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Ann Lindell ist nicht sie selbst |
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„Offenes Grab“ ist Kjell Erikssons und Ann Lindells letzter Fall – und nicht ihr bester. Doch wer sich durch erste zähflüssige 130 Seiten quält, wird am Ende mit Erikssons typischen Qualitäten und einem ebenso würdevollen wie stimmigen Schluss der Ann-Lindell-Reihe belohnt.
„Was für eine Freude es doch war, seine Arbeit anschauen und tatsächlich anfassen zu können. Ein Busfahrer hatte auch allen Grund, auf seine Plackerei (…) stolz zu sein, aber er konnte hinterher rein physisch nicht viel zeigen. Ein Lehrer konnte Befriedigung (…) empfinden, (…) doch gab es nichts Handfestes, das von seinen Bemühungen zeugte. Ein Gartenbaumeister hingegen konnte fünf, zehn oder gar fünfzig Jahre später zurückkehren und feststellen, dass das Ergebnis seiner Arbeit (…) noch vorhanden war (…).“ (Kjell Eriksson, Offenes Grab, dtv 2012: S. 185). So lässt Kjell Eriksson den deutschstämmigen Gärtner Karsten Haller, der in Uppsalas Villen- und Akademikerviertel Kåbo Gartenarbeiten durchführt, in „Offenes Grab“ denken.
„Offenes Grab“ ist Erikssons letzter Fall für Ann Lindell – und nicht sein, nicht ihr Bester, das muss gleich zu Beginn leider gesagt werden. Erst auf Seite 131 treten Ann und ihr Team in Aktion. Das muss – auch und gerade im nordischen Krimi – nicht schlecht sein, doch lesen sich diese ersten von knapp 320 Seiten ungewohnt zäh, langweilig und in all seiner Behäbigkeit quälend kraftlos und fad. Dabei setzt die Verleihung des Nobelpreises in Medizin dem beschaulichen und in Gleichförmigkeit erstarrten Leben des 85jährigen Mediziners Bertram von Ohler und seiner Hausangestellten Agnes abrupt ein Ende. Nicht nur, dass die Auszeichnung die nationale wie internationale Presse auf den Plan ruft. Auch die Neider, die aus der Kolleg- und Nachbarschaft ebenso wie diejenigen, die die Verleihung des Nobelpreises für Pomp und Bertram von Ohler im Besonderen für verlogen halten und in ihm vornehmlich einen Repräsentanten für die „Verachtung und Unterdrückung [des Proletariats] durch die sogenannte gebildete Schicht“ (Offenes Grab, S.119) sehen. Es gibt geharnischte Wutausbrüche, Steinwürfe, einen Totenschädel im Briefkasten und – das wird immer wieder angedeutet – Leichen im Keller des von Ohler’schen Haushalts. Doch kommt die Erzählung hier nicht richtig in Fahrt. Obwohl einiges geschieht, hat man das Gefühl, auf der Stelle zu treten und unnötig lange hingehalten zu werden, bis „es“ endlich losgeht. Und los geht es in dem Moment, in dem Ann Lindell und ihr Team dazu gerufen werden. Bertram von Ohler fasst den Totenschädel als Morddrohung auf und da er soeben den Nobelpreis erhalten hat und aus einer angestammten adligen Akademikerfamilie Uppsalas stammt, müssen Ann und ihre Kollegen notgedrungen ermitteln – auch ohne Leiche. Mit Anns Erscheinen kommt endlich etwas Schwung in die Geschichte. Sie geht voran und man merkt, dass Kjell Eriksson sich hier auf bekanntem Terrain bewegt und daher routiniert, aber auch souverän „vorwärts erzählt“. Doch wirkliche Spannung – die oberflächliche den Plot betreffend wie die, die nur Eriksson durch seine Milieuschilderungen und Figurenzeichnung zu schaffen vermag – kommt bis zum Schluss nicht auf. Zwar wird am Ende noch jemand ermordet und ein Geheimnis enthüllt. Doch die Entwicklung von beidem ahnt man lange im Voraus.
Ungewohnte Perspektiven
Vielleicht liegt diese eigentliche Ereignisarmut daran, dass Eriksson dieses Mal nicht primär aus der Perspektive derer erzählt, die er so gut kennt, die ihm am Herzen liegen und denen er in allen vorangegangenen Uppsala-Krimis ein Denkmal gesetzt hat: den sogenannten kleinen Leuten, den Arbeitern und Proletariern im besten Sinn des Wortes. Stattdessen beginnt und endet alles im gediegenen Akademikermilieu mit adligem Hintergrund – vielleicht ein Milieu, auf das sich Eriksson, der ehemalige Gärtner, nicht so gut versteht? Dennoch: Das, was seine Krimierzählungen immer ausgezeichnet hat – die Wärme, das Einfühlungsvermögen, seine berührende Art des Erzählens vom Kleinen im großen Mahlstrom des Lebens, den kleinen Leuten und ihren Sorgen, dem anderen, dem verschwundenen Uppsala eine Stimme gebend – all das findet sich auch in „Offenes Grab“.
