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Es ist ein paar Jahre her, als
im Ariadne Verlag ein Krimi der finnischen Autorin Leena Lehtolainen
erschien. Mittlerweile hat sich der Rowohlt Verlag ihrer angenommen
und realisiert die Übersetzung und Herausgabe ihrer bisher insgesamt
acht Krimis um die rothaarige Kommissarin Maria Kallio. Den Anfang dieser
Reihe machte interessanterweise nicht der erste Roman, sondern ein späterer
in dem Kallio eine Nebenrolle spielt. Warum das so ist und was es sonst
über "Zeit zu sterben" zu erzählen gibt, dazu ein Gespräch
mit Leena Lehtolainen, das Frank Keil führte.
Der Roman spielt in einem Frauenhaus. Gab es einen Grund für dieses Thema? Ich habe oft in meinen Bücher über häusliche Gewalt geschrieben, aber sie stand nie im Mittelpunkt. Ich denke, dass häusliche Gewalt noch immer tabuisiert ist und die Leute sich scheuen, sich damit zu beschäftigen. Passiert es, wird es meist tot geschwiegen und ich wollte in meinem Buch schildern, was passiert, wenn man damit nicht an die Öffentlichtkeit geht; wenn man ganz konkret nicht zur Polizei geht und seinen eigenen Mann oder Lebensgefährten anzeigt. Und ich wollte auch eine Geschichte schreiben über einen Menschen, den man einfach übergeht; so wie man über einen Teppich geht, der auf dem Fußboden liegt. Es funktioniert ganz gut, dass Ihre Heldin mal keine Polizistin ist ... Ich habe das gehofft. Ehrlich gesagt bin ich ein Fan von Ingrid Noll. Und sie macht es ja so ähnlich. Und ich wollte eben über die Form häuslicher Gewalt schreiben, von der die Polizei in der Regel nichts erfährt. So konnte ich keine Polizistin als Heldin gebrauchen. Sie schildern unangenehme, prügelnde Männer. Aber die Finnen sind doch so lustige Kaurismäki-Typen; betrunken, seltsam, aber harmlos ... Es gibt eben auch die anderen; die ihre Frauen und auch Mütter drangsalieren. Es ist - glaube ich - eine realistische Schilderung von finnischen Männern, die keinerlei Selbstwertgefühl haben. Ich schreibe vielleicht über einfache Menschen; nicht unbedingt über die schrägen Vögel, die es bei uns auch gibt und von denen Kaurismäkis Filme leben. Als ich anfing zu diesem Buch zu recherchieren, berichtete mir eine Freundin über ihre Arbeit in einem Frauenhaus. Und ich erfuhr, dass die Frauen, die dort Zuflucht fanden, daheim Dinge erlebt hatten, von denen ich bisher geglaubt hatte, dass es sie so nicht mehr gibt. Die interessanteste Figur in Ihrem Buch ist der Therapeut im Frauenhaus ... Ja. Er ist von der religiösen Idee geprägt, dass eine Familie an sich zusammenfinden und zusammen leben muss - was immer auch der Preis für die Frau ist. Es gibt durchaus viele christliche Kreise, die das so sehen. Vielleicht 15, 20% der Finnen ... So viele? Ja, durchaus. Dieser Therapeut möchte eigentlich Macht über Frauen haben. Er will die Menschen führen, leiten. Er will, dass sich die Ehepartner dem fügen, was er für richtig hält. Eigentlich will er den Menschen nicht helfen. Er will sie bevormunden.
Er ist einerseits sehr weich und einfühlsam,
dann untergründig sehr aggressiv ... Aber als Säde - meine Heldin - als seine Mitarbeiterin ihren eigenen Weg geht, bekommt er Angst. Er ist sehr ähnlich gestrickt wie sein männliches Klientel. Er akzeptiert Frauen nicht wirklich. Sie erzählen zugleich eine Aschenputtelgeschichte ... Meine Heldin sollte natürlich am Ende eine andere sein, als sie am Anfang gewesen ist. Dass sie dabei eine Mörderin wird, ist kurioserweise ihre einzige Chance, ein wenig Spaß am Leben zu haben. Sie ist der Typ des guten Mörders ... Am Anfang ist sie davon entsetzt. Es geschieht einfach, dass sie für den Tod eines Menschen verantwortlich ist. Sie ist nicht eigentlich eine Mörderin. Ihre Tat ist nicht geplant. Sie möchte nur mehr sein, als die graue Maus, die ihr Leben fristet. Und es ist auch eine Geschichte über die Scham ... Ja, tatsächlich. Meine Heldin hat sich ihr ganzes bisheriges Leben geschämt. Ihre Eltern haben ihr das Gefühl gegeben, dass Söhne wichtiger sind als Töchter. Es ist ein wenig schade, dass ihr Name ins Deutsche übersetzt, nicht voll zur Geltung kommt: Säde meint 'Strahl' bzw. 'Strahlung'; etwa Sonnenstrahl. Ihre Brüder haben dagegen typisch kraftvoll-männliche Namen.
