Rebecka Edgren Aldén - Die achte Todsünde
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Rebecka Edgren Aldén - Die achte Todsünde
 
Rebecka Edgren Aldén - Die achte Todsünde
Hier können Sie Probelesen in einem Buch des Autors Tor Åge Bringsværds.
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gebunden
192 Seiten
dreamis Verlag Zürich
Erscheinungsdatum:
Oktober 2004
ISBN: 390547302X
Übersetzung:
Roman Steinlin
Originaltitel:
"Pinocchio-papirene"

Kurzbeschreibung

Der norwegische Folklorist Jonas Rafn macht sich auf die Suche nach seinem ungarischen Kollegen Varga, nachdem er von ihm einen überraschenden Hilferuf erhalten hat. Als Jonas in Budapest ankommt, ist Varga verschwunden. Bei seinen Nachforschungen lernt Jonas zwei Ungarinnen kennen, die beide nie ganz klar einzuordnen sein werden: Lilli, in die sich Jonas verliebt, und Maja, eine Mitarbeiterin an Vargas Institut. Wenig später wird Vargas kopflose Leiche von der Polizei aus der Donau gefischt. Offenbar wurde er als gefährliche Person beseitigt. Aber gefährlich für wen? Jonas ist überzeugt, dass der Schlüssel in dem Manuskript zu finden sei, an welchem Varga gearbeitet und welches er postlagernd Jonas hinterlassen hatte. Auf mysteriöse Weise verschwindet aber dann die eine Hälfte dieses Manuskripts. Der Polizeimajor Szluka lässt daraufhin den noch vorhandenen Teil des Manuskripts untersuchen, hält es aber für die Aufklärung des Falles Varga für harmlos und unbrauchbar. Als nach einiger Zeit auch Jonas verschwindet, wird dieser vom "Detektiv" selbst zum Verdächtigen.

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Leseprobe

10
Das Rätsel Pinocchio

Wo wurde er "geboren"?
Für gewöhnlich – wegen Collodi – verbindet man ihn mit der Toskana, wo ihm auch eine Statue errichtet worden ist. Doch was ist mit Korsika – wo die Natur selbst ein Andenken geschaffen hat, eine Klippe bei Calanques, welche die genauen Gesichtszüge Pinocchios wiedergibt? Wir wissen es nicht. Aber wir wollen davon ausgehen, dass er in Italien geboren wurde – wenn er denn auch (wie aus seinem eigenen Bericht hervorgehen wird) den grössten Teil seiner Jugend und seines Erwachsenenlebens in Ungarn verbracht hat. Wie alt war er, als er "geboren" wurde? Wir wissen es nicht. Doch wollen wir hier Collodis Version folgen, welche andeutet, dass Pinocchio im schulpflichtigen Alter "geboren" wurde, d.h. mit 6 Jahren. Pinocchio wird auf die gleiche Weise in die Welt geworfen wie Adam, Kaspar Hauser und Frankensteins Monster. Doch im Gegensatz zu jenen wirkt er überraschend gut vorbereitet. Er kann zum Beispiel vom ersten Augenblick an fliessend Italienisch sprechen ...
Wann wurde er "geboren"? Wir wissen es nicht. Collodis Buch kam 1883 heraus, doch die meisten Ereignisse müssen um einiges früher stattgefunden haben. Wir liegen wohl nicht völlig falsch, wenn wir auf ca. 1875 tippen. Wie wir sehen: Obwohl wir uns auf Pinocchios eigenen Bericht stützen können, so gibt es doch manche unbeschriebenen Punkte – manche Fragen auf die wir vielleicht niemals eine Antwort bekommen werden. Einiges deutet darauf hin, dass Pinocchio sein ganzes Leben hindurch auf ein langes, kontinuierliches autobiographisches Schauspiel hinarbeitete. Als Kind war er ja eine Marionette, und die Liebe zum Theater scheint ein Leben lang haften geblieben zu sein ...
Es sind die Fragmente dieses umfangreichen theatralen Tagebuchs, welche die Grundlage für die vorliegende Arbeit bilden. Zuallererst sollte ich Rechenschaft darüber ablegen, woher ich Kenntnis von diesem Tagebuch habe – und wie es dazu gekommen ist, dass einige Fragmente daraus in meinen Händen gelandet sind.