Die zwei alter ego des Kjell Eriksson
Mit der Figur des Gärtners Karsten Haller sowie dem Dozenten und Nachbarn des Professors von Ohler, Gregor Johansson, hat sich Eriksson in „Offenes Grab“ zum Abschied gleich zwei alter ego ge- und vielleicht sein eigenes Dilemma beschrieben: Als Sohn eines Landarbeiters hat sich der Dozent seine Bildung erobert, „Zentimeter für Zentimeter erkämpfen müssen. (…) Kein Millimeter gratis!“ (S.119) Als Gärtner, der eher zufällig zum Schreiben kam, hat auch Kjell Eriksson das erlebt, was die Schweden eine „Klassenreise“ nennen: den sozialen Aufstieg. Längst ist die Gärtnerei verkauft, verbringt Kjell Eriksson das unangenehme winterliche Halbjahr unter der Sonne Brasiliens – der Dozent wohnt „in dieser gebildeten Umgebung in einer Millionärsvilla.“ (S. 119) Aber die Freude und die tiefe innere Befriedigung, die man empfindet, wenn man etwas mit den eigenen Händen geschaffen, wenn man jede Faser und jeden Muskel seines Körper dabei gespürt hat und das Resultat der Arbeit noch Jahrzehnte später zu sehen ist, das empfindet in „Offenes Grab“ nur der Gärtner Karsten Haller. Der Disput, in dem Dozent Johansson und Karsten Haller sich über „die gebildete Schicht“ austauschen, ist die stärkste und eindrucksvollste Szene im gesamten Roman. Sie ist lebendig, kraftvoll, kämpferisch. „Was ist denn falsch an Bildung?“ (S. 119) fragt der Dozent den Gärtner. Und noch einmal: „Sagen Sie es mir! Was ist falsch an Bildung? (…) Die Bildung, die ich mir erobert habe, habe ich mir Zentimeter für Zentimeter erkämpfen müssen.“ (S. 119) Gilt das auch für den heutigen Erfolgsautor und Klassenreisenden Kjell Eriksson?
Die offenen Gräber und der Abschied des Kjell Eriksson
Der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, dass es mehrere offene Gräber gibt, auf die der Titel anspielt. Sowohl Karsten steht vor dem offenen Grab der Mutter als auch Ann vor Violas. In beiden Fällen verwendet Eriksson dieselbe Formulierung: Karsten beziehungsweise Ann „stand vor einem offenen Grab“ (vgl. S. 301) Und wovon verabschiedet sich Kjell Eriksson? Von seinem Dasein als Gärtner oder von dem als Autor der Ann-Lindell-Krimis? Wahrscheinlich von beidem ein bisschen. Der Abschiede gibt es viele in „Offenes Grab“. Melancholisch sind sie alle und in ihrer Konsequenz logisch. Das gilt für Violas Tod, das gilt für Karsten, denn – hier muss man es einmal verraten – in „Offenes Grab“ ist nicht der Gärtner der Mörder, sondern das Opfer. Und weil „Offenes Grab“ ein einziger langer Abschied ist, darf auch dies an dieser Stelle gesagt werden: Der Mord an Karsten bleibt ungelöst – und auch das ist nur folgerichtig. Wenn also „Offenes Grab“ auch nicht Kjell Erikssons bester Ann-Lindell- und Uppsala-Krimi ist, so ist es alles in allem doch ein würdiger Abschluss einer Krimireihe, ohne die das nordische Krimigenre bedeutend ärmer gewesen wäre. Danke, Kjell, für zehn schöne und traurige, berührende und nachdenklich stimmende Jahre mit Ann Lindell aus dem verschwundenen Uppsala!![]() |
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Auch wenn Kjell Eriksson in Deutschland nie an die Erfolge Henning Mankells oder Åke Edwardsons herankam – So wie Mankell Ystad und Edwardson Göteborg auf die Krimilandkarte geschrieben haben, so hat Kjell Eriksson Uppsala in das große, nordische Krimigeschichtsbuch geschrieben. Der „Arbeiterschriftsteller“ im besten Sinn des Wortes avancierte spätestens mit „Rot wie Schnee“ zum Krimiautor der kleinen Leute. Mit „Schwarze Lügen, rotes Blut“ setzt er dem verschwundenen Uppsala endgültig ein Denkmal.
In seiner schwedischen Heimat zählt Kjell Eriksson zu den meist gelesenen Krimiautoren. Leser und Kritiker scheinen ihn gleichermaßen zu mögen, denn 1999 erhielt er den Debütantenpreis der Schwedische Krimiakademie, 2002 wurde „Der Tote im Schnee“ als Schwedens bester Krimi ausgezeichnet. Obwohl Eriksson rund um den Globus große Erfolge feiert und seine Ann-Lindell-Romane in zehn Sprachen übersetzt werden, hat er hierzulande nie den Rang eines Henning Mankells, Edwardsons oder Nessers einnehmen können. Das ist schade. Denn niemand schreibt mit so viel Liebe für die Menschen über sie, wie Kjell Eriksson es eins um andere mal schafft, ohne dabei naiv oder altmodisch zu wirken. In all seinen Ann-Lindell-Romanen sind es dabei vor allem Geschichten aus dem anderen, dem zum größten Teil verschwundenen Uppsala, die er erzählt. Das alte, das verschwundene Uppsala, das soweit vom studentischen Leben und universitären Betrieb entfernt ist, wie es nur möglich ist. Auch in „Schwarze Lügen, rotes Blut“ bleibt Eriksson sich treu. Alle Personen, der Ermordete wie Verdächtige und Zeugen, stammen aus just dem: „(…) dem anderen, zum größten Teil verschwundenen Uppsala.“ (Kjell Eriksson, Schwarze Lügen, rotes Blut, dtv, München 2010: S. 85)
Das Opfer
Bosse Gränsberg beispielsweise war einmal ein erfolgreicher Gerüstbauer. Ein Moment der Unachtsamkeit und eine daraus resultierende Schulterverletzung machen dem ein Ende. Er versumpft immer mehr, wird zum Alkoholiker. Es folgt die Scheidung. Er wird obdachlos und schließlich eines Tages erschlagen aufgefunden. Dabei hatte er zuletzt wieder Mut geschöpft und wollte mit seinem ehemaligen Arbeitskollegen Göran Bergman eine gemeinsame Firma für Gerüstbau und Dienstleistungen des Baugewerbes gründen. Als möglicher Mörder ermitteln Ann Lindells Kollegen sehr schnell den Journalisten Anders Brant. Sein Fahrzeug wurde am Tatort zur fraglichen Zeit gesehen und in dem schäbigen Bauwagen, den Gränsberg als Bleibe hat, werden seine Fingerabdrücke gefunden. Was wollte Anders Brant von Bosse Gränsberg? Recherchierte der Journalist oder war es der ehemalige Schul- und Bandykollege Brant, der Gränsberg aufsuchte? Lange tappen Sammy Nilsson und Ola Haver im Dunkeln, denn der Verdächtige befindet sich in Brasilien. Dort kämpft er mit ganz anderen Problemen, nicht ahnend, dass er des Mordes an Bosse Gränsberg verdächtigt wird.
