Hinter
den Kulissen - Mit der Autorin Liza Marklund
"Gott ist ein großer chauvinistischer Bluff!"
Das Literaturportal schwedenkrimi.de hat Liza Marklund in Essen anlässlich
ihrer Buchpräsentation zu Prime Time getroffen und mit ihr über
Gott und die Welt, über Macht und Mord gesprochen.
Literaturportal schwedenkrimi.de:
In Ihrem neuen Roman Prime Time kritisieren Sie die Medienbranche recht
stark - wie ist denn das in Schweden aufgenommen worden, wo Sie als ehemalige
Journalistin und nun als erfolgreiche Krimiautorin selbst ein Teil der
Medienlandschaft sind?
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Liza
Marklund - Foto: Alexandra Hagenguth/schwedenkrimi.de |
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Liza Marklund:
Ich habe die Medienbranche eigentlich in all meinen Büchern kritisiert.
Also waren sie wohl vorgewarnt. Soweit ich mich erinnern kann, habe ich
eigentlich ganz gute Rezensionen zu dem Buch bekommen - jedenfalls von
den Literaturkritikern. Aber die Medienbranche war eigentlich recht still.
Man fand, dass es interessant und spannend war, aber das war alles. Ja,
und ein Fernseh-Fotograf, der sehr wütend auf mich wurde, und fragte,
warum ich denn Fernseh-Fotografen nicht leiden könne, aber ich habe
nichts gegen Fernseh-Fotografen. Es war vielleicht jemand im Buch, der
etwas gegen Fernseh-Fotografen hatte, aber im allgemeinen ist das Buch
sehr gut angekommen.
Literaturportal schwedenkrimi.de:
Sie waren selbst Nachrichtenchefin beim schwedischen Privatsender TV4
- Wie hat Sie denn das Fernsehen beeinflusst und verändert?
Liza Marklund:
Vor allem habe ich verstanden, welche enorme Macht die Öffentlichkeit
ausübt und wie stark der Wunsch sein kann, vor der Kamera zu stehen.
Das war mir vorher gar nicht bewusst. Aber nach einigen Jahren beim Fernsehen,
weiß ich jetzt, dass die Menschen bereit sind, absolut alles zu
tun, um ins Fernsehen zu kommen. Es gibt keine Grenzen mehr dafür,
was man bereit ist, seinen Kollegen anzutun; man bewirft sie mit Dreck,
man erzählt Mist, man intrigiert. Das Fernsehen kann die schlimmsten
Seiten bei einem Menschen zutage fördern, aber auch die besten. Das
hat damit zu tun, dass es für Menschen existentiell wichtig ist,
gesehen zu werden, Bestätigung zu finden, und es ist wichtig, dass
man sie sieht und sich um sie kümmert. Das findet sich bereits in
der Bibel. Das erste Mordmotiv, das die Menschheit kennt, ist der Mord
von Kain an Abel. Er brachte seinen Bruder um, weil Gott ihn nicht sah,
weil Gott nur Abels Opfer, das Lamm, sah, aber nicht die Opfer, die Kain
ihm machte. Damit, dass Gott ihn nicht sah und bestätigte, damit
konnte Kain nicht leben. Darum tötete er seinen Bruder. Ich finde,
Gott war ein schlechter Chef. Jedenfalls ist es wichtig, gesehen zu werden
und das Fernsehen ist die ultimative Bestätigung, gesehen zu werden
und das bedeutet auch Macht. Man muss ja nur an den Kerl denken, der in
den Filmen immer den Roboter gespielt hat und jetzt Gouverneur von Kalifornien
ist...
Literaturportal schwedenkrimi.de:
Und welche Bedingungen müssen vorherrschen, damit das Fernsehen die
besten Seiten im Menschen hervorruft?
Liza Marklund:
Wenn Menschen die Macht als Werkzeug benutzen, um etwas Gutes zu tun,
wenn Menschen die Medien anwenden, um etwas zu sagen. Denken Sie zum Beispiel
an Anna Lindh. Sie war jemand, der unglaublich viel Angst vor dem Fernsehen
hatte. Sie war immer sehr, sehr nervös vor Debatten. Aber sie hat
das getan, um etwas öffentlich zu sagen und sie hat die Menschen
erreicht. Sie war fantastisch im Fernsehen! Sie war blond, so blond und
stark. Sie war eine fantastische Fernseh-Persönlichkeit und sie hat
ihre Macht genutzt, um etwas Gutes zu tun.
