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"Der Feind im Schatten" von Henning Mankell
Farväl, Kurt Wallander!
Ein Kommissar nimmt Abschied
„Der Feind im Schatten“ ist Henning Mankells Abschied von Kurt Wallander – nicht der stärkste Wallander aller Zeiten, aber ein Abschied in Würde.
18 Jahre und zehn Bücher später kehrt der Kommissar noch einmal zurück: Kurt Wallander, inzwischen sesshaft im eigenen Haus auf dem Land, Hundebesitzer und Großvater, hat eigentlich gar keine Lust, zum Geburtstag des Schwiegervaters in spe seiner Tochter Linda zu fahren. Doch da er im Job gerade kaltgestellt ist – er hat seine Waffe in der Pizzeria vergessen -, scheint die Feier im feinen Stockholmer Vorort Djursholm eine willkommene Abwechslung zu sein. Der ehemalige U-Boot-Kommandant Håkan van Enke zeigt sich auf seinem Fest erstaunlich mitteilsam gegenüber Wallander und weiht ihn in ein politisch-militärisches Drama ein, das mehr als 20 Jahre zurückliegt, als der Kalte Krieg noch eine reale Bedrohung darstellte. Kurz darauf ist van Enke spurlos verschwunden. Auf Bitten seiner Tochter nimmt sich Wallander, noch immer vom Dienst suspendiert, parallel zur Stockholmer Polizei des Falls an. Bald darauf verschwindet auch Louise van Enke, Håkans Frau. Einige Zeit später wird sie tot aufgefunden. Alles deutet auf Selbstmord hin, doch so recht mag Wallander nicht daran glauben. Er forscht weiter und dringt immer tiefer in die Familiengeheimnisse der van Enkes aber auch in militärische Geheimnisse ein.
Kurt Wallander gibt sein Abschiedsspiel
Vordergründig geht es in „Der Fein im Schatten“ um Spionage, Landesverrat und ein falsches Spiel, das mit Wallander betrieben wird. Natürlich klärt Wallander am Ende den Fall, auch wenn es das ein oder andere Fragezeichen noch geben mag. Doch eigentlich ist „Der Feind im Schatten“ ein einziger, langer Epilog. Kurt Wallander nimmt Abschied. Immer wieder tauchen Personen aus der Vergangenheit auf, die Wallander zwingen, sein Leben noch einmal Revue passieren zu lassen. Was war gut, was war schlecht? Was hätte anders laufen können, wenn …? Wallanders Ex-Frau Mona und Ex-Geliebte Baiba zwingen Wallander ebenso zu einer Auseinandersetzung mit seiner Vergangenheit, wie es all die Toten tun, die Wallander im Laufe seines langen Berufsleben hat mit ansehen müssen. Wallander denkt aber auch an die Zukunft – und das mit Angst. Immer öfter wird er von unheimlichen Gedächtnisverlusten und Black-Outs heimgesucht. Er weiß nicht mehr, wo er ist, wohin er auf dem Weg ist und was er dort wollte. Er denkt an seinen Vater und hat Angst vorm Älterwerden und Alleinsein. So ist „Der Feind im Schatten“ nicht nur ein Maulwurf in den Reihen des schwedischen Militärs, der in den 80ern vermeintlich für die Russen spioniert hat und bis heute nicht identifiziert werden konnte, sondern der Feind im Schatten, der da lauert, das ist auch die drohende Alzheimererkrankung Wallanders. Und so nebelverhangen wie sich zuweilen Wallanders Landschaft Skåne zeigt, so verschwindet auch Wallanders Erinnerungsvermögen die nahe Vergangenheit betreffend in einem immer undurchdringlicher werdenden Nebel. Diese Nebelschleier und Nebelschwaden hüllen Wallander immer mehr ein, sie durchziehen aber auch die gesamte Geschichte, schlagen sich auf Wallanders Gemüt ebenso nieder, wie sie auf die Erzählstimmung drücken. Die Dialoge – sonst von vitaler Schärfe und Realität bei Mankells Wallander – wirken selbst distanziert, wie aus weiter Ferne kommend, unnatürlich, hölzern und steif („Ich und vor allem Hans wollen wissen, was du erreicht hast.“ „Ist er zu Hause?“ „Er arbeitet. Ich habe ihn heute Morgen gescholten, weil er nie zu Hause ist. (…)“). Ebenso untypisch wie ungenau sind die Zeitangaben, die Mankell macht: „Eines Nachmittags Anfang Juni (…)“. Hier hätte früher das exakte Datum gestanden. Doch Sätze wie diese bewirken, dass zum Geschehen eine größere Distanz entsteht. Es passt zum verborgenen Untertitel des Romans, der vom Abschiednehmen, von der Demenz, dem Verschwinden und von Undeutlichkeiten handelt. So ist es auch nur konsequent, wenn Mankell nicht strikt im Präteritum erzählt, sondern auch Einschübe im Plusquamperfekt macht („Wallander hatte gezögert.“). Auch das betont das Vergangene mehr und vergrößert die – emotionale, psychologische wie räumlich-zeitliche – Distanz zum Geschehen und es evoziert ein Gefühl von Melancholie und Abschied, das sich über „Der Feind im Schatten“ legt.
Der perfekte Abschluss
Damit ist auch klar, dass Mankells Abschieds-Wallander nicht im gleichen Maße wie frühere Bücher diese unverwechselbare, charakteristische und für ein ganzes Genre und eine ganze Generation Kriminalschriftsteller stilprägende absolute Nähe zur Gegenwart hat. „Der Feind im Schatten“ hat auch nichts Beunruhigendes mehr an sich, wiewohl es um Spionage zu Zeiten des Kalten Krieges und Überläufer geht. „Der Feind im Schatten“ ist auch nicht im gleichen Maße von suggestiver Kraft wie beispielsweise „Mittsommermord“. Die eigentliche Kriminalhandlung nimmt nie richtig Fahrt auf und hat, trotzdem es um Spionage geht, zu keinem Zeitpunkt die ebenfalls für Mankells Wallander charakteristische Internationalität. Kurz: Man erkennt seinen alten Wallander kaum wieder, könnte enttäuscht sein und „Der Feind im Schatten“ Mankells schlechtesten Wallander nennen. Doch das träfe die Atmosphäre, die den Roman umgibt, nicht richtig, täte ihr Unrecht. Tatsächlich nämlich ist „Der Feind im Schatten“ eben aufgrund der vermeintlichen Defizite und Schwächen der perfekte Abschluss der Wallander-Dekaden. Die Rückblenden und Verbindungen zu Geschehnissen und Personen aus vorangegangenen Wallander-Romanen, das große Fazit, das Lebensresümee, das Wallander zieht, die Schatten, die ihn umgeben und alles in Vergessenheit zu ziehen drohen, all das bietet der unwiderruflich letzte Wallander und macht „Der Feind im Schatten“ noch mal zu einem Romansuite-Abschluss, der Zeichen setzt.
Vielen Dank an Alexandra Hagenguth
© September 2010 Literaturportal schwedenkrimi.de - Krimikultur Skandinavien
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"Der Feind im Schatten" von Henning Mankell
Ein leiser Abschied
Mit „Der Feind im Schatten“ verabschiedet sich Henning Mankell nun, nach beinahe 20 Jahren, von Kurt Wallander. Und so müssen auch wir Abschied nehmen von unserem Lieblingskommissar. Wie viele Rezensionen habe ich schon gelesen, in denen die Rede davon war, dass die Rezensenten durch die Wallander-Reihe Mankells erst zu Krimilesern wurden. Wie viele weitere gute (aber auch schlechte) Schwedenkrimis wurden aufgrund der Wallander-Begeisterung übersetzt und fanden immer neue Leser. Und wie oft hieß es schon, dies sei der letzte Wallander. Hier ist er aber nun – leider!
Ich kann nicht über Wallander schreiben wie über andere Kommissare. Wallander ist mir nah, er ist mir vertraut und möglicherweise wird sich in die folgenden Zeilen ein Hauch Wehmut, Pathos oder gar Sentimentalität einschleichen. Liebe Leser, verzeihen Sie es mir!