Der Täter?
Anders Brant seinerseits, engagierter, investigativer, linker Journalist, muss in Brasilien schmerzhaft erfahren, dass er als Europäer selbst Teil der Machtsphäre ist, die er in seinen Artikeln aufs Schärfste angreift. Immer wieder berichtet er aus Brasilien und von anderswo von den Ungerechtigkeiten, die den Unterprivilegierten durch die Jahrhunderte zurückliegende Kolonialisierung durch „den weißen Mann“ auch heute noch widerfahren. Doch trotzdem er seit vielen Jahren immer wieder nach Brasilien zurückkehrt und nahezu fließend Portugiesisch spricht, bleibt er außen vor. Eine Liebesbeziehung zur Brasilianerin Vanessa, die er beenden will, macht die Sache nicht besser. Gutmensch Brant fühlt sich durch und durch mies, „wie ein Verräter.“ (S.130) Der „Mythos Anders Brant“ (vgl. S.128) ist zerstört. „Er begriff jetzt, dass er ein furchtsamer Gringo war. Ein Gringo, der auch nie etwas anderes sein würde. Er hatte Angst, Angst, etwas zu verlieren, vielleicht sein bequemes Leben, die Freiheit des Vagabunden, vielleicht auch den Mythos von Anders Brant, dem Weltreisenden, dem Weltgewissen, dem Verfechter des Guten.“ (S.146f)
Wie Anders Brant so gerne Teil von etwas sein würde, das er nicht ist, wollte auch Bosse Gränsberg wieder Teil der Gesellschaft werden, zu der er einst gehörte, und Ann Lindell schließlich, würde so gerne das Leben eines Durchschnittsschweden leben, scheitert aber ein ums andere Mal. Auch jetzt sieht es in ihrem Privatleben nicht gut aus. Zunächst noch frisch verliebt und mit Zukunftsplänen ausgestattet, platzt der Traum von einem gemeinsamen Leben mit jemand, den man liebt, gleich zu Beginn der Ermittlungen im Fall Bosse Gränsberg, denn der Mann, mit dem Ann die letzten Nächte verbracht hat und der sie von einer gemeinsamen Zukunft hat träumen lassen, ist niemand anderes als Anders Brant. Und so sieht sich Ann wieder zum Ausgangspunkt, auf null, zurückkatapultiert. Bosse, Anders, Ann und all die anderen, von denen „Schwarze Lügen, rotes Blut“ erzählt – Sie alle stehen außerhalb und blicken auf das, von dem so gerne ein Teil wären. Vergeblich.
Die Polizistin
Ann verbessert ihre Situation auch nicht dadurch, dass sie weder ihrem Chef Ottosson noch ihren Kollegen von ihrer Beziehung zu Anders Brant berichtet. Verbissen stürzt sie sich stattdessen auf den ebenfalls noch ungeklärten Fall der zunächst verschwundenen, später tot aufgefundenen Schülerin Klara Lovisa. Erst als es zu einem Zusammenbruch kommt, beichtet sie Sammy Nilsson von Anders Brant – eine anrührende Episode, die zu „Schwarze Lügen, rotes Blut“ stärksten gehört. Angesichts Brants Eloquenz und seinem Eifer fragt Ann Sammy: „Was sollte ich sagen? Ich kam mir so dumm vor.“ (S.304) Sammy antwortet: „Du hättest über den Schmerz sprechen sollen“ (S.305). Ein Satz, der in seiner Schlichtheit berührt.
Der Schmerz bleibt
Am Ende ist der Mord an Bosse Gränsberg aufgeklärt. Geschickt hat Kjell Eriksson hier einige falsche Fährten gelegt, um schließlich eine ganz andere, aber durch und durch glaubwürdige Lösung zu präsentieren. Im Fall von Klara Lovisa sieht die Sache anders aus. Es bleiben Zweifel und ein verzweifelter Vater, der selbst zur Waffe greift. Und Ann? Anders kehrt zu ihr zurück, als gebrochener Mann. Wird er bleiben? Das erfahren wir hoffentlich im zehnten (Deutsch siebten) und letzten Ann-Lindell-Roman, der 2009 in Schweden unter dem Titel „Öppen grav“ erschien.![]() |
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Mit „Rot wie Schnee“ hat sich Kjell Eriksson quasi endgültig zum „Krimiautor der kleinen Leute“ geschrieben. Auch dieses Mal verleiht er den im Leben zu kurz Gekommenen, denen, die nicht auf der Sonnenseite des Lebens aufgewachsen sind und denen, die Rückschläge hinnehmen mussten (und wer müsste das nicht irgendwann?), eine Stimme, ohne dabei pathetisch oder kitschig zu werden. Er hat dabei das Herz auf dem „rechten Fleck“, und unsere Sympathien für seine einzigartig leise und berührende Art des Erzählens von dem Kleinen im großen Mahlstrom des Lebens.