Literaturportal schwedenkrimi.de:
In Prime Time heißt das Mordopfer Michelle Carlsson und ist ebenfalls
eine bekannte TV-Persönlichkeit. Wenn wir als Leser das erste Mal
auf sie treffen, ist sie schon tot. Wir lernen sie eigentlich nur durch
die wenig schmeichelhaften Beschreibungen ihrer Kollegen kennen, aber
Michelle erhält keine eigene Stimme. Was war Michelle also für
ein Mensch und warum wurde sie so, wie sie war?
Liza Marklund:
Ich glaube, das schlimmste ist, dass Michelle genau der Mensch war, den
ihre Kollegen beschreiben. Zum Schluss verschwand sie und wurde das Bild
ihrer selbst. Ich glaube, der Grund dafür, dass sie unterging, war,
dass sie vollständig verschwand. Sie hat auf gewisse Art alle Grenzen
gesprengt, wurde grenzenlos sozusagen. Sie verschwand als Mensch und wurde
zu ihrem eigenen Bild.
Literaturportal schwedenkrimi.de:
Wie war das denn eigentlich genau bei Ihnen? In Ihrer Biografie liest
man immer von abenteuerlichen Aufenthalten in den USA und Israel und dann
erfolgt ein Bruch und Sie wurden 'plötzlich' Journalistin...
Liza Marklund:
Ich habe mich einfach eines Tages dazu entschlossen. So war das mit all
meinen Jobs. Ich habe einfach beschlossen, dass ich sie haben will. Zum
Beispiel wollte ich unbedingt für die Zeitschrift Arbetaren arbeiten;
da haben alle Großen geschrieben: Vilhelm Moberg, Stig Dagerman
und die Arbetaren ist eine sehr anarchistische, gewerkschaftliche Zeitschrift.
Also habe ich einfach einen Brief geschrieben: "Liebe Arbetaren,
wir können nicht so weiter machen, uns auf diese Art zu treffen..."
- und dann habe ich den Job bekommen. Als ich mich bei der Journalistenschule
bewarb, wusste ich nicht, dass sich insgesamt 400 beworben hatten, aber
nur 20 wurden genommen. Hinterher habe ich dann gefragt: 'Wieso habt ihr
gerade mich genommen?' und sie haben geantwortet: 'Weil wir noch nie eine
Bewerbung bekommen haben, die in Hollywood abgestempelt war.' Man muss
einfach eigensinnig und hartnäckig sein!
Literaturportal schwedenkrimi.de:
Ich habe gelesen, dass Sie es nicht besonders mögen, bekannt zu sein.
Sie mögen es nicht, wenn Menschen Sie auf der Straße wiedererkennen
und ansprechen. Andererseits spielen Sie die Hauptrolle in Ihren Werbespots
zu den Büchern und sind mit Ihrem Porträt auf den Buchcovern.
Warum exponiert man sich denn so, wenn man es eigentlich nicht mag, bekannt
zu sein?
Liza Marklund:
Mmh, ja, das ist eine gute Frage! Ich habe mich genau wie Anna (Lindh,
Anmerk. d. Autors) dazu entschlossen, Platz einzunehmen, die Macht und
die Publicity für die eigenen Zwecke einzusetzen. Ich mag die Schattenseiten
des Berühmtseins nicht so sehr, ich bin wirklich ein ziemlich schlechter
Promi, aber ich bin ein ziemlich unerschrockener Debatteur. Ich kann eine
Menge Dinge sagen, die andere furchtbar wütend machen, aber ich kümmere
mich nicht darum. 'Ihr seid sauer? - Gut so!' Ich habe mich entschieden,
nicht nett zu sein. Ich werde nicht bequem sein, ich werde euch nicht
zu Diensten sein und darum muss ich zusehen, Verantwortung und Macht zu
übernehmen. Macht zu haben, heißt eine Stimme zu haben.
Literaturportal schwedenkrimi.de:
Ist es auch eine Art, eine Stimme zu haben, wenn Sie wie jetzt auf eine
Lesetour gehen und sich vor Ihr Publikum stellen?
Liza Marklund:
Ja, in gewisser Hinsicht. Es ist sehr ungewöhnlich, dass Frauen Macht
haben, aber niemand außer uns kann das ändern. Wir müssen
selbst Macht übernehmen. Denken Sie an die Gleichberechtigung. Die
kommt nicht mit der Post! Wir müssen sie selbst schaffen.
Literaturportal schwedenkrimi.de:
Ein zentrales Thema in Ihren Büchern ist ja auch die Gewalt gegen
Frauen. Woher kommt Ihr Interesse für die Gewalt, die Männer
gegenüber Frauen ausüben?
