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Literaturportal schwedenkrimi.de: Wie sind Sie auf die Idee zu dem Buch "Die Liebhaberin" gekommen? Barbara Voors: Meistens träume ich von meinen Geschichten. So war das auch mit diesem Roman. Ich träumte von einer Gruppe Menschen, die im Kreis stehen. Es gibt einen inneren und einen äußeren Kreis. Diejenigen, die im inneren Kreis sind, lassen sich fallen und werden von denjenigen im äußeren Kreis aufgefangen. Es handelt sich dabei um eine Vertrauensprobe. Ich begann dann, darüber nachzudenken, was sich aus diesem Bild machen lässt. So kam ich auf die Idee, eine Frau fallen zu lassen - sie buchstäblich und metaphorisch fallen zu lassen. Literaturportal schwedenkrimi.de: Die Protagonistin Molly ist Cellistin. Warum gerade ein Musiker? Hätte sie auch eine andere Arbeit haben können? Barbara Voors: Nachdem ich mich entschlossen hatte, dass Mozarts Requiem Ausgangspunkt für die Erzählung sein und dass es um eine Inszenierung des Stückes gehen sollte, dachte ich, dass es einfacher sei, Verbindungen herzustellen, wenn auch Molly in der Musikszene zu Hause ist, denn ich wollte auf jeden Fall, dass Mozarts Requiem am Ende tatsächlich aufgeführt würde. Ich habe mich dann in die Materie eingearbeitet - ich selbst bin auf dem Gebiet nicht so firm -, und die Musikwelt und das Stück faszinierten mich immer mehr. Literaturportal schwedenkrimi.de: Haben Sie dabei professionelle Hilfe erhalten? Barbara Voors: Ja. Zum Teil lernt man sehr viel, wenn man die Biografien bekannter Musiker und Dirigenten liest. Außerdem suche ich mir immer jemanden, der sich mit der Materie auskennt, den ich dann interviewe und der das Manuskript Korrektur liest. Zum Glück habe ich einen Bekannten, der angesehener Violinist bei den Radio-Symphonikern ist. Ich durfte ihn interviewen und bei seiner Arbeit begleiten. Zum Schluss hat er dann das fertige Manuskript Korrektur gelesen. Literaturportal schwedenkrimi.de: Welches Verhältnis haben Sie selbst zur Musik? Spielen Sie selbst ein Instrument? Barbara Voors: Nein, nein, ich bin ein ganz und gar unmusikalischer Mensch. (lacht) Ich habe nie ein Musikinstrument gespielt oder besonders gut gesungen, aber ich schätze Musik sehr. Außerdem habe ich einige Jahre an der Garderobe im Konzerthaus gearbeitet, genau wie ein Charakter im Buch. Da habe ich immer der Musik zugehört, und auch meine Mutter hat zu Hause immer klassische Musik gespielt, als ich noch klein war. Ich liebe klassische Musik sehr. Ich bin also insofern unmusikalisch, als ich selbst kein Instrument spiele, aber ich denke, dass auch die sprachliche Begabung eine Art musikalische Begabung ist. Ich meine damit die Art, wie die Sprache fließt, welchen Rhythmus sie hat und welchen Ton der Roman verkörpert. Ich bin der Überzeugung, dass es durchaus einer musikalischen Begabung bedarf, um gut schreiben zu können. Also, insofern bin ich durchaus nicht so unmusikalisch. (lachend) Literaturportal schwedenkrimi.de: Man muss nicht selbst Noten lesen oder ein Instrument spielen können, weil Musik nicht nur über den Kopf, sondern vor allem auch über das Gefühl funktioniert? Barbara Voors: Ja, genau. Für mich ist die Musik die ultimativste Kunstform, denn sie braucht keine Sprache. Ohne Sprachbarrieren, ohne Kultur und ohne Religion geht sie, genau wie Sie sagen, direkt ins Herz. Man hört ein Musikstück und plötzlich merkt man, dass man weint und man weiß gar nicht so genau, warum. Musik ist eine sehr starke Kunstform. In ihren besten Stunden kann das auch die Literatur, dass man dasitzt und liest und alles um sich herum vergisst und mit den Charakteren weint und lacht.
