"Die
Liebhaberin" von Barbara Voors
Molly fällt und fällt - Leider auch in Vergessenheit
"Die Liebhaberin" ist die Geschichte einer Frau, die fällt:
Sozial, moralisch, beruflich, seelisch und ökonomisch. Dabei führt
Molly Swartling ein nach Außen hin durchaus behagliches Leben
in einem schicken Haus in der Vorstadt, hat zwei Kinder, ist mit dem
berühmten Dirigenten Herman Swartling verheiratet und selbst Cellistin
im Orchester der Stadt. Doch eines Tages findet sie in ihrem Briefkasten
einen Zettel, auf dem in großen Lettern "Midlife Crisis"
steht. Das erinnert Molly, die ihre Unzufriedenheit und Angst vor dem
Altern nur notdürftig mit destruktiven Männergeschichten zu
viel Sport und Shopping kaschiert, daran, dass sie selbst bald 40 wird.
Dem ersten Brief folgen weitere und Molly erhält überdies
kleine Bücher, die sie mit sich selbst konfrontieren, die ihr schonungslos
vor Augen führen, wie ihre Mitmenschen über sie denken. Als
sie schließlich ihren Mann Herman mit einer Jüngeren im Bett
erwischt, ist Mollys Fall nicht mehr aufzuhalten. Es beginnt der tiefe
Abstieg in die Abgründe der Seele und die eigene Vergangenheit.
Unbehagliche Erinnerungen und Fragen tauchen auf: Wie tief kann ein
Mensch fallen? Gibt es jemanden, der einen auffängt?
Nach und nach glaubt Molly, ein Muster zu erkennen, eine Verbindung
zu der Entstehungsgeschichte um Mozarts Requiem. Gab es dort nicht auch
einen anonymen Auftraggeber? Und ist Mozart nicht über der Niederschrift
gestorben? Molly sieht sich gezwungen, endlich Verantwortung zu übernehmen:
für ihre Kinder Rosanna und Marvin und vor allem für sich
selbst.
Buchtipp |
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Wie schon in "Insomnia" und "Klaras Tagebuch" gibt
es also auch in Barbara Voors' dritten auf Deutsch erschienenen Roman
mit der Geschichte um Mozarts Requiem eine Parallelgeschichte zu lesen.
Das stellt vor allem einen dramaturgischen Griff dar, denn der Roman
fiebert dem Höhepunkt, der Inszenierung des Requiems mit Molly
am Cello, entgegen. Hinzu kommen weitere, persönliche Verstrickungen
und Intrigen. Das bewirkt letztlich leider, dass "Die Liebhaberin"
sehr konstruiert und an parallelen Geschichten überfrachtet wirkt.
Vor lauter - wenngleich sehr professioneller - Konstruktion kommen auch
die Figuren etwas zu kurz. Zwar macht Molly durchaus eine Entwicklung
durch, doch erreicht sie nicht die Tiefe und Plastizität beispielsweise
einer Savanna aus "Insomnia". Natürlich ist Barbara Voors
längst eine viel zu professionelle und kompetente Autorin, als
dass ihr grobe Schnitzer unterliefen und natürlich schafft sie
es durch die Thrillerkomponente ihre Leser bis zum Schluss bei der Stange
zu halten. Auch ist der Roman weder schlecht noch langweilig noch unspannend
geschrieben. Aber am Ende, wenn alle Verwicklungen aufgelöst und
die Geschichte erzählt ist, hinterlässt "Die Liebhaberin"
leider außer einem kurzweiligen Thriller-Kick keinen bleibenden
Eindruck und Molly ist - anders als ihre Schwestern Madame Bovary, Strindbergs
Fräulein Julie oder Ibsens Nora - bald vergessen.
Vielen Dank an Alexandra Hagenguth
© Juni 2004 Literaturportal schwedenkrimi.de - Krimikultur Skandinavien
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"Insomnia"
von Barbara Voors
Psychothriller
im besten Sinn des Wortes: Barbara Voors' Insomnia lässt den Leser
nicht mehr schlafen
Ich habe aufgehört zu schlafen. Es gibt sicher tausenderlei Arten
einzuschlafen, doch ich beherrsche keine einzige.
So beginnt Savannas Insomnia, so beginnt auch Elizabeth Browns Insomnia.
