Leseprobe
Die Bodega Quo vadis?
und gewisse Konsequenzen
I. Über die Auffassung, die Eltern von ihren Kindern haben, ließe
sich viel schreiben. Pauls Vater hatte sicherlich keine besondere Meinung
von seinem Sohne, als er ihn aussandte, um seine Eselinnen zu suchen;
und doch kehrte er mit einer Königskrone zurück. Mein Vater
pflegte von mir zu sagen, wie Gustav III. von seinem Sohne:
Mit dem wird es ein böses Ende nehmen. Er ist zu frech und
faul, um irgend etwas zu werden.
Dies sage ich nicht, um mich mit Paul, der König wurde, oder Gustav
IV.-Adolf, der abgesetzt wurde, zu vergleichen; ich sage es nur, um zu
zeigen, daß man nie wissen kann, wie es geht.
Mein Vater betrachtete mich als unmöglich und hielt den Grund für
atavistisch: Ich erinnerte in allem und jedem Frechheit, Eigensinn
und Faulheit an seinen Bruder John. Diesen machte er zu meinem
geistigen Urheber und zu dem, der vor der Nachwelt die Verantwortung
für mich tragen mußte wie für eine eigene Schuld. Onkel
John starb, als ich zehn Jahre alt war, kurz nachdem er aus dem Ausland
zurückgekehrt war. Onkel John hatte meiner Familie große
Enttäuschungen bereitet. In seiner Jugend hatte er sehr rasch all
sein Hab und Gut durchgebracht. Dazu brauchte er nur ganz wenige Jahre.
Die Familie mußte eingreifen, und Onkel John wurde in verschiedenen
Berufszweigen untergebracht. Er zeigte einen totalen Mangel an Neigung
für alle und die größte Abneigung gegen alles, außer
jeden Monat um Geld zu schreiben. Er ging seinen Gang durch die Familie
auf seiner Suche nach Geld wie die Sonne ihren Gang durch den Tierkreis.
Als das nicht länger möglich war, ging er zur See, und als
ein Jahr nach dem anderen verschwand, ohne daß er um Geld schrieb,
zog man den einzig denkbaren Schluß: Onkel John lebte im Wohlstand
im Ausland. Daß er lebte, ging aus der einen oder anderen Ansichtskarte
hervor. Es erregte darum Gefühle, deren ich mich noch entsinne,
als Onkel John plötzlich heimkam und starb, ohne etwas anderes
zu hinterlassen als drei Packlisten voll Kuriositäten. Da waren
Götzen aus Australien, China und Mexiko und Waffen aus China, Mexiko
und dem Kongo. Meine Familie, die ganz ohne ethnologische Interessen
war, betrachtete diese Erbschaft mit Kälte. Man sprach von Onkel
John als von einem Menschen, auf den man Hoffnungen gesetzt hatte, die
von ihm schmählich enttäuscht worden waren. Ein einfacher
Grabstein wurde auf dem Friedhof für ihn errichtet.
Soviel von Onkel John, meinem geistigen Vater. Ich erinnere mich seiner
dunkel aus meiner Kindheit als eines langen, sehnigen Mannes mit einem
buschigen Schnurrbart. Besser erinnere ich mich seiner drei Packkisten
aus denen wir Kinder uns lange alles holten, was wir für unsere Spiele
brauchten. Bei uns war Onkel John populär. Nach und nach, als die
Zeit verging und ich älter wurde, erkannte ich, daß sich unter
Onkel Johns Reliquien möglicherweise recht interessante und wertvolle
Dinge befanden. Ich dekorierte das Zimmer, das mir so allmählich
zu Hause eingeräumt wurde mit einem Teil davon, und als ich nach
der Auflösung des Heims in die Welt hinauszog, hatte ich noch einige
der Reli-quien als Erinnerung an ihn mit. Ich wollte eine solche Erinnerung
haben. Er war es ja, der die Verantwortung für meinen Charakter trug
Faulheit, Frechheit und Eigensinn, alles komplett. Ich werde den
Leser nicht mit einer Aufzählung der Lebensbahnen ermüden, auf
denen ich diese Eigenschaften fruchtbringend zu betätigen versuchte.
Ich will gleich zur Hauptsache kommen. Nachdem ich mich als Apotheker,
Journalist und Zollbeamter versucht hatte, wurde ich Sensationsschriftsteller.
