ihren Recherchen zu abrissgefährdeten
Häusern auf merkwürdige Zusammenhänge. Gleichzeitig versucht
ihr norwegischer Kollege David einige ungelöste Mordfälle an
norwegischen Widerstandskämpfern 1942 in Sundsvall aufzuklären.
Schon bald gerät Amanda in einen Sumpf von Schuld, Liebe und Verrat.
Denn die historischen Ereignisse haben mehr mit ihrem eigenen Leben zu
tun, als ihr lieb ist.
Mit Emma Vall reiht sich gleich ein ganzes Autorinnenkollektiv (die Journalistinnen
Maria Herngren, Eva Swedenmark und Annica Wennström) in die Garde
der schwedischen Krimiautoren ein. Protagonistin ist die Kultur-Journalistin
Amanda Rönn, die mit ihrer toughen Kollegin Annika Bengtzon aus Stockholm
nicht viel gemein hat. Zwar arbeiten beide bei einer Zeitung, doch Amandas
Job in der Kulturredaktion bringt es mit sich, dass sie nicht unmittelbar
auf Mord und Totschlag trifft. Auch der Charakter Amandas ist viel weicher
gezeichnet als der Annikas. Doch gerade in dieser Geschichte muss Amanda
tief in ihre Familiengeschichte einsteigen und Geheimnisse erfahren, die
nicht leicht zu (er-)tragen sind.
Lange plätschert der Krimi relativ gemächlich dahin (wenngleich
nicht langweilig erzählt), bis mit einem Knall im wahrsten Sinn des
Wortes die Geschichte an Fahrt gewinnt. Die verschiedenen Erzählstränge
- Amandas Recherche sowie die Recherchen ihrer Kollegen David und Nicklas
- werden miteinander verbunden, doch hat der geübte Krimileser eh
die ganze Zeit geahnt, dass sie alle miteinander zusammenhängen.
Erzählt wird nahezu im steten Wechsel zwischen den Zeitebenen 1942
und 2000, was ebenfalls deutlich unterstreicht, dass die Nazi-Vergangenheit
ihre dunklen Schatten bis in unsere Gegenwart wirft und dass wir alle
uns dieser Vergangenheit auf die eine oder andere Weise stellen müssen.
Die Autorinnen bringen dies auf eine sehr persönliche Ebene, indem
sie die Ereignisse mit Amandas Leben verbinden. Das macht auch deutlich,
dass es nicht immer leicht ist, zwischen schwarz und weiß zu unterscheiden,
dass es dazwischen zahlreiche Nuancen in grau gibt und einfache Verurteilungen
nicht gefragt sind.
Unverbrüchliche Freundschaft und Treue werden auf eine harte Probe
gestellt: "Jetzt heißt es: Eine für alle, alle für
eine'", meinte Agnes schließlich. Eine für alle, alle
für eine - das war die stolze Devise ihres Freundschaftsbundes gewesen,
das Versprechen, das sie sich gegenseitig gegeben hatten. Trotz allem,
was gewesen war, klammerten sie sich an ihre alte Freundschaft..."
(S.108) heißt es denn auch an einer zentralen Stelle. Mit diesem
Motto verweisen die Autorinnen auch auf sich selbst, denn es ist der Wahlspruch
der drei "weiblichen Musketiere", doch wie aktuell und unbelastet
sind diese Begriffe eigentlich, die von den Nazis weder zuerst noch zuletzt
missbraucht wurden? In der Welt der Amanda Rönn zählen sie durchaus
noch viel und werden vielleicht etwas unkritisch übernommen. Aber
wie gesagt, einfache Antworten und Urteile sind hier nicht gefragt.
Literarische Zitate wie Vilhelm Mobergs "Reit heut nacht", Verse
aus dem Gedicht "Die sieben Todsünden" Karin Boyes oder
der Hinweis auf ihren großen Zukunftsroman "Kallocain",
der den Vergleich mit George Orwells "1984" oder Aldous Huxleys
"Schöne neue Welt" nicht zu scheuen braucht, bilden zu
all dem den literarischen Subtext. Vertrauen und Misstrauen, Liebe und
Hass liegen nah beieinander, und wie gut kennt man eigentlich die Menschen,
die einem am nächsten stehen? "Drei Blutsschwestern" ist
ein Krimi, der praktisch ohne jeglichen Polizisten und Kommissar auskommt,
der aber einige alte Begriffe neu diskutiert.