...doch im Gegensatz zur Musik braucht sie Übersetzer, wenn sie über den eigenen Kulturkreis hinaus bekannt werden soll. Wie zufrieden sind Sie denn mit dem deutschen Titel Ihres Romans "Die Liebhaberin". Der schwedische Titel "Smultronbett"* hieße ja wörtlich übersetzt "Erdbeerbiss", und wird im Roman, im Fließtext, als "Himbeerbiss" übersetzt. Barbara Voors: Ja, also bis gestern dachte ich ja, dass "Die Liebhaberin" "Die Besitzerin oder Inhaberin der Liebe" bedeute. Das hat mir ein Freund erzählt, von dem ich glaubte, er könne Deutsch... Doch jetzt weiß ich, dass "Die Liebhaberin" also die "Geliebte" meint, und ich habe mitbekommen, dass die Übersetzerin, Gisela Kosubek, mit dem Begriff "Smultronbett" ihre Schwierigkeiten hatte, weil es im Deutschen dafür wohl so keine Entsprechung gibt. Ich finde aber, dass sie einen ganz hervorragenden Job gemacht hat! Ich finde, sie hat das prima gelöst. Überhaupt sind die Übersetzer diejenigen, die die fantastischsten Fragen stellen. Ihnen entgeht beim Übersetzen nichts. Jeden Fehler, den du gemacht hast, decken sie auf. Ich habe wirklich großen Respekt vor der Arbeit der Übersetzer und bin mit dem deutschen Titel wirklich sehr zufrieden! Literaturportal schwedenkrimi.de: Ich möchte noch mal zurück auf Molly zu sprechen kommen. Wann fing es an, für Molly schief zu gehen? Wer ist Ihrer Meinung nach dafür verantwortlich, dass Molly oberflächlich und bequem wurde? Barbara Voors: Als ich an dem Buch schrieb, habe ich viel über Selbst- und Fremdbilder nachgedacht. Wenn wir Glück haben, stimmt das Bild, das wir von uns haben, ungefähr überein mit dem, das andere von uns haben. Aber dann gibt es gewisse Perioden, in denen unser Selbstbild nicht mit dem Fremdbild anderer von uns übereinstimmt. Mit Molly, denke ich, ist das so, dass sie, als sie ungefähr 20, 25 Jahre alt war und Herman traf, in der Tat sehr schön und begabt war. Doch dann hat sie sich nicht weiterentwickelt. Die Jahre sind vergangen, aber Mollys Entwicklung stagnierte. Sie hatte alles und glaubte deshalb, nichts mehr tun zu müssen für ihr Glück, für ihr Talent. Statt dessen erkauft sie sich später Mut, Jugend und Schönheit und steht nicht zu sich selbst - jedenfalls zu Beginn des Romans. Sie will mit aller Macht die jugendliche und schöne Molly halten, anstatt die Midlife Crisis zum Anlass zu nehmen, sich weiterzuentwickeln. Doch die Jahre holen sie ein und ihr Selbstbild stimmt nicht überein mit dem Fremdbild. Das wird ihr durch die Konfrontation mit den Büchern, die sie geschickt bekommt, schmerzlich bewusst. Literaturportal schwedenkrimi.de: Im Zusammenhang mit Molly wird viel über Gnade, Buße, Rache, ein Sünder zu sein und Ehre gesprochen. Es wird gesagt, dass Molly bestraft wird, weil sie durchs Leben getragen wurde und das Oberflächliche dem Tiefgang vorzog. Das sind alles ziemlich religiöse Begriffe. Welche Rolle spielt das katholische bzw. das christliche Wertesystem für Sie?
