Leseprobe
Freitag, 17. Januar»Wenn du keine Angst vor der Einsamkeit hast, dann heirate.«
Laura Halonen machte eine Kunstpause. Sie wendete eine saftige Champignonhälfte
in der Pestosoße, musterte sie kurz und schob sie dann zwischen
ihre dunkelroten Lippen. Ihre stark geschminkten Augen verengten sich
hinter der flügelförmigen Hornbrille fast zu Schlitzen.
»Rat mal, von wem die Erkenntnis stammt! Ich gebe dir einen Tipp:
Es ist eine bereits verstorbene literarische Größe, kein Finne.«
Tero Tuomela runzelte der Form halber die Stirn, obwohl er sich am liebsten
mit der Serviette den Schweiß heruntergewischt hätte. Ihn plagte
ein besonders schwerer, geradezu welterschütternder Kater. Am Morgen
hatte er geglaubt zu sterben, und jetzt, am Nachmittag, fürchtete
er, dass es doch nicht der Fall sein würde. Er hatte nicht einmal
gewagt, seinen täglichen Konditionslauf zu absolvieren, so heftig
waren beim Aufwachen der Schwindel im Kopf und der Druck im Magen gewesen.
Und am allerwenigsten interessierte ihn in diesem angeschlagenen Zustand
der Ursprung eines auswendig gelernten, vorgeblich tiefsinnigen Zitates.
»Keine Ahnung«, brachte er heraus. »Oder wart mal, ich
versuche es wenigstens. Strindberg? Shaw? Oder vielleicht doch irgendeine
finnische Größe Paasilinna, und zwar Erno P.? Nein, du hast
ja gesagt, dass es keiner der unsrigen und er außerdem schon tot
sei.«
Tuomela breitete die Arme aus, sodass der Geruch seiner schweißigen
Achselhöhlen herüberwehte und Laura sich schnell abwandte. »Ich
weiß es nicht, ich gebe auf. Wer?«
»Tschechow«, sagte Laura lachend. »Ich habe den Satz
kürzlich irgendwo gelesen, allerdings in einer Zeitung, und nicht
in seinen Werken. Ich habe zu den russischen Klassikern nie den richtigen
Zugang gefunden, sie sind irgendwie zu ... zu schwerfällig für
meinen Geschmack. Ich wünsche mir auch in Büchern Tempo und
schnelle Wechsel, dazu Leidenschaft und Erotik.«
Die langen Fingernägel, die genau die gleiche Farbe wie die Lippen
hatten, trommelten auf den Tisch.
»Aber es ist trotzdem großartig ausgedrückt, oder?«
Tuomela nickte und fingerte an seinem Rekorder herum. Ob sie diese Aphorismen
und all die anderen Klischees systematisch sammelt und sie dann in ihren
einsamen, schlaflosen Nächten auswendig lernt? grübelte er.
Zumindest während dieses Interviews hatte sie solche Sätze in
regelmäßigen Abständen von sich gegeben und ihn damit
weidlich genervt.
Laura Halonen hatte nicht einmal nebenbei eine originelle oder zündende
Bemerkung gemacht, die auf ihrem eigenen Mist gewachsen war, nichts, das
wirklich inspirierte und Stoff für ein interessantes Gespräch
bot. Die ganze Frau war sozusagen ein einziges großes Klischee,
aber Jesses, in welcher Verpackung: üppig, blühend und strahlend,
genau nach Tuomelas Geschmack. Lieber hätte er sich mit ihr in ganz
anderer Kulisse gesehen, als hier am Tisch sitzend bei einem braven Interview.
Wenn man eine Frau Wie Laura Halonen aufs Bett warf und an den Korsettschnüren
zerrte, kam Leben in die Bude ...
»Und ich gedenke übrigens, die Anweisung auch zu befolgen.«
Das französische Mineralwasser rann sprudelnd in ihr Glas, was Tuomela
dazu anregte, den Kellner herbeizuwinken und sich ein neues Bier zu bestellen.