Interessant! Keine schlechte Assoziation ... Was geschieht nach dem letzten Satz: "Dann erzählte ich ihm alles." ? Das können Sie sich selbst ausmalen! Es ist ein guter Schluss. Von denen, mit denen ich geredet habe, wollten gut 80%, dass sie nicht für ihre Taten ins Gefängnis muss. 80% würden einer Mörderin vergeben. Ihre Heldin hadert oft mit Gott. Sie fragt sich, ob sie glauben kann oder nicht ... Warum ist das so wichtig für die Geschichte? Sie hat eine Art Kinderglauben. Das hat sie sehr geprägt, auch wenn sie eine erwachsene Frau ist. Und sie verliert diesen schlichten, einfachen Glauben. Dann hört sie Bach ... Seltsam: In Finnland fragt niemand nach diesen Dingen. Wir sind so lutheranisch. Wir fragen nicht groß nach dem Sinn von Glauben. Aber Säde hört Bach. Sie sehnt sich nach Gnade. Ist das für Sie selbst wichtig? Ehrlich gesagt weiß ich gar nicht, was ich von Glaubenssachen halten soll. Aber ich kann es nachvollziehen, wenn Menschen gläubig sind. Und Bach ist für mich ganz persönlich eine wichtige Sache. Er ist mein Lieblingskomponist. Säde ist außerdem ein wenig durcheinander; weiß nicht, wohin sie mehr gehört: Zu den Lutheranern oder zu den eher Orthodoxen. Denn sie kommt ursprünglich aus Karelien, aus Ostfinnland. Eigentlich kommt sie aus der selben Ecke, woher auch ich komme. Sie könnte in meine Schulklasse gegangen sein. Würden Sie sagen, dass Sie eine klassische feministische Autorin sind? Eine klassische, feministische Autorin? Oh! Eine feministische Autorin, gewiß. In Finnland hat das Wörtchen 'Feminismus' derzeit einen schlechten Beigeschmack. Niemand will Feministin sein. Für mich bedeutet es einfach 'Gleichberechtigung'. Die selben Möglichkeiten haben. Punkt.Junge Frauen in Finnland - wie auch sonst in Europa - denken, dass sei alles erledigt. Aber wenn sie dann ins Berufsleben einsteigen, dann merken sie, das sie eben doch nicht die selben Chancen haben und sie denken über die Dinge noch einmal anders nach. Feminismus, das ist nicht angesagt. So wie vor zehn Jahre niemand mehr etwas über den Marxismus hören wollte. Aber das ist total im Kommen: Marx und so. Es ist richtig trendy, richtig links zu sein. In der Rockszene, in der jungen Künstlerszene, auf den Universitäten. Nach dreißig Jahren! Und wer weiß, wie es dem klassischen Feminismus ergeht! War das Buch in Finnland ein Erfolg? War es. Als das Buch erschien, bekam ich eine Menge Anrufe und Briefe und E-Mail. Betroffene - heute und von früher - fragten mich: Was kann ich tun? Ich war sehr erschrocken, denn ich bin eine Schriftstellerin, keine Therapeutin. Ich recherchiere immer sehr gründlich, bevor ich einen Roman schreibe. Die seelischen Verwundungen, das ist ja das Schlimme. Die Angst, die Panik, dass etwas passieren könnte. Und ausgerechnet von dem Menschen, den man einmal so geliebt hat. Übrigens wird das Buch gerade fürs Fernsehen verfilmt. Und ich habe eine kleine Rolle in dem Film. Es gibt diese Szene, wo sich Säde im Dunkeln von einem Mann verfolgt fühlt. Aber es ist nur die Nachbarin, die joggt. Das ist meine Rolle. Es ist ein wenig wie bei Hitchcock. Die Hauptdarstellerin sagte mir übrigens, als sie dann so fade geschminkt und unmodisch angezogen war wie meine blasse Heldin Säde, haben die Leute sie einfach übersehen. Es ist ein Krimi, aber auch mehr als das ... Man kann das Buch wie einen Krimi lesen, natürlich. Aber ich versuche immer mehr zu schreiben, als eine schlichte Mordgeschichte. Ein Krimi ist eben ein gutes Gefährt, um seine Themen zu transportieren. Ok: Wenn man mal ein wenig angeschlagen ist, müde, vielleicht krank, dann kann man so einen Krimi mit Mord und Totschlag verschlingen. Aber es ist eine ein wenig altmodische Sache. Man löst ein Puzzle, mehr nicht. Es ist ein Skelett, ohne Fleisch. Das beste Buch, dass man schreiben kann, schafft einen Charakter, an den man sich lange erinnert. Und es muss in einer schönen Sprache geschrieben sein. Mir fällt ehrlich gesagt keine andere finnische Krimiautorin ein ... In Norwegen und Schweden gibt es eine ausgesprochene Kultur von Krimiautorinnen. In Schweden kam das vor fünf, sechs Jahren in Gang. Anfang der Neunziger gab es da keine einzige Autorin. Und dann haben sie einen speziellen Preis für Krimiatorinnen eingerichtet - und nun brauchen sie ihn nicht mehr. Denn viele "normale" Autorinnen haben auf dieses Gebiet gewechselt. In Finnland hatten wir Krimiautorinnen in den Vierzigern. Aber sie schrieben diese schlichten "Wer-war-der-Mörder?"-Krimis und sind daher heute kaum noch bekannt. Eigentlich bin ich derzeit die einzige finnische Krimiautorin. Und - ehrlich gesagt - ich hab das ein bisschen über. Das Gespräch führte Frank Keil, vielen Dank für die Erlaubnis das Interview hier beim Literaturportal schwedenkrimi.de zu veröffentlichen. |
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