Auch für mich war mein erster Wallander-Krimi die Eröffnung einer neuen Welt. Als begeisterte Leserin englischsprachiger Kriminalliteratur bot sich mir mit Mankells „Die weiße Löwin“ auf einmal ein ganz anderes Bild: Ein Krimi konnte gleichzeitig unterhalten, aber auch gesellschaftskritisch sein. Ein Krimi war plötzlich vielschichtig geworden, und so nebenbei erfuhr man viel über die schwedische Gesellschaft, hinter deren Schwedenhaus-Idylle sich auch Abgründe auftun konnten.
Wallanders „Feind im Schatten“ ist meines Erachtens wieder nicht nur ein handwerklich gut gemachter (und gut übersetzter) Kriminalroman. Er ist besonders eins: Ein Roman über das Älterwerden. Kurt Wallander ist nun 60 Jahre alt, hat eine Art Altersruhesitz am Meer erworben, sich einen Hund, aber auch Diabetes zugelegt. Und er denkt viel an früher, an seine Ex-Frau, Ex-Geliebt und Ex-Fälle. Er legt sogar eine Liste der Toten an, die er in seinem Leben schon sehen musste, zerstört diese aber wieder, weil er selbst erkennt, wie makaber diese Liste ist.
Überraschend eröffnet ihm eines Tages seine Tochter Linda, dass sie ein Kind erwartet. Der Kindsvater ist ein Finanzanalyst aus gutem Hause. Sein Vater, ein ehemaliger U-Boot-Kommandant lädt Wallander zu seinem 75. Geburtstag ein und weiht ihn ein in weit zurückliegende militärische Ereignisse. So sollen russische U-Boote einst in schwedische Hoheitsgewässer eingedrungen sein. In dieser verzwickten Geschichte geht es um Spionage, Landesverrat und ein falsches Spiel, das mit Wallander betrieben wird.
Als eines Tages der U-Boot-Kommandant verschwindet und kurz danach seine Frau ermordet aufgefunden wird, wird Wallander in etwas hineingezogen, das kaum zu kontrollieren ist. Politisch und militärisch interessierte Menschen mögen die langen Ausführungen diverser ehemaliger U-Boot-Besatzungsmitglieder mit Aufmerksamkeit gelesen haben. Meiner Meinung nach jedoch waren diese Passagen stellenweise zu langatmig.
Hellwach wurde ich hingegen immer an den Stellen, an denen Wallander „Gespenster“ aus der Vergangenheit begegneten. Da sind zum einen mehrere Begegnungen mit seiner alkoholabhängigen Exfrau Mona, zum anderen sucht ihn seine Geliebte Baiba (aus „Hunde von Riga“) auf, um ihm etwas mitzuteilen. Henning Mankell lässt also nicht nur uns Abschied nehmen, auch Wallander selbst nimmt Abschied. Diese Stellen sind die persönlichsten und für mich stärksten Passagen des Romans.
Etwas aufgesetzt wirkt vielleicht sein neues Leiden, ein zeitweiser Gedächtnisverlust, der ihn immer wieder befällt. Auch dies offensichtlich ein „Feind im Schatten“, der am Rande lauert und ihn am Ende einholt.
Das Ende. Natürlich klärt Wallander am Ende den Fall auf, so wie er es immer getan hat.
So will auch ich hier ans Ende kommen, denn es bleibt nichts zu sagen außer:
Herr Mankell, Herr Wallander – danke für all die Jahre, die wir mit Ihnen verbringen durften.
Vielen Dank an Katja Perret
© Mai 2010 Literaturportal schwedenkrimi.de - Krimikultur Skandinavien |
"Kennedys
Hirn" von Henning Mankell
"Kennedys Hirn" oder "Ein Verbrechen
an der Menschheit"
Mit dem Roman "Kennedys Hirn" weicht
Henning Mankell wieder einmal von seiner Reihe um den schrulligen alten
Kommissar Wallander ab und wendet sich einem einem Thema zu, dem er
viel Herzblut entgegenbringt, nämlich den Schwierigkeiten des schwarzen
Kontinents, in diesem Fall Mosambik. Wie bekannt, verbringt Mankell
selbst einen Großteil seines Lebens in Mosambik und erweist sich
als Kenner und behutsamer, wenn auch zorniger Chronist der dortigen
Zustände. Auch wenn "Kennedys Hirn" ein Roman ist, "Fiktion",
wie er es selbst im Nachwort beschreibt, so merkt man als Leser doch,
dass "eine Grenze zwischen dem, was wirklich geschah, und dem,
was hätte geschehen können" oft verschwimmt. Doch von
Anfang an.
Der Roman beginnt mit dem scheinbaren Selbstmord eines jungen Mannes
in Stockholm. Dessen Mutter, Louise Cantor, eine Archäologin, findet
ihren Sohn und zweifelt an einem Suizid. Ihre Nachforschungen , quasi
"Ausgrabungen", führen sie immer tiefer hinein in ein
Dickicht an unaufgedeckten Verbrechen der Gesellschaft. Die Spuren ihres
Sohnes führen sie über Australien, wo sie ihren Ex-Mann aufspürt,
und Barcelona nach Maputo in Mosambik. Dort, auf diesem ihr fremden,
dunklen Kontinent, findet sie ein Asyl für Aidskranke, in dem ihr
Sohn gearbeitet hat. Den Ort umgibt ein dunkles Geheimnis, das auch
der scheinbar großmütige Leiter der Missionsstation schützen
möchte. Louise Cantor aber "vergräbt" sich immer
weiter in ihre Recherchen und spürt nach und nach einen humanitären
Skandal auf.
Was "Kennedys Hirn" zu einem Thriller der Extraklasse macht,
ist Mankells sicheres Gespür für das glaubwürdige Innenleben
seiner Personen. So ist Louise Cantor eine zutiefst zerrissene, und
in erster Linie trauernde Mutter, die trotz ihrer Angst vor dem Unbekannten
nicht klein beigibt. In kleinen Sentenzen zeigt uns Mankell aus ihrer
Perspektive immer wieder ihre Gedanken, Bedenken und Ängste auf,
aber auch ihre Erkenntnisse. Durch ihre Zähigkeit findet sie schließlich
"eine Anzahl von Scherben" (S. 338) und fängt, indem
sie diese zusammensetzt, langsam an "etwas von der Wirklichkeit
auf diesem Kontinent zu ahnen" (S. 337).
Auch Mankell sieht sich als eine Art Archäologe, der in die dunkelsten
Winkel der Gesellschaft hineinleuchtet. Was herauskommt ist ein durch
und durch düsteres Bild eines alleingelassenen Afrikas, das von
korrupten Weißen und Schwarzen zugrunde gerichtet wird. "Kennedys
Hirn" ist ein Roman, ist Fiktion, doch eine Fiktion, die uns den
Spiegel vorhält, die zeigt wie weit Menschen der Macht und des
Geldes wegen zu gehen vermögen. Gleichzeitig mag es auch eine Warnung
sein, nicht die Augen vor der größten Seuche des 21. Jahrhunderts
zu verschließen.
Vielen Dank an Katja Perret
© September 2006 Literaturportal schwedenkrimi.de - Krimikultur Skandinavien |
"Kennedys
Hirn" von Henning Mankell
Lange haben wir darauf gewartet.
Einen Fuß im Schnee, einen Fuß im
Sand verbunden durch eine spannende Geschichte mit ernstem und
realem Hintergrund. Die Protagonistin Louise Cantor bereist den Globus
auf der Suche nach der Wahrheit und sammelt an jedem Ort eine weitere
Scherbe ein. Sie kommt somit der erschreckenden Wahrheit
ein Stück näher. Auch wenn nur ein Funken Wahrheit in die
Geschichte des Romans eingeflossen ist, kann der Zorn, der Zorn, den
Henning Mankell zum Schreiben dieses Romans antrieb, verständlich
werden. Die Missstände in Afrika, insbesondere die Bedrohung durch
den Aids-Virus und die damit verbundenen pharmazeutischen Versuche an
den erkrankten Menschen werden hier, anhand einer spannenden Geschichte,
dem Leser deutlich vor Augen geführt. Es gilt nur, die Augen auch
zu öffnen.
Wie bereits durch seinen letzten Roman Tiefe hat Henning
Mankell seine literarischen Fähigkeiten aufs Neue bewiesen. Wallander
war gut,
Henning Mankell kann mehr.