„Kjell Erikssons Krimis gehören zu den besten.“
So wird der „große“ Henning Mankell auf der Rückseite zu Kjell Erikssons neuem Krimi „Rot wie Schnee“ werbewirksam zitiert. Wer Kjell Eriksson und seine Kriminalromane um Ann Lindell kennt, wird verstehen, warum es ausgerechnet Henning Mankell und nicht etwa ein Håkan Nesser oder Arne Dahl ist, der sich hier zitieren lässt.
Wie Mankell spiegeln auch Erikssons Romane eine gewisse, fast nostalgisch zu nennende, soziale Haltung wider, in der stets die Menschen und ihre Motive für ihre Handlungen eine wesentliche Rolle spielen, und in denen stets um das Verständnis, warum einer einen Mord begeht, gerungen wird. Man kann Mankell und Eriksson „Gutmenschen“ schimpfen und ihnen eine links-reaktionäre Einstellung vorwerfen, doch tut es gut, neben den von kühlem Intellekt und großer literarischer Innovationskraft geprägten Krimis eines Arne Dahls beziehungsweise eines Håkan Nessers die Krimis von Kjell Eriksson zu lesen, der stets mit viel Wärme und Sympathie und großem Respekt von seinen Figuren erzählt. Er ist nach nunmehr fünf Ann-Lindell-Krimis, die auf Deutsch vorliegen, zu einem „Krimiautor der kleinen Leute“ avanciert, und was antiquiert wirken könnte, hat bei Eriksson doch nichts von längst vergangener Sozialromantik, sondern ist ganz lebendige Nächstenliebe, die ein ums andere Mal berührt. So ist es nur konsequent und gar nicht kitschig, wenn Kjell Eriksson in „Rot wie Schnee“ dieses Mal den Mörder entkommen lässt.
Dabei führt Kjell Eriksson uns dieses Mal in die Welt der Gastronomie und Mexikos ein. Es ist nämlich Armas, der Kompagnon des Gastrokönigs Slobodan Andersson, der mit durchschnittener Kehler im Fluss von Uppsala aufgefunden wird. So ermittelt Ann Lindell im Milieu der Gastronomie, und Kjell Eriksson macht uns mit Menschen bekannt, wie wir sie auch aus unserem Alltag zuweilen zu kennen scheinen: die alleinerziehende Mutter Eva Willman beispielsweise, die sich nicht nur in ihren neuen Job als Kellnerin im „Dakar“ einarbeiten, sondern auch darum kämpfen muss, dass ihr Sohn Patrik nicht in dem Vorstadt-Sumpf aus Gewalt, Kriminalität und Drogen hineingerät. Oder den Mexikaner Manuel, der in der Küche des „Dakar“ arbeitet, oder den Koch Johnny Kvarheden, der vor einer gescheiterten Beziehung flieht.
Eigentlich sind all diese Menschen auf der Suche nach etwas Glück, Beständigkeit und Sicherheit im Leben, und gerade die beiden zuletzt Genannten sind heutzutage weniger denn je Bestandteil des modernen Daseins, das gerade von der Suche nach Orientierung sowie nach Menschen und Dingen, auf die man sich verlassen kann, geprägt ist. Wie schwer es ist, in einer immer unübersichtlich werdenden Welt die Übersicht zu behalten, sich – als älter werdender wie als junger Mensch – stets aufs Neue zurecht zu finden und unbeschadet durchs Leben zu kommen, davon handelt „Rot wie Schnee“ auch und vor allem. Es ist Kjell Eriksson mal wieder das kleine Wunder gelungen, von den Schwierig- und Ungerechtigkeiten im Hier und Jetzt zu erzählen, ohne pathetisch zu werden, ohne die Kugeln fliegen und die Autos in wilden Verfolgungsjagden reihenweise zu Schrott fahren zu lassen. Er hat dabei das Herz auf dem „rechten Fleck“, und unsere Sympathien für seine einzigartig leise und berührende Art des Erzählens von dem Kleinen im großen Mahlstrom des Lebens.
Vielen Dank an Alexandra Hagenguth
© Januar 2010 Literaturportal schwedenkrimi.de - Krimikultur Skandinavien
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„Nachtschwalbe“, das eigentlich vor „Die grausamen Sterne der Nacht“ spielt, ist vielleicht nicht Kjell Erikssons stärkstes Buch aus seiner Ann-Lindell-Krimireihe, was Handlung und Plot angeht. Doch wie immer überzeugt der ehemalige Gärtner mit seinen poetischen Fähigkeiten und den Charakterzeichnungen –„Nachtschwalbe“, ein Kleinod unter den schwedischen Krimis.
„Wer die Nachtschwalbe sieht, hat den Tod gesehen“, sagte Hadi. „So hieß es in meiner Kindheit.“ (Kjell Eriksson, Nachtschwalbe, dtv, München 2008: S. 113)
Bald wird auch Ali, der junge Einwanderer und Hadis Enkelsohn, Bekanntschaft mit den Nachtschwalben machen, denn Ali war dabei, als in der Nacht zum 10. Mai die Fußgängerzone von Uppsala verwüstet und ein junger Mann ermordet wurde. Ann Lindell, frisch zurückgekehrt aus der Elternzeit (chronologisch spielt „Nachtschwalbe“ vor „Die grausamen Sterne der Nacht“), findet den jungen Schweden am nächsten Morgen tot in einer Buchhandlung. Während ihre Kollegen Ola Haver und Beatrice bald glauben, den Mörder gefunden zu haben, hat Ann Lindell ihre Zweifel, dass der festgenommene Marcus tatsächlich der Mörder ist und recherchiert auf ihre Weise weiter. Gleichzeitig begibt sich Ali, der den wahren Mörder zu kennen glaubt, in immer größere Gefahr, denn er kommt dem Täter zu nahe. Das gipfelt in einer nächtlichen Verfolgungsjagd in den uppländischen Wäldern, in deren Verlauf Ali vor dem Mörder flieht, während die Nachtschwalben über ihm kreisen. Doch auch Ann Lindell ist dem wahren Täter inzwischen auf die Spur gekommen und so wird am Ende – fast – alles wieder gut. Dabei zeigt sich, dass die Wahrheit wie immer komplexer ist, als es auf den ersten Blick scheint.