11
A fából faragott királyfi
( Der Holzprinz, oder eigentlich: Der aus Holz geschnitzte Prinz)

Es geschah in Szeged. Ich sammelte Varianten des Märchens vom Blumenpeter. Eines nachts klopfte es an meine Türe. Eine etwa sechzigjährige Frau stand draussen, leichenblass und mit völlig zerzaustem Haar. Als sie mich sah, brach sie in Tränen aus, und ich musste ihr ins Haus hinein und in einen Stuhl helfen. Sie hatte Angst und zitterte am ganzen Körper. Ihre Augen flatterten wie Schmetterlinge. Ich wusste nicht so recht, was ich davon zu halten hatte. Es war schon nach zwei Uhr nachts. Zwar hatte das Zimmer einen eigenen Eingang, doch es war über Ibusz gemietet und ich wollte mir keinen Ärger einfangen. Ich versuchte sie zu fragen, was sie wollte, aber sie gluckste und stöhnte nur zur Antwort. Als ich sie fragte, ob ich einen Arzt rufen sollte, da ergriff sie meinen Arm und klaubte mich fest. Nach einer Weile dämmerte es mir dann, dass sie stumm war. Ich gab ihr Block und Schreibzeug. Und sie schrieb, in holpriger Handschrift, nur diese zwei Worte: der Holzprinz.
"Ich verstehe nicht, was Sie meinen."
Bartók, schrieb sie.
"Das Ballett, meinen Sie?"
Sie nickte.


Buchtipp
Camilla Läckberg - Die Eishexe: Kriminalroman (Ein Falck-Hedström-Krimi 10)

"Und was ist damit?"
Ihre Hände tasteten sich wieder über das Papier: Ich bin seine Tochter.
"Von Béla Bartók?"
Sie schüttelte den Kopf, deutete auf die ersten zwei Worte, und klopfte auf die Phrase: der Holzprinz ...
Wir schreiben das Jahr 1913. Bartók – missverstanden und unterschätzt – ist gerade von einer Forschungsreise aus dem algerischen Biskra zurückgekehrt. Folklore und Volksmusik stehen jetzt im Zentrum seines Interesses. Der Opern-Einakter Ritter Blaubarts Burg – die einzige Oper, die er jemals schreiben sollte – war für lange Zeit im In- und Ausland von allen, die sich für kunstverständig hielten, als schlecht beurteilt worden – und war noch nicht uraufgeführt. Zu seiner Freude und Überraschung bestellt die Budapester Oper jetzt trotzdem ein neues musikalisch-dramatisches Werk bei ihm – ein Ballett. Bartók kontaktiert seinen alten Freund und Libretto-Verfasser, Béla Balázs, und jener schlägt den Holzprinzen vor (Balázs Erzählung war zum ersten Mal in der Weihnachtsnummer der literarischen Zeitschrift Nyugat gedruckt worden, 1912). Bartók begeistert sich für die Idee und arbeitet mit dem Ballett bis 1916. Sie wurde am 12. Mai 1917 zum ersten Mal aufgeführt, in der Budapester Staatsoper. Egisto Tango dirigierte (das Ballett ist auch ihm gewidmet) und Balázs führte Regie. Die Musik lassen wir für diesmal beiseite, doch die Handlung ist rasch erzählt: Eine Prinzessin tanzt sorglos in einer von einer Fee geschaffen Märchenwelt umher. Ein Prinz stösst dazu, sieht die Prinzessin und verliebt sich in sie. Die Fee befiehlt der Prinzessin, sich ins Schloss zurückzuziehen. Der Prinz will ihr nachfolgen, aber der zum Leben erwachte Wald versperrt ihm den Weg. Dem Prinzen gelingt es, sich hindurchzukämpfen und die überwundenen Bäume erstarren hinter ihm. Doch die Fee behindert ihn von neuem, und der Bach vor ihm wird lebendig, erhebt sich in hohen Wellen und versperrt ihm den Weg. Der Prinz lässt den Mut schon fast sinken, doch da hat er eine Idee. Er fertigt aus seinem Wanderstab eine Holzpuppe an, nimmt seinen königlichen Mantel ab, kleidet die Holzpuppe an und schwingt sie in der Luft. Die Prinzessin, die anscheinend aus dem Abstand das Ganze beobachtet hat, tut zuerst so, als ob nichts wäre. Der Prinz nimmt seine Goldkrone ab, und setzt sie der Puppe auf. Und jetzt bemerkt ihn die Prinzessin klar und deutlich, aber sie rührt sich immer noch nicht. Der Prinz schneidet sich sein Haar ab und befestigt es an der Puppe, und die Prinzessin beginnt wie hypnotisiert die Treppe des Schlosses herabzusteigen – auf sie zu. Doch die Fee greift ein. Sie erweckt die "Vogelscheuche" mit drei Berührungen ihres Zauberstabs zum Leben. Und zum Entsetzen des Prinzen wählt die Prinzessin anstatt seiner die Puppe! Sie umarmt sie verliebt und tanzt hinfort mit ihr, ohne dem Prinzen Beachtung zu schenken, der daraufhin verzweifelt zur Erde sinkt ...
Jetzt kehrt die Fee zurück. Diesmal um zu trösten. Alles wird lebendig und versammelt sich um den Schlafenden herum. Bäume, Wasser und Blumen huldigen ihm, schenken ihm eine neue Krone, einen neuen Mantel und neues Haar. Die Holzpuppe kommt torkelnd aus dem Schloss. Sie ist völlig entmattet und kann sich kaum aufrecht halten, wird aber immer noch von der Prinzessin umarmt. Doch plötzlich lässt sie von ihr ab, beim Anblick des Prinzen – der jetzt schöner ist als je zuvor – und bittet ihn, die Seine werden zu dürfen. Aber der Prinz legt die Hand aufs Herz, schlägt ab und geht seiner Wege. Jetzt ist es an der Prinzessin, ihm nachzufolgen. Doch der Wald beginnt wieder lebendig zu werden und stellt sich ihr in den Weg. Verzweifelt nimmt sie ihre Krone vom Kopf, schneidet sich das Haar ab und bricht schluchzend zusammen. Der Prinz kommt zurück. Die Prinzessin versucht zu fliehen, weil sie sich schämt ohne Haar und Schmuck zu sein, aber der Prinz nimmt sie in seine Arme. Und im selben Augenblick kehren die Landschaft und alle Dinge wieder zu ihrer ursprünglichen Form und Position zurück. Was wusste ich zu der Zeit über den Libretto-Verfasser Béla Balázs? Nur dass er tot war (Budapest, 17. Mai 1949), dass er in seinen letzten Jahren Leiter des Instituts für Filmwissenschaft in Budapest gewesen war, dass er früher u.a. Dozent für Filmwissenschaft in Moskau gewesen war, dass er einer unserer bekanntesten (avantgardistischen) Drehbuchschreiber war ...

