Die beiden Matrosen saßen auf wackeligen Barhockern und tranken
kein Bier, obwohl sie reichliche Mengen Mack-Flaschen in Reichweite
hatten, in dem schwarzlackierten Kühlschrank hinter dem Tresen.
Sie hatten eine seit undenklichen Zeiten nicht mehr benutzte Kaffeemaschine
angeworfen, und sie hatten ihre mit Ankern bemalten Tassen auf den Resopalbelag
des Tresens gestellt, der im Laufe der Jahre durch Bierspritzer und
Brandspuren selbstgedrehter Zigaretten eine gewisse Patina entwickelt
hatte.
Der eine Matrose strich sich mit der linken Hand die unvorschriftsmäßig
langen und unnorwegisch dunklen Haare aus dem Gesicht und verrührte
mit einem braungesprenkelten Tierknochen, den er in der rechten Hand
hielt, Zucker in seiner Tasse. An einem der langen Finger dieser Hand
steckte ein Silberring mit einem Totenkopf. Den Ring hatte er von seiner
Mutter zur Konfirmation erhalten. Der Knochen, mit dem er rührte,
war ebenso lang wie ein durchschnittlicher erigierter Männerpenis,
also nach den jüngsten Untersuchungen 16,5 Zentimeter.
"Hast du irgendeine Ahnung, auf was für Scheißärsche
wir hier warten?", fragte der andere Matrose. Das Namensschild
auf seinem dunkelblauen Troyer verriet, dass er Aronsen hieß.
Er war untersetzt und hatte den marineüblichen blonden Kurzhaarschnitt.
In seinem runden, winterbleichen Gesicht waren Spuren von schwarzer
Schminke mit einem leichten Einschlag von Grün zu sehen.
"Große Kanonen, nehme ich an. Die lassen uns Decksjungs doch
immer schimmelig werden."
"Du hast dein Namensschild vergessen", sagte Aronsen.
"Und du die Kuh. Außerdem hättest du dir die Tarnbemalung
aus der Visage waschen müssen."
"Wir kommen doch gerade von einer Nahkampfübung", sagte
Aronsen. "Wir sind immer im Manöver. Wir haben uns zu einem
ununterbrochenen Feldmanöver von vier Jahren anwerben lassen."
Aus den Taschen fischte der eine ein Namensschild, der andere ein vergoldetes
Abzeichen. Dieses Abzeichen ist das Symbol der Marinejäger und
wird in ihrem Jargon die "Marinejägerkuh" genannt. Warum
es Kuh heißt, weiß längst niemand mehr. Es ist ein
ziemlich seltsamer Name, wenn wir das Motiv betrachten. Denn das goldene
Abzeichen zeigt zwei übellaunige Fische, von denen jeder mit seinem
Stirnknorpel ein Krönchen stemmt, während sie über ein
stark stilisiertes U-Boot hinwegschwimmen. Die beiden Fische haben eine
leichte Ähnlichkeit mit Seeungeheuern, nichts aber verbindet sie
mit dem Säugetier, das "Seekuh" genannt wird.
Die Matrosen befestigten Schild und Abzeichen an ihren Troyern. Aronsen
drehte die Stereoanlage auf. "Get it on."
" Hank Von Helvete in Prachtform " stellte Aronsen fest.
"Wer hat denn eine Scheibe von Turboneger hier eingeschleppt? "
"Zwei verrückte Mädels aus Lødingen", erwiderte
Aronsen. "Sag mal, warum müssen wir gerade hier in der Bude
warten, wo sich doch höhere Offiziere angemeldet haben?",
fragte er dann.
Als Antwort bekam er nur ein Zucken der für einen Kommandosoldaten
nicht gerade breiten Schultern seines Kollegen. Wenn es auf der Bude
"Fest m/Damenbegl." gab, nahm der seinen Sombrero von der
Wand, musterte die geladenen Versucherinnen mit diabolischem Blick,
zog den Hut tief in die Stirn, verkündete, er sei das Blutrünstige
Mexikanische Skelett, forderte die Molligste zum ersten Tanz auf und
kitzelte sie an allen möglichen Stellen mit einer aus Gips und
Stahldraht gefertigten Knochenhand. Jetzt erhob er sich und drehte die
Musik aus.
Aronsen nahm das hin, setzte sich und schaute zu einem Blechschild über
dem Tresen hoch, auf dem in gotischen Buchstaben ein Motto kundgetan
wurde: "Die Hälfte seines Lebens wartet der Soldat vergebens."
Mit Filzstift waren hinter "vergebens" allerlei Zusätze
hinzugefügt worden: "auf den Russen" war ein alter. Er
war durchgestrichen und durch "auf den Chinesen" ersetzt worden.
Neuzugänge waren "auf Halle Berry" und "auf Osama".
Der Klassiker "auf Godot" war natürlich ebenfalls vertreten,
zusammen mit anderen bekannten Größen wie "auf Ehre",
"auf Essen" und "auf Mama".
Beide Marinejäger erfassten mit ihren geschärften Sinnen gleichzeitig,
dass jemand sich auf die Bude zubewegte. Sie hörten Schritte in
dem feuchten frischen Schnee und sahen durch das verdreckte Fenster
bei der Tür im trüben Tageslicht draußen Schatten. Die
Matrosen setzten ihre Käppis auf und rutschten von den Hockern.
Die Tür wurde geöffnet. Ein Windstoß fegte herein. Die
beiden Matrosen erkannten sofort den Mann, der den Raum als Erster betrat,
er war erst kürzlich in Ramsund gewesen, um das Marinejägerkommando
über neue Anti-Terror-Strategien zu informieren. In letzter Zeit
war er außerdem in den Veröffentlichungen des Militärs
und in der zivilen Presse aufgetreten, da er umstrittene Meinungen vertrat
und sich ehrabschneidend über eine hochwohlgeborene Person geäußert
hatte.
