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Der
Autor Henning Mankell |
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Bestseller-Autor Henning Mankell über seinen «Kommissar Wallander»
und die Kunst des Schreibens.
Der schwedische Kommissar Kurt Wallander ist im Kopf von Henning Mankell
geboren. In vielen Romanen lebt er, kämpft gegen das Verbrechen und
sinniert über die Abgründe der Gesellschaft. Für viele
Leserinnen und Leser ist der beliebte Polizist «wirklicher» als der Autor
selbst. Sie fragen sogar: «Wen würde Wallander wählen?» Auf
solche Fragen antwortet sein Schöpfer zuweilen: «Ich habe nicht mit
ihm darüber gesprochen.» Lesen Sie hier ein Interview des Magazines
"Brückenbauer" mit dem Autoren Henning Mankell.
Henning Mankell, Sie sind dank Kriminalgeschichten
populär geworden .
Henning Mankell: (energisch). ich schreibe keine Kriminalgeschichten, obwohl
manche sie so nennen. Wenn ich gefragt werde: Nennen Sie eine gute Kriminalgeschichte,
dann sage ich «Macbeth» von Shakespeare: Die Gesellschaft im Spiegel
des Verbrechens zu betrachten, das ist eine sehr alte Art des Schreibens
- angefangen bei den alten Griechen, der Bibel, Shakespeare, Joseph
Conrad, wer auch immer. Ich schreibe darüber, was in der Gesellschaft
vor sich geht.
Geniessen Sie Popularität?
Henning Mankell: Nein, nicht so sehr, aber
ich stecke in einem Widerspruch: Einerseits schreibe ich, um Menschen
zu erreichen; andererseits muss ich sehr aufpassen, dass die Medien meine
Person nicht interessanter machen als meine Bücher. Da hat es schon
einen Vorteil, dass ich weit weg in Moçambique lebe.
Haben Sie schon die Kriminalpolizei bei der Arbeit beobachtet?
Henning Mankell: Manchmal muss ich mich
genauer über die Arbeitsweise der Polizei informieren. Ich habe
Freunde unter Polizisten und Staatsanwälten. Ich kann die Polizei-Laboratorien
in Schweden besuchen, wenn ichs brauche, aber ich brauche es nicht sehr
oft. Mich interessiert mehr, wie Polizisten denken.
Wie denken Polizisten, die ein Verbrechen untersuchen?
Henning Mankell: Sie kombinieren Instinkt
und Logik. Viele behaupten zwar: «Für mich zählen nur die
Facts.» Aber sie richten sich alle nach ihrem Instinkt. Das gilt schon
für die Art, wie sie einen Raum betreten, wo ein Verbrechen geschehen
ist.Inoffiziell werden meine Wallander-Bücher in Schweden für
die Polizeiausbildung gebraucht. Auch Journalisten lassen sich davon
für Recherchen inspirieren. Darüber bin ich stolz. Denn es
zeigt, dass ich ein Modell gebe, wie man auf zwei Arten denken kann.
Wie geht das?
Henning Mankell: Einmal sucht Kommissar
Wallander in der Wohnung eines Menschen, den er nie getroffen hat, einen
Gegenstand. Er weiss nur, dass der Gesuchte dieses Ding als erstes hinausschaffen
würde, wenn das Haus brennen würde. Wenn in der Nacht etwas
passiert, muss es möglichst schnell zur Hand sein. Also legt sich
Wallander auf das Bett - er hat damit einen anderen Blickwinkel - und
er sieht etwas; möglicherweise findet er den Gegenstand, den er
gesucht hat. Das zeigt: Wallander denkt gleichzeitig wie ein Polizist
und wie der mögliche Täter. Es ist, als ob man zwei Rollen
im gleichen Stück spielen würde.
Könnte man mit dieser Denkweise auch viele andere Probleme lösen?
Henning Mankell: (begeistert) Das ist tatsächlich
so. Ich war erstaunt festzustellen, dass viele Philosophen Polizeibeamte
waren. Die Philosophen betrachten ein Problem ja immer auch von einer
grundsätzlichen Warte. Es gibt sicher eine Verbindung zwischen
der Philosophie und der Kunst, ein Verbrechen aufzulösen. Wenn
jemand den österreichischen Denker Wittgenstein gebeten hätte,
einen Kriminalfall zu lösen, er hätte es getan - wie er auch
ein fantastisches Haus baute, als ihn seine Schwester darum bat. Ich
möchte einen Roman schreiben, worin ein Philosoph einen Kriminalfall
zu lösen hat.
Ist die Stimmung in Schweden so melancholisch wie in Ihrem Buch?
Henning Mankell: Eine melancholische Stimmung
liegt über ganz Europa. Als ich heute Morgen mit dem Zug von Hamburg
nach Köln fuhr, spürte ich eine ratlose Stille unter den Mitreisenden:
Die Menschen leben in einem Europa, das sich auf eine höchst spannende
Art neu formiert, und sie warten - denn sie wissen nicht, was geschieht,
wenn sich die nationalen Grenzen langsam auflösen.