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Rezensionen

Aber vor allem: dass er in Szeged geboren wurde (4. August 1884) – an jenem seltsamen Ort, an dem ich mich gerade befand. Wo ich gerade – um zwei Uhr nachts – zusammen mit einer hysterischen Frau sass, die mich mit allen Kräften zu überzeugen versuchte, dass die Geschichte vom Holzprinzen viel mehr als nur ein Märchen sei ...
Sie nahm mich beim Arm. Wollte mich nach draussen führen. Ich folgte ihr. Sie liess meinen Arm los und lief ein Stückchen vor mir her. Wie sie so davonhinkte, mit ihrem schwarzen Kleid und dem schwarzen Schal auf dem Kopf, erinnerte sie mich an einen angeschossenen Raben. Die Strassen waren grau und kalt. Wir kamen allmählich aus dem dichter besiedelten Gebiet heraus. Sie kletterte über einen Zaun und ging über den Acker weiter, trampelte in einer schmutzigen Pflugspur, fand einen höckrigen, mit Grasüberwachsenen Karrenweg und folgte den Radabdrücken bis in den Wald hinein, an hohen und schweren Bäumen vorbei, und hinein in Nebel und Schatten. Ab und zu hielt sie an und wartete auf mich. Lächelte mir mit gelben Zähnen zu und winkte mich heran. Ich verwünschte mich dafür, dass ich mich auf dieses Abenteuer eingelassen hatte. Aber es war schon zu spät um umzukehren. Die ganze Zeit über lief sie etwa zehn, zwölf Meter vor mir her. Wir hatten die Karrenspur jetzt verlassen und krabbelten eine Anhöhe hinauf, voller nasser Zweige und verottetem Laub, wir glitten aus und strauchelten immer wieder. Gerade als wir den Gipfel erreicht hatten, wich der Nebel zur Seite und legte den Blick frei auf einen fahlen Mond, der dunkle Wolken über den Himmel jagte. Hier wartete sie. Sie zeigte auf eine alte Eiche. Ich schüttelte den Kopf, zum Zeichen, dass ich sie nicht verstand. Dass sie stumm war, liess auch mich seltsamerweise nicht ein einziges Wort sagen. Sie war sichtlich verärgert. Sie versuchte zu klettern, bedeutete mir, dass sie dazu nicht imstande war, zeigte den Stamm hinauf und puffte mich in den Rücken. Die ganze Zeit über sah sie sich um, wachsam wie ein Tier. Sie bleckte die Zähne und knurrte. Als ob sie verfolgt würde, als ob sie alle dunklen Mächte der Nacht verscheuchen wollte. Ich kletterte. Als ich beim dritten Ast angekommen war, hörte ich sie unter mir wimmern und stöhnen wie eine Besessene. Aus ihren Handbewegungen, aus ihrer ganzen Gestalt heraus begriff ich, dass ich mit der Hand in den Baum hinein – oder hinunter – greifen sollte. Ich suchte nach der Ritze, die ja also irgendwo sein musste... Und fand sie: einen kleinen Zwischenraum... Ich steckte die Hand hinein. Und fischte einen kleinen eisernen Schrein heraus, rostig und verschmutzt. Er war verschlossen. Ich winkte ihr mit dem Schrein zu. Und sie wich zurück wie ein Zähne fletschender Wolf. Sie heulte, so dass es die Toten hätte aufwecken können, und sie schoss los durchs Gebüsch – als ob ich ihr den Leibhaftigen selbst gezeigt hätte. Ich liess den Schrein zur Erde fallen und kletterte herunter. Sie war fort. Verwirrt – und ich räume gerne ein: auch ein wenig ängstlich – kroch ich den Hang hinab und