Leseprobe Er hatte beim Hinausgehen das Licht ausgeschaltet, nicht wegen
der Stromabrechnung - mit so etwas brauchte er sich nicht abzugeben-,
sondern um sich wieder überwältigen zu lassen, wenn er das Licht
anmachte.
Er ging vom Garten aus ins Atelier und wurde einen Moment lang von diversen Blumendüften belästigt, die seine Konzentration bedrohten, aber er war dazu übergegangen, nur seine Augen einzusetzen - die anderen Sinne benutzte er zur alltäglichen Navigation durch das Leben. Er stand einen Augenblick im Dunkeln, sammelte sich und betätigte den Lichtschalter.
Die Leinwand war zweifelsohne das Beste, was er je hervorgebracht hatte. Sie war groß und von einer schönen, beinahe lieblichen Landschaft bedeckt. Er versuchte, sie mit naiven Augen zu sehen: zuerst Süße, ein Gemälde, schmelzend wie Eiscreme. Dann die beunruhigende Gewißheit, daß sich dahinter etwas verbarg, etwas von ganz anderer Beschaffenheit. Nach und nach das Entdecken des Musters, der strengen Geometrie hinter den scheinbar unkomplizierten Wellenlinien.
Brillant.
Wie das Skelett unter der Haut. Wie das Schicksal hinter dem trivialen Alltag. Wie Gott, wenn man so wollte, alles durchdringend, aber schwer zu entdecken, außer für die wenigen, die sehen konnten und wollten.
Brillant.
Er stellte den Anrufbeantworter an und rief sich wieder einmal die Rezension
in Erinnerung, die er voriges Jahr in Malmö bekommen hatte. "...eine
postkonstruktive Sichtweise, die sich zu einem persönlichen künstlerischen
Ausdruck mit klarer Autorität in der Formensprache entwickelt hat
... ein Künstler, der die Erwartungen, zu denen dseine früheren
Arbeiten Anlaß gaben, in vollem Maße zu erfüllen beginnt
... auf dem Weg, einer unserer wirklich Großen zu werden..."
Die nächste Ausstellung war in vier Monaten, und er ging davon aus, daß er dann nur noch eine brauchte, bis er auf eigenen Beinen stehen konnte. Sich seinen Lebensunterhalt verdienen konnte. Eineinhalb Jahre, und er würde frei sein. Frei, über sein eigenes Leben zu bestimmen, frei, sich zu treffen, mit wem er wollte. Fast zehn Jahre harter Arbeit würden Früchte tragen. Zehn Jahre üben, Plackerei, Ehe mit Caroline.
Sein wohliges Gefühl, unbestreitbar auf dem richtigen Kurs zu sein, wurde innerhalb eines Augenblickes von der Stimme auf dem Anrufbeantworter zunichte gemacht: "Das wird dir ganz besonders gefallen: Ein waschechter Verlag hat ein Script von mir angenommern.'Glut' ist der Titel. Du wirst dich vor Lachen kaum halten können, wenn du es zu Gesicht kriegst. Hoffe, dir geht es gut,hej."
Sein Körper reagierte zuerst - ihre Stimme, eine Kombination aus Anmut und Stärke, eine ergreifende Mischung aus Zerbrechlichkeit und Kraft, war immer eines ihrer herausragendsten erotischen Attribute gewesen.
Eine Sekunde später kam die Botschaft in seinem Bewußtsein an.
Glut!
Das konnte nicht sein. Hatte sie über ihrer beider Verhältnis geschrieben? Sie hatten darüber Witze gemacht, hatten das, was zwischen ihnen bestand und ständig bereit war, zu alles verzehrenden Flammen aufzulodern, "Glut" genannt. Er hatte eine solche Leidenschaft, diesen Hunger nach dem anderen so intensiv noch mit niemand anderem erlebt, was ihn ebenso abschreckte wie anzog. Das war äußerst privat gewesen. Und nun hatte sie offenbar ein verdammtes Buch darüber geschrieben.
Die Katastrophe war perfekt. Caroline, seine Ehefrau, legte Wert auf heile Fassaden. Sie hing an ihrem Djursholmer Leben, wo alles mögliche geschehen konnte und durfte, solange es diskret gehandhabt wurde, wo ein solches Buch jedoch das unausweichliche Ende bedeuten mußte. Der Verlust von Caroline würde den Verlust von Atelier und Lebensunterhalt bedeuten, was wiederum heißen würde, daß er nicht mehr malen könnte.
Buchtipp |
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Das war so ungerecht, daß er nach Luft schnappte. So viel Arbeit, aber er war noch immer nicht am Ziel.
Er hatte es allzuoft beobachtet: Talent und Willenskraft allein reichten nicht aus - auch die äußeren Voraussetzungen mußten stimmen, wenn man kreativ sein wollte.
Danke an den Goldmann Verlag für die Veröffentlichungserlaubnis. |