Savanna ist 36 Jahre alt, arbeitet ½ Tag in der Bibliothek und
½ Tag am Institut, wo sie an ihrer Dissertation über die Schriftstellerin
Elizabeth Brown schreibt, die im November 1972 unter mysteriösen
Umständen starb. Savanna starb als Elfjährige als sie zufällig
Zeugin des Mordes an Paulina Weller wurde. Sowohl Elizabeths als auch
Paulinas Tod sind bis heute ungeklärt. Seit 64 Tagen kann Savanna
nicht mehr schlafen. Schuld daran, sind bedrohliche Emails, die sie seit
kurzem erhält. Allmählich dämmert es Savanna, dass ihre
Schlaflosigkeit - ihre Insomnia - und die Emails mit dem Mord vor bald
25 Jahren zu tun haben. Sie muss herausfinden, wer Paulinas Mörder
ist, der jetzt auch sie bedroht. Doch die Zeit drängt, denn am 26.
August verjährt der Mord an Paulina und auch die Dissertation muss
vorangetrieben werden. So jagt Savanna schließlich nicht nur Paulinas,
sondern auch Elizabeths Mörder sowie deren verschwundenes Manuskript
zu ihrem 3. Roman mit Namen Insomnia.
Sowohl in der Geschichte um Paulinas Mord als auch in der Geschichte in
der Geschichte über Elizabeth Brown, ihren mysteriösen Tod und
ihre zwei Werke Umzingelt und Geschlagen geht es um Gewalt gegen Frauen,
geht es um prügelnde (Ehe-)Männer und eine Umwelt, die wegsieht.
Doch auch Savanna ist Opfer männlicher Gewalt. Ihre beharrliche Weigerung,
"Platz in der Welt, im Leben einzunehmen", hat seine Ursache
in dem beobachteten Mord und der erzwungenen Verdrängung des Gesehenen.
So gestaltet sich die Suche nach der Identität des Mörders von
Paulina auch zur Suche nach der eigenen Identität Savannas, die sie
immer tiefer in ihre Seele und in die Vergangenheit führt. Nur mit
Hilfe von Hypnose kann sich Savanna den traumatischen Erlebnissen jenes
Sommers 1973 nähern. Doch dabei bringt sie ihre Vertraute und Therapeutin,
Maria, ebenfalls in Gefahr. Am Ende bleibt Maria nur die Flucht vor ihrem
Peiniger in ein unbekanntes Land. Dieses plötzliche Verschwinden
Marias kann gleichzeitig als die langwierige und schwierige Suche nach
"der Wahrheit" gelesen werden; bevor Savanna alle Rätsel
lösen kann, entzieht sich ihr elfjähriges Ich vehement den Zugriffen
der Erwachsenen Savanna.
Savannas Universum zu Beginn ist klein; sie weigert sich, "Platz
einzunehmen" - ein Schlüsselbegriff des Romans. So entsteht
eine geradezu klaustrophobische Stimmung, die noch dadurch verstärkt
wird, dass der Leser alles durch Savannas von Schlaflosigkeit verfremdeten
Tunnelblick wahrnimmt. Doch ganz allmählich erweitert sich der äußere
Radius, Savanna handelt mutiger und entschlossener, so dass auch der Weg
frei wird für die inneren Prozesse.
Jedem Kapitel des zweiten Teils stellt die Autorin ein - fiktives - Zitat
aus Elizabeth Browns zwei Romanen oder Tagebuchpassagen voran, die so
das Geschehen kommentieren und ihm einen Interpretationsrahmen geben.
Gewalt - physische wie psychische - ist auch hier das zentrale Thema,
doch nicht weniger wichtig ist das Verhältnis von Nähe und Distanz
in Beziehungen. Denn Savanna, die mit ihrem lebenslustigen Bruder Sam
zusammen eine Wohnung teilt, ist ein zutiefst unglücklicher, trauriger
und einsamer Mensch, nicht zuletzt, seit ihr 6jähriger Sohn Martin
an Krebs starb. So handelt Insomnia auch davon, wie Savanna sich aus ihrer
Einsamkeit aus eigener Kraft, aber auch durch eine alles umfassende Liebe
befreien kann.
