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"Nicht jedes Buch ist gut, nur weil es ein Krimi ist "Im Gespräch mit dem Literaturportal schwedenkrimi.de erklärt
Åke Edwardson, was einen guten Krimi ausmacht und berichtet von
der "Kunst" die Spannung so lange wie möglich hinauszuzögern.
"Zimmer Nr. 10" gilt als Ihr bisher bester Winter-Krimi. Was finden Sie? Åke Edwardson: Bücher sind wie Kinder. Man kann nicht sagen, dass man das eine Kind lieber mag als das andere. Aber die Kommissar-Winter-Reihe und das Schreiben betreibe ich als ein ehrgeiziges Projekt, das ich sehr ernst nehme. Alle Bücher sind so gut geworden, wie sie zum Zeitpunkt der Entstehung werden konnten. Und mit jedem Buch, das man schreibt, lernt man etwas, erhält man ein weiteres Werkzeug für die Werkzeugkiste des Schreibens. Literaturportal schwedenkrimi.de: Und was genau haben Sie in den letzten Jahren während des Schreibens gelernt? Åke Edwardson: Man lernt, zu vereinfachen, je besser man wird. Die Szenerie ist bereits da, aber wie ich sie belebe, ist anders. Die Sätze werden kürzer, aber ich sage genauso viel wie vorher. Man nimmt die Musik vielleicht etwas zurück, evoziert aber immer noch dasselbe Gefühl, dieselbe Stimmung. Literaturportal schwedenkrimi.de: Und worin liegt die Stärke von "Zimmer Nr. 10"? Åke Edwardson: Ein Thema, das bei mir immer wieder vorkommt, ist die Vergangenheit. Man kann vor ihr nicht fliehen. Die Schatten der Vergangenheit holen einen immer wieder ein, egal, wo man sich befindet. In vielen Winter-Krimis mache ich Ausflüge, nach Schottland, Spanien, Dänemark, England, die schwedische Provinz Aber hier wollte ich ein Kammerdrama inszenieren. Die gesamte Handlung ist auf Göteborg konzentriert, und es ist eine echte Herausforderung ein Kammerdrama von rund 500 Seiten zu schreiben mit nur einer handvoll Charaktere. Im ganzen Roman kommen ja nur ein paar Figuren vor, die immer wieder aufeinander stoßen. Und das anschaulich zu machen, wer sie sind, was sie treibt, ist eine echte Herausforderung. Das ganze ist wie ein Theaterstück aufgebaut. Außerdem wollte ich den jungen Erik Winter präsentieren. Welche Ideale er hatte, wie er als junger Polizist war und wie er Angela traf - das habe ich niemals zuvor getan. Ein schwedischer Kritiker schrieb apropos "Zimmer Nr. 10" außerdem, dass ich der "Meister des intelligenten Aufschiebens der Spannung" sei. Bei mir gibt es keine Action, ich bewege mich in meinen Büchern in so kleinen Schritten wie möglich vorwärts, bis ich mich dem Kern des Ganzen nähere. Wie auch in "Die Schattenfrau" findet das Ereignis, um das es eigentlich geht, vor Beginn des Romananfangs statt und dann probiere ich aus, wie lange ich warten, wie lange ich das Ende aufschieben kann. Es geht mir also um die "Kunst des Aufschiebens".