»Das heißt, niemals zu heiraten ich meine, niemals wieder«,
sagte sie lachend. »Da hast du die Antwort auf deine Frage.«
Tuomela erschrak. Welche verflixte Frage? Er spulte schnell sein inneres
Tonband zurück, und da fiel es ihm ein. Sie hatten über Lauras
Beziehungen zu Männern gesprochen, oder eigentlich hatte er versucht,
ihr etwas darüber zu entlocken. Private Einzelheiten sollten die
zentrale Rolle in dieser Folge der Reihe Der Koffer meines Lebens spielen.
Nicht dass es Tuomela in irgendeiner Weise persönlich interessierte,
aber die Chefredakteurin hatte es verlangt, und einem Freiberufler blieb
da keine Wahl.
»Wenn eine Karrierefrau im Alter von vierzig Jahren plötzlich
ihre florierende Firma verkauft, um Schriftstellerin zu werden, möchten
die Leser natürlich wissen, wie sie jetzt lebt und vor allem mit
wem«,
hatte die Chefredakteurin analysiert, wobei die Rechenmaschine in ihrem
Kopf gerattert hatte. In allen bisherigen Interviews hat die Halonen erzählt,
dass ein innerer Zwang sie zum Schreiben getrieben hat, das kennen wir
also schon. Sie hat es auch Hermunen als Nachtmahl vorgesetzt, ganz zu
schweigen von Timo T.A., der am Schluss der Sendung so konfus war, dass
er der Lady beide Hände küsste, falls du es zufällig gesehen
hast. Aber in unserer Zeitung will ich ein Ganzkörperporträt
von Laura Halonen, ich will wissen, wie sie wirklich ist und wie sie lebt.
Diese Folge muss die beste und zugkräftigste der ganzen Serie werden!
Die Halonen wurde ja schon vor Jahren geschieden, also lautet die aktuelle
Frage: Wer ist heute der Mann an ihrer Seite? Irgendjemanden muss es da
geben, und du gehst hin und findest es heraus, neben allem anderen natürlich.
Platz haben wir genug, du kriegst mindestens zwei Doppelseiten.«
Buchtipp |
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»Aber sie hat jede
Menge Kohle«, hatte Tuomela eingewandt. »Sie hat ihre Firma
schließlich nicht für wohltätige Zwecke gespendet, sondern
sie an irgendein schwedisches Unternehmen verkauft, sodass bestimmt ein
paar Mille auf einer hübschen Bank auf den Cayman Inseln schlummern
und ihr schöne Zinsen einbringen. Sie braucht keinen Kerl im Hintergrund.«
»Trotzdem. Die Partnerbeziehung ist nach wie vor das Thema
des Tages, ganz besonders in dieser Reihe. Das ist es, was unsere Leser
interessiert. Und denk doch mal, eine Frau mit ihrem Aussehen, attraktiv
und im besten oder zumindest in modischen Alter. Heute reden ja alle vom
so genannten zweiten Erwachsenenalter, das irgendwann mit vierzig oder
kurz danach beginnt, falls du zufällig davon gehört hast.«
»Ja, ich weiß«, hatte Tuomela bestätigt. »Wenn
sie sich natürlich in eine andere Frau verknallt hätte, ließe
sich was daraus machen ... Obwohl mich eigentlich vor allem interessiert,
warum dieser heftige innere Zwang sie ausgerechnet zum Schreiben getrieben
hat. Warum hat sie nicht angefangen zu malen oder Rock zu singen oder
sonst was in der Art. Im Schreiben liegt überhaupt keine Power. Und
wer liest heute überhaupt noch Bücher, wo es das Internet und
all das gibt?«
»Ziemlich viele Leute«, hatte die Chefredakteurin gesagt
und damit die Diskussion beendet. »Zumindest aus den Verkaufszahlen
von Halonens Erstling zu schließen. Davon sind tatsächlich
schon vor dem eigentlichen Weihnachtsgeschäft mehr als 20.000 Exemplare
über die Ladentische gegangen, und das ist für unsere Verhältnisse
eine geradezu astronomische Zahl, besonders für eine Debütantin.«
Das ist verdammt wahr, dachte Tuomela neidisch, während er jetzt
der frisch gebackenen Erfolgsschriftstellerin im Restaurant Kynsilaukka gegenübersaß. Hätte man die Chance, ein solches Opus
auf den Markt zu werfen, und sei es nur alle zwei Jahre eins, brauchte
man nicht für sein täglich Brot bei den Frauenzeitschriften
und anderen so genannten allgemein bildenden Blättern Klinken zu
Putzen.
