Mord
am Schreibtisch von Jógvan Isaksen
In seinem Artikel "The Philosophy of Composition" erklärt
Edgar Allan Poe, wie er das Gedicht "The Raven" geschrieben
hat. Poe behauptet, das nichts in diesem Gedicht willkürlich ist
und das es gerade so sorgfältig erstellt worden ist, wie eine mathematische
Übung: dass er zuerst über die Länge entschieden hat,
welche Gefühle der Text wachrufen soll, die Tatsache, dass es einen
Refrain geben und dieser nur aus einem Wort bestehen sollte. Danach
war es die Aufgabe, dieses eine Wort zu finden. Er entschloss sich schnell,
dass der Vokal "o" und der Konsonant "r" verwendet
werden sollte, und das erste Wort, das ihm ins Gedächtnis kam,
war das Wort "Nevermore" Aber wer würde sich in solch
einer monotonen Wiederholung ergehen? Kaum ein menschliches Wesen. So
kam Poe schließlich zu dem Ergebnis, dass ein Rabe geeignet sein
könnte, und dass der Klang mit diesem Vogel gut vonstatten gehen
würde.
Der vollständige ziemlich langatmige Artikel ist eine umfangreiche
Beschreibung über die Erschaffung des Gedichtes, in der Poe behauptet,
dass alles bewusst erschaffen wurde. Bis ins Letzte!
Ich behaupte, dass Poe seinen Lesern Sand in die Augen streute. Ich
habe nicht den leisesten Zweifel, dass sehr viele Gedanken in seine
Aufbereitung geflossen sind - nicht in die des Gedichtes, aber in die
des Artikels! Natürlich ist das Schreiben ein bewusster Vorgang,
aber mitnichten ist alles im Voraus geplant, so wie es der Vater der
modernen Kriminalgeschichte behauptet. Andererseits, nicht alles gebührt
der Inspiration oder der göttlichen Einsicht, da sich der Text,
letzten Endes nicht von selber schreibt. Der Rahmen, den sich der Autor
für seine Erzählung am Anfang festlegt, erschafft eine Art
Logik für den Text, dem gehorcht werden muss. Die Logik mag variieren
- von vollkommener Nüchternheit zum totalen Wahnsinn - aber dies
ist nicht von Wichtigkeit, solange es völlig in seiner eigenen
Welt stattfindet.
Zumindest mischt sich Poe nicht darin ein, wie "The Raven"
gelesen werden sollte, und gemäß Umberto Eco ist er in dieser
Hinsicht auf dem richtigen Weg. Eco legt dar, dass, wenn ein Autor sein
eigenes Werk interpretiert - welches aus sich heraus für eine Interpretation
offen sein muß - es keinen Grund für ihn gegeben hat es überhaupt
erst zu schreiben. Das Beste was ein Autor machen kann ist, sich hinzulegen
und zu sterben, wenn er mit dem Schreiben eines Buches fertig ist -
auf diese Weise kann er uns nicht vom Text ablenken!
Vom Kritiker zum Autoren
Meinerseits habe ich weder die Absicht mich hinzulegen und zu sterben
noch das Gesetz festzulegen, wie meine Bücher gelesen werden sollten.
Stattdessen möchte ich gerne ein wenig davon enthüllen, wie
mein erstes Buch entstand und einiges über die Dinge, an die ich
in diesem Zusammenhang gedacht habe.
Als "Blið er summarnátt á Føroyalandi"
(Mild ist die färörische Sommernacht) im November 1990 veröffentlicht
wurde, sagte ich auf einer Pressekonferenz - wahrscheinlich aus reiner
Nervosität - dass sich der Roman von selbst geschrieben hätte.
- Dass ich an meinem neuem Computer Platz nahm, und - wie aus dem Ärmel
geschüttelt, ohne viel Anstrengung von meiner Seite - sich ein
Roman ein paar Monate später materialisierte. Das ist nicht wahr.
Ich saß da, schrieb Nacht um Nacht und nebenbei las ich Mengen
von Bücher über Unterseeboote, dem Zweiten Weltkrieg, Italien
und Segelschiffe - alles wichtige Stoffe in Verbindung mit dem Roman,
obwohl er in der Gegenwart auf den Färöer Inseln spielt.
Warum ein Kriminalroman? Ich habe Kriminalromane immer geliebt und habe
eine große Anzahl von ihnen gelesen und so hatte ich in dieser
Hinsicht keine Zweifel. Was mich mehr verwunderte, war, dass ich tatsächlich
noch keinen Roman geschrieben hatte! Bevor ich mit dem Schreiben von
"Blið er summarnátt á Føroyalandi"
anfing, hatte ich nur gelegentlich daran gedacht einen Roman zu schreiben,
auch wenn ich mich eingehend damit beschäftigte, über Literatur
zu schreiben. Es wird oft behauptet, dass jeder einmal versucht hat,
gelegentlich Gedichte in seinem Leben zu schreiben. Ich habe niemals
versucht ein Gedicht zu schreiben. Nie!
