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LeseprobeDänemark, Oktober 2004 Der perfekte Mord ist der Mord ohne Motiv an einem
Fremden, dachte Michael, während er ein weiteres Mal seinen Plan
durchging. Ohne Motiv? Nun ja, er kannte das Motiv zumindest nicht.
Doch der Kontaktmann hatte ihm zu verstehen gegeben, dass es einen sehr
guten Grund dafür gab, die Journalistin Karin Sommer aus dem Weg
zu räumen. Man hatte ihm auch mitgeteilt, dass mächtige Kräfte
dahinter standen und richtig viel Geld. Als er den Auftrag angenommen
hatte, hatte er 50 000 Euro Vorauszahlung bekommen, und wenn alles vorbei
war, wartete in einem Schließfach eine halbe Million auf ihn.
Danke an die Ullstein
Buchverlage GmbH für die Veröffentlichungserlaubnis.So war es geplant und er hatte nicht viele Bedenken gehabt. Der Auftrag wurde gut bezahlt und er war richtig. Michael war kein Auftragsmörder. Er war Soldat. Mit Leib und Seele. Die bevorstehende Mission ließ ihn unwillkürlich Haltung annehmen. Vor einem halben Jahr hatte er anders dagestanden. Damals, als er unehrenhaft aus dem Paradieslager im Irak nach Hause beordert worden war. Doch während man ihn einerseits für ein Pflichtversäumnis gerügt hatte ein Iraker war auf einem Transport ums Leben gekommen , hatte man ihn andererseits indirekt rehabilitiert. »Sie müssen wissen«, hatte Major Ernst Poulsen ein hochrangiger Offizier zu ihm gesagt, »dass wir in zwei Welten leben. In einer wirklichen und einer fiktiven. In der wirklichen Welt waren Sie ein guter Soldat. Da, wo man Böses mit Bösem bekämpft. Sie brauchen sich für nichts zu schämen, doch wir müssen uns damit abfinden, dass viele Menschen in einer Illusion leben und uns Soldaten als eine Art Kindergartenpädagogen oder Missionare betrachten, die vom Paradieslager aus die gute Botschaft verbreiten sollen Nehmen Sie Haltung an!« Michael hatte Haltung angenommen, dem Major in die Augen gesehen und geantwortet: »Kann schon sein, dass ich mich für nichts zu schämen brauche, aber davon kann ich nicht leben. Ich bin zehn Jahre meines Lebens in dieser Branche tätig gewesen und das ist das Einzige, was ich wirklich kann.« Der Major hatte ihn stumm angesehen, ein Kalenderblatt aus dem Block auf dem Tisch gerissen und eine Telefonnummer darauf geschrieben. »Rufen Sie ihn an. Er ist ein alter Freund. Ich werde mit ihm reden. Ich glaube, dass er Ihnen vielleicht mit einem Job helfen kann. Er ist okay. Sie können keinen Arbeitsvertrag, keinen Kündigungsschutz und kein Urlaubsgeld erwarten, aber er wird Ihnen irgendetwas vermitteln, wo Sie Ihre Fähigkeiten und Ihre Erfahrung einbringen und etwas Geld verdienen können.« Michael hatte leicht skeptisch ausgesehen. Er war nicht dumm.
»Das kommt darauf an, wie man den Begriff definiert und welchem Gesetz man folgt. Aber ich habe den Eindruck, dass Sie ein Mann sind, der mehr Wert darauf legt, was richtig und was falsch ist als darauf, was legal und was illegal ist?« Michael hatte genickt und gefragt: »Geht es um den militärischen Nachrichtendienst?« »In gewisser Weise, ja. Um eine geheime transatlantische Zusammenarbeit. Stellen Sie nicht zu viele Fragen, vertrauen Sie mir: Es geht um den Krieg gegen den Terrorismus. Die Terroristen folgen nicht dem Gesetz und nur Idioten glauben, dass man sie bekämpfen kann, indem man ihnen die dänische Verfassung um die Ohren schlägt. Man muss sie mit ihren eigenen Mitteln bekämpfen. Etwas in dieser Richtung macht mein Freund. Die Details sind mir nicht bekannt.« Michael verstand und nickte. »Das könnte mich interessieren.« Der Mann, den er angerufen hatte, hieß Frederik Frederik und sonst nichts. »Ich habe mich nach dem Kronprinzen benannt«, erklärte er. »Dem besten Mann des Militärs. Er ist ein unfähiger Soldat, soweit ich gehört habe, aber unschätzbar als lebendes Reklameschild.