Vielen Dank an Karin
Jahn/ Skanbuch.de
© April 2006 Literaturportal schwedenkrimi.de - Krimikultur Skandinavien |
"Der Mann,
der lächelte" von Henning Mankell
Gibt es keine Grenze für das Böse im Menschen?
Den Roman "Der Mann, der lächelte",
schrieb Henning Mankell schon im Jahre 1994. Dieser Kriminalroman schließt
die Lücke zwischen dem Roman "Die weiße Löwin"
(1993) und "Die falsche Fährte" (1995). "Der Mann,
der lächelte" knüpft nahtlos an den Kurt Wallander Roman
"Die weiße Löwin" an. Wallander hatte innerhalb
kurzer Zeit einen Menschen getötet und aktiv dazu beigetragen,
daß ein anderer lebendig verbrannt war. Auch die Verantwortung
für eine Frau, die ihr Leben geopfert hatte, als sie seiner Tochter
zur Flucht verhalf, konnte er nicht von sich weisen. Schuldgefühle,
weil Victor Mabasha, ein gedungener Mörder, der Nelson Mandela
töten sollte, aber Schutz bei Wallander gesucht hatte, getötet
worden war. Nun war niemand mehr zu jagen, und auch ihn jagte niemand
mehr. Wallander wurde krank geschrieben. Nach einigen Monaten begannen
vieler seiner Kollegen zu glauben, daß er nie wieder kommen würde.
Dann und wann, wenn neue Berichte über seine sonderbaren Reisen
kreuz und quer von Dänemark bis in die Karibik im Polizeigebäude
von Ystad bekannt wurden, fragte man sich, ob Wallander nicht vorzeitig
pensioniert werden müßte. Aber soweit kam es nicht. Er würde
zurückkehren, wenn es auch lange dauern sollte.
Und hier beginnt der Roman "Der Mann, der lächelte".
Über ein Jahr lang war Kurt Wallander, Kriminalkommissar bei der
Polizei in Ystad, krank geschrieben. Während dieser Zeit hatte
eine zunehmende Ohnmacht sein Leben erfüllt und seine Handlungen
bestimmt. Wallander, der schwer an der seelischen Last trägt, als
wäre er ein Pilger, der sich auf seinen Wanderungen von einem unbekannten
Schmerz befreien will, landete immer wieder in der Ecke mit der Frage,
ob es nicht doch am besten wäre, seine Arbeit als Polizist wieder
aufzunehmen. Zurückzukehren, den Erinnerungsbildern die Stirn zu
bieten und vielleicht eines Tages zu lernen, damit zu leben. Die einzige
realistische Wahl war, wie früher weiterzumachen. Darin hatte er
ja auch einen gewissen Sinn gesehen: Die schlimmsten Verbrecher von
der Straße zu holen, damit Menschen in etwas größerer
Sicherheit lebten. Das aufzugeben würde nicht nur bedeuten, eine
Arbeit zu verlieren, die er einigermaßen beherrschte. Er würde
auch etwas beschädigen, was tiefer in ihm ruhte: Das Gefühl,
Teil von etwas größerem zu sein, was dem Dasein Sinn gab.
Trotzdem kam er zu dem Entschluß seinen Dienst zu quittieren,
nicht mehr in den Polizeidienst zurückzukehren. Da bekommt er Besuch
von einem befreundeten Anwalt, Sten Torstensson, dessen Vater bei einem
Autounfall ums Leben gekommen war. Der Sohn glaubt nicht an einen Unfall
und bittet Wallander, den Unfall noch einmal zu untersuchen. Wallander
lehnt ab, weil sein Entschluß, mit der Polizeiarbeit aufzuhören,
feststeht. Ein paar Wochen später kehrt er nach Ystad zurück.
Dort erfährt er, daß Sten Torstensson ermordet wurde. Man
fand ihn erschossen in seiner Anwaltskanzlei. Nun fühlt er sich
dem Anwalt gegenüber schuldig und er übernimmt diesen Fall.
"Er ahnte, daß sich etwas Großes, Schwerwiegendes und
Erschre-ckendes hinter dem Fall der zwei toten Anwälte verbarg."
Bald muß er erkennen, daß die Spur ihn zu einem großen
Wirtschaftsimperium führt. Dessen Besitzer lebt in einem hermetisch
abgeriegelten Schloß. Auf diesem Schloß Farnholm wohnt ein
Mann, der große Geschäfte macht. Alfred Harderberg. "Er
hat viel, was viele gerne hätten. Wissen, Kenntnisse, Informationen.
Das ist mehr Wert als eine gute Banknotendruckerei." Am Anfang
der Ermittlungen fällt es ihm schwer, gegen Harderberg zu ermitteln,
"den er hatte im loyalen Glauben an die Integrität der schwedischen
Wirtschaft gelebt. Die Männer und Frauen der heimischen Großunternehmen
waren die Grundfesten des Aufschwungs. Die Exportindustrie als Garant
des gesellschaftlichen Wohlstands konnte einfach nicht in Frage gestellt
werden. Am wenigsten jetzt, wo der Wohlstandsbau schwankte und die Zwischendecken
voller ausgehungerter Ameisen waren. Die Grundfesten mußten gegen
Angriffe, egal aus welcher Richtung, verteidigt werden." Aber bald
muß er erkennen, daß Harderberg, dessen Konzern auf der
ganzen Welt ("eigentlich betrachtete ich eine Weltkarte. Die nationalen
Grenzen sind durch die ständig wechselnden Einflußsphären
verschiedener Unternehmen ersetzt, deren finanzielle Macht größer
ist als die vieler Volkswirtschaften") vertreten ist, nicht der
Saubermann ist, wie er sich selbst in der schwedischen Öffentlichkeit
darstellt.
Wallander erkennt, daß Schweden ein Kreuzweg
und Treffpunkt ist, wo alles denkbar ist. Und so nimmt er die Jagd auf.
"in jedem Polizist steckt ein Jäger. Selten oder nie wird
ins Horn gestoßen, wenn die Jagd beginnt. Und doch fangen wir
bisweilen die Füchse, denen wir nachstel-len. Ohne uns wäre
der schwedische Hühnerhof seit langem ausgestorben und leer, nur
blutige Federn würden noch im Herbstwind herumtreiben".
In diesem Kriminalroman geht es zwar auch um die Aufklärung zweier
Morde aber der Hintergrund ist ein krimineller Unternehmer, der seinen
Sinn im Leben darin sieht zu kaufen und zu verkaufen. Harderberg liebt
es, Geschäfte zu machen, einen Konkurrenten zu be-siegen, seinen
Reichtum zu vermehren und sich keine Grenzen setzen zu müssen.
Henning Mankell sagte in einem Interview: "ich benutze ein Verbrechen,
um in seinem Spiegel die Gesellschaft zu beschreiben. In dieser Hinsicht
kann man möglicherweise behaupten, daß mein Ausgangspunkt
und der eines Polizisten einiges gemeinsam haben".
Im gleichen Interview beschreibt er seinen Kommis-sar Wallander: "Aber
das Wichtige ist nicht der Überblick, sondern die Erkenntnis. Wallander
geht Probleme an, indem er einen Schritt zur Seite tritt. Er weiß,
daß er etwas gesehen hat, die Frage ist nur, was. Die große
Herausforderung für mich als Schriftsteller besteht darin, die
Dramatik auf dieser inneren Ebene spielen zu lassen. Mein Held ist kein
Spaßvogel. Er ist ein mürrischer Protestant mittleren Alters.
Er nimmt das Motiv in seinem Gehirn auf, lässt die Rollos herunter
und versucht im Halbdunkel zu erkennen, wie alles zusammenhängt.
Zu einem guten Polizisten macht ihn, daß er weiß, er muß
verstehen, wie die Gesellschaft sich verändert, um ein Verbrechen
aufzuklären." "Wallander ist ein Zweifler. Er denkt ständig
darüber nach, wie stabil unsere Gesellschaft ist. Kann die Demokratie
überleben, wenn der Rechtsstaat nicht intakt ist?" "Trotz
allem war Schweden noch ein Rechtsstaat, wenn dieser auch immer schneller
ausgehöhlt und geschwächt wurde. Auch sein Schweigen war Teil
dieses Prozesses. Daß er so lange die Augen verschlossen hatte,
würde ein fortgesetztes Schweigen nicht entschuldigen." Diesem
Schweigen und Wegsehen, was in vielen Demokratien ein Grundproblem ist,
auch in Deutschland, möchte Mankell mit seinen Romanen entgegenwirken.