Aber die Menschen scheinen nicht besorgt zu sein.
Henning Mankell: Doch,
ich glaube schon. Denn ein Grund für den Erfolg meiner Wallander-Bücher
ist, dass Wallander sich in der gleichen Art Sorgen macht wie viele
andere Leute auch.
Ihre Hauptfigur Wallander versteht sich als letzter Mohikaner, der
alte Werte verteidigt. Gilt dies auch für Sie?
Henning Mankell: Ja. Wallander macht sich
Sorgen über die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich, zwischen
den Erfolgreichen und den Ausrangierten. Während der Achtziger-
und Neunzigerjahre ist viel von der früheren Solidarität verloren
gegangen. Aber die Menschen werden wieder erkennen, dass es wichtig
und vernünftig ist, solidarisch zu handeln. So kann man wirklich
sagen, dass Wallander der letzte Mohikaner ist - aber ich bin auch einer,
und viele andere sind es auch. Ich glaube sogar, dass die letzten Mohikaner
den grössten aller Stämme bilden.
Glauben Sie, dass Schweden und die Schweiz viel gemeinsam haben?
Henning Mankell: Das muss wohl so sein,
da ja so viele Schweden in die Schweiz kommen, um ihre Vermögen
zu verstecken (lacht). Im Ernst: Schweden und die Schweiz haben beide
ihre Erfahrungen mit der Neutralität - mit einer Neutralität,
die eine Lüge war. Beide haben versucht, gleichzeitig auf der Seite
der Nazis und der Alliierten mitzumischen.
Zeitungen berichten über Verbrechen von Rechtsextremen in Schweden.
Warum diese Gewalt?
Henning Mankell: Es hat in Schweden einige
Gewalttaten von Rechtsextremen gegeben. Doch sie haben keinen politischen
Einfluss. In Schweden wird nie eine Rechtsaussenpartei in der Regierung
vertreten sein - anders als in Österreich.
Um Gewalt geht es auch in Ihren Büchern - muss es denn immer
so drastisch sein?
Buchtipp |
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Henning Mankell: Was immer ich schreibe,
die Realität ist noch schlimmer. Das bestätigt sich früher
oder später bei jedem meiner Bücher.
Wie erklären Sie sich die Serienmorde in westlichen Ländern?
Henning Mankell: Ich lese manchmal Statistiken
des amerikanischen FBI und der Interpol - die sind erschreckend. In
westlichen Gesellschaften gab es noch nie so viele Serienmorde wie heute.
Wir verlieren das Gefühl für den Wert des einzelnen Lebens.
Am Beispiel eines Serienmörders in «Mittsommermord» zeige ich eine
Form des moralischen Zusammenbruchs. Ein Mann verliert zuerst seine
Arbeit und dann auch die Kontrolle über sein Leben, denn keine
sozialen Bindungen oder Werte halten ihn mehr. Kontrolle hat er einzig
noch über die Untaten, die er plant und ausführt.
Wie erzeugen Sie Spannung?
Henning Mankell: Indem ich alles von Anfang
an erzähle. Möglichst erzähle ich ab der ersten Seite
alles, was passiert ist und wer es getan hat. Die Spannung entsteht
daraus, dass Wallander versucht, aufzuholen zu dem, was der Leser bereits
weiss. Sicher gibt es auch noch andere Arten, Spannung zu kreieren.
Machen Sie vor dem Schreiben einen Plan?
Henning Mankell: Ich weiss bereits alles,
wenn ich anfange, ein Buch zu schreiben - sogar die Anzahl der Seiten.
Bis auf drei oder vier Seiten genau.
Ist Schreiben nicht mit inneren Kämpfen verbunden?
Henning Mankell: Während des Schreibens
bin ich glücklich - was macht es da, dass ich dabei auch innere
Kämpfe erlebe.
Sie leben in Afrika und schreiben über Wallander in Schweden
- als ob Schweden das Zentrum der Welt sei. Kein Widerspruch?
Henning Mankell: Nein, aber es hat einen
Hauch von Magie: Denn die Mitte der Welt ist überall - wenn man
ein bisschen Elektrizität hat, einen kleinen Computer und eine
Telefonverbindung. Alles ist in Bewegung, und die Technik verändert
auch die Art des Denkens. Darin liegt eine Chance für den ärmeren
Teil der Welt: Man kann im Busch wohnen, aber per Internet die British
Library besuchen.
Interview Carl J. Wiget, vielen Dank für
die Veröffentlichungserlaubnis beim Literaturportal schwedenkrimi.de -
Krimikultur Skandinavien.
Quelle: Magazin "Brückenbauer" Nr. 26, 27.06.2000 - Wochenblatt
des sozialen Kapitals (Organ des Migros-Genossenschafts-Bundes)
Ein weiteres Interview mit Henning Mankell finden Sie
hier. |