Wie auch in Erikssons vorangegangenen Büchern liegt die eigentliche Stärke nicht in der Kriminalhandlung, sondern in der Personenschilderung. Hier ist es vor allem der iranische, junge Einwanderer Ali und seine Familie, die berühren und von denen mit großer Intensität erzählt wird. Dagegen erscheint die „Gegenseite“ – eine Handvoll Nazis – leider zu oberflächlich und dem Klischee der tumben Schläger verhaftet, wie es der heutigen rechtsextremen Szene vielfach nicht mehr entspricht, weder in Deutschland noch in Schweden. Das ist ein bisschen schade, ist Eriksson doch sonst ein genauer Menschenzeichner und Beobachter. Auch erscheint die Handlung ein wenig dürftig und trotz der Brisanz des Themas blutleer, wenngleich sie nicht zäh zu lesen ist. Doch entschädigen die Passagen um Ali, Ann Lindell und ihre Kollegen. Hier schafft der Autor es erneut – durch wechselnde Perspektiven – sehr überzeugend, Menschen aus Fleisch und Blut zu kreieren und die diffuse Linie, die zwischen Gut und Böse verläuft, für einen Moment für jedermann sichtbar ins grelle Licht der Realität zu heben – und das ist nicht das Geringste, was einem Schriftsteller gelingen kann.
Hinter jedem Charakter, den Eriksson einführt, steht ein Mensch mit seiner Geschichte. Schicht für Schicht legt Eriksson die jeweiligen Gefühle, Gedanken und Motive offen und zeichnet so ein intensives und fesselndes Leseerlebnis, das weniger die äußerlichen Mechanismen von Macht und Gewalt offen legt, als vielmehr die Binnenperspektive des jeweils Handelnden. Er zeigt, was Gewalt und Erfahrungen von Machtlosigkeit, Ohnmacht und Diskriminierung bewirken können. Das macht „Nachtschwalbe“ dann wieder zu einem typischen Kjell-Eriksson-Roman, der sich wohl akzentuiert von vielen anderen seines Genres abhabt, selbst wenn „Nachtschwalbe“ aufgrund handlungsäußerer Defizite vielleicht nicht Erikssons stärkstes Buch ist (das ist und bleibt der Nachfolgekrimi „Die grausamen Sterne der Nacht“, dicht gefolgt vom Vorgänger „Der Tote im Schnee“). Dennoch: Auch dieser Roman Kjell Erikssons funkelt mit seiner ganz persönlichen Art des lyrisch-leisen Erzählens, die von großer Intensität ist, wie der Polarstern am skandinavischen Krimihimmel.
Vielen Dank an Alexandra Hagenguth
© Oktober 2008 Literaturportal schwedenkrimi.de - Krimikultur Skandinavien
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Als die Leiche des Kleinganoven John gefunden wird,
ist Grusel angesagt. Verstümmelt liegt Lennarts Bruder im schmutzigen
Schnee. Eine Herausforderung für die Aufklärer, denn John
war eigentlich kaum auffällig und als Experte für exotische
Fische bekannt. Doch offensichtlich war er plötzlich zu Geld gekommen
und hatte "Großes" vor. Wie und weshalb, bleibt allerdings
im Verborgenen.
Sein Bruder Lennart kann es nicht fassen, dass sein Bruder auf diese
Weise sterben musste und will den Mörder selbst finden. Die in
Erziehungszeit befindliche Ann Lindell kann die dienstliche Untätigkeit
kaum aushalten und beginnt mehr oder weniger nebenbei eigene Recherchen,
um zur Lösung des Falles beizutragen.
Der Autor schafft es in herausragender Weise, einen zu vereinnahmen,
selbst mit den Vorkommnissen und Hintergründen, insbesondere aber
mit den Menschen in enge Beziehung zu setzen. Man wird zum Mitarbeiter
Ola Havers und seinen Ermittlungskräften. Die detaillierte Beschreibung
und Darstellung der persönlichen Lebenssituationen der handelnden
Personen lassen das Geschehen einerseits absolut authentisch erscheinen,
zum Anderen sind es die so menschlichen Schwächen und Spannungen
der Kolleginnen und Kollegen im Kommissariat, die alles so glaubhaft
"normal" machen.
Bedächtig, aber nie langweilig, entfaltet die Geschichte eine ansteigende
Spannung. Immer wieder mal keimt eine mögliche Klarheit auf, doch
der wahre Täter bleibt bis kurz vor Ende im Verborgenen.
Auch wenn man die Qualität der skandinavischen Kriminalromane inzwischen
als normal und gegeben einzuordnen hat, so besticht auch "Der Tote
im Schnee" wieder mit seiner beschaulich-düsteren Klarheit
und psychologischer Dichte. Eine weitere Empfehlung für Freunde
niveauvoll-spannender Unterhaltung.
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Uppsala im Herbst 2003: Laura Hindersten meldet ihren
Vater, einen Petrarca-Forscher und seltsamen Kauz, vermisst. Kurz darauf
werden auf dem Land zwei ältere Bauern erschlagen aufgefunden.