Einer seiner schwedischen Verlag schrieb zu seinen Romanen: "Der
Unterstrom in Henning Mankells Büchern handelt vom Kampf um ein
besseres Leben. Er zeigt, daß der Klassenbegriff immer noch Gültigkeit
besitzt. Die Idylle ist niemals gegenwärtig." Klarheit, schreibt
der Autor Fioretos über Mankell, ist der Leit-stern aller Dinge
in Mankells Welt. Seine Bücher sind darauf aus zu be-einflussen.
Ihn treibt der Wunsch nach Veränderung.
Zum Abschluß noch einmal Mankell über Wallander: "Was
mich interessiert, ist die Denkweise des Polizisten. Ich bin nicht im
geringsten daran interessiert, realistisch zu beschreiben, wie die Polizei
arbeitet. In meinen Büchern geht Wallander nur herum und denkt.
Die Herausforderung besteht darin, dies so spannend zu schildern, daß
der Leser weiterblättert. Das ist mir offensichtlich gelungen."
Vielen Dank an Jürgen Ruckh aus Esslingen
© Dezember 2004 Literaturportal schwedenkrimi.de - Krimikultur Skandinavien |
"Vor dem
Frost" von Henning Mankell
Ein Roman zum Frösteln
Mit "Vor dem Frost" liegt nun Mankells sehnlichst
erwarteter neuer Roman vor, in dem er Linda Wallander das Ruder ihres
Vaters langsam übernehmen lässt. Linda ist Polizeianwärterin
in Ystad und gerät noch vor ihrem Amtsantritt in einen Fall, der
sie persönlich betrifft. Auf der Polizeistation in Ystad gehen
Anrufe ein, die von mysteriösen Brandstiftungen berichten, bei
denen Tiere bei lebendigem Leib verbrennen. Linda begleitet ihren Vater
zunächst nur als seine Tochter bei den Ermittlungen. Als jedoch
ihre Freundin Anna spurlos verschwindet, beginnt sie auf eigene Faust
Nachforschungen anzustellen. Gleichzeitig mit Anna verschwindet eine
Frau, deren Leiche bald darauf aufgefunden wird. Linda findet Zusammenhänge
zwischen Anna und dieser Frau und fängt an sich zu sorgen, zumal
sich die wieder aufgetauchte Anna seltsam verhält. Wenig später
geht eine Kirche in Lund in Flammen auf und eine weitere Frauenleiche
wird gefunden. Die Hinweise auf Machenschaften einer religiösen
Sekte verdichten sich. Nach und nach stellt sich heraus, dass Annas
vor zwanzig Jahren verschwundener Vater in das Geschehen verstrickt
zu sein scheint. Mankell lässt den Leser direkt teilhaben an dessen
religiös-fanatisch verzerrten Gedanken. Dadurch kann man die Sogwirkung,
die von religiösen Fanatikern ausgeht gut nachvollziehen, durchschaut
aber gleichzeitig ihr bösartiges und manipulatives Spiel mit den
Menschen. Als schließlich Zebra, eine weitere Freundin Lindas,
verschwindet, kommt es zum Showdown. Linda, eine typische Wallander
eben, ermittelt alleine und gerät mitten in den geplanten großen
Coup der Sekte. In buchstäblich letzter Sekunde gelingt es ihrem
Vater sie und Zebra zu retten, der Anführer der Sekte jedoch entkommt.
So bleibt ein frostiges Gefühl zurück, ist damit doch die
Möglichkeit offen, dass etwas Ähnliches jederzeit wieder geschehen
kann.
Was diesen neuen Mankell so reizvoll macht, sind die Auseinandersetzungen
zwischen Kurt und Linda Wallander. Ihr Verhältnis ist kompliziert,
sind sie sich doch in ihrer Sturheit und Verbissenheit durchaus ähnlich.
Dass Linda nun in seine Fußstapfen treten will, macht die Beziehung
nicht einfacher. Noch sind sie ihr etwas zu groß und sie benötigt
die Hilfe ihres Vaters, doch wie im Epilog zu sehen, wird sie ihren
Weg sicher irgendwann auch alleine meistern.
Vielen Dank an Katja Perret
© Juli 2003 Literaturportal schwedenkrimi.de - Krimikultur Skandinavien |
"Vor dem
Frost" von Henning Mankell
Im Norden nichts Neues - Aber spannend und unterhaltsam erzählt
- Linda Wallander gibt ihr Debüt!
Da staunte nicht nur Papa Kurt nicht schlecht, als
Linda erklärte, sie wolle zur Polizei. Jetzt ist es endlich soweit,
und Linda hat ihren ersten Roman bekommen! Er heißt "Vor
dem Frost" und spielt zum größten Teil nach Lindas abgeschlossener
Ausbildung an der Polizeihochschule. Linda wartet ungeduldig darauf,
dass ihr erster Arbeitstag beginnt und sie endlich ihre Uniform anziehen
darf. Zu dieser Zeit brennen in Skåne zuerst Schwäne, dann
Kirchen, dann werden Frauen ermordet und schließlich verschwindet
auch noch eine alte Schulfreundin Lindas spurlos. Das alles mündet
darin, dass Linda schon vor ihrem ersten offiziellen Arbeitstag in die
Polizeiarbeit hineingezogen wird bzw. wäre sie nicht Kurts Tochter,
wenn sie sich nicht hartnäckig an die Fersen ihres Vaters heften
würde. Das führt natürlich zu Konflikten zwischen ihr
und Kurt, aber im Verlaufe des Romans nimmt Mankell Kurt zugunsten seiner
Tochter Linda immer mehr zurück, so dass der Leser sich ganz langsam
an die neue Protagonistin gewöhnen kann. Es wird dann fast ausschließlich
aus Lindas Perspektive erzählt, und der Leser erfährt hier
die Geschichte von Kurt, Mona und Linda noch mal aus der Sicht der Tochter,
was nicht durchweg uninteressant ist, aber natürlich kommt es auch
zu Redundanzen. Ansonsten ist Linda durch und durch Kurts Tochter! Genauso
wenig wie ihr Vater kann sie sich gedulden, sondern mischt sich von
Anfang an in die Ermittlungen ein (genau wie Kurt in "Wallanders
erster Fall"). Schließlich gerät sie in eine wirklich
gefährliche Situation, wird in aller letzter Minute gerettet und
kann endlich ihre Uniform anziehen! Hier schließt sich dann auch
der Kreis und Lindas Motivation, zur Polizei zu gehen wird insgesamt
schlüssig dargelegt.
Buchtipp |
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Souverän handhabt Mankell auch hier wieder die wechselnden Perspektiven.
Er erzählt sowohl aus Lindas als auch aus Kurts Perspektive und
wie so oft beginnt Mankell seinen Krimi am anderen Ende der Welt und
in einer anderen Zeit, hier Guyana 1978. Als nette intertextuelle Anspielung
taucht dann auch Stefan Lindman, Mankell-Fans aus "Die Rückkehr
des Tanzlehrers" bekannt, in Ystad auf und das Private vermischt
sich wie so oft bei Mankell mit dem Beruflichen. Alles in allem also
bedient sich Mankell auch bei "Vor dem Frost" trotz neuer
Protagonistin bekannter Muster und Ingredienzien und legt bereits weitere
Fährten aus, die nach Fortsetzung verlangen. Auch der obligatorische
Wetterbericht noch die Action kommen im neuen Mankell nicht zu kurz.
So dürften eingefleischte Wallander-/Mankell-Fans auf ihre Kosten
kommen, doch wer Neues von Mankell mit Einführung der Figur der
Linda erwartet hat, sieht sich enttäuscht. Viel zu sehr eifert
Linda dazu ihrem Vater nach, was bis zur Penetranz wiederholt wird.
