Leseprobe
Das Geschoß war durch das rechte Brillenglas des Opfers
in den Kopf gedrungen, hatte das Auge durchschlagen, den oberen Teil des
Stammhirns durchquert und sich dann beim Aufprall auf den Schädelknochen
des Hinterkopfes gedreht. Daher gab es kein gewöhnliches Austrittsloch,
sondern einen Krater im Hinterkopf, und die Druckwelle hatte etwa ein
Drittel der Gehirnsubstanz hinausgepreßt.
Die starke Verunreinigung des Brillengestells durch Ruß- und Korditreste
deutete darauf hin, daß der Schuß aus einer Entfernung von
weniger als zwanzig Zentimetern abgefeuert worden war. Es gab keinerlei
Spuren eines Kampfes.
Schon der bloße Tathergang hätte genügt, um sofort umfassende
polizeiliche Ermittlungen in Gang zu setzen. Aber dies war in jeder Hinsicht
ein Mord, der weit über das Alltägliche hinausging.
Die meisten Morde, die sich in Schweden ereigneten, knapp zehn im Monat,
sind triste Geschichten, die in der eigentlichen Bedeutung des Wortes
nicht aufgeklärt werden müssen, weil Täter und Opfer sich
kennen und sich in betrunkenen Zustand entweder totschlagen oder einander
mehr oder weniger versehentlich erstechen; oder aber ein Ehemann ist der
Meinung, sein Leben sei zu Ende, weshalb er seine Frau und schlimmstenfalls
auch seine Kinder ermorden müsse. Dann packt ihn die Reue in dem
Augenblick, in dem er Selbstmord begehen will; diese Mörder stellen
sich selbst oder werden in der Regel betrunken am Tatort oder ganz in
der Nähe festgenommen. Sie sind verwirrt und von tiefer Reue erfüllt.
In gut der Hälfte aller Fälle kommt man zu der Ansicht, sie
litten an einer psychischen Abnormität, die einer Geisteskrankheit
gleichzustellen sei, was kürzeren oder längeren Aufenthalt in
einer sogenannten geschlossenen psychatrischen Anstalt nach sich zieht.
Die meisten schwedischen Mörder werden im Lauf eines Jahres von dieser
Therapie befreit, wobei die Dauer der Therapie gewöhnlich mit der
gesellschaftlichen Stellung des Mörders zusammenhängt. Bei Minderbemittelten
ist man so gut wie ausnahmslos der Ansicht, daß sie einen längeren
Anstaltsaufenthalt benötigen als Wohlhabende. All dies geschieht
mit dem stillen Einverständnis der Gesellschaft, und außerhalb
des Bezirkes, in dem der Mord begangen wurde, wird die Angelegenheit nie
Aufsehen erregen.
In diesem Fall jedoch war alles anders, ausgenommen vielleicht der Tod
selbst. Aber genau besehen war diesmal auch der Tod anders, da er sofort
eingetreten war.
Der Mord hatte zwischen sieben Uhr morgens, dem ungefähren Zeitpunkt,
an dem das Opfer seine Wohnung verlassen hatte, und acht Uhr morgens stattgefunden,
als man den Mann in seinem Dienstwagen an Manillavägen auf Djurgården
fand, dreihundertvierzig Meter von der Brücke an Djurgårdsbrunns
Värdhus entfernt. Der Ermordete hatte die Villa in Bromma demnach
wie gewöhnlich verlassen und sich in seinen Wagen gesetzt. Daraufhin
war er in die Stadt gefahren, hatte irgendwo den Mörder aufgelesen,
und dann hatte die anschließende Autofahrt irgendwo auf Djurgården
ihr Ende gefunden.
Buchtipp |
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Die Mordwaffe lag noch im Auto, im Seitenfach der Tür neben dem Beifahrersitz.
Der Mörder war nach dem Schuß noch sitzengeblieben, vielleicht
um Fingerabdrücke oder andere Spuren zu entfernen. Dann hatte er
die Waffe in das Seitenfach der Tür gesteckt, war ausgestiegen und
weggegangen. Der Waffentyp war eine 7,62 mm Tokarew m/59 mit einem achtschüssigen
Magazin, eine Standardwaffe der Roten Armee.
Der Reichspolizeichef erhielt eine Nachricht, als er fünf Minuten
nach neun in seinem Wagen zum Flughafen Arlanda unterwegs war. Bei der
nächsten Abfahrt befahl er dem Fahrer umzukehren und fuhr mit Blaulicht
in die Stadt zurück. Punkt zehn Uhr hatte er eine ansehnliche Zahl
seiner untergebenen Abteilungsleiter zu einer Konferenz versammelt.
Von den in diesem Zusammenhang selbstverständlichen Teilnehmern abgesehen,
den Leitern der Dezernate Gewaltverbrechen und Fahndung, war noch eine
Gruppe anwesend, die nur selten in Mordermittlungen eingeschaltet wird.
Ihre Anwesenheit war jedoch durchaus begreiflich, denn der Mann, der am
Morgen ermordet worden war, war einer ihrer Kollegen aus der sogenannten
"Firma".
Axel Folkesson war stellvetretender Polizeipräsident in der Sicherheitsabteilung
der Reichspolizeidirektion gewesen. Weniger formell könnte man sagen,
daß er ein hoher Beamter der Sicherheitspolizei war, und wenn man
das Ganze noch weiter verdeutlichen will - was die Abendzeitungen ohne
Zweifel schon am selben Nachmittag tun würden-, läßt sich
kurz sagen, daß der Mann, der die höchste operative Verantwortung
für die Terroristenbekämpfung der schwedischen Sicherheitspolizei
hatte, von einem Terroristen ermordet worden war.
Danke an den Piper Verlag für die Veröffentlichungserlaubnis. |