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Der Autor Håkan
Nesser Foto: Sebastian Bielke/schwedenkrimi.de |
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Håkan Nesser liest in der ausverkauften Thalia Buchhandlung
in Rostock aus "Sein letzter Fall".
Rostock, 21. Oktober 2004. Die
Spannung ist zum Greifen nahe, als Håkan Nesser gegen 20.00 Uhr
die Buchhandlung Thalia in Rostock betritt. Kein Wunder, liest der heute
in Uppsala lebende Autor doch aus seinem letzten Van Veeteren Roman
"Sein letzter Fall", und wer dem schweigsamen, grüblerischen
und oftmals deprimierten Maardamer Kommissar über 3.600 Seiten
die Treue gehalten hat, der will natürlich wissen, was es mit dem
ominösen Fall G., der in den zehn Bänden immer wieder zitiert
wird, auf sich hat.
Das wird Håkan Nesser natürlich nicht verraten. Nicht an
diesem Abend, und auch nicht an den noch folgenden Abenden seiner Lesereise.
Heute wird nur anhand dreier ausgewählter Textstellen der Appetit
geweckt. Doch gelesen werden muss zu Hause, wie Håkan Nesser sein
Publikum spitzbübisch und charmant auffordert. Ein Schelm, wer
Böses dabei denkt. Charmant und schelmisch gibt sich Håkan
Nesser auch im Gespräch mit seinen Fans. "Bei meiner ersten
Lesung in Stockholm 1996 waren wir nur zu fünft - inklusive des
Autors wohlgemerkt. Des Weiteren waren die Bibliothekarin, ihr Mann,
der lieber Fußball gesehen hätte, ein Praktikant und eine
Bibliotheksbesucherin, die zufällig eingeschlossen wurde, anwesend."
Heute, nach einem Jahrzehnt des schriftstellerischen
Schaffens und siebzehn veröffentlichten Romanen, blickt Håkan
Nesser dagegen in rund 150 neugierige Augenpaare. Die Lesung in der
Thalia Buchhandlung, bei der das Literaturportal schwedenkrimi.de als
Medienpartner mit schwedenkrimi.de-Redakteurin Alexandra Hagenguth als
Dolmetscherin durch den Abend begleitete, ist bis zum letzten Platz
ausverkauft. Und Håkan Nesser enttäuscht nicht; nicht als
Autor und nicht als Kommentator, der zwischen den Textpassagen immer
wieder anekdotenhaft und in vertrautem Ton mit seinen Lesern über
den Kommissar plaudert: "Es gibt etwas, das hat Van Veeteren wie
kein anderer Kommissar getan: Er ist am Strand spazierengegangen und
hat nachgedacht." Folgerichtig dürfen wir Van Veeteren nun
auf seinem letzten offiziellen Strandspaziergang begleiten und noch
einmal in die philosophisch-existentialistische Gedankenwelt des Kommissars
eintauchen. Van Veeterens ewige Suche nach dem Muster und der Determinante
in der Gleichung des Lebens gehen weit über das hinaus, was andere
gegenwärtige Krimiautoren an meta-literarischer Diskussion zu bieten
haben. Mit "Sein letzter Fall" hat Håkan Nesser darüber
hinaus seinem Kommissar Prolog und Epilog in einem geschrieben. Damit
ist ihm endgültig ein fester Platz in der Krimi-Klassiker-Bibliothek
sicher.
Eine neue Fahnder-Reihe plant Nesser nicht, tröstet seine Fans
aber damit, dass "der ein oder andere Kommissar" sicher auch
in Zukunft in seinen Romanen auftauchen werde. Im Übrigen würden
in Schweden bereits seit dem Sommer sechs Van Veeteren Verfilmungen
eingespielt und da es auch einen deutschen Produzenten mit an Bord gebe,
würde es ihn doch sehr wundern, so Nesser in gewohnt lakonisch-ironischem
Ton, wenn die Filme nicht auch im deutschen Fernsehen laufen würden.
Befragt nach den Ursachen des gegenwärtigen, skandinavischen Krimibooms
in Deutschland antwortet Nesser ebenso humorvoll: "Das weiß
ich nicht. Das ist ein deutsches Problem." Pause und Nachsatz:
"In meinen optimistischsten Augenblicken glaube ich, dass es daran
liegt, dass wir einfach gute Bücher schreiben."
Weitere Kostproben des Nesser'schen Humors gibt es dann anhand dreier
Textbeispiele aus "Und Piccadilly Circus liegt nicht in Kumla".
Protagonist und Ich-Erzähler Mauritz ist siebzehn, unsterblich
in die Nachbarstochter Signhild verliebt, und da wir das Jahr 1967 schreiben
- das Jahr, das Nesser jedem empfehlen würde, zu erleben, wenn
er nach dem Tod dazu die Gelegenheit bekäme -, träumt Mauritz
von der großen, weiten Welt: Acapulco, New York, London
Doch leider, Kumla ist ein verschlafenes Nest "und Piccadilly Circus
liegt nicht" dort. Aber Signhild lebt dort und mit ihr zusammen
erfindet Mauritz die Liebe, wie man sie nur beim allerersten Mal erfinden
kann: "Das Blut brauste bis in die Zehenspitzen, und jede einzelne
Zeile in jedem albernen Lied der schwedischen Schlagerparade war bleischwer
vor Weisheit und offensichtlicher Wahrheit. Wir werden Hand in Hand
gehen. Du bist die Einzige. Und machen das Leben füreinander lebenswert."
Buchtipp |
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"Und Piccadilly Circus liegt nicht in Kumla" ist nach "Kim
Novak badete niemals im See von Genezareth" bereits die zweite
Jugendschilderung, in deren Mittelpunkt nicht nur die erste Liebe, sondern
auch ein grausamer Mord steht. Doch davon ist an diesem Abend nichts
zu hören. Wir verlassen Kumla und Mauritz in seinem glücklichsten
Moment im Leben, so der Autor. Wer mehr über Mauritz und Signhild
und den Mord an Signhilds Vater Kalevi Kekkonen wissen will, muss selber
weiterlesen. Eine Aufforderung, der die Fans, mit Büchern bepackt,
beim Abschied von ihrem Autor offensichtlich gerne nachkommen.
Autorin: Hanna Wolf
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