Barbara Voors' Insomnia blickt tief in die Abgründe der menschlichen
Seele, zeigt sie ganz nackt und schutzlos. Insomnia ist dunkel wie die
Nacht und hell wie das Erwachen an einem ersten Frühlingstag. Insomnia
lässt den Leser nicht eher wieder eine Nacht durchschlafen, bis alle
Geheimnisse gelöst sind.
Vielen Dank an Alexandra Hagenguth
© 2003 Literaturportal schwedenkrimi.de - Krimikultur Skandinavien |
"Klaras
Tagebuch" von Barbara Voors
Spurensuche im Labyrinth der Seele
Saskia und Klara sind Zwillinge. Eines
schönen Sommertages jedoch verschwindet Klara spurlos, nachdem ihre
beste Freundin Desirée sowie deren um einiges ältere Liebhaber
in der Nacht zuvor erschossen worden waren. War es Mord oder Selbstmord?
Und was hat Klara damit zu tun? Der Fall bleibt ungelöst bis Saskia
zehn Jahre später in das elterliche Sommerhaus in den Schären
vor Stockholm fährt und auf dem Dachboden Klaras alte Tagebücher
findet, die an sie gerichtet sind. Auch der inzwischen pensionierte Kriminalbeamte,
der damals den Fall bearbeitete, taucht auf und bedrängt Saskia in
dem Fall.
Saskia van Ammer lebt mit ihrer Familie in Amsterdam und steht mitten
im Leben bis sie von einem Fahrradfahrer angefahren wird. Auf einmal ist
nichts mehr so wie es war. Verdrängtes treibt mit aller Macht an
die Oberfläche und für Saskia beginnt eine Sommerreise zurück
in die Vergangenheit.
Beschrieben wird der mühselige und vor allem qualvolle Prozess der
neuerlichen Selbstfindung Saskias und ihre Auseinandersetzung mit sich
selbst. Zusammen mit Saskia begibt sich der Leser in das verwirrende Labyrinth
der menschlichen Psyche. So ist auch der Fahrradunfall als auslösendes
Moment symbolisch zu verstehen.
Schritt für Schritt nähert sich Saskia, nähert sich der
Leser, dem Kern der Wahrheit doch was ist schon wahr? So ist der
Roman nicht in allererster Linie ein Krimi, sondern handelt von Liebe
und Freundschaft, vor allem von der destruktiven, selbstzerstörerischen
Freundschaft zwischen Klara und Desirée, die bis zur völligen
Selbstaufgabe reicht. Desirée verlangt ihrer Freundin alles ab
und so ist der Name sicher als nom parlant zu verstehen, denn Desirée
ist ganz Verlangen und (Todes-)Sehnsucht. In Klaras Tagebuch
geht Barbara Voors der Frage nach Schuld, Verbrechen und Versöhnung
nach. Verhängnisvolle Geschwisterliebe und zwischenmenschliche Abgründe
werden offenbar, falsche Fährten ausgelegt.
Barbara Voors spielt mit ihren Lesern bis zum Schluss und läst sie
alleine mit der für mich immer noch ungelösten
Frage nach der letzten Lüge. Es ist ein verwirrender Roman, der stark
beginnt und sofort in seinen Bann zieht, bevor er in der Mitte ungefähr
etwas an Spannung verliert, um dann nochmals an Leben zu gewinnen.
Thema und tagebuch-/briefartiger Aufbau des Romans erinnern an Edith Södergrans
expressionistische Gedichte Brev från min syster (Brief
von meiner Schwester), Systern (Die Schwester) und nicht zuletzt
Syster, min syster (Schwester, meine Schwester) heißt
doch der Roman im Original Syster min (Meine Schwester). Diese
Gedichte wurden 1919 in dem Gedichtband Rosenaltaret (Der
Rosenaltar) veröffentlicht und richten sich an eine (fiktive) Schwester,
die Literaturwissenschaftler jedoch als die finnische Journalistin Hagar
Olsson identifiziert haben wollen. In anderen Gedichten beschreibt Edith
Södergran ihre Enttäuschung über Männer und Erotik
all das auch zentrale Themen in Barbara Voors Roman.
Vielen Dank an Alexandra Hagenguth
© 2003 Literaturportal schwedenkrimi.de - Krimikultur Skandinavien |