Im Zentrum des Terrors
Ein Roman über das Innen- und Außenleben nach den Terroranschlägen vom 11. September
Stig Dalager zählt zu den bedeutendsten dänischen Autoren der Gegenwart. Nun liegt „Im Schattenland“, eigentlich der dritte und abschließende Teil einer Trilogie mit dem Rechtsanwalt Jon Bæksgaard als Protagonisten, auf Deutsch vor. Hierin erzählt Dalager mit hypnotisierender Intensität vom Innen- und Außenleben in der Zeit unmittelbar nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 auf das World Trade Center.
Wie fasst man das Unfassbare in Worte? Wie beschreibt man das Unbeschreibliche? Das, was mit zwei Menschen unweigerlich passiert, wenn sie den Terror aus nächster Nähe er- und überlebt haben? Wie beschreibt man die Terrorangriffe vom 11.9.2001 auf das World Trade Center von Innen heraus?
Stig Dalager, einer der bedeutendsten dänischen Schriftsteller der Gegenwart, wagt sich mit seinem aktuellen Roman „Im Schattenland“ an diese schwierige und komplexe Aufgabe heran. Protagonist ist der dänische Anwalt Jon Bæksgaard, der in New York eine kleine Anwaltskanzlei betreibt.
Innen und Außen
Am Morgen des 11. September 2001 geht Jon mit seiner israelischen Lebensgefährtin Eve zur Arbeit: Er zum Gefängnis, wo er einen muslimischen Mandanten treffen soll, der des Mordes an einem jüdischen Juwelier angeklagt ist, sie zu ihrem Job im Südturm des World Trade Centers. Als das erste Flugzeug in den Nordturm fliegt, macht sich Jon sofort auf den Weg zu Eve. Dort angekommen, ist bereits das zweite Flugzeug in den Südturm gestürzt. Während sich Eve von der 84. Etage durch das Inferno nach draußen kämpft, kämpft sich Jon von draußen nach drinnen in die 84. vor, um seiner Freundin das Leben zu retten. Die Wochen danach sind gekennzeichnet vom inneren und äußeren Überlebenskampf der beiden. Während Eve mit schweren Brandwunden im Krankenhaus liegt, versucht Jon, Inneres und Äußeres zusammenzuhalten, indem er sich in die Arbeit stürzt. Dabei bringen ihn die Nachforschungen im Fall des des Mordes angeklagten Moslem Ifrahim Mohammed ins Zentrum des Terrors und der Terrorbekämpfung, wird er selbst doch zur Zielscheibe von islamistischen Terroristen und gerät ins Fadenkreuz von FBI und CIA.
Hypnotisierende Intensität
Stig Dalager gelingt es, die bedrückende, gespenstische, unwirkliche und phasenweise groteske Lage in den Wochen nach dem 11. September, in denen Bush seinen gnadenlosen Auge-um-Auge-Zahn-um-Zahn-Krieg gegen den Terror („Wer nicht für uns ist, ist gegen uns“) und den Patriot Act verkündet, der den Behörden weitreichende Legitimation in der Befragung Terrorverdächtiger verschafft, von hypnotisierender Intensität zu beschreiben. Durch sein beharrliches Erzählen im Präsens schafft Dalager ein großes Gefühl von Nähe und Unmittelbarkeit; zusammen mit Jon befindet man sich mitten im Auge des Orkans. Dabei kommt Jon dem Gefährlichen so nah, dass er auf seinem Weg, der Gerechtigkeit zu seinem Recht zu verhelfen und sich dem ignoranten Freund-Feind-Bild der amerikanischen Behörden in der Zeit unmittelbar nach den Terroranschlägen zu widersetzen, sich selbst ebenfalls zusehends verliert. Verbissen seinem Ziel entgegenstrebend, setzt er das Leben seiner Mitarbeiter aufs Spiel, sodass schließlich einer von ihnen an seiner statt getötet wird, und Jon, der edle Ritter der Neuzeit, der zuvor in Wien einen berüchtigten SS-Arzt ausfindig und vor Gericht gebracht hat, macht dabei keine gute Figur; er trägt seine Schuld am Tod seiner Kollegin Michelle.
Gesucht und Gefunden?
Verloren im Niemandsland einer unsicheren Welt
Jon ist eine ruhelose Seele mit Vergangenheit – Tatsächlich ist „Im Schattenland“ der dritte Teil einer groß angelegten Trilogie Dalagers, die sich mit dem letzten und ersten Jahrzehnt des vorangegangenen beziehungsweise dieses Jahrhunderts beschäftigt. Jon ist der ruhelose Wanderer zwischen den Welten; zunächst erlebt er in dem in Dänemark 1992 erschienenen Roman „Glemsel og erindring“ den „Sozialismus“ der DDR; 2005 folgte „Labyrinten“, in dem Jon in Wien einen österreichischen SS-Arzt jagt und mit den Verbrechen auf dem Balkan konfrontiert wird. Abschließend, in „Im Schattenland“, ist nun also zunächst New York Ausgangspunkt für Jons Suche nach Wahrheit, Gerechtigkeit, Menschlichkeit und Moral in dieser postmodernen Welt am Rande des Chaos. Seine Suche führt ihn schlussendlich mit seiner Freundin Eve nach Jerusalem, in die Westbank und nach Hebron, doch ob er den fand, den er suchte, ob er sich selbst wiederfand und was er aus der Suche gelernt hat, bleibt offen, heißt es am Ende doch: „Er fährt nach Hause, aber wo ist sein Zuhause? (…) Wohin die Fahrt geht, bleibt auch im noch verborgen.“ So irrlichtert Jon, gefangen im selbst geschaffenen Schattenland seiner Seele, immer noch durch diese zunehmend unsicherer werdende Welt, wie die bösen Geister, die Bush einst im Namen des Krieges gegen den Terror rief – Ein beklemmender Roman, der zeigt, dass man den Terror vielleicht überleben kann, doch noch lange nicht überwunden hat.
Quellen:
www.rothstein.dk/2007/stig-dalager-skyggeland
www.bogvaegten.dk/1-75-skyggeland.html
Buchtipp |
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Vielen Dank an Alexandra Hagenguth
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