« Frederik konnte ironisch und zweideutig sein, was Michael anfangs nervös gemacht hatte. Damals, als er ihn nur vom Telefon her kannte. Dann wurde Michael nach dem ersten zur Zufriedenheit erledigten Job auf der Straße von einem ungefähr fünfundvierzigjährigen, leicht ergrauten, fetten Mann mit einer dicken Brille und schütterem blonden Haar angesprochen: »Guten Tag, ich bin Frederik. Ich denke, wir kennen uns?« »Ich denke nein«, antwortete Michael kühl. »Überprüfen Sie es. Wählen Sie meine Handynummer.« Als er die Nummer gewählt hatte, klingelte Frederiks Handy. Das überzeugte. Sie setzten sich in ein Straßencafé. Frederik trank ein Fassbier und Michael eine Cola light mit Zitrone. Michael trank nie Alkohol. Nicht aus irgendeinem Abstinenzprinzip, sondern aus einem Reinlichkeitsprinzip. Er wollte seinen Körper nicht mit einem organischen Lösungsmittel verunreinigen. Ordnung und Reinlichkeit waren wichtige Elemente in Michaels Leben. Er nahm zwei- bis dreimal täglich eine Dusche und folgte dabei einem festen Ritual: dreimal einseifen und abduschen. Seine teure, aber minimalistisch eingerichtete Wohnung in dem neuen In-Viertel um Islands Brygge war von einer strengen Ordnung geprägt und seine Mutter machte bei ihm sauber jeden Tag. Er war nahe daran gewesen, sie zu schlagen, als er eines Tages Staub auf einem Türrahmen entdeckt hatte, aber sie hatte sich entschuldigt und geweint, und seitdem hatte er an ihrer Putzarbeit nichts mehr auszusetzen gehabt. Irgendwo in seinem tiefsten Inneren wusste er, dass man die eigene Mutter nicht schlägt, doch es war auch nur einige wenige Male passiert. Im Übrigen war es ihre Idee gewesen, bei ihm sauber zu machen. Sie war selbst ein Ordnungsmensch und die Einzige, die wirklich verstand, dass Unordnung und Schmutz ihm physische Schmerzen bereiteten. Bei ihm musste alles immer schön gerade und symmetrisch geordnet sein und im Paradieslager im Irak war eine Anekdote im Umlauf gewesen, dass er nach einem Gefecht mit ein paar aufrührerischen Irakern die Leichen in eine gerade Reihe gelegt hatte. Doch davon einmal abgesehen, war sein Ordnungs- und Sauberkeitstick beim Militär von Vorteil gewesen. Blank polierte Stiefel und gut geschmierte Waffen zu präsentieren, musste man ihm nicht erst befehlen. Sein Drang zur Reinlichkeit hatte ihn jedoch auch zu einem Einzelgänger im Soldatenmilieu gemacht, denn er interessierte sich auch nicht für Pornos und Sex. Allein der Gedanke an den Schweiß und den Schleim des sexuellen Akts ließ Übelkeit in ihm aufsteigen. Während die anderen sich unter ihren stöhnenden Laptops einen herunterholten, ging er auf die Toilette und onanierte zu seinem eigenen Konfirmationsbild. Er hielt seinen Penis mit Toilettenpapier fest und onanierte direkt in das Pissoir. Er akzeptierte seinen Sexualtrieb ebenso nüchtern wie das Bedürfnis, seine Notdurft zu verrichten. Sein Kontaktmann, Frederik, hatte nur wenig und andeutungsweise von sich erzählt. »Spezialaufgaben« hatte er bedeutungsvoll gesagt. »Militär und Nachrichtendienst, In und Ausland auf ziemlich hohem Niveau.«
»Was bedeutet das?«, fragte Michael. »Dass du mich treffen darfst«, antwortete Frederik. »In Zukunft halten wir persönlichen Kontakt, aber es gibt gewisse Sicherheitsvorkehrungen. Frag nicht nach Namen, Wohnung oder Stellung. Ich nehme Kontakt zu dir auf, wenn es nötig ist. Oder du rufst die Nummer an, die ich dir gegeben habe.« »Ja, gut«, antwortete Michael und zog sich leicht zurück. Frederik hatte Mundgeruch. Ein persönlicher Kontakt zu ihm war kein Gewinn. »Aber wie nennt sich unser Arbeitgeber?«, fragte er kurz darauf. »Glückskrieg«, kam es prompt von Frederik. »Wie bitte?« »Das ist der Deckname der Operation, mit der wir im Augenblick befasst sind ein wichtiger Teil der Terrorbekämpfung«, sagte Frederik. »Das klingt ein bisschen ja «, Michael suchte nach dem richtigen Wort. »Das ist nicht pathetischer, als ein dänisches Militärlager im Irak Camp Eden zu nennen«, unterbrach ihn Frederik. |
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