|
|||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
|
|||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Das Frauenbild in Kjell Erikssons "Die Sterne der Nacht"Eine Analyse unter Zuhilfenahme feministischer literaturwissenschaftlicher Theorie.Skandinavien - das projizierte Paradies des 20. und 21. Jahrhunderts. Skandinavien steht heute vielen als "emanzipiert", als Vorbild für die Gleichstellung zwischen Mann und Frau, als PISA-Paradies und soziale Balance trotz Marktwirtschaft und Kapitalismus. Doch ein näherer Blick auf - sicherlich völlig unzureichend, da singulär herausgegriffen - Kjell Erikssons neuesten Roman "Die Sterne der Nacht" offenbart ein zum Teil konservatives Frauenbild. Wie, konservativ?! Ist Ann Lindell denn nicht alleinerziehende Mutter und berufstätig? Doch, das ist sie. Aber Ann Lindell ist in "Die Sterne der Nacht" nicht die eigentliche Protagonistin. Tatsächlich steht doch Laura Hindersten, die Tochter des vermissten Petrarca-Forschers, im Mittelpunkt, und wie Kjell Eriksson diese Laura charakterisiert, ist interessant. Er scheint dabei nämlich die längst überwunden geglaubte Opposition von "Natur" = Frau und "Kultur" = Mann wieder aufzumachen. Kultur versus NaturUlrik Hindersten ist der Petrarca-Forscher, der nur
für seine Wissenschaft und seine Bücher lebt. Allein die Tatsache,
dass er Petrarca-Forscher ist, reicht aus, ihn in absoluter Opposition
zu seiner Frau Alice zu setzen. Alice stammt aus Nordschweden, vom Lande,
etwa "dreißig, vierzig Kilometer" nördlich von
Uppsala gelegen. 1 Lauras
Mutter war "geboren und aufgewachsen in einer Landschaft."
2 Ganz im Gegensatz also zum
Vater, der das Stadt- und Universitätsleben bevorzugt - oder das
Leben im Kultur verkörpernden Italien. Mit Laura geht Alice regelmäßig
in den Botanischen Garten Uppsalas und erklärt ihr alle Blumen-
und Pflanzennamen auf Latein und Schwedisch. Hier - wie im heimischen
Garten, um den sich ausschließlich Alice kümmert - ist Lauras
Mutter offensichtlich ganz in ihrem Element, das die Natur ist: "Manchmal
verfiel sie dort in einen Dialekt (
) Vor allem wenn sie sich mit
anderen Frauen unterhielt, benutzte sie Worte aus dem Dialekt ihrer
Kindheit" 3, was ihr
Zuhause strengstens verboten ist. Dass Alice eins ist mit der Natur
zeigt sich auch an ihrer Anziehungskraft, die sie im Botanischen Garten
auf Männer ausübt: "Die Männer, die vorbeigingen,
warfen ihrer Mutter Blicke zu (
), [in denen] mehr lag, als nur
ein Interesse für Rudbeckien und Seidenpflanzen. Ihre Mutter lächelte
alle an, auch die Männer." 4
Hier im Botanischen Garten, in der Natur, verwandelt sich die ansonsten
gegängelte Alice in eine Art Sirene, der es gelingt, andere in
ein Gespräch zu verwickeln und ihnen ein Lachen zu entlocken. 5
"Aber dies galt nur für den Botanischen Garten, er war eine
Art Reservat, eine grüne Oase, in die ihre Mutter sich begab, um
ungekünstelt und frei sprechen zu dürfen." 6
Auch beim Beerenpflücken zeigt sich die starke Verbindung zur Natur
von Alice und ihrer Schwester: "Ich erinnere mich noch, wie schnell
Alice beim Pflücken war. Meine Mutter war genauso. Das hatten sie
im Blut." 7
Durch die Beziehung zu einem anderen Mann entfernt
Alice sich von ihrer Tochter, die das als Verrat empfindet: "Sie
war meine Mutter, und sie hat mich im Stich gelassen." 10
Hinzu kommt die Kränkung: "Sie hat mich ausgelacht. (
)
Sie hat gelacht. Ich wollte doch nur, daß sie so war, wie eine
Mama sein soll, aber am Ende war ihr das völlig egal. (
)."
11 Mit Melanie Klein kann
man zudem postulieren, dass der Muttermord für den angeborenen
Aggressionstrieb des Kindes steht, der sich auf den Mutterleib und dessen
phantasierte Inhalte (Penis, Babys, Exkremente) richtet, mit dem Ziel,
diese zu rauben oder zu zerstören. Was sonst nur in der Phantasie
des Kindes geschieht und zur "normalen" Entwicklung gerechnet
wird, findet hier seine Entsprechung in der Realität des Romans.