Es hat tatsächliche eine ganze Zeit gedauert, bis ich mir voll und ganz bewusst war, dass ich mich durch Mozarts Requiem mit einer katholischen Totenmesse beschäftigte, dass ich mich mit katholischen Texten auseinandersetzte, die mich immer mehr faszinierten. Manchmal dauert es eine Weile, bis man realisiert, worüber man eigentlich schreibt, und da begriff ich, dass ich dabei war, das am meisten vergeistigte Buch zu schreiben, das ich jemals geschrieben hatte. Ich glaube, dass alles seinen Anfang nahm mit der Überlegung, dass es leicht ist, ohne Glaube zu leben, solange alles gut geht. Doch kann man leben ohne den Glauben daran, dass einen jemand auffängt, wenn man fällt? Das glaube ich nicht. Ich glaube, dass man einen Glauben finden muss, der zu einem passt. Wenn man eine große Lebenskrise durchläuft, ist es sehr hart, wenn man erkennen muss, dass niemand da ist, der einen auffängt. Das kann ein anderer Mensch sein oder eine religiöse Macht. Ich lasse das offen. Doch denke, ich dass Molly schließlich durchaus eine Entwicklung durchmacht und am Ende erkennt, dass sie dieses Leben geschenkt bekommen hat... dass man mit seinem Talent nicht nachlässig umgehen darf. Sie lernt das durch ihre Kinder, die ihr in der Zeit der Krise eine große Stütze sind und sie am Fallen hindern... Ich denke, die meisten Schriftsteller fühlen sich von diesen alten Begriffen wie Gnade und Versöhnung angezogen. Das sind diese alten, immer gültigen Fragen des Lebens, in allen Religionen und allen Philosophien, die die meisten Schriftsteller auf die eine oder andere Weise berühren. Literaturportal schwedenkrimi.de: Ja, es sind sehr existentielle Begriffe und Fragestellungen. Barbara Voors: Ja, genau, und das sind eigentlich keine Begriffe, auf die die Kirche alleine ein Patent haben sollte. Ich meine, auch eine Frau, die Tarotkarten legt, stellt doch sehr tiefe, existentielle Fragen. Die christliche Kirche stellt diese Fragen vielleicht schon am längsten, aber es gibt auch andere Formen, sich diesen Fragen zu nähern. Literaturportal schwedenkrimi.de: Wie passt da nun eigentlich Russell ins Bild - außer dass er für Hermine das Publikum stellt? Welche Rolle spielt er für Mollys Entwicklung? Barbara Voors: Er bringt ein ziemlich großes Opfer für Molly. Er bricht seine Schweigepflicht und verliert dadurch seinen Job. Ich glaube nicht, dass sich die beiden noch mal wiedersehen oder eine Beziehung haben werden. Er hat auch die Funktion eines Katalysators. Er zeigt, dass es auch noch andere Formen der Beziehung zwischen Männern und Frauen geben kann. Er steht für eine andere Art Mann als dieser Herman. Literaturportal schwedenkrimi.de: Herman ist ein gutes Stichwort: Irgendwie geht es am Ende ja auch für ihn schief, oder? Barbara Voors: Ja, so kann man das sehen. Aber auch ihm bietet sich ja die Möglichkeit, neu anzufangen. Die Krise eröffnet einem immer die Wahl, etwas Gutes oder Schlechtes daraus zu machen. Literaturportal schwedenkrimi.de: Herman und Hermine sprechen viel von der Zärtlichkeit, die in der Vertrautheit liegt. Welche Unterschiede gibt es zwischen den Ehen heute und früher? Barbara Voors: Außer einem Generationen bedingten Unterschied, der es Frauen früher praktisch unmöglich machte, sich außerhalb oder ohne eine Ehe zu versorgen, meine ich, dass es eine Zärtlichkeit geben kann, die in der Vertrautheit liegt. Das heißt, die Beziehung muss vielleicht nicht mehr so leidenschaftlich sein wie zu Beginn. Molly aber schafft es nicht, in Würde alt zu werden. Sie benimmt sich immer noch so, als sei sie 25. Sie will immer nur mehr und mehr haben. Sie kann sich nicht mit dem zufrieden geben, was sie hat: Familie, Haus, zwei Kinder... Sie kann sich damit nicht versöhnen. Literaturportal schwedenkrimi.de: Doch kann Hermine das? Letztlich will sie sich doch auch rächen...? Barbara Voors: Ja, doch glaube ich, dass sie nicht nur die Rache, sondern auch die Möglichkeit sieht. Als Molly die junge Geliebte Hermans wird, zeigt sie recht wenig Mitleid mit Hermine. Und jetzt ist sie selbst die alte Ehefrau, die ausrangiert und gegen eine jüngere ausgetauscht wird. Vielleicht geht es auch darum, mehr Solidarität mit seinen Schwestern zu zeigen. Literaturportal schwedenkrimi.de: Aber sympathisch wirkt Hermine nicht. Sie kommt wie ein Racheengel daher... Barbara Voors: Ja, ich verstehe. Sie setzt sich auf ein sehr hohes Ross, aber sie hat ja auch einen sehr großen Verrat erlitten. Nein, es stimmt schon, sie hat sich mit ihrem Schicksal nicht versöhnen können. Darauf weist ja auch Russell mehrere Male hin. Man kann dennoch sehr großen Respekt vor ihr verspüren - und großen Schrecken. Literaturportal schwedenkrimi.de: Frau Voors, vielen Dank für das Gespräch! * "Smultron" sind im Schwedischen die kleineren Walderdbeeren; "Jordgubbar" dagegen meint die größeren Erdbeeren. Autorin: Alexandra Hagenguth/ © Juni 2004 - Literaturportal schwedenkrimi.de - Krimikultur Skandinavien |
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