Die Matrosen nahmen Habacht-Haltung ein und salutierten.
Kommandeur Sørsæther tippte daraufhin seine eigene Mütze
mit zwei Wurstfingern an. Auch er trug ein Käppi, das schwarze
Modell, das die Marine-Offiziere benutzen, wenn es unpraktisch ist,
die übliche Uniformmütze mit dem blanken, mit Eichenlaub besetzten
Schirm zu tragen.
Buchtipp |
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Das überraschte Aufkeuchen, das keiner der beiden Matrosen unterdrücken
konnte, lag kaum daran, dass ihr absolut inoffizielles Freizeithaus
von einer Person im hohen Rang eines
Kommandeurs betreten wurde. Was sie überraschte, war vor allem,
dass dem Kommandeur zwei Männer in der grünen Uniform des
Heeres folgten. Personal vom Heer hatte noch nie seine verdreckten Füße
in die heilige Bude der Marinejäger gesetzt. Der Ältere der
Grünen trug auf seinen Schulterklappen die beiden Sterne eines
Majors, der andere war Leutnant. Der Leutnant schleppte eine große
Tasche, die er auf den Boden fallen ließ. Der Major hatte einen
kleinen Werkzeugkasten bei sich, den er nicht abstellte. Aus diesem
Kasten ragte ein Gegenstand hervor, der wie eine Satellitenschüssel
in Miniaturformat aussah. Beide Männer schienen zu frieren und
zugleich zu schwitzen, nachdem sie vom Militärhafen unten am Meer
im Schneegestöber durch den Birkenwald den Hang hochgeklettert
waren. Vom Ramsund her wehte cm scharfer Südwind und trieb schneehaltige
Wolken über den Ofotfjord.
Es war der Winter im neuen Jahrhundert, in dem die USA ihren Angriff
auf den Irak planten und verzweifelt nach einer Begründung für
diesen Feldzug suchten, am besten eine rauchende Pistole oder Personen,
die mit rauchenden Pistolen in Verbindung gebracht werden konnten. Die
NATO-Sprache hatte eine neue Abkürzung entwickelt, WMD, "Weapon
of Mass Destruction". Inzwischen war der Februar gekommen. Nur
wenige Tage zuvor hatten die Matrosen Bilder der Raumfähre Columbia
gesehen, die sich beim Landeanflug über Texas in brennende Bestandteile
aufgelöst hatte.
Der Kommandeur war clever genug gewesen, sich aus der Kleiderkammer
der Marine ein nützliches Teil mitzunehmen, nämlich die beschützende
und zugleich atmungsaktive Allwetterjacke - die so genannte Panzerkutte
- die in den besten Labors in Deutschland und Trondheim nicht
weniger als vier Jahre lang getestet worden war, ehe sie für würdig
genug befunden werden konnte, im, wie es hieß, "Konzept für
blaues Regulativ" zur Anwendung zu kommen. Er wischte sich Schnee
von der Jacke. Sie war ein wenig zu groß für ihn. Die Reflexbänder
an den Ärmeln verbargen seine Hände, wenn er die Arme herunterhängen
ließ.
"Wir sind ein frisch gegründetes Team für Anti-Terror-Maßnahmen,
das soeben im Norden das Vardø-Radar inspiziert hat", teilte
der Marine-Offizier den Matrosen mit. "Ihr kennt mich ja. Der Ordnung
halber: Ich bin Kommandeur Sørsæther. Ich habe - da ich
ohnehin hier in der Gegend bin - den Befehl des Oberkommandos erhalten,
euch beide mündlich über einen Sonderauftrag zu informieren,
zu dem ihr abkommandiert worden seid. Die Heeresvertreter haben mich
hierher begleitet, weil sie eure Butze einer elektronischen Sicherheitsüberprüfung
unterziehen sollen, ehe wir weiterquatschen können."
Die beiden Grünen schauten sich im Raum mit kritischer Miene um,
dann verließen sie die Barabteilung und rumorten im Hinterzimmer
herum, wo sich die Küche befunden hatte, damals, als die Bude ein
normales Wohnhaus einer normalen und schlichten Bauernfamilie gewesen
war.
"Wenn die hier Dinge finden, die der Feind installiert hat, dann
fall ich aber wirklich aus allen Wolken", sagte der Kommandeur
zu den beiden weiterhin strammstehenden Matrosen. "Aber jetzt rührt
euch doch, verdammt noch mal, Leute, setzt euch aufs Sofa. Kann ich
mich hier irgendwo hinsetzen?"
Er schob einen mit einer Motorsäge aus sibirischem Treibholz zurechtgezimmerten
Holzstuhl an den verrosteten Holzofen, öffnete die Ofentür
und warf eine Hand voll Reisig aufs Feuer. Die Matrosen legten ein Rentierfell
auf den durchlöcherten Skaibezug des Sofas, ehe sie sich setzten.
Ihre Kaffeetassen stellten sie auf den Deckel eines WC aus rostfreiem
Stahl, das als Couchtisch Dienst tat.
Kommandeur Sørsæther musterte ihre Namensschilder.
"Aronsen, ja", sagte er. "Du hast deinen ersten seriösen
Auslandsejnsatz tief im bosnischen Winterwald absolviert und Jagd auf
General Ratko Mladic gemacht. Die Marine landet wahrlich an den seltsamsten
neuen Frontabschnitten. War nicht leicht, in dem vielen Schnee in der
olympischen Landschaft um Sarajewo den Bau dieses gerissenen serbischen
Fuchses zu finden, was?"
Danke an den Stegemann Verlag für die Veröffentlichungserlaubnis.