"In tiefem
Schlaf " von Gretelise Holm
Wenn die eigene Identität auf dem Spiel steht
Gretelise Holm verarbeitet in ihrem neuen Krimi "In tiefem Schlaf"
das Schicksal ostpreußischer Flüchtlinge in Dänemark,
die dänische Teilnahme am Irak-Krieg und kombiniert dies mit einem
Mord, der Verschwörungstheorien Tür und Tor öffnet.
Eine der größten - und am erfolgreichsten verschwiegenen
- Schiffskatastrophen ereignete sich am 31. Januar 1945, als das Flüchtlingsschiff
"Wilhelm Gustloff" mit mehreren Tausend Flüchtlingen
an Bord versenkt wurde. Dass dieser zutiefst inhumane Akt überhaupt
ins deutsche (Ge-)Wissen vorgedrungen ist, verdanken wir Günter
Grass, der mit seinem Roman "Im Krebsgang" 2002 ein bis dato
tabuisiertes Thema aufgriff, nämlich das Leid der deutschen Zivilbevölkerung
im Zweiten Weltkrieg, hier namentlich das der ostpreußischen Flüchtlinge.
Erstmals wurden Deutsche als Opfer - und nicht als Täter - des
Zweiten Weltkrieges gezeigt. Das erregte die Gemüter und eine lebhafte
Debatte war die Folge. Inzwischen hat auch dieses einst so ins Vergessen
verdrängte Thema Eingang in die massenmediale, deutsche Aufarbeitung
der Geschichte gefunden - Guido Knopp sei Dank. So könnte es passieren,
dass "In tiefem Schlaf", ein neuer Roman, der sich dieses
Themas annimmt, geräuschlos das Feuilleton passiert. Das wäre
schade, denn bemerkenswert ist, dass sich mit Gretelise Holm ausgerechnet
eine Dänin daran macht, das Schicksal ostpreußischer Flüchtlinge
in Dänemark zu beleuchten. Im Allgemeinen nämlich tun sich
die Skandinavier schwer damit, ihr eigenes Verhalten beziehungsweise
das ihrer Regierungen während des Zweiten Weltkrieges aufzuarbeiten.
Zuletzt tat dies Henning Mankell in "Die Rückkehr des Tanzlehrers"
im Jahr 2000 - und erregte damit in seinem Heimatland Schweden beinahe
so viel Aufmerksamkeit wie zwei Jahre später Günter Grass
mit "Im Krebsgang" hierzulande. Nun aber also Dänemark.
Spurensuche in der Vergangenheit
Gretelise Holm, hierin ganz Skandinavierin, verpackt dieses brisante
Thema in einen Kriminalroman, ihren dritten um die Journalistin Karin
Sommer. Die erhält eines Abends einen ominösen Anruf eines
Unbekannten, der ihr brisantes Material anbietet. Doch die routinierte
Kriminalreporterin wittert einen Betrüger und geht nicht zum
vereinbarten Treffpunkt. Ein unglücklicher Zufall will stattdessen,
dass die Redaktionssekretärin Anita dort auftaucht. Am nächsten
Morgen wird sie ermordet aufgefunden. Für Karin Sommer und die
ermittelnde Polizei ist bald klar: Jemand will sie ermorden! Doch
warum? Bei ihrer Suche nach den Hintermännern muss sich die 50jährige
Journalistin auf eine Spurensuche in die Vergangenheit ihres Landes
begeben, die, mehr als sie ahnt, auch ihre eigene ist.
Wie das persönliche Schicksal das politische einer ganzen Nation
widerspiegelt
Dem Leser offenbart sich die Antwort peu à peu mittels einer
Nebenhandlung, die von dem scheinbar nicht abreißen wollenden
Flüchtlingsstrom erzählt, der sich in den letzten Monaten
des Krieges von Ostpreußen gen Norden ergießt. Bei Kriegsende
befinden sich schließlich 240 000 deutsche Flüchtlinge
in Dänemark, und einer davon spielt eine ganz entscheidende Rolle
in Karin Sommers Leben (übrigens auch im tatsächlichen Gretelise
Holms). Wenn am Ende die Wahrheit offenbar wird, ist nicht nur ein
Mord, der kühnen Verschwörungstheorien Tür und Tor
öffnet, aufgeklärt worden. Vielmehr steht Karin Sommers
gesamte Identität auf dem Spiel. Doch ihre Suche konfrontiert
sie nicht nur mit dem 60 Jahre zurückliegenden Krieg der Deutschen,
sondern auch mit dem Irak-Krieg, an dem Dänemark an der Seite
der USA teilnimmt. So ist Gretelise Holms "In tiefem Schlaf"
im besten Sinne skandinavisch: tagespolitisch Stellung nehmend und
aktuell auch dort, wo es um die unaufgearbeitete Vergangenheit geht
sowie mit einer - für deutsche Verhältnisse - unkonventionellen
(Auf-)Lösung des Mordes und seinen Implikationen, spannend und
intelligent aufbereitet.
Vielen Dank an Alexandra Hagenguth
© Januar 2006 Literaturportal schwedenkrimi.de - Krimikultur Skandinavien
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"Ein anständiger
Mord" von Gretelise Holm
Karin Sommer arbeitet als Journalistin für eine
Tageszeitung in der Provinz Südseelands. Als sie damit beauftragt
wird, über ein Familiendrama zu berichten, bei dem der Mann zuerst
Frau und Kind und anschließend sich selbst erschossen hat, stößt
sie auf einige Unstimmigkeiten in den Ermittlungen der örtlichen
Polizei. Bald häufen sich die Hinweise, die einen anderen Hergang
der Tragödie vermuten lassen. Doch Beweise verschwinden, und weitere
Morde deuten eine Verbindung zur litauischen Mafia und dem Handel mit
Prostituierten an.