Zwei Morde ohne erkennbares Motiv. Ermittlerin Ann Lindell und ihre
Kollegen von der Kriminalpolizei in Uppsala tappen im Dunkeln - bis
der nicht persönlich an den Fällen beteiligte, aber dennoch
aufmerksame Kommissar Gusten Ander einen Zusammenhang zu erkennen glaubt:
Die Morde erinnerten an eine berühmte Schachpartie. Wenn diese
Theorie stimmt - und es ist leider die einzige Spur, die sich bis dahin
aufgetan hat -, dann wäre das nächste Opfer die Königin
Ann Lindell ist skeptisch und folgt lieber ihrer Intuition. Die führt
sie erneut ins Haus des ersten ermordeten Bauern Petrus Blomgren. Sie
glaubt, dort etwas übersehen zu haben, und tatsächlich entdeckt
die Ermittlerin ein Foto, das sie auf die richtige Spur bringt. Dumm
nur, dass sie sich über die wichtigste Regel hinwegsetzt und ihre
Kollegen nicht darüber informiert. Das bringt Ann Lindell in Lebensgefahr.
Nur schwer verletzt kann sie gerettet und der Mörder identifiziert
werden.
Rein äußerlich bedient sich Kjell Eriksson auch in seinem bereits siebten Krimi (wovon jedoch nur drei auf Deutsch erschienen sind) der sympathischen Kriminalkommissarin Ann Lindell. Doch was sich bereits in "Das Steinbett" (2002) und "Der Tote im Schnee" (2003) andeutete, nämlich dass der Mordfall nur den äußeren Anlass bietet, die menschliche Psyche und das zwischenmenschliche Zusammenleben zu analysieren, setzt sich in "Die grausamen Sterne der Nacht" fort. Die Suche nach dem Mörder ist auch hier nicht das Wichtigste. Vielmehr zeichnet Kjell Eriksson ein tiefgehendes Personenportrait des Mörders. Seine Beweggründe, die in der Kindheit zu suchen sind, werden peu à peu enthüllt und nachgezeichnet. Das Bild, das entsteht, ist das einer kranken - vor allem gekränkten - (Kinder-)Seele, der zu wenig Liebe geschenkt wurde und die als Erwachsene Sex mit Liebe verwechselt. So soll wenigstens körperliche Nähe das Defizit der menschlichen Nähe ausgleichen. Wie Kjell Eriksson dieser eigentlichen Hauptfigur dabei unter die Haut kriecht und ihr immer stärkeres Abdriften in den Wahnsinn abbildet, ist bemerkenswert und macht den eigentlichen Spannungsverlauf aus.
Dabei sind Kjell Erikssons Personenschilderungen wie bereits in den vorangegangenen Romanen wieder von großer Sympathie zu seinen Figuren gekennzeichnet. Kjell Eriksson ist kein Autor, der seine Protagonisten billigem Voyeurismus preisgibt, sondern die Beweggründe menschlichen Handelns werden sorgfältig und in leisen, aber intensiven, Tönen nachvollzogen. So entsteht ein psychologischer Spannungsroman mit einem zugleich hochdramatischen wie überraschenden und ambivalenten Ende. Ann Lindell wird gerettet, der Mörder identifiziert, doch der triumphale Sieg des Guten über das Böse, in dem sich alle Spannung lösen kann, bleibt aus. Ein weiterer Pluspunkt des leisen und lyrisch-zarten Erzählers Kjell Eriksson, von dem man gerne noch mehr lesen möchte.
Vielen Dank an Alexandra Hagenguth![]() |
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An einem Abend im Dezember wartet Berit Jonsson auf
ihren Mann John. Vergebens. Tags darauf wird auf einer Schneekippe bei
Uppsala ein Leichnam entdeckt. Die Polizei nimmt die Ermittlungen auf.
Der Tote ist John Jonsson, ein unter Aquarianern geschätzten Zierfischzüchter
und der Polizei bestens bekannt: Über ihn und seinen Bruder Lennart
liegen ihnen seit langem Akten vor.
Ann Lindell steckt in dieser Zeit mitten in den Festtagsvorbereitungen.
Ihre Eltern haben sich angemeldet, um Weihnachten mit der Tochter und
dem Enkelsohn zu feiern. Doch als Ann von dem Mord erfährt, werden
alle Vorbereitungen für sie unwichtig. Wieder von der alten Leidenschaft
für ihre Arbeit beseelt - und ein wenig in Ola Haver verliebt -
greift sie in die Ermittlungen ein. Gleiches tut Lennart, der Bruder
des Ermordeten.
Kjell Erikssons zweiter auf Deutsch erschienener Ann Lindell Krimi lässt
sich am besten mit dem Wort 'unaufgeregt' beschreiben. "Der Tote
im Schnee" ist kein Krimi, den man, einmal begonnen, nicht wieder
aus der Hand legt. Wie schon bei "Das Steinbett" nimmt sich
Kjell Eriksson Zeit zum Erzählen und verzichtet auf atemberaubende
Verfolgungs-, Action- oder Jagdszenen sowie schnelle Schnitte. Das sind
nur Äußerlichkeiten, Kjell Eriksson aber kommt es auf den
inneren Kosmos seiner Figuren an, und den zu entwickeln, braucht Zeit,
die er sich und seinen Lesern gönnt. Er lässt sich nicht hetzen
und will auch seine Leser nicht in einem par force Ritt durch den Krimi
jagen. Dadurch entsteht eine innere Spannung, die es mit jeder durch
äußerliche, dramaturgische Mittel erzeugte Spannung jederzeit
aufnehmen kann. Es ist dieses sensible Erzählen, das Eriksson von
allen anderen signifikant unterscheidet.
