Kerstin stellte flink den Stapel abgetrockneter Teller
in den Küchenschrank, nahm das Geschirrtuch und wischte den Spültisch
ab. Grade als sie fertig war, hörte sie tapsende Schritte. Auf
der Schwelle erschien Marie-Loise in Hausschuhen und Morgenrock.
"Du hast mir doch versprochen, das Geschirr stehenzulassen."
"Und du hast mir versprochen, im Bett zu bleiben. Übrigens machst
du deinem armen Papa genug zu schaffen, da soll es ihm erspart bleiben,
das Geschirr zu spülen."
Marie-Luise unterdrückte ein Gähnen. "Seinen Bären macht
er viel mehr zu schaffen, das darfst du mir glauben.Hier hast du eine
Billettmarke für die Fähre. Weißt du,daß es schon
dreiundzwanzig Minuten vor zehn ist? Du mußt dich beeilen, wenn
du erst noch kontrollieren willst, ob ich das Rezept richtig abgeschrieben
habe."
Kerstin hängte die Schürze an einen Nagel und sah sich das
Gekritzel ihrer Freundin an 'Hecht Beaulieu...' "Du hast 50 Gramm feingehackte
Schalottenzwiebel geschieben. Es soll 10 Gramm heißen. Alles andere
stimmt. Und jetzt marsch ins Bett, verstanden! Mit einer Aprilgrippe
ist nicht zu spaßen. Habe ich dir erzählt, daß Kalle
Lök. der am Samstag Tulpen verkauft, du weißt, Lungenentzündung
hat?"
Marie-Luise trottete verdrossen in ihr Zimmer zurück, wo rund ums
Deckenfries die Gibsschwäne aus der Jahrhundertwende ihren Reigen
tanzten. "Mir geht es großartig", brummte sie. "Glaubst
du, man kann ein halbes Kilo 'Hecht Beaulieu' konsumieren, wenn man
am Rande des Grabes steht, ja?"
Buchtipp |
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Als Kerstin im Mantel hereinkam, um sich zu verabschieden, saß
sie aufrecht in den Kissen. "Aber vielleicht geht es doch, wenn
es so wunderbar schmeckt. Mein Gott, was bist du tüchtig, Kerstin!"
"Und deine 'Crêpes Suzettes', wenn ich bitten darf? Weißt
du übrigens, was Monsier Julien gesagt hat? Das nächste Mal
ist eine provenzalische Fischsuppe an der Reihe."
"Himmlisch." Marie-Louises Augen funkelten. "Papas Lieblingsgericht.
Ich muss bis Dienstag wieder auf den Beinen sein. Wenn du dann krank
im Bett liegst", fügte sie hoffnungsvoll hinzu, "komme
ich zu dir und koche eine französische Fischsuppe." Sie drückte
ihr die Hand. "Hörst du, wie es draußen bläst?
Willst du nicht einen Pullover leihen? Auf der Fähre zieht es erbärmlich.
Nimm den lila Pullover, der im Vorzimmer hängt. Und jetzt mußt
du laufen - es ist dreizehn vor zehn.
Kerstin schlüpfte in den Pullover. Ehrlich gestanden hatte sie
vorhin am warmen Herd ein wenig gefröstelt, als sie den Ostwind
durchs Ahornlaub hörte.
Danke an den Goldmann Verlag für die Veröffentlichungserlaubnis.