Aber je mehr Karin recherchiert, umso mehr gerät sie selbst in
ein Netz aus Verschwörung und Vertuschung. Als sie ihre Katze tot
in einer Plastiktüte an ihrer Wohnungstür aufgehangen findet
und sie zu nachtschlafender Zeit Besuch von einem maskierten Mann erhält,
der sie massiv bedroht, zeigt der Psychoterror seine Wirkung. Der in
der Angelegenheit zu Rate gezogene Amtsarzt stellt eine Form von Verfolgungswahn
fest, mit der Karin schon Jahre zuvor zu kämpfen hatte. Mit der
Diagnose Paranoia wird sie schließlich eingewiesen. Reputation
und Glaubwürdigkeit der Journalistin werden mehr und mehr in Zweifel
gezogen, und alsbald stellt sich die Frage, ob Karins Behauptungen ihren
Ursprung in ihrer psychischen Labilität haben oder der Wahrheit
entsprechen.
Doch zum Glück kann sie sich auf die Menschen in ihrer Umgebung
verlassen. Da ist ihr junger Kollege Thomas, bei dem sie Unterschlupf
findet, nachdem sie aus der Psychiatrie geflohen ist und mit dem sie
eine leidenschaftliche Affäre verbindet. Auch ihr Bruder Klaus,
führender Kopf in Wirtschaft und Politik der Provinz, und seine
Frau Ellen bieten Karin ihre rückhaltlose Unterstützung an.
Aber einzig die Anwältin Andrea Vendelboe, zu der sie kurz vor
ihrer Einweisung Kontakt aufgenommen hatte, schenkt Karins Theorien
und Annahmen Glauben und versucht gemeinsam mit Polizeiinspektor Halfdan
Thor, den Hintergrund der Verbrechen aufzuklären.
"Ein anständiger Mord" (Paranoia) ist in erster Linie
ein realistischer und spannender Kriminalroman mit psychologischem Hintergrund
(der Prolog gehört sicher zum Besten, was das Genre in dieser Hinsicht
in den letzten Jahren hervorgebracht hat).
Die Autorin rückt das noch weitgehend unerforschte Grenzland
zwischen Eigennutz und Selbstsucht einer- und sozialisierter Psychopathie
andererseits ins Zentrum der Handlung. Doch geht es in dem Buch nicht
nur um die so zu sagen rein technische Aufklärung der Morde, sondern
der Krimi bildet daneben den Aufhänger für einen zeitgenössisch-kritischen
Gesellschaftsroman, ist Motor der Auseinandersetzung mit unterschiedlichen
Phänomenen unserer Zeit wie Vereinsamung, Egoismus, Einwanderung,
Drogenmissbrauch und sklavengleichem Frauenhandel in den armen Ländern
Osteuropas. Insbesondere der opportunistische und nahezu ausschließlich
von ökonomischen Überlegungen geleitete Umgang der Medien
mit diesen zeittypologischen Entwicklungen und Tendenzen liegt der Autorin
am Herzen und wird von ihr in diesem Buch immer wieder thematisiert.
Doch ist bei Gretelise Holm nicht alles hoffnungs- und ausweglos. Ihre
Heldinnen beweisen durch ihr mutiges Auftreten und unbeirrbares Handeln,
dass sich zwar nicht alles, aber immerhin einiges zum Guten wenden lässt.
Dabei legt die Verfasserin einen feministischen Blickwinkel an, der
sich jedoch nicht in einer der zuletzt fast handelsüblichen Schilderungen
einer erfolgsverwöhnten Karrierefrau um die Dreißig mit Sport-Cabrio,
Hugo-Boss-Modell im heimischen Bett und allzu vielen Verehrern äußert.
Ihr geht es vielmehr darum, zu zeigen, dass man auch jenseits der Fünfzig
und ohne Villa, `Edelflitzer´ und ebenso wilde wie ständig
wechselnde Liebhaber ein Leben als Frau führen kann. Die männlichen
Figuren sind dabei allenfalls als zumindest teilweise willkommenes Beiwerk
anzusehen.
Buchtipp |
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Gretelise Holms Buch stellt auf diese Weise einen Mix verschiedener
Genre dar, in dem aber die Krimihandlung stets das Triebwerk des Geschehens
bleibt. Dank dieser gekonnt komponierten Mischung aus Krimi, Gesellschafts-
und Frauenroman und Dank der erzählerischen Qualitäten der
Autorin ist ein Roman von internationalem Format entstanden, der den
Vergleich mit den Werken anderer Erfolgsautorinnen sowohl aus Skandinavien
wie Liza Marklund, Anne Holt oder Juliane Preisler als auch aus Deutschland
wie Petra Hammesfahr nicht zu scheuen braucht. Vor dem Hintergrund der
ungebrochenen Erfolgswelle vor allem skandinavischer Krimis und der
starken Stellung der Literatur aus Skandinavien in Deutschland im Allgemeinen
sind "Ein anständiger Mord" (Paranoia) auf dem deutschen
Buchmarkt beste Chancen einzuräumen.
Vielen Dank an Patrick Zöller
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