Die Folgen sind verheerend, nicht zuletzt für Laura, die kein lebenswertes
Leben zu leben fähig scheint. Lauras TraumIn diesem Traum befindet sich Laura in einem fremden Land, um fremde Sitten und Gebräuche zu studieren. Obwohl sie "das fremde Idiom studiert und mehrere Kurse belegt" 16 hat, sich dem Phänomen also von der kulturellen, d.h. männlichen, Seite nähert, hat sie Verständigungsprobleme, und das "natürliche", weiblich-intuitive Verständnis für die Frauen - ganz bezeichnend auch Frauen - scheint ihr ebenfalls abhanden gekommen zu sein. Sie bittet die Frauen, wichtige Passagen aufzuschreiben. Was sie bekommt, sind die Buchstaben "ALO". Was das bedeutet, bleibt ihr verborgen. Mit dem Tod der Mutter ist also die "natürliche" Verbindung zum Element Natur, zu den Menschen und Tieren, und zu sich selbst abhanden gekommen. Gleichzeitig bieten die Mittel der Kultur (der Männer) - Sprache und Schrift - keinen Ersatz. Mit diesen Substituten ist es ihr ebenfalls nicht möglich, in Kontakt mit sich selbst und der "Natur" zu kommen. Lauras Weg zu sich zurückNach dem Muttermord folgt der Vatermord als Akt der
Befreiung. Immer wieder spricht Laura davon, jetzt, wo ihr - despotischer
- Vater "verschwunden" sei, frei zu sein. Objektiv betrachtet
aber wird Laura als Wahnsinnige dargestellt. Ihre Handlungen - z.B.
die Bücherverbrennung, ebenfalls symbolischer Akt der Befreiung
von der ihr aufoktroyierten (männlichen) Kultur - werden zunehmend
als irrsinnig dargestellt und auch so von der Umwelt kommentiert.
Das Mythische bei Laura wird weiter verstärkt, indem ihr kreatürliche
Attribute zugeschrieben werden. Mehrmals wird Laura beispielsweise als
"Troll" bezeichnet; einmal von ihrem Liebhaber Stig 17 und ein
andermal von ihrem Cousin Lars-Erik. 18 Das Tierische an Laura findet weiter
seinen Ausdruck in ihrer starken Behaarung, vor allem auch im Genitalbereich:
"Was ihn verblüffte, war[en] (
) die vielen Haare. Seine
Hand strich über ihren Bauch, sein Zeigefinger folgte dem dunklen
Streifen hinunter zu dem üppigen Haarbusch (
)." 19 Ebenso
animalisch wie stark ist auch die Anziehungskraft, die Laura auf Stig
ausübt. "[I]hr feuchter und angespannter Körper erinnerte
ihn an ein gehetztes Tier." 20 Laura wacht mit Blutgeschmack im Mund
und zerkratzten Beinen auf 21; "Laura kochte. (
) Laura leckte
und saugte, ritt und biss."22 Sie ist getrieben von "hemmungslose[r]
Energie" 23, doch ganz richtig konstatiert Stig auch, dass Laura
(nur) die Rolle eines Katalysators gespielt, "schlummernde Träume
in ihm geweckt" 24 hat. Stig ist schwach und passiv, und ebenso schwach
und passiv, wie er sich von Laura in eine Affäre hat ziehen lassen,
lässt er sich ziemlich simpel, passiv und schnell von seiner Frau
Jessica austricksen, um sich am Ende doch für sie zu entscheiden.
Als es zum "Show-down" zwischen ihm, Jessica und Laura kommt,
empfindet er nur noch Ekel für Laura und Scham über sich selbst. 25 Jetzt, bei Tage, bei hellem Lichte und mit Verstand betrachtet, kann
er nicht mehr verstehen, was ihn zu dieser Frau zog und weil ihm das
Angst macht, "hätte er den Körper zu seinen Füßen
am liebsten getreten". 26 Der Troll ist verscheucht. Mit dem Verlust
der sexuellen Attraktion verliert Laura auch die Macht über ihren
Liebhaber und damit vollends die Kontrolle über sich selbst. FazitAlice und Laura weisen in "Die grausamen Sterne
der Nacht" typische Zuschreibungen auf, wie sie von den Women's
Studies und Gender-Studies beschrieben werden. Sie stehen für Natur,
Irrationalität, Mythisches, Erdverbundenheit, die Nähe zum
Tod und weisen animalische - oder zigeunerhafte 31
- Züge auf. Während diese Eigenschaften bei Lauras Mutter
aber noch als "gesund" dargestellt werden - Alice ist in ihrer
Ehe mit Lauras Vater Ulrik unglücklich, aber sie lebt auf, wenn
sie in der Natur ist, wenn sie ihren Dialekt der Heimat vom Lande sprechen
darf usw. -, erscheint dies bei Laura zunehmend als krank. Alexandra Hagenguth © Oktober 2005 - Literaturportal schwedenkrimi.de - Krimikultur Skandinavien
| |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
©
2001 - 2016 Literaturportal schwedenkrimi.de - Krimikultur Skandinavien Ein Portal der n:da - nordpower design agentur |
|||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
[ Start ] | [ Autoren A-Z ] | [ Kontakt ] | [ Forum ] | [ Impressum ] | [ Sitemap ] | [ Datenschutz ] |