Buchtipp |
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Dass Protagonistin Ann Lindell in dieser Folge nur eine untergeordnete
Rolle spielt, tut dem Roman dabei keinen Abbruch. Figuren wie Ola Haver
sind selbst so stark, dass sie die Geschichte tragen können. Überhaupt
die Figuren; sie liegen ihm am Herzen, die von der Gesellschaft Vergessenen
oder an den Rand Gedrängten. Aus seiner Sympathie und Solidarität
mit diesen 'einfachen, kleinen' Leute macht Eriksson keinen Hehl, und
so ist es nicht verwunderlich, dass diesen Roman vor allem auch die
Frage umtreibt, wer oder was dafür verantwortlich gemacht werden
kann, dass einige auf die schiefe Bahn geraten und andere nicht. Diese
Frage wird immer mehr zum Leitmotiv und zieht sich durch den gesamten
Roman.
Weder Fragestellung noch Antworten, die Eriksson seinen verschiedenen
Charakteren in den Mund legt, sind neu. Die altbekannte Dialektik zwischen
genetischer Determination und umfeld- oder milieugeprägter Entwicklung
wird auch hier ausformuliert:. "Du meinst, dass es ihnen vorbestimmt
ist, wer zum Fixer oder Mörder wird?" "Im Gegenteil"
(...) "Aber jeder trägt doch selber die Verantwortung für
sein Leben" (...) "Ja natürlich, daran kommen wir nicht
vorbei, trotzdem möchte ich, dass du an meine Worte denkst..."
(S.272f). An anderer Stelle heißt es: "... sowohl der kleine
John als auch Vincent Hahn sind Produkte unseres Wohlfahrtsstaates.
Ich glaube, dass die Einsamkeit die Leute fertigmacht. Es gibt eine
derart große Kluft zwischen ihren Träumen und den vorhandenen
Möglichkeiten, dass die Menschen leicht einen falschen Weg einschlagen."
(S.257)
Lennart, Johns Bruder, hat das Nachdenken darüber inzwischen aufgegeben,
aber der Autor deutet immer wieder an, dass - bei aller Verantwortung
der Gesellschaft ("Wir produzieren die Mörder." (S.256))
- jeder Einzelne die Möglichkeit hat, sein Leben zu beeinflussen:
"Das war alles so weit weg... Damals, bevor alles entschieden war."
(S.51) Oder: "Wie weit er sein Leben selber gewählt hatte,
darüber wollte er nicht mehr nachdenken. Dass es sich viel zu oft
in die falsche Richtung entwickelt hatte, wusste er auch so. Mittlerweile
gab er niemandem die Schuld daran. Das Leben war eben, wie es war."
(S.55)
Ein psychologisches Erklärungsmoment wird mit der Figur des Vincent
Hahn angeboten, aber schlussgültig wird diese Frage auch bei Eriksson
nicht beantwortet. Lennart jedenfalls verliert mit dem Tod seines Bruders
buchstäblich seinen letzten Halt im Leben.
Mag sein, dass es die Frage nach der Verantwortung im Leben war, die
Eriksson so sehr beschäftigt hat, dass er darüber die nach
dem Mörder fast ein bisschen vergessen hat. Jedenfalls hat der
Mörder etwas von einem Deus ex machina, aber diese kleine Schwäche
verzeiht man dem Roman gerne. Hauptsache, wir dürfen auch in Zukunft
auf spannend und behutsam erzählte Ann Lindell Krimis, die Stil
und Intelligenz bewahren, hoffen!
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Der völlig unverständliche Mord an der jungen
Mutter samt ihrer sechsjährigen Tochter wirft das Gefühlsgefüge
der Kommissarin - und nicht nur deren - aus der Bahn. Vermutungen, die
sie und man anstellt, verpuffen schnell als nicht zu bestätigen.
In sehr eindringlicher, geradezu persönlich betroffen machender
Form ergreifen einen die Ermittlungen der Kommissarin Ann Lindell.
Aber auch ihr eigenes Leben, ihre kalt-heißen Gefühlsschwankungen
und individuellen, privaten Sorgen hinsichtlich der nötigen bevorstehenden
Entscheidungen lassen den eigenen Puls anschwellen. Fast scheint es,
als sollte man sich auch einmischen und einer Freundin eigene Überlegungen
mitteilen, sie in ihrer emotionalen Zerrissenheit stärken. Geradezu
spielend erwecken erzählte kleine Details die Empathie beim Lesen.
Geschichte und Menschen sind einem nah. Es ist die auffällige Unaufdringlichkeit
der denkbar wahren Begebenheiten und die sauber beschriebenen, klar
erkennbaren Charaktere, die alles sehr realistisch machen. Der Wunsch,
es möge sich nicht nur der schlimme Doppelmord, die hinzugekommenen
weiteren Morde, sondern auch die privaten Sehnsüchte und Probleme
der mitten im Leben stehenden Ermittlerin lösen, wächst von
Kapitel zu Kapitel.
Der Autor hat ein ausgezeichnetes Buch, in allen Phasen der Recherche
sowohl als auch in den Beziehungen spannend und anspruchsvoll anrührend
verfasst. Warum das den Schweden stets so gut gelingt, weiß kein
Mensch - ist für die Leserschaft auch egal.
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Zusammen mit ihrer 6jährigen Tochter Emily ist
Josefin Cederén auf dem Weg zum Friedhof, als sie von einem Auto
überfahren werden. Beide sind nahezu auf der Stelle tot. Schon
bald gerät der spurlos verschwundene Ehemann Sven-Erik Cederén
ins Visier der Kirminalkommissarin Ann Lindell. Doch als auch dieser
tot in einer Waldlichtung aufgefunden wird, ist klar, dass das, was
nach einer Familientragödie und dem Selbstmord eines verzweifelten
Vaters aussah, eiskalt kalkulierter Auftragsmord war, der noch zwei
weitere Menschenleben fordert. Ann Lindells Ermittlungen führen
sie bis nach Malaga, weitere Spuren weisen in die Dominikanische Republik.