Laura Halonens Debütroman Magische Macht lag etwas abseits
auf dem Tisch. Ein Buch, das etwas größer war als ein gewöhnlicher
Roman und auf dessen Umschlagbild ein Tausenddollarschein zwischen vollen,
kirschroten Lippen steckte. Der erste finnische Unterhaltungsroman für
Frauen, den auch ein Mann lesen möchte, hatte eine beachtliche Werbekampagne
den ganzen Herbst hindurch getrommelt.
Tuomela blätterte die Titelseite auf.
Für Tero Tuomela, dessen Geschichten stets überraschen. In
Liebe, Laura Halonen.
Sie hatte die Worte in ihrer schwungvollen, großen Handschrift
mit roter Tusche quer über die ganze Seite geschrieben.
»Dann erzähl wenigstens, wie autobiografisch die Geschichte
wirklich ist.« Tuomela wollte später auf die Partnerfrage zurückkommen.
»Es ist ja allgemein bekannt, dass besonders ein Debütant aus
den eigenen Erfahrungen schöpft, er schreibt also mehr oder weniger
über sich selbst.«
»Aber ich nicht«, Laura lachte. »Das heißt,
ich schreibe natürlich über die Kreise, die ich kenne, also
über die Geschäftswelt und so weiter, aber ich bin nicht selbst
dabei. Die Hauptfigur Barbara bin nicht ich. Hast du übrigens das
Buch gelesen?«
»Ähm ... « Die blitzschnell hingeworfene Frage brachte
Tuomela aus dem Konzept. »Nicht ganz ..., noch nicht ... «
In Wahrheit hatte er sich durch die ersten zwanzig Seiten gequält,
den Rest durchgeblättert und den letzten Satz gelesen. »Ich
sehe mir immer zuerst den ersten und den letzten Satz an, denn sie sind
mit Abstand die wichtigsten des ganzen Buches. Man kann daraus auf den
Stil und eigentlich auf die ganze Story schließen.«
»Interessant ... « Laura betupfte sich mit der Serviette die
Lippen, amüsiert lachend, aber eindeutig ein wenig beleidigt. »Aber
lies trotzdem das ganze Buch, und du wirst merken, dass ich tatsächlich
nicht Barbara sein kann. Sie ist schön, rothaarig und vor allem schlank«,
Laura lachte.
»Und da wir gerade beim Thema sind, hole ich mir jetzt einen Nachtisch.
Soll ich dir auch etwas mitbringen?«
Tuomela hob sein Bierglas und erklärte, dass ihm das an diesem Tag
als Vor-, Haupt- und Nachspeise reiche:
»Dies ist übrigens wirklich eine Ausnahme, normalerweise pflege
ich durchaus nicht ... «
Er beobachtete unter halb geschlossenen Lidern, wie Laura auf ihren schwindelerregend
hohen Absätzen selbstbewusst durchs Restaurant stöckelte, gerade
aufgerichtet, die üppigen Hüften nur ganz leicht schwingend.
(Das hat sie garantiert vor dem Spiegel trainiert ... ) Doch plötzlich
hielt sie inne, nickte in Richtung des Ecktisches und ging in steifer
Haltung weiter.
Danke an den Grafit Verlag für die Veröffentlichungserlaubnis. |