Alles begann als Spiel. Aber ein Kapitel führte zum anderen und
ich hatte tatsächlich schon sehr viel von dem Buch geschrieben,
bevor ich vollständig erkannte, dass ein Roman sich ankündigte.
Das Gefühl, dass ich eine Art Spiel spielte, war sicherlich der
wichtigste Faktor in dieser Zeit. Als der Roman abgeschlossen war, zweifelte
ich sehr stark, ob überhaupt jemand diesen lesen wollte. - Und
das trotz der Tatsache, dass ich mich mit der Literatur seit zwanzig
Jahren beschäftige! Es ist sehr schwierig, seine eigene Werke zu
beurteilen - besonders auf dem Gebiet der Romanliteratur - und es kam
als ziemliche Überraschung, als "Blið er summarnátt
á Føroyalandi" auf den Färöer Inseln und
auch in anderen Ländern Erfolg hatte.
Dazu kam das seltsame Gefühl, die Seiten gewechselt zu haben. Zuvor
hatte ich über die Bücher anderer Leute geschrieben, nun wurde
ich der Autor, welcher durch die Kritiker beurteilt wurde. Ein alter
Freund, der von meinem kommenden Buch gehört hatte, stieß
schadenfroh aus: "Wie in aller Welt glaubst du, damit durchzukommen?!"
Hammett und Chandler
Picasso sagte einmal über seine Sammlung ethnographica, das sie
mehr eine Art Zeuge seiner Kunst ist als eine Quelle der Inspiration.
Die Gegenstände sind einfach vorhanden, beobachtend, und atmen
hinter dem Nacken des Künstlers, während er arbeitet.
In einer sehr ähnlichen Weise fühle ich, dass zuallererst
die amerikanische Tradition "einfach vorhanden" ist, als ich
schrieb. Ich kenne sie gut; aber daran zu denken, gemeinsam mit ihnen
an meinem Schreibtisch zu sitzen! Ich hatte nicht bewusst versucht,
wie Dashiell Hammett oder Raymond Chandler zu schreiben. Im Gegenteil,
tatsächlich war ich bestrebt sie nicht zu imitieren. Als ich begann,
an "Blið er summarnátt á Føroyalandi"
zu arbeiten, wagte ich es nicht, überhaupt etwas von Raymond Chandler
zu lesen, weil ich über die Stärke seines Einflusses besorgt
war. Andererseits hatte ich seit ungefähr zwanzig Jahren fast alle
seine Werke jedes Jahr gelesen. Diese Besorgnis - oder wie immer man
dies benennen kann - vor dem Meister, bedeutete, dass ich erst vor ein
paar Jahren wieder damit anfing, seine Werke zu lesen.
Buchtipp |
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Dashiell Hammetts Hauptfiguren sind völlig desillusioniert, aber
sie versuchen dennoch zu beseitigen, was sie für Unrecht halten.
Meine Hauptperson, Hannis Martinsson, beginnt mit der gleichen grundsätzlichen
Unsicherheit. Es gibt nichts, woran man glauben kann, aber das bedeutet
nicht, dass alles erlaubt ist, was gefällt. Moral ersetzt Glauben
- doch, wohlgemerkt, seine Moral ist personengebunden eher noch als
gesellschaftlich, welches ihn eng mit Philip Marlowe verbindet. Aber
der skandinavische Kriminalroman, von Sjöwall und Wahlöö
bis zu Dan Turèll oder Gunnar Staalesen, war auch ein wichtiger
Einfluss.
Meine Hauptpersonen wuchsen am Rande des Gebietes auf, was wir Skandinavier
unsere Heimat nennen - mit starker Loyalität zu unseren Familientraditionen,
doch sie scheinen irgendwann einmal eine starke Neigung für den
amerikanischen Individualismus entwickelt zu haben. Unser romantischer
Traum - denn wir sind, allesamt, unverbesserliche Romantiker! - ist
es, das Beste beider Welten zu vereinen.
Mit freundlicher Genehmigung des Autors erschienen
2001 in "Nordisk Litteratur" unter dem Titel "Mord ved
skrivebordet"
Übersetzung April 2006 aus dem Englischen von Jürgen Ruckh/
Literaturportal schwedenkrimi.de - Krimikultur Skandinavien
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