LeseprobeKapitel 1
Das kurze Messer schimmerte im Lampenschein, der Schnitt war elegant
und gekonnt.
Der große Mann mit dem Messer und dem vornehmen Anzug bemerkte,
dass das Gespräch um ihn herum verstummt war, und hielt einen Augenblick
inne. Dann blickte er auf und sagte:
"Wusstet ihr, das Kellerasseln die nächsten Verwandten der
Krebse sind ?"
Neun Augenpaare blickten gleichzeitig zu der großen Schale mitten
auf dem Tische, auf der die Krebse ihre zahlreichen und viel zu roten
Beine von sich streckten.
"Das war nun wirklich unnötig, Uno!"
Die Worte der Faru drückten eher Überdruss als Wut aus. Es
hörte sich an, als ob sie so etwas schon häufiger hatte sagen
müssen. Der Mann mit dem Messer zuckte nur mit den Schultern.
"Lediglich ein unbestreitbarer wissenschaftlicher Sachverhalt.
Wie auch die Erkenntnis, dass Menschen sich nicht ausschließlich
von Grünzeug ernähren können."
Er blickte triumphierend in die Runde, aber keine einzige Hand streckte
sich nach der Schale mit den Krebsen aus.
Martin Olsson starrte ebenso wie die anderen auf den roten Stapel aus
kleinen Monstern, die Skorpionen glichen. Er mochte Krebse eigentlich
nicht besonders, aber um seinem Gastgeber aus der kleinen Verlegenheit
zu helfen, unterbrach Olsson die peinliche Pause und streckte eine Hand
nach der Schüssel aus. Er nahm sich einige von den Tieren, deren
Beine und Scheren schlaff herunterhingen, als er sie über den Tisch
auf seinen Teller hob.
Und genau, wie er gehofft hatte, folgten die meisten anderen seinem
Beispiel. Die blonde Frau neben ihm hielt sich allerdings zurück
und zog nervös an ihrer Zigarette. Jetzt erst bemerkte Olsson,
wie ähnlich sie dem Mann war, den sie Uno genannt hatte.
"Ich bin Vegetarierin",
erklärte sie.
"Und mein Bruder lässt keine Gelegenheit aus, seine Meinung
darüber kundzutun."
Sie lächelte kurz und nahm einen hastigen Zug, ehe sie fortfuhr.
"Ich heiße Louise Berghagen. Meistens werde ich aber Lisa
genannt."
Etwas verlegen erwiderte Olsson die Begrüßung. Er war als
Letzter gekommen, als die anderen schon dabei waren, am Tisch Platz
zu nehmen, und hatte daher die Vorstellungsrunde verpasst. Zu seinem
Erstaunen entdeckte er seinen alten Freund, den Schafzüchter Harry
Landmann, unter den Gästen. Sie hatten sich nach der Tragödie
vor zwei Jahren, als Harrys Frau Terese ermordet worden war, mehr oder
weniger aus den Augen verloren. Harry schien sich jedoch nicht nennenswert
verändert zu haben.
"Je später der Abend, desto erlesener die Gäste!"
bemerkte er grinsend, während Olsson sich verlegen für sein
spätes Kommen entschuldigte.
Überhaupt hatte er sich erst in letzter Minute für die Einladung
zu Seved Sunessons Krebsessen bedankt und zugesagt. Aber Seved war am
Telefon ganz und gar nicht ungehalten gewesen, im Gegenteil, Olsson
meinte aus der Stimme des Journalisten sogar eine gewisse Erleichterung
herauszuhören.
Diese ungewöhnliche Reaktion beschäftigte Olsson auf der Fahrt
nach Hallandsåsen. Seved Sunesson hatte dort am Ufer der Uggle-Halbinsel
zwei alte Blockhäuser in einen modernistischen Traum verwandeln
lassen, mit architektonischen Extravaganzen und Terassen, die bis zum
Ufer des lang gestreckten Binnensees reichten.
Sunesson war privat ein zurückhaltender Mensch. Olsson hatte sich
schon während seiner Jahre bei der Polizei gut mit ihm verstanden,
sich aber des Öfteren gefragt, wie seine beinahe schüchterne
Art zu seinem streitbaren, professionellen Stil als Chefredakteur passte.
Er hatte auch die Erfahrung gemacht, dass Sunesson gerne wie eine Katze
um den heißen Brei schlich, wenn es sich um persönliche Dinge
handelte. Und er spürte, dass es nicht nur die Krebse waren, weswegen
Sunesson ihn eingeladen hatte.
Jetzt machte sich Olsson jedenfalls ohne große Begeisterung an
das Zerlegen der roten Tiere. Die Stimmung wurde langsam besser, trotz
Uno Berghagens eigenartigem Verhalten. Die Schnapsgläser kamen
auf den Tisch, und das gut gekühlte dänische Bier holte der
Gastgeber aus einer Kiste im See.
Olsson hielt sich an alkoholfreies Tuborg. Er hatte keine Lust, hier
oben im Wald zu übernachten, so schön die Umgebung auch sein
mochte.
Schön war übrigens stark untertrieben. Die Dämmerung
kam über den See, an der nächsten Landzunge verdunkelte sich
bereits das Wasser, und dahinter erhob Hallandsåsen seinen waldbedeckten
Rücken. Zweifellos war es der perfekte Rahmen für ein Krebsessen.
Buchtipp |
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"Bei einem Gemälde würde man so was als Edelkitsch bezeichnen".
Uno Berghagen machte mit der Hand eine ausholende Geste.
"Aber es ist faszinierend, das muss man zugeben."
Danke an den Rowohlt Taschenbuchverlag für die Veröffentlichungserlaubnis. |