Buchtipp |
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Liza Marklund:
Ich wusste nicht, dass es normal war, dass Männer Frauen totschlagen
können, ohne dass es offensichtlich etwas ausmachte. Ich wusste das
nicht - bis ich Journalistin wurde. Jeden Tag um 3 Uhr musste ich die
Vorladungen, die vor Gericht gehen sollten, durchgehen. Woche für
Woche las ich von unglaublich schrecklicher Gewalt von Männern an
Frauen und oft auch gegen die Kinder. Woche vor Woche gab es Mord. Zuerst
war es nur ein sehr kleiner Stapel und zum Schluss, gegen Ende der Woche,
waren es 88 Vorladungen und damit bin ich durch die Redaktion gegangen
und habe gefragt: 'Hast du das gesehen? Weißt du davon? Hast du
das gelesen? Ist das nicht furchtbar?!' Zur Antwort habe ich nur bekommen:
'Ach, diese hysterischen alten Weiber!' Ich fragte: 'Meinst du das ernst?!'
'Ach, das sind doch nur verdammte Familienstreitigkeiten.' Ich wusste
nicht, dass es praktisch egal ist, wenn ein Mann seine Frau zu Tode schlägt.
Und weiß man das, sieht man es jeden Tag überall. Ich wurde
so wütend. Jeden 10. Tag wird in Schweden eine Frau getötet,
meistens von ihrem Mann oder Ex-Mann, und 25%, also jede 4. alleinerziehende
Mutter, wird von ihrem Ex bedroht oder gewalttätig angegriffen, also
von dem Vater der Kinder. Und niemanden kümmert das! Ich werde hier
stehen und solange schreien, bis sich jemand kümmert!
Literaturportal schwedenkrimi.de:
Aber Krimis, insbesondere skandinavische und schwedische Krimis, überschwemmen
seit einigen Jahren geradezu den deutschen Markt. Was machen Sie an dem
Tag, an dem niemand mehr Krimis lesen will?
Liza Marklund:
Ja, hoffentlich werde ich an diesem Tag keine Krimis mehr schreiben! Aber
im Ernst. Ich denke, der Krimi ist eine Literaturform, die aus vielen
Gründen lesenswert ist. In Krimis geht es um die existenziellsten
Fragen der Menschen, es geht um das Leben, den Tod, die Macht... Ein Mord
ist nicht einfach nur ein Mord. Ein Mord ist nicht nur der schlimmste
Machtübergriff, den ein Mensch einem anderen Menschen antun kann,
sondern auch die größte Gotteslästerung. Die Macht über
Leben und Tod zu übernehmen, ist in keiner Gesellschaft erlaubt.
Nur Gott hat die Macht, und wenn sich ein Mensch dieser Macht anmaßt,
ist es nicht akzeptabel und die Angelegenheit wird zu einer der großen
Fragen für den Menschen. Er dreht und wendet die Frage zu Macht,
Machtmissbrauch, zu Leben und Tod. Es ist eine Art Therapie, Ordnung in
das Chaos zu bringen. Und genau das machen Krimis. Es gibt ein Bedürfnis
bei den Menschen, ein Werkzeug zur Hand zu haben, mit dem sie ihre eigene
Wirklichkeit handhaben können. Der Krimi ist genauso ein Werkzeug
wie Literatur überhaupt, wie Musik, Kunst... Ein Werkzeug, es mit
der Welt auszuhalten, sie zu verstehen und das Chaos ringsum zu ordnen.
So lange es Chaos und Gewalt um uns herum gibt, fürchte ich, wird
es auch Krimis geben, aber wenn es eines Tages mal keine Gewalt und kein
Chaos mehr gibt, dann höre ich definitiv auf, Krimis zu schreiben.
Literaturportal schwedenkrimi.de:
Und Sie denken nicht, dass ein belletristischer Roman das auch leisten
könnte?
Liza Marklund:
Doch, wenn man z. B. solche belletristischen Romane nimmt, die auch die
großen Fragen behandeln, wie z.B. PO Enquists 'Besuch des Leibarztes'.
Literaturportal schwedenkrimi.de:
Sind Sie eigentlich ein religiöser Mensch? Ich frage, weil Sie von
Kain und Abel gesprochen haben und davon, dass ein Mord die größte
Gotteslästerung sei.