Zu guter Letzt stellt Mankell seinen Krimi in einen größeren
und noch immer aktuellen Zusammenhang, den 11. September 2001. Wieder
zwingt er den Leser, die Perspektive zu wechseln, was nicht unintelligent
ist und durchaus seinen Reiz hat.
Insgesamt ist "Vor dem Frost" solide und spannend erzählte
Krimi-Kost aus dem Hause Mankell, an der sicher viele ihren Geschmack
finden werden. Nur wirklich Neues erzählt Mankell leider nicht,
aber da Mankell sein Handwerk äußerst gut versteht, schmeckt
auch Aufgewärmtes immer noch gut.
Vielen Dank an Alexandra Hagenguth
© Juni 2003 Literaturportal schwedenkrimi.de - Krimikultur Skandinavien |
"Tea-Bag"
von Henning Mankell
Ein Schicksal, das ernst erheitert
Wenngleich man von diesem Autoren eher aufregende Kriminalromane
gewöhnt ist, so schafft er es auch mit diesem so "ganz anderen"
Roman, eine Geschichte zu erzählen, die von Beginn an spannend
ist. Die Flüchtlingsgeschichte einer namenlosen Frau, die sich
selbst ganz spontan aus einer Erklärungsnot heraus den merkwürdigen
Namen gab, ist eine symbolische. Der Autor arbeitet an ihrem Schicksal
die Unaufmerksamkeit und Blindheit reicher Staaten ab, die helfen wollen
und es nicht richtig tun, die um grausame Schicksale wissen, aber nichts
unternehmen.
Daneben spielt sich ein Schriftsteller-Drama ab, das fast schon satirisch
die Nöte des Literaten aufzeigt. Irgendwie ist es schon fast witzig,
was dem Hauptakteur dieses Romans für abstruse private Erlebnisse
den direkten Weg zu seinem hehren Ziel, die aufwühlende Geschichte
von Flüchtlingen aufzuschreiben, verstellen. Bedächtig und
bewegend zugleich fasziniert der Lauf aller Erzählstränge.
Man lacht allerdings stets ernst.
Vielen Dank an Uli Geißler,
Freier Journalist und Autor aus Fürth / Bayern
© 2003 Redaktionsbüro Geißler für das Literaturportal
schwedenkrimi.de - Krimikultur Skandinavien |
"Die weiße Löwin" von Henning Mankell
"Wallanders dritter Fall" ist ein Roman,
der verschiedene Handlungsstränge und Orte zu einem Gesamtmuster
miteinander verwebt. Dabei handelt es sich nicht einfach "nur"
um ein Verbrechen an einer Immobilienmaklerin in Schonen. Die kriminellen
Akteure aus der zusammengebrochenen Sowjetunion wirken daher wie Katalysatoren
der Ereignisse in Südafrika. Es sind Menschen, die vor keiner Gewalt
zurückschrecken, die auch andere Personen einfach hinrichten (lassen),
wenn es ihren Zwecken dient. So rücken das geographisch weit entfernte
südliche Afrika und das nordeuropäische Schweden auf einmal
eng zusammen. Konflikte, die anscheinend Kontinente entfernt liegen,
berühren doch auch Menschen in anderen Erdteilen. Im Zentrum der
Ereignisse steht Mankells Kommissar Wallander in Schweden. Der Titel
des Buches verweist jedoch auf das andere Land, das so eine wichtige
Rolle spielt und sich im Umbruch befindet, auf Südafrika.
Die Löwin, die - vom Mond beschienen - ja nur in der Dunkelheit
der Nacht weiß erscheint, ihre Stärke, ihre Schönheit,
ihre Unberechenbarkeit, ist das Symbol des Übergangs in eine neue
Zeit.
Vielen Dank an Dr. Helmut Huntemann
© Mai 2003 Literaturportal schwedenkrimi.de - Krimikultur Skandinavien |
"Die Rückkehr
des Tanzlehrers" von Henning Mankell
Mörderischer Tango - Henning Mankells Neuer bewegt sich auf dünnem
Eis
Wer tanzt mit einem toten Mann? Oktober 1999. Auf einem
einsam gelegenen Hof in Härjedalen wird der pensionierte Polizist
Herbert Molin tot aufgefunden. Die Verletzungen lassen auf Folter schließen,
und dann sind da noch diese seltsamen Spuren aus Blut...
In Borås bereitet sich zur gleichen Zeit Molins ehemaliger Kollege
Stefan Lindman, 37 Jahre, auf seinen schwierigsten Fall vor. In ein
paar Wochen soll seine Krebsbehandlung beginnen. Aus einem Impuls heraus
fährt er nach Härjedalen, als er vom Mord an Herbert Molin
liest. Während seines Besuches im schwedischen Norrland muss Lindman
erkennen, dass sein alter Lehrmeister Molin ein anderer war als er zu
sein vorgab und als er, Stefan, geglaubt hatte. Alte, längst untergegangen
geglaubte Ideen der Vergangenheit, sind keineswegs tot, sondern sind
in einem weltumspannenden Netz nach wie vor sehr lebendig und stellen
nach wie vor eine Gefahr für die Gesellschaft dar. Mankells neuester
auf Deutsch erschienene Roman "Die Rückkehr des Tanzlehrers"
reicht bis in die Zeit Nazi-Deutschlands.
Symptome einer kranken Gesellschaft und andere Zeitzeichen
Stefan Lindmans Krebserkrankung -in der Zunge -und seine labile Psyche
bilden die Folie für Mankells komplexe und weit in die Vergangenheit
reichende Geschichte. Zusammen mit seinem ortsansässigen Kollegen
Giuseppe Larsson kämpft Lindman nicht nur gegen sein eigenes Geschwür,
sondern, wie sich im Laufe der Ermittlungen herausstellt, auch gegen
das Geschwür Nazismus, das sich im Untergrund seit Ende des 2.
Weltkrieges stets weiterverbreitet hat und die Gesellschaft ebenso latent
wie subversiv von innen heraus bedroht wie ein Krebsgeschwür die
menschliche Existenz. Lindmans Todesangst, sein ständiges Kreisen
um seinen Sprachmuskel, bilden ein mit der Zeit immer lauter tickendes
Uhrwerk, das sowohl Lindmans nach innen gerichtete Reise als auch die
nach außen und gegen den Nazismus gerichtete Reise begleitet.
Die gesamte Geschichte spielt sich im Zeitraum zwischen Diagnose und
erfolgreiche Behandlung ab und so wie Lindman den Krebs besiegt, werden
er und sein Kollege Larsson selbst zu Zellgift im Kampf gegen das Krebsgeschwür,
das Nazismus heißt.
Souverän führt Mankell seine Leser durch Raum und Zeit, durch
Vergangenheit und Gegenwart, von der Ostfront über Argentinien
bis nach Schweden. Außerdem bedient sich Mankell wechselnder Perspektiven,
um Einblick in Psyche, Motiv und Motivation von Mörder, Ermordetem
und Ermittelnden zu geben. Dabei verzichtet Mankell dankbarerweise auf
Schablonen und Klischees. Herbert Molins nazistische Gesinnung erklärt
sich nicht aus einer Persönlichkeitsstörung, aus Verletzungen,
die ihm bzw. seiner kindlichen Seele zugefügt wurden, sondern Mankell
betätigt sich wieder einmal als kritischer Analyst der Gesellschaft
Schwedens durch das letzte Jahrhundert und zeigt den alltäglichen
Nazismus, Rassismus und Antisemitismus, wie er (auch) in Schweden über
ein halbes Jahrhundert stets lebendig war und ist. Das und die Tatsache,
dass der Nazismus sich auch in Schweden immer mehr in feines Tuch denn
in Bomberjacken und Springerstiefeln kleidet, macht die Geschichte nicht
nur glaubwürdiger und realistischer, sondern gleichzeitig auch
beklemmender, beängstigender. Larsson und Lindman werden durch
ein Schweden geführt, dessen erschreckendste Eigenschaft es ist,
dass es so schon immer gegeben hat. Der Nazismus starb nicht mit Hitler
und die Demokratie muss stets aufs Neue dagegen gewinnen. Insgesamt
wird die Mordintrige routiniert und in bester Mankell-Manier inszeniert
-Tod als Folge von Folter und das Gefühl, dass der Ermordete es
irgend wie verdient hat, so zu sterben, kennt man auch aus anderen Mankell-Krimis.