Vielen Dank an Alexandra Hagenguth
© Februar 2004 Literaturportal schwedenkrimi.de - Krimikultur Skandinavien |
"Lautloser
Fluss" von Emma Vall
Krimi mit viel ideologischem Überbau
Als eine Frauenleiche im Selångerfluss gefunden
wird, ist die Polizei in Sundsvall ratlos. War die junge Estin eine
Prostituierte, die im neu eröffneten Kasino gearbeitet hat? Oder
hat der Mord etwas mit der großen Kunstmesse zu tun, die Besucher
aus dem ganzen Land anlockt? Ein Fall für die engagierte Journalistin
Amanda Rönn, die sich für die Ereignisse hinter den Kulissen
zu interessieren beginnt. Gibt es da eine Wahrheit, die nicht ans Tageslicht
darf? Als wenig später ihre beste Freundin, die Künstlerin
Sara, kurz vor der Eröffnung ihrer umstrittenen Ausstellung spurlos
verschwindet, ahnt Amanda, dass jede Sekunde zählt.
"Lautloser Fluss" erzählt die Ereignisse von neun Tagen,
in denen sich Amanda und die Honoratioren Sundsvall auf die Sundsvall
Art Fair vorbereiten. Sara, Amandas Freundin aus Studientagen in Umeå,
ist eine der ausstellenden Künstlerinnen und gibt sich sehr geheimnisvoll,
was ihre Ausstellung angeht. Begleitet wird sie von ihrem Freund Matts,
dessen Kunstwerk ein Kahn mit nackten Schaufensterpuppen darstellt, und
damit sind wir gleich drin im eigentlichen Thema, der Degradierung der
Frau zum bloßen Sexualobjekt, ihrer Ausbeutung durch Männer
und "wie das Recht des Mannes auf Sex immer Vorrang hat vor den Menschrechten
der Frau." (S.205)
Parallelen zur Industrialisierung und zum Kapitalismus werden gezogen:
"Es ging um die Verdinglichung des Menschen. Früher war die
Arbeiterklasse davon betroffen gewesen, heute (
) hatten die Frauen
unabhängig von ihrer Klassenzugehörigkeit diese Rolle übernommen."
(S.79). An anderer Stelle heißt es, "dass sowohl die Verdinglichung
des Menschen als auch die Reduktion der Frau zum Objekt auf dem gleichen
ideologischen Fundament ruhen wie seinerzeit die Sicht der Oberklasse
auf die Arbeiterklasse." (S.47) Die passende Kulturdiskussion dazu
wird ebenfalls gleich mitgeliefert (S.40 & 53). Der Fluss Selångersån
wird zum symbolischen Fluss, der Leben bringt und Leben nimmt, wird zum
Antagonisten, der als scheinbar neutraler Beobachter die Vorgänge
an seinen Ufern beobachtet und der durch alle Zeiten hindurch schweigt:
"Lautlos fließt der Fluss" (S.286), so als sei nichts
gewesen, endet bedeutungsschwer der Roman.
Buchtipp |
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Es ist legitimes Anliegen eines Kriminalromans - zumal eines schwedischen
- Sozialkritik zu üben, aber leider lastet das Ideologische doch
etwas schwer auf der gesamten Mordgeschichte. Es droht, den reinen Mord-Plot
darunter zu ersticken, gerade weil der Mord an Elin ebenfalls Ausdruck
der Unterdrückung der Frau durch den Mann ist. Es geht nicht darum,
die Ideologie oder die Ansichten als solche für schlecht oder nichtig
zu erklären, aber leider kommt das spannende Moment, das doch konstitutiv
ist für einen Krimi, zu kurz.
Kerstin Ekman hat mit "Geschehnisse am Wasser" gezeigt, wie
Geschichte, Ideologie und Mord (und die Fluss-Metapher) äußerst
kunstvoll und spannend miteinander verbunden werden können. Daran
muss sich messen lassen, wer sich auf diese Spur begibt, und natürlich
ist die Messlatte ungeheuer hoch. Deswegen ist es vielleicht ein wenig
unfair, "Lautloser Fluss" als schlecht darzustellen. Denn schlecht,
wirklich richtig schlecht, ist das Buch nicht. Es ist nicht schlechter
und nicht besser als andere. Amanda ist durchaus auch eine sympathische
Figur und die Sprache liest sich gut. Nur so richtig überzeugen kann
"Lautloser Fluss" leider weder als Krimi noch als Roman, denn
für einen Krimi ist es zu unspannend, für einen Roman zu oberflächlich
und plakativ.
Vielen Dank an Alexandra Hagenguth
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