"Das Steinbett" ist bereits der dritte Roman Kjell Erikssons
um die Kirminalkommissarin Ann Lindell, jedoch der erste, der ins Deutsche
übersetzt und veröffentlicht wurde.
Ann Lindell zumeist nur Lindell genannt, was unnötig formal
ist ist Mitte dreißig und hat ähnlich ihren männlichen
Kollegen allen voran Wallander und Van Veeteren ein Privatleben,
das diesen Namen eigentlich nicht verdient. Sie geht in ihrer Arbeit
auf, sehnt sich jedoch gleichzeitig nach einem Zuhause, zu dem sie nach
der Arbeit zurückkehren und wo sie abspannen kann. Ihre Beziehung
zu Edvard, den sie vor zwei Jahren während den Ermittlungen zu
einem Mordfall kennengelernt hat, ist vor einem halben Jahr in die Brüche
gegangen, doch die Sehnsucht ist noch immer groß.
Demzufolge nimmt auch hier das Privatleben der Ermittlerin einen großen
Stellenwert ein, aber dem Leser wird die Tristesse des Polizistenlebens
dieses Mal aus der Perspektive einer jungen Frau präsentiert, was
sich sehr wohltuend von der Alt-Männer-Sicht Mankells oder Nessers
unterscheidet. Die innere Zerrissenheit Ann Lindells, die im Romanverlauf
auch noch ungewollt von einem One-Night-Stand schwanger wird, ihre Annäherung
an Edvard und sein erneuter Verlust sind durchaus glaubwürdig beschrieben
und keine störenden Elemente, keine Fremdkörper, die den Erzählfluss
behinderten oder beeinträchtigten. Erst im Zusammenspiel mit dem
Privatleben Ann Lindells erschließt sich dem Leser am Ende auch
die vollständige Bedeutung des Romantitels.
Anders als Mankell oder Edwardson ergeht sich Eriksson trotz der gewählten
Polizei-Perspektive nicht in äußerst detaillierten Beschreibungen
der Polizeiarbeit mit all ihren Routinen. Der Polizeiappart und seine
Arbeitsmethoden bilden vielmehr den Rahmen, aber sie vereinnahmen nicht
in gleicher Weise wie bei Mankell oder Edwardson die Geschichte. Eriksson
geht es um etwas anderes, und das ist ihm so wichtig, dass er es auch
deutlich beim Namen benennt und in mehreren Morden kulminieren lässt.
Sven-Erik Cederén nämlich war Forschungsleiter bei MedForsk,
einem expandierendem Pharmazieunternehmen, das kurz vor dem Gang an
die Börse steht und sehr erfolgreich bei der Parkinsonforschung
ist. Kurz vor seinem Tod hat Cederén jedoch Transaktionen getätigt,
von denen sein Kompagnon Mortensen angeblich nichts weiß. Außerdem
soll Cederén sich sehr verändert haben; als in letzter Zeit
launisch, streitsüchtig und deprimiert beschreiben ihn seine Arbeitskollegen.
Was also verbirgt sich tatsächlich hinter dem Mord an Sven-Erik
Cederén? Und warum hat der Ermordetet kurz vor seinem Tod Land
in der Dominikanischen Republik gekauft? Allmählich dämmert
es Ann Lindell und ihrem ermittelnden Team, das es nicht nur um illegale
Affenversuche geht, sondern um noch Schrecklicheres Menschenversuche.
In der Kritik an gesellschaftlichen Zuständen trifft sich Eriksson
wieder mit seinen Schriftstellerkollegen, aber die Missstände werden
hier deutlich beim Namen benannt und verbergen sich nicht hinter allgemein
gehaltenen Bemerkungen darüber, wie sehr sich die Gesellschaft
doch verändert habe, wieviel brutaler und kälter das gesellschaftliche
Klima doch in den letzten 20 Jahren in Schweden geworden sei. Eriksson
wird hier sehr viel deutlicher als es Mankell je war, obwohl auch bei
Mankell globale Machtspiele immer wieder eine Rolle gespielt haben.
Eriksson gelingt aber eine konkretere, anschaulichere Zuspitzung der
Thematik. Es sind die für den Leser greifbaren Personen bzw. Romanfiguren,
die das wirtschaftliche Geflecht sinnfällig machen und dem anonymen
Konsortium ein Gesicht geben. Ein Happy End gibt es gleichwohl auch
im "Steinbett" nicht.
Erzählt wird hier nicht im nüchternen, manchmal schon monotonen,
Staccato-Stil eines Edwardsons oder Mankells. Dass Eriksson ursprünglich
Gärtner war (und heute noch immer begeisterter Hobby-Gärtner
ist) merkt man nicht nur an den immer wieder beschriebenen Gärten
mit all seinen Blumen und Pflanzen, die durch die Buchdeckel hindurchduften,
so plastisch schildert Eriksson sie. Diese Liebe zur Natur und zur körperlichen
Arbeit spiegelt sich auch in Romancharakteren wider (z.B. Gabriella
Mark und Edvard), diese Passagen bieten auch immer wieder Gelegenheit
inne zu halten, eine poetische Rast einzulegen und Stimmungen sowie
Atmosphäre zu transportieren oder das Gefühlsleben der Protagonisten
transparent zu machen. Gleichzeitig werden die Sätze komplexer
und Sprache sowie Erzählstil weicher, was in Kontrast zum Geschehen
den Morden selbst steht und wodurch der Roman an literarischer
Qualität gewinnt. Es wird nicht nur ein Mord und seine Ermittlung
rapportiert, es wird von Menschen und ihren Verfehlungen, ihrem Leben,
ihrer Liebe und ihrem Leid auf der ganz persönlichen Ebene erzählt
und doch in einen gesellschaftlichen Kontext gestellt. Das ist Eriksson
wunderbar gelungen!