"Bleich wie der Schnee" von Levi Henriksen
Zwei Jahre hat Daniel Kaspersen wegen Drogenschmuggels
im Knast gesessen. Als er nach Hause kommt, ist nichts mehr so wie es
einmal war. Sein jüngerer Bruder Jakob hat Selbstmord begangen.
Einen Abschiedsbrief hat er nicht hinterlassen, was Dan, wie er auch
genannt wird, sehr seltsam erscheint. Schließlich waren die beiden
eng miteinander verbunden. Dan macht sich Vorwürfe, dass er nicht
früher zu seinem Bruder in das kleine Dorf Skogli zurückgekehrt
ist. Vielleicht hätte er ihn vor dem Freitod bewahren können.
Nun aber ist Dan alleine im elterlichen Haus, mitten im verschneiten
und kalten norwegischen Winter. Doch für Trauer um seinen Bruder
findet er keine Zeit, denn schon kurz nach dessen Beerdigung steht erneut
die Polizei vor Dans Tür: Er soll einen alten Mann niedergeschlagen
und ihn ausgeraubt haben. Das Opfer ringt nach dem Überfall mit
dem Leben.
Buchtipp |
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Dan wird zwar nicht verhaftet, doch der alte Kommissar Rasmussen hat
ihn im Visier. Als Außenseiter gebrandmarkt hatte es Dan nie leicht
in dem kleinen Kaff. Der Tod des Bruders ist ein weiterer Schicksalsschlag,
der ihn dazu bringt, das Haus seiner Eltern, die schon vor Jahren bei
einem Unfall ums Leben kamen, zu verkaufen. Er will weg aus Skogli.
Bevor es jedoch soweit ist, erinnert sich Dan an seine Kindheit mit
seinem Bruder und seinen tief religiösen Eltern. Mitten in seiner
Trauer tritt plötzlich die junge Mona in sein Leben. Langsam entwickelt
sich zwischen den beiden eine Liebesbeziehung, doch einige Dorfbewohner
scheinen Dan sein neues Glück nicht zu gönnen. Auf einem Dorffest
kurz vor Weihnachten wird er von einer Gruppe junger Männer angegriffen.
Klarheit statt Kitsch
Vor allem Kristian Thrane, der hinter dem Angriff steckt,
hat es auf Dan abgesehen. Beide waren vor zwei Jahren in den Drogenschmuggel
verwickelt, allerdings kam Kristian damals vor Gericht glimpflicher
davon. Je tiefer Dan in der Vergangenheit gräbt, je mehr er nach
den Gründen für Jakobs Freitod sucht, desto näher scheint
ihm auch Kristian zu kommen, der offenbar nur eines will: Rache.
Levi Henriksens Debütroman Bleich wie der Schnee ist
kein Kriminalroman im klassischen Sinn. Dennoch ist er ein sehr spannend
zu lesender Roman, was vor allem an den gelungenen Seelenporträts
der Figuren liegt. Henriksen zeigt sich als ein hervorragender Erzähler
und Kenner der menschlichen Psyche. Fein schattiert, frei von jeglichem
Kitsch, bringt er das Innenleben seiner Charaktere zu Papier und verleiht
seinen Figuren Tiefe und Lebendigkeit. Sein leiser, präziser Erzählstil
erschafft dabei ein anschauliches Bild vom einfachen Leben in der norwegischen
Einöde. Scharfsichtig enthüllt er nach und nach die Beziehungen
der Dorfbewohner untereinander, leuchtet aber auch ihr Verhältnis
zur Natur und ihren Gegebenheiten aus, ohne romantische Verklärung.
Dabei versteht es Henriksen klare Kontraste zu setzten und mit leichter
Hand immer wieder einen Wechsel von Melancholie zur Heiterkeit, von
der Trauer zum Leben zu erschaffen, der dem Buch eine eigne Note verleiht.
Ein wunderschöner, tiefgründiger Roman, wie ein langer, nachdenklicher
und erfrischender Spaziergang durch eine verschneite Landschaft, der
den Kopf frei macht und den Blick schärft für das Wesentliche.
Wer also dem Zuckerguß und dem Weihnachtsflitter für ein
paar Stunden entfliehen wollen, sollte zu diesem lesenswerten Buch greifen.
Vielen Dank an Ludger Menke, diese und viele weitere Fundstücke
eines Krimilesers finden Sie in seinem Krimiblog.
© April 2006 |