Ganz so neu ist Mankells Neuer leider nicht
Mankells - bekannte - Botschaft ist außerdem die, dass Schweden
schon lange nicht mehr das "unschuldige" Land im hohen Norden
ist, sondern dass sich im gleichen Atemzug mit der Demontage des schwedischen
Wohlfahrtsstaates böse Kräfte umso mehr entfalten können.
Der 37jährige Stefan Lindman, der so manche Eigenschaft mit seinem
Kollegen aus Ystad teilt, könnte zum würdevollen Nachfolger
Wallanders avancieren. Er neigt ebenso wie der große Alte zum
Nachdenken, zu unkonventionellen Methoden und hat ebenso wie Wallander
eine nicht unkomplizierte Beziehung, die auf eine harte Probe gestellt
wird. Wie auch in den Wallander-Romanen ist die Erzähltechnik in
"Die Rückkehr des Tanzlehrers" langsam, nach innen gerichtet
und sehr genau. Hier allerdings hat es Mankell meiner Meinung in "Die
Rückkehr des Tanzlehrers" etwas zu gut gemeint. Gegen Ende
wird die Geschichte -trotz aller für Mankell typische Spannung
und Action -langatmig und zäh. Sie wird nicht nur zu Ende erzählt,
sondern zu Tode erzählt. Keine Frage bleibt offen, die Erzählung
wird nicht vorangetrieben, sondern läuft im Leerlauf aus. Ein offeneres
Ende hätte meiner Meinung nach dem Roman durchaus gut getan.
Fazit: Mankell bedient sich für ihn durchaus bekannter und erfolgreicher
Muster. Stefan Lindmans Charakternähe zu Wallander etwa ist nicht
zu übersehen - aber ist sie auch wünschenswert? Die Erzählung
bietet ohne Zweifel Spannung, ist insgesamt gut erzählt, flacht
aber gegen Ende ab und wird zäh. Dennoch: Für alle Mankell/Wallander-Fans
ist dieser Roman ein absolutes Muss und sicher auch ein absoluter Lesegenuss!
Vielen Dank an Alexandra Hagenguth
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"Die Rückkehr
des Tanzlehrers" von Henning Mankell
Aufgestörte Kellerasseln
Ich möcht ja nicht in Mankells Haut stecken: Da
sitzt außerhalb der vier Wände seiner Schreibstube eine riesige,
schmollende Wallander-Fangemeinde, die nun mit dem ersten Non-Wallander-Krimi
vorliebnehmen muss. Schließlich ist es immer riskant, dem Leser
liebgewordene Mythen zu entziehen. Hat Mankell nun diese Klippe bravourös
gemeistert? Also, gescheitert ist er sicher nicht - aber ein Glanzlicht
hat er auch nicht grade gesetzt ... Stefan Lindman, Kriminalbeamter
im schwedischen Boras und mit 37 Jahren in voller Lebensblüte,
erfährt eines Tages eine niederschmetternde Diagnose: er leidet
an einem bösartigen Zungentumor. Von einem Tag auf den anderen
ist seinem stressigen Polizistenalltag die Grundlage entzogen und alle
seine Gedanken fixieren sich neu auf eine plötzlich ungewisse nahe
Zukunft. Beim Durchblättern einer alten zerfledderten Zeitung im
Wartebereich eines Krankenhauses stößt er zufällig auf
das grausige Schicksal eines früheren Polizeikollegen: Herbert
Molin, inzwischen Pensionär, wurde unweit seines einsam gelegenen
Wohnhauses in Härjedalen ermordet aufgefunden. Die grausame Tötung
- das Opfer wurde zu Tode gepeitscht - und ein rätselhaftes Muster
blutiger Fußspuren lassen auf ein äußerst sinistres
Mordmotiv schließen. Es ist keineswegs eine innige Nähe zu
seinem Ex-Kollegen, die Lindman die gut 500 Kilometer zum Tatort nach
Norden fahren lässt - es ist vielmehr seine Angst und Unrast vor
der ihm bevorstehenden Therapie, die er damit zu betäuben sucht.
In Härjedalen nimmt er Kontakt mit den dort ermittelnden Kollegen
auf, die ihn zunächst zögernd, dann aber immer bereitwilliger
an ihren Nachforschungen teilhaben lassen. Wenige Tage nach Molins Tod
wird eine weitere Leiche gefunden - Molins Nachbar, ebenfalls ein alter
Herr, mitten im Wald an einem Baum gefesselt und dort durch einen gezielten
Schuß hingerichtet. Parallel zu den offiziellen Ermittlungen stellt
Lindman - eigentlich ist er ja krankgeschrieben - seine eigenen Nachforschungen
an - und das durchaus im Grenzbereich der Legalität. Und so stößt
er in Molins Nachlass auf Indizien, die dessen sorgfältig verborgene,
dunkle Vergangenheit enthüllen: als junger Mann war Molin einer
jeder Schweden, die den Schalmeien der Herrenrasse-Verkünder im
gar nicht so fernen Nazi-Deutschland folgten und freiwillig in die Waffen-SS
eintraten. Die Sichtbarmachung eines bislang verdeckten schwedischen
Schandflecks, könnte man meinen, oder besser gesagt: hoffen. Doch
es kommt noch schlimmer: Wie sich schnell herausstellt, war Molin eingebunden
und teil eines Netzes alter wie junger Schweden, die aus ihrer Sympathie
für die NS-Ideologie immer weniger einen Hehl machen - braune Heere
im Dunklen, die mit geschlossener Solidarität untereinander und
mit einem strengen Ehrenkodex im Verborgenen wirken, aber immer öfter
hier und da frech ihr Haupt erheben. Zeit für Mankell, dem Leser
schon mal vorab den Mörder zu präsentieren: Aaron Silberstein,
ein Möbeltischler aus Buenos Aires im Herbst seines Lebens und
seinerzeit ein jüdisches Kind im großdeutschen Berlin. Gut
vorbereitet und nach methodischer Planung hat er an Molin, einem Peiniger
vergangener Jahre, eine ausgeklügelt rabiate Rache genommen. Nach
Molins Tod hätte Silberstein allemal die Gelegenheit gehabt, spurlos
und unerkannt nach Argentinien auszureisen, doch geschieht etwas für
ihn Unerwartetes: die Zeitungen berichten vom Fund der zweiten Leiche.
Die Nähe beider Fundorte legt für die Presse nur einen Schluss
nahe: hier ist ein Serienkiller am Werk. Doch Silberstein weiß
es besser - mit dem zweiten Mord hat er nichts zu tun. Und statt zu
flüchten, macht er sich nun seinerseits auf die Suche nach dem
anderen Mörder ...
+++Braune Bruderschaften+++
Zunächst einmal ziehe ich den Hut vor der Unerschrockenheit des
Autors. Es gehört schon eine tüchtige Portion Mut dazu, unbarmherzig
die Schattenseiten der jüngsten Geschichte seines Heimatlandes
auszuleuchten, das es ja nach außen hin immer recht geschickt
verstanden hat, sich neutral durch die Weltgeschichte zu manövrieren.
Dass ausgerechnet im kühlen Schweden blonde Herrenmenschen äußerst
enthusiastisch dem verquasten arischen Gedankengut folgten, mag ein
Treppenwitz der Geschichte sein, dass es jedoch im Schweden des Jahres
1999 immer noch geheimbundartige Nazi-Bruderschaften mit üppigem
Zulauf vor allem junger Sympathisanten geben soll, erschreckt dann doch.
Und Mankell piekst ziemlich rigoros in diese geschickt kaschierte Pestbeule
hinein ...
Mankells Stil war ja schon immer etwas spröde und schmucklos. Fehlende
Eleganz wog er jedoch mehr als auf durch seine Fähigkeit, mit kurzen,
knappen Sätzen eine Geschichte aus dem Schlummerstatus in Höchstgeschwindigkeit
zu versetzen. . Das gelingt ihm größtenteils auch in diesem
Buch, nur...bei fortschreitender Lektüre strich ich mir hin und
wieder verwundert über die Augen: der Stil dieses Buches ist nicht
nur schmucklos - er ist dürr, hölzern, mitunter sogar schwerleibig.