versuchte, den Weg zurück wieder zu finden. Ein erneuter Schrei liess mich anhalten. Ich drehte mich um. Sie war es. Nackt wie eine Hexe, dreckig und blutig geritzt von den Zweigen wackelte sie aus dem Schatten hervor. Sie sah mich nicht. Ging wie in Trance. Ihr nackter Körper würde von Krämpfen geschüttelt. Sie hielt die Hände über den Kopf, als ob sie durch einen Fluss waten würde. Und ihre Stimme– die Laute, welche hervorsprudelten und sich in Gestöhne und Geschrei entluden... Sie stellte sich vor einen Baum, presste sich an ihn, schlang ihre Arme um ihn, rieb sich am Stamm. Ihm fahlen Mondlicht fühlte ich mich, als ob ich Zeuge der schwärzesten aller Messen wäre. Ich riss mich los – und lief. Ich lief wie ein Hund, der einen Hasen verfolgt. Ich lief solange, bis ich den Geschmack von Blut verspürte, aber ich merkte, dass der Wald zu weichen begann, dass ich wieder auf dem Feld draussen war, dass ich wieder bei den Menschen war...
Ich konnte den Schrein mit einem Messer aufbrechen. Und ich konnte nicht glauben, was ich da für den Rest der Nacht zu lesen bekam... Ob ich sie wiedergefunden habe? In der ganzen Verwirrung kam ich natürlich nicht dazu, sie nach Namen und Adresse zu fragen. Und Szeged ist trotz allem eine Stadt mit 162 000 Einwohnern ...
Aber ich sollte ihr doch noch einmal begegnen. Etwas über dieses Treffen – und eine detailliertere Analyse des Holzprinzen – findet sich im Abschnitt 53. An dieser Stelle begnüge ich mich mit der Feststellung, dass mich meine Untersuchungen zur Überzeugung gebracht haben, dass der Holzprinz zweifelsohne auf einer wahren Begebenheit basiert. Zwei Männer lieben dieselbe Frau. Der Holzprinz ist die Version, welche uns der "Verlierer" von der Begebenheit gibt. Eine – nur allzu verständlich – verdrehte und eifersüchtige Version, soweit ich es beurteilen kann, und mit einem Schluss, der mehr von einem Wunschtraum, denn von einem Bericht hat. Es sind keine oder nur wenige Namen bekannt. Wir wissen nicht, ob Balázs selber die Rolle des "Prinzen" innehatte. Wahrscheinlich nicht. Wir wissen auch nicht, wer die "Prinzessin" war. Jedoch den "aus Holz geschnitzten Prinzen" kennen wir... Er muss zu dieser Zeit ende Dreissig gewesen sein. Auch seine Tochter kennen wir. Ich glaube ja, sie höchstpersönlich getroffen zu haben. Für alle anderen war sie eine Verrückte. Ein Körper in einem Bett, auf einem Stuhl, der zu bestimmten Zeiten gefüttert und gewaschen wurde. Und sonst sich selber überlassen. Alleine. Als ich sie wiedergefunden hatte, kannte sie mich nicht mehr. Ihre Augen waren leer wie Glasperlen. Niemand konnte sich mit ihr verständigen. "Sie ist schon immer so gewesen", sagten diejenigen, die sie pflegten. "Ein angeborener Fehler. Es gibt nichts, was wir tun könnten."
Warum ich? hätte ich sie fragen wollen. Warum gerade ich?
"Hat sie denn keine Verwandten, die sich um sie kümmern könnten?"
"Nein."
Doch ich wusste es besser. Und der Herrgott allein mag wissen, was in ihrem Kopf vorgeht ...

Danke an den dreamis Verlag Zürich für die Veröffentlichungserlaubnis.
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