Auch in "Zimmer Nr. 10" liegt das eigentlich auslösende Ereignis ja 18 Jahre zurück, vor Romanbeginn also. Für Erik Winter spielt dieser 18 Jahre zurückliegende Fall um Ellen Börge eine große Rolle in seinem Leben. Haben Sie auch eine "Leiche im Keller", also ein Ereignis in der Vergangenheit, das Ihr Leben entscheidend geprägt hat, das für Sie noch heute von Bedeutung ist? Åke Edwardson: Ja, das hat man ja immer... Ich bin ein sehr melancholischer, wehmütiger Mensch. Ich denke oft, warum habe ich damals diesen Weg gewählt, warum habe das getan und nicht das und so weiter. Aber es gibt kein spezielles Ereignis, das diesen Roman ausgelöst hätte, aber andere Ereignisse haben andere Romane ausgelöst. Ich habe ja auch andere Sachen geschrieben, zum Beispiel die Novellensammlung "Der letzte Abend der Saison" oder den Nostalgieroman "Der Jukebox-Mann". Diese Bücher handeln von mir, von meinem Leben. Dort habe ich mich auf eine innere Entdeckungsreise in mir selbst begeben. Bei den Krimis stehe ich als Autor eher außen vor und untersuche diese Unterwelt wie ein Reporter im Dunkeln, auch wenn ich mich einer literarischen und keiner journalistischen Sprache bediene. Und der Plot selbst, die Gestaltung entspringt meiner Phantasie, aber in manchen Szenen blitzt meine Melancholie, mein Wehmut auf. Wie in der Szene, als Halders das erste Mal die Wohnung der ermordeten Paula Ney betritt und sich an die "gute Stube" zuhause erinnert, der Raum, der immer verschlossen war und in den man nur durch eine Milchglasscheibe in der Tür blicken konnte. Und dann ließen sich die Eltern scheiden und es ist, als hätte dieser Raum nie existiert, weil er ihn nie betreten durfte. Solche Szenen mag ich, solche Szenen handeln von mir. Literaturportal schwedenkrimi.de: Sie beschreiben Erik Winter als eine moralische, aber nicht als eine politische Person. Was bedeutet das? Für Sie, für das Schreiben, die Geschichten ? Åke Edwardson: Also, als erstes muss man festhalten, dass alles Politik ist. Und wie nimmt man Abstand von der Gesellschaft? Aber das, worüber ich in den Winter-Krimis schreibe, ist Produkt meiner Phantasie. Darüber habe ich nichts in der Zeitung gelesen, die Ereignisse haben keinen Ausgangspunkt in der Zeit, in der Gegenwart. Ich nehme keinen Bezug auf tagesaktuelle Dinge, sondern schreibe darüber, was wir als Menschen einander antun und warum. Das sind moralische Fragestellungen. Erik Winter fragt sich beispielsweise die ganze Zeit, wie er ein anständiges Leben führen kann, wie er sich sich selbst gegenüber, aber vor allem auch anderen gegenüber verhalten soll. Das klingt so leicht, ist es aber nicht. Man muss lernen, sich morgens im Spiegel anzusehen und zu sagen, okay, das bin ich und ich muss mich für mein Leben nicht schämen. Ich habe niemanden drangsaliert, niemanden gemobbt, ich führe ein anständiges Leben. Wenn sich das alle fragen würden, wie sie ein anständiges Leben führen könnten, wie sie sich anderen gegenüber verhalten sollen, dann wäre unsere Welt vielleicht ein klein wenig besser Wie bin ich als Mensch, wie verhalte ich mich? Das meine ich mit "moralisch". Diese Frage muss man sich immer und als Erstes stellen. Dann kommt alles andere. Literaturportal schwedenkrimi.de: Und hat Erik Winter darauf eine Antwort gefunden? Åke Edwardson: Nja, Erik Winter ist noch nicht fertig, aber er arbeitet daran, er entwickelt sich noch Mit Serienfiguren ist es ja so, dass die Leser gerne zu ihnen zurückkehren möchten wie zu Freunden. Aber Erik ist nicht nur nett, nur sympathisch. Da ist auch etwas, das befremdet, etwas, an das man nicht herankommt, etwas Verborgenes. Man muss eine lange auf Vertrauen basierende Freundschaft aufbauen, um dahinter zukommen. Das erfordert Geduld. Ich bin auch noch nicht hinter Eriks Geheimnis gekommen. Darum schreibe ich immer noch weiter, bis ich es weiß. Ich hab' ja gesagt, dass ich zehn Romane über Erik Winter schreiben will, also etwas Zeit habe ich noch. Literaturportal schwedenkrimi.de: Ist Erik ein glücklicher Mensch?