Waren die begeisternden Wallander-Romane auch so dünnblütig
geschrieben? Nein, das kann einfach nicht sein! Oder hat der große
Mankell - ich wage es ja kaum zu denken bzw. niederzuschreiben... hat
er vielleicht sogar angefangen ein klitzekleines bischen zu schludern
? An der Übersetzung wird es wohl weniger gelegen haben, zumal
auch hier wie schon bei den Wallander-Romanen Wolfgang Butt am Werke
war. Und da wir schon mal am Rumkritteln sind - es fällt noch was
anderes auf: Bei aller atmosphärischen Dichte, die auch diese Geschichte
hat, ist ihr Verlauf mitunter doch ein bischen sehr bemüht gezimmert;
manche Wendungen bewegen sich gar an der Grenze der Wahrscheinlichkeit.
Mankell muss es insgeheim geahnt selbst gespürt haben: An einer
Stelle lässt er den Kommissar Guiseppe Larssen (sic!) sagen: "Das
ist zu weit hergeholt und konstruiert !" Nun denn, Einsicht ist
der erste Weg zur Besserung ...
Apropos Wallander: Zum Zeitpunkt der erzählten Geschichte sitzt
er ca. 700 km südlich in Ystad und hat seinen letzten Fall "Die
Brandmauer" längst hinter sich. Er selbst findet mit keinem
Wort Erwähnung in diesem Buch, nur an ein prominentes Mordopfer
eines seiner Fälle (Ex-Justizminister Wetterstedt aus der "Falschen
Fährte") erinnert man sich sogar noch im fernen Härjedalen...
Vielen Dank an Jürgen Gebert aus Hamburg
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"Wallanders
erster Fall und andere Erzählungen" von Henning Mankell
Die faden, frühen Jahre
Wurmfortsatz
Es ist Schluß mit Kurt Wallander. Das hat Mankell selbst gesagt
und wiederholt bekräftigt. Und wie ich Mankell einschätze,
wird es dabei bleiben. Und der Zeitpunkt dazu war trefflich gewählt,
denn der letzte Roman "Die Brandmauer" war ein beklemmend-furioses
Finale und was sollte darauf noch folgen? Nichts natürlich! Doch
wir alle täuschten uns - es kam doch noch was. Selbstverständlich
habe ich als fiebriger Mankellianer meiner Buchhändlerin die Neuerscheinung
aus den zarten Händen gerissen, doch ich gebe es zu: ein bischen
beklommen war ich schon bei dem Gedanken, was mich da wohl erwartet
...
Wie alles begann
Das Buch schildert fünf Episoden aus Wallanders früher Berufskarriere
aus den Jahren 1969 bis 1990. Seinen ersten Fall löst er 1969 noch
als stinknormaler Streifenpolizist zu einer Zeit, als sich auch in Schweden
die Ordnungshüter bei Anti-Vietnamkriegsdemos Beulen in die Helme
hauen ließen. Aber schon zu diesem Zeitpunkt hatte Wallander sein
Versetzungsgesuch zur Kriminalpolizei längst eingereicht. Als er
zufällig in der Nachbarwohnung die Leiche ihres Bewohners entdeckt,
macht er sich auch als Noch-Streifenpolizist so seine Gedanken, denn
die Selbstmord-Diagnose der schnellen, künftigen Ermittlerkollegen
erscheint ihm nicht plausibel. Etwas irritiert erlebt er an sich erstmals
jene inneren Prozesse, die ihn später zu einem außergewöhnlich
guten Fahnder machen werden: diese innere Unrast, die ihn wie seine
Kollegen durch den Fall treibt, bis er gelöst ist. Und obwohl er
noch nicht einmal Kriminalassistent ist, wird er schon in seinem ersten
Fall recht behalten ...
Das nächste Schlaglicht ist kurz: 1975 steht der Kriminalbeamte
Wallander einem illegal eingewanderten, verwirrten Südafrika-Flüchtling
gegenüber, der in seiner Not zum Mörder geworden war. Zwölf
Jahre später kommt Wallander einem raffinierten Giftmord auf die
Spur. Ein Jahr danach erweist sich der Tod eines Fotografen als Eifersuchtsmord.
Und ein niedergebrannter Kurzwarenladen mit zwei verbrannten Todesopfern
ist ein Unglück, sondern ein geglückter Mordanschlag auf zwei
ältere Schwestern, die als Ladenbesitzerinnen hinter der biederen
Fassade altjüngferlicher Seriosität ein ziemlich finsteres
Doppelleben führten. Soweit die kurz angerissenen Fälle -
natürlich erfahren wir auch mehr über das private Umfeld Wallanders:
das siechende Scheitern seine Ehe mit Mona, das seit eh und je problematische
Verhältnis zu seinem knorrig-resoluten Vater, den er in der letzten
Geschichte sogar persönlich aus einer Arrestzelle in Kairo auslösen
muß, nachdem der alte Knurrhahn während einer Urlaubsreise
beim Erklettern der Cheops-Pyramide erwischt worden war. Das Buch endet
mit den ersten Sätzen des Romans "Mörder ohne Gesicht",
dem ersten Wallander-Roman ...
Fades Schlußstück des Zyklus
Eigentlich habe ich wenig Lust, mich weiter über diese fünf
Fälle auszubreiten - sie sind allesamt schwach. In nicht einem
Fall wird die unverwechselbare bizarre und beklemmende Spannung erreicht,
die seine anderen Wallander-Romane so berühmt gemacht hat. Die
fünf Geschichten mögen raffiniert geschürzt sein, doch
sie bleiben blaß - ihre Aufklärung erfolgt vergleichsweise
zügig und ohne große Umwege. So gesehen ist es ein überflüssiges
Buch. Wäre es sein Erstlingswerk gewesen, jeder hätte es Mankell
mittlerweile nachgesehen. Jetzt aber muß es sich an einer ganzen
Phalanx äußerst beeindruckender Vorgänger messen und
da fällt es unweigerlich ab. Gleichwohl war dieses Buch notwenig.
Trotz seiner literarischen Kurzatmigkeit schließt es die letzte
Lücke des Wallander-Zyklus. Für seinen Entschluß zu
diesem Buch erhält Mankell meinen uneingeschränkten Applaus.
Dass er es dann leider so geschrieben hat, dafür erhält er
nicht mehr als zwei Punkte.
Warten wir als auf neue Zeiten, warten wir auf Tochter Linda - und hoffen
wir auf einen dort gelegentlich als Statist auftretenden Kurt Wallander
...
Vielen Dank an Jürgen Gebert
© 2002 Literaturportal schwedenkrimi.de - Krimikultur Skandinavien |
"Wallanders
erster Fall und andere Erzählungen" von Henning Mankell
Was Sie schon immer über Kurt Wallander wissen wollten ...
Kurt Wallanders scheinbar unscheinbarer Nachbar wird
erschossen. Kurz vor seinem Tod hat er noch Edelsteine geschluckt. Ein
Mann steigt in ein Taxi und verlässt es nicht mehr lebend. Der Tod eines
Fotografen gibt Rätsel auf. Eine zunächst unidentifizierbare Sportmaschine
stürzt ab, zwei harmlose Schwestern, die ein Handarbeitsgeschäft betreiben,
werden hingerichtet und Kurt Wallander muss seinen Vater aus dem ägyptischen
Gefängnis holen. In vier Kurzgeschichten (die bereits früher und an
anderer Stelle in Schweden veröffentlicht worden sind) und einem nahezu
ausgewachsenen Roman präsentiert Mankell uns den ganz jungen Polizeianwärter
Kurt Wallander: Wie er zur Mordkommission kommt, wie und warum er beinahe
erstochen wird und wie er und Mona sich kennengelernt haben. Mankell
arbeitet hier auf vielfachen Leserwunsch Wallanders Biografie auf und
füllt Lücken. Die letzte Geschichte, "Die Pyramide", knüpft nahtlos
an den ersten richtigen Wallander-Roman, "Mörder ohne Gesicht", an.