Bei diesem Punkt angelangt, werfe ich einen Blick zurück und finde,
daß der Leser mich eines Verstoßes gegen die Logik beschuldigen
kann. Ich sagte, man könne nie wissen, wie es geht. Der Leser kann
sagen: Wenn man unter solchen Voraussetzungen anfängt wie Sie,
ist es wahrscheinlich, daß man das wird, was Sie wurden. Ihr Vater
hat richtig prophezeit. Man muß faul sein, um keinen anderen Beruf
finden zu können, frech, um sich ihm zu widmen, und eigensinnig,
um dabei zu bleiben.
Dies ist an und für sich unzutreffend. Wäre ich von einer
höheren Plattform gestartet, hätte ich auch Assessor und Reichstagsabgeordneter
werden können. Aber ich bin großgesinnt und verzichte darauf,
weiter darüber zu diskutieren. Jedenfalls bereitete mir mein erster
Sensationsroman eine angenehme Überraschung. Er war das erste sichtbare
Resultat meiner Gegenwart auf Erden. Ich hatte schon aufgehört,
irgendeinen Beweis dafür zu erhoffen. Ich war mit meinem Roman
zufrieden. Ich fand ihn amüsant und originell. Ich schrieb noch
ein Buch und noch mehrere. Ich entdeckte in mir Tiefen einer verbrecherischen
Phantasie, die ich mit einem Gemisch von Entzücken und Grauen erforschte.
Onkel Johns Erbe schien doch umfassender gewesen zu sein, als mein Vater
oder ich geglaubt hatten. Ich schwelgte in Schilderungen mystischer
Ereignisse; ich erdachte die kühnsten Abenteuer, und wenn meine
Helden sich in spannenden Situationen befanden, trat mir mit ihnen der
kalte Schweiß aus den Poren. Wenn ich schrieb, war die Welt, in
der ich lebte, weniger wirklich als diese andere. Und doch
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Es gab ein großes: Und doch. Das war das Leben, das ich in Wirklichkeit
liebte. Das ernüchterte mich jedesmal, wenn ich dazu zurückkehrte,
wie eine kalte Dusche. Es war das Leben eines gewöhnlichen Spießbürgers.
Ich bewegte mich in einem Kreislauf vom Tisch zum Bett. Ich schlief,
aß und trank zu bestimmten Stunden. Ich hatte regelmäßige
Einkünfte wie ein Spießbürger. Mein Verkehr war der
eines Spießbürgers. Die Abenteurer und Verbrecher, von denen
ich dichtete, hatte ich mit keinem Auge gesehen. Das Leben, das sie
lebten, war nie mit meinem zusammengestoßen. Ich war nicht einmal
bestohlen worden. Ich wurde von einem wachsenden Widerwillen vor mir
selbst ergriffen. Tief in meinem Inneren vermutlich ein Erbteil
meines lebenden Vaters wohnte eine Stimme, die sagte: Du
hast ärger geendet, als ich glaubte. Du lebst von einer Lüge!
Zwischen deiner Lehre und deinem Leben klaffte jener Zwiespalt, der
die Auflösung so mancher Kirchengemeinde herbeigeführt hat.
Nicht genug, daß du frech, faul und eigensinnig bist; du bist
feig
Hier wollte ich nicht länger auf die Stimme hören. Da ich
sie in keiner anderen Weise zum Schweigen bringen konnte, beschloß
ich, ins Ausland zu reisen, um neue Gesellschaft zu finden und gleichzeitig
eine der Städte zu sehen, die ich beschrieben hatte. Ich fuhr nach
Kopenhagen.
Ich fand eine bunte Gesellschaft, aber Erlebnisse, wie ich sie selbst
geschildert hatte, fand ich nicht; denn jene Bequemlichkeit, die die
Stimme in meinem Innern Feigheit genannt, bewirkte es, daß ich
mich auch weiter an ruhige und bürgerliche Lokale hielt. Bis es
eines Tages geschah, daß mir das Schicksal gewissermaßen
lächelnd ein Abenteuer sandte, phantastischer als alle, die ich
zusammengedichtet hatte. Es war, als hätte es gesagt: Jetzt sollst
du einmal sehen, wie es zugeht!
Das war im Herbst 1912.
Danke an den Achilla Presse Verlag für die Veröffentlichungserlaubnis. |