Neeej ich glaube nicht. Gibt es so etwas wie Glück überhaupt? Was ist das? Es ist schon schwer genug zu leben. Man muss Tag für Tag, Jahr für Jahr nehmen. Man spaziert nicht umher und denkt, dass man glücklich ist, dass man lebt. Ja, was ist Glück? Ich habe in meinem Leben vielleicht vier, fünf Ereignisse, eine Sekunde erlebt, die Glück sein könnte. Wie das eine Mal, als ich für die UN im Libanon gearbeitet habe und wir im Morgengrauen auf eine Hafenstadt zufuhren und man glaubte, das ganze Mittelmeer sehen zu können. Das war im Januar, in Schweden war Winter, aber dort waren es 20 Grad, ich war 29 Jahre alt, verheiratet, hatte eine dreijährige Tochter, da war ich vielleicht glücklich Literaturportal schwedenkrimi.de: Wie ergeht es Erik in Marbella? Ist er dort glücklich? Åke Edwardson: Nein, das glaube ich nicht. Er versucht es, aber Glück ist ein schwieriges Wort. Vielmehr geht es darum, sein Gleichgewicht im Leben zu finden. Dass man dazu stehen kann, was man getan hat. Aber Erik brauchte diese sechsmonatige Auszeit in Marbella, um etwas Abstand von all dem Dunklen zu gewinnen, dem er in seinem Leben als Polizist ausgesetzt ist. Literaturportal schwedenkrimi.de: Und Göteborg? In wiefern beeinflusst Göteborg als Stadt die Romane? Åke Edwardson: Göteborg ist wichtig. Ich wollte unbedingt Göteborg als Handlungsort haben. Darum fing ich an zu schreiben. Es hatte zuvor auch noch niemand über Göteborg geschrieben. Für mich ist es wichtig, dass das Milieu wie ein Charakter ist, mit Gerüchen und Gefühlen, Farben und Licht All das beeinflusst das Verhalten der Menschen. Literaturportal schwedenkrimi.de: Und wie riecht Göteborg für Sie? Åke Edwardson: (zitiert aus seinem Roman) " die Gerüche der Stadt . Benzinduft, Ölparfüm. Der salzige Hauch des Meeres " Literaturportal schwedenkrimi.de: Inzwischen gibt es nicht nur Krimis aus Stockholm und Göteborg. Es gibt auch Krimis aus Kiruna und Fjällbacka Wie hat sich die Krimiszene Ihrer Meinung nach verändert während der letzten zehn Jahre, in denen Sie als Autor aktiv waren?
Es erscheinen zu viele Bücher. Das spielt aber keine sehr große Rolle. Man hofft, dass das Publikum die erkennt, die gut sind. Das Wichtigste ist, dass die, die Krimis schreiben, sich bewusst sind, was sie machen. Es ist die größte Herausforderung einen guten Krimi zu schreiben. Und damit meine ich nicht nur die Technik, eine spannende Geschichte. Wichtig ist auch, eine Art von Humanismus einzuführen, Empathie zu wecken. Sonst kommt dabei nur zynische Unterhaltung heraus, das kann gefährlich werden. Als Leser muss man sich fragen, warum der Autor Krimis schreibt. Gibt es eine Moral hinter der Geschichte? Es kann geradezu schädlich sein, schlechte Krimis zu veröffentlichen, sollte man verbieten Nein, im Ernst. Ich finde es aber wichtig, dass gerade auch die, die in dieser Branche arbeiten, also die Literaturkritiker, sich immer wieder fragen, warum schreibt der Autor diesen Krimi? Welches moralische Anliegen verbirgt sich dahinter? Nicht jedes Buch ist gut, nur weil es ein Krimi ist Literaturportal schwedenkrimi.de: Seitdem Henning Mankell Anfang der 90er Jahre mit den Krimis um Kurt Wallander erschien, hat es in der Tat eine regelrechte Krimiwelle gegeben. Woher kommt unser Bedürfnis nach Verbrechen bzw. unser Bedürfnis über Verbrechen zu lesen? Warum gerade Krimis? Was glauben Sie? Åke Edwardson: Wir leben in einer chaotischen Zeit. Viele Dinge ändern sich. Da braucht man jemanden, der die Ordnung wieder herstellt. Und das macht ein Detektiv. Für den Leser von Krimis ist es ein beruhigendes Gefühl, dass es da jemanden gibt, der ein Rätsel, ein Problem löst und die Ordnung wiederherstellt. Es ist so, als ob sich Erik Winter zwischen dem Abgrund und den Lesern befindet. Erik Winter ist derjenige, der vorgeht. Als Leser muss man nur hinterher. Das ist beruhigend. Er ist wie ein Airbag, er kriegt den ersten Schlag ab. Meine Dramaturgie in den Krimis ist klassisch zu nennen. Ich schreibe richtige Geschichten: Anfang - Mitte - Schluss. Offensichtlich wollen die Leute das immer noch lesen. Literaturportal schwedenkrimi.de: Das ist ein im Prinzip konservatives, traditionelles Verständnis von Krimi. Worin liegt denn das Neue? Worin unterscheiden sich Ihre Krimis von denen einer sagen wir Agatha Christie? Åke Edwardson: Ich bediene mich zwar der klassischen Dramaturgie, aber ich erkläre nicht alles bis ins letzte Detail. Das machen auch viele Krimiautoren, leider. Aber ich will immer etwas Ungeklärtes hinterlassen, ein loser Faden, der aufgenommen werden will, der zum Weiterspinnen einlädt. Literaturportal schwedenkrimi.de: Herr Edwardson, vielen Dank für das Gespräch. Autorin: Alexandra Hagenguth/ © September 2006 - Literaturportal schwedenkrimi.de - Krimikultur Skandinavien |
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