Liza Marklund:
Nein, nicht besonders. Ich glaube nicht an Gott, obwohl... Wir in Schweden
glauben, dass wir ein sehr weltliches Volk sind, aber eigentlich sind
wir sehr von religiösen und moralischen Werten geleitet; wir sind
ein sehr moralisches und gerechtes Volk. Ich kann es für mich intellektuell
erfassen, dass Gott ein großer chauvinistischer Bluff ist, um weniger
Privilegierte auf ihre Plätze zu verweisen und die Frauen sexuell
zu unterdrücken. Das kann ich intellektuell erfassen, aber gleichzeitig
habe ich Angst vor Gott. Ich bin sehr streng religiös aufgewachsen
und erzogen worden. Meine Eltern gehören der Evangelisk fosterlands
stiftelse an, eine Glaubensgemeinschaft, die der lutherschen Staatskirche
sehr nahe steht, aber strenger ist. Darum habe ich Angst vor Gott, und
gleichzeitig bin ich sehr wütend auf Gott, weil Anna Lindh sterben
musste. Ich fand es so ungerecht und sinnlos. Insofern habe ich ein Verhältnis
zu Gott, obwohl ich gleichzeitig behaupte, dass ich nicht an ihn glaube.
Literaturportal schwedenkrimi.de:
Noch mal zurück zu Ihren Romanen: Mehrere Ihrer Annika Bengtzon Romane
wurden verfilmt. Hatten Sie die Möglichkeit, auf die Dreharbeiten
oder das Manuskript Einfluss zu nehmen?
Liza Marklund:
Nein, das wollte ich nicht. Im Gegenteil, ich habe gesagt, entweder finde
ich jemanden, dem ich vertrauen kann oder es gibt keinen Film. Ich habe
etlichen abgesagt, die sehr merkwürdige Sachen mit Annika machen
wollten. 16, 17 habe ich wohl abgesagt. Und dann rief Helena Bergström
an, die mit dem britischen Regisseur Colin Nutley verheiratet ist, und
sagte: 'Bitte, liebe Liza, lass mich die Annika spielen! Das ist die Rolle,
nach der ich mein ganzes Leben gesucht habe!' Wir haben uns dann getroffen
und sie wollten dieselben Dinge mit dem Film aussagen, wie ich sie auch
mit dem Buch aussagen wollte. Aber ich habe nie einen einzigen Blick ins
Drehbuch geworfen oder mich in die Dreharbeiten eingemischt. Ich habe
nur mit Helena ein wenig das Vokabular geübt, das man in einer Redaktion
benutzt und habe ab und zu gesagt, wie ich mir die Redaktion vorgestellt
habe, dass es anders sein muss, damit es authentisch und echt wirkt, aber
ansonsten habe ich großes Vertrauen in Helena Bergström und
Colin Nutley. Ich finde, sie haben die Bücher hervorragend umgesetzt.
Literaturportal schwedenkrimi.de:
Wird es noch mehr Filme mit Annika geben?
Liza Marklund:
Ja, vielleicht wird 'Der rote Wolf', der gerade in Schweden erschienen
ist, verfilmt.
Literaturportal schwedenkrimi.de:
Worum geht es da?
Liza Marklund:
Darin geht es um Terrorismus. Die Synopsis zu dem Buch habe ich bereits
1996 geschrieben. Darin geht es also nicht um den Terrorismus, wie wir
ihn heute kennen, sondern um den Terrorismus der 60/70er Jahre, um die
Linksbewegung, von der Bader-Meinhof auch ein Teil waren. Dabei geht es
auch darum, nach Hause zu finden, seinen Platz in der Gesellschaft zu
finden. Das ist das eigentliche Thema, das dem Krimi zugrunde liegt. Alle
müssen zu jemandem gehören, und wenn sie ihren Platz nicht in
der Gesellschaft finden, dann suchen sie sich ihre Nische am Rande der
Gesellschaft. In Schweden sind in den 90ern 100.000 Arbeitsplätze
für Jugendliche verschwunden - 100.000 Jugendliche, die nie einen
Zutritt zum Arbeitsmarkt, zur Gesellschaft erhalten haben und sich z.B.
in der rechten Szene, in der Neo-Naziszene, ihren Platz gesucht haben.
Ich glaube, dass es da einen Zusammenhang gibt. Aber in diesem Roman geht
es also um Menschen, die in den 60/70er Jahre nach Zugehörigkeit
gesucht haben. Hier kommt ein Terrorist nach 30 Jahren im Exil zurück
nach Schweden, nach Norrbotten, und die Dinge nehmen seinen Lauf.
Literaturportal schwedenkrimi.de:
Frau Marklund, wir danken Ihnen für das Gespräch!
Autorin:
Alexandra Hagenguth/
© November 2003 - Literaturportal schwedenkrimi.de - Krimikultur
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