In "Die Pyramide" beweist Mankell gar humoristisches Talent, wenn er
von Wallanders Vater erzählt, der die Cheopspyramiden besteigen wollte
und deshalb im Gefängnis landet sowie von Wallanders Reise nach Ägypten,
um seinen Vater gegen Kaution auszulösen. Stärkste Geschichte ist aber
vielleicht die Episode "Der Mann mit der Maske". Die Erzählung weist
in nuce all jene psychologischen Beobachtungen auf, die die Wallander-Krimis
auszeichnen. Hier verdichtet Mankell die ganze Komplexität einer Lebens-
und Mordgeschichte zu einer eindrucksvollen Momentaufnahme.
Dennoch sind die Erzählungen im Vergleich zu den Romanen um Kurt Wallander
schwach. Mankell schafft es - mit Ausnahme der oben genannten Erzählung
und "Die Pyramide" - in der Kürze nicht, all das zu transportieren,
was die Wallander-Krimis sonst auszeichnen: Atmosphärische Dichte, Spannung,
Entfaltung der Psyche von Tätern, Opfern und Polizei sowie die Reflexion
auf Zeit und Gesellschaft. "Wallanders erster Fall" ist eine leichte
Lektüre für laue Sommerabende oder faule Tage am Strand. Sie strengt
nicht an, ist nett zu lesen und mal mehr, mal weniger unterhaltsam -
aber unverzichtbar für alle Wallander-Fans, die ihre Sammlung komplettieren
wollen.
Vielen Dank an Alexandra Hagenguth
© 2002 Literaturportal schwedenkrimi.de - Krimikultur Skandinavien |
"Die Brandmauer"
von Henning Mankell
Schlangennester im Cyberspace
Es passiert ja nicht oft - aber manchmal begegne ich
Büchern, von denen muß ich mich erstmal erholen. Dies
ist so ein Buch. Ab und zu mußte ich mich zur Unterbrechung
der Lektüre zwingen, um Atem zu schöpfen, um mir ein paar
Stunden Schlaf zu erhalten, um nicht von diesem mächtigen Sog aus
Spannung und Beklemmung hinabgewirbelt zu werden. Und als die Lektüre
schließlich beendet war, tat mir sogleich das Buch leid, was als
nächstes auf meinem Bücherstapel liegt: es hat keine Chance.
Worum geht's? Dem alternden Kommissar Kurt Wallander wächst die
Welt allmählich über den Kopf. Die zu lösenden Fälle
schienen immer menschenverachtender, immer bizarrer zu werden: zwei
Mädchen im Teenie-Alter berauben einen älteren Taxifahrer
und verletzen ihn dabei tödlich. Die Brutalität ihres Vorgehens
und ihre kühle Gleichmut gegenüber ihrem Opfer empfindet der
schockierte Wallander als eine neue Dimension der Alltagskriminalität.
Vor einem Geldautomat in Ystad wird ein Computerfachmann tot aufgefunden.
Nach einer ersten Autopsie deutet alles auf eine natürliche Todesursache
hin. Alles paletti, so scheint es. Einer der beiden Teenie-Mörderinnen
gelingt die Flucht aus dem Untersuchungsgefängnis. Wenig später
wird ihre verkohlte Leiche in einem Transformatorenhäuschen des
lokalen Stromversorgungsunternehmens entdeckt: der tote Körper
hatte einen Kurzschluß ausgelöst und damit zu einem Stromausfall
in der gesamten Provinz Schonen geführt. Kurze Zeit danach verschwindet
die Leiche des Computerspezis aus dem Leichenschauhaus - statt ihrer
liegt ein Relaismodul aus der lahmgelegten Transformatorenstation auf
der Bahre. Aber auch die Leiche taucht bald wieder auf - wieder an ihrem
ursprünglichen Fundort, allerdings diesmal entkleidet und ohne
zwei abgetrennte Finger. Wallander und sein Team folgen den Berührungslinien
der beiden Fälle und sie stoßen schon bald auf eine bislang
eher periphere Bühne kriminellen Handelns, denn der Hardwarepark
des toten PC-Cracks scheint es in sich zu haben. Die Polizeibeamten
in Ystad mögen gestandene Ordnungshüter sein - PC-Fachleute
sind sie nicht grade und Wallander ist dies schon gar nicht. Immerhin
weiß er sich kompetente Hilfe heranzuschaffen: am Rande der Legalität
zieht er ein junges Hacker-Genie namens Modin hinzu und der macht sich
auch sogleich ans Werk. Es gelingt ihm tatsächlich, die ersten
virtuellen Abschirmungen zu durchbrechen und bald ahnen er und Wallander
die Existenz einer gigantischen Verschwörung im Cyberspace, die
augenscheinlich bereits in naher Zukunft einen Netzangriff gegen internationale
Finanzzentren plant. Doch während die Ermittler fieberhaft Näheres
über die bevorstehende Apokalypse in Erfahrung zu bringen suchen,
ist Modins Eindringen in die geheimen Datennetze nicht unbemerkt geblieben
...
Genug, ich muß es bei diesem wirr anmutenden Wurf abstrus-beklemmender
Vorfälle bewenden lassen. Sie im Laufe der Lektüre zu ordnen
- das soll dem Leser vorbehalten bleiben. Aber das Buch ist ja viel
mehr als eine ausgewalzte Version der soeben gelesenen unvollständigen
Inhaltsangabe. Zunächst einmal nimmt dieses dem Leser fast schon
physisch den Atem. Mankells Stil spiegelt Hektik und Stress der Tagesarbeit
eines bereits über die Grenzen des Zumutbaren belasteten Polizeiapparates.
Die Versuche der Akteure, sich eine Art Privatleben zu erhalten, werden
immer wieder erschlagen von den über sie hereinbrechenden Ereignissen
mit ihren vielfältigen Aufgaben und Pflichten im Gefolge. Ein weiteres
Merkmal dieses Buches ist die Monstrosität seines Inhalts. Sicher,
so mancher hat apokalyptische Weltvernichtungsphantasien literarisch
auszuschlachten versucht - aber keiner meint es offensichtlich so bitter
ernst wie Mankell. Die bunte, quirlige Flash-Oberfläche unserer
heutigen Webwelt ist nur eine Seite der Medaille - die andere Seite
ist ihre offenliegende Verwundbarkeit. Computergesteuerte Zentren des
Alltags als Objekt der Begierde krimineller Syndikate - am Ende stünde
ein Alptraum. Und in die Grenzschatten eines solchen Alptraums führt
Mankell den Leser. Auf seinem Wege begegnet eben dieser Leser befremdlichen
Magiern des Cyberspace mit ihrer Menschenverachtung, ihren Schnurren
und ihrer abgedrehten Hybris. Ihr Bestreben ist das Durchlöchern
der virtuellen Brandmauern des Gegners.
Brandmauern?
Na klar - fast jeder weiß doch heute so ungefähr, was eine
Firewall ist. Die Brandmauern des einzelnen im gesellschaftlichen Zusammenleben
sind dagegen längst durchlöchert. Gefühlskälte,
exzessive Gewalt, erwachsen aus Gier, Neid und Eitelkeit sind längst
auch über die einstmals idyllische Provinz Schonen hereingebrochen
und diese Zeichen der Zeit sind es, die Wallander an den Rand der Berufsunfähigkeit
drängen. Immer deutlicher empfindet er sich als ein leidlich erfolgreiches
Fossil in einer Welt, dessen kriminelle Ströme sich immer dreister
und unverfrorener immer neue, innovative Kanäle suchen. Zwar denkt
er nicht mehr daran, den Dienst vorzeitig zu verlassen, doch als gleichwertiger,
ernstzunehmender Gegner dieser medienversierten Gauner sieht er sich
immer weniger. Da mutet es zumindest tröstlich an, vom Entschluß
Lindas, Wallanders Tochter, zu hören: sie hat sich nach einigem
Hin und her für die Polizeilaufbahn entschieden. Das vorliegende
Buch soll ja der letzte Wallander-Roman sein, so äußert sich
Mankell in diversen Interviews. So sehr ich das bedaure (und so sehr
ich auch insgeheim hoffe, dass er sich das nochmal überlegt), kann
ich es wiederum gut verstehen: mit diesem Buch hat Mankell seiner berühmt
gewordenen Figur ein kaum mehr zu überbietendes Denkmal gesetzt.
Vielen Dank an Jürgen Gebert
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