Leseprobe
Wallander kehrte ins Zimmer zurück und stellte
sich ans Fenster, um den Raum aus einer anderen Perspektive zu betrachten.
Sein Blick blieb am Bett hängen.
Hålén war angekleidet gewesen, als er sich das Leben nahm.
Aber das Bett war ungemacht, obwohl im übrigen pedantische Ordnung
herrschte. Warum hat er sein Bett nicht gemacht, dachte Wallander. Es
kann doch wohl nicht so gewesen sein, daß er angezogen geschlafen
hat, erwacht ist, sich erschossen hat - und das alles, ohne vorher noch
sein Bett zu machen. Und warum liegt ein ausgefüllter Tipschein
auf dem Küchentisch?
Es paßte alles nicht zusammen.
Aber es mußte anderseits auch nichts bedeuten. Hålén
konnte sich ganz plötzlich entschlossen haben, seinem Leben ein
Ende zu setzen. Er hatte vielleicht die Sinnlosigkeit darin erkannt,
ein letztes Mal sein Bett zu machen.
Wallander setzte sich in den einzigen Sessel im Zimmer.
Er war durchgesessen und abgewetzt. Ich bilde mir etwas ein, dachte
er wieder. Der Gerichtsmediziner wird feststellen, daß es Selbstmord
war. Die technische Untersuchung wird bestätigen, daß die
Waffe und die Kugel zusammengehören und daß der Schuß
von Håléns eigener Hand abgegeben worden ist.
Wallander beschloß, die Wohnung zu verlassen. Er mußte sich
waschen und umziehen, bevor er losging, um Mona zu treffen, aber etwas
hielt ihn noch zurück. Er ging zur Kredenz und begann die Schubladen
zu öffnen. Sofort fand er die beiden Seemannsbücher. Artur
Hålén war in seiner Jugend ein flotter Mann gewesen. Helle
Haare, ein offenes und breites Lächeln. Es fiel Wallander nicht
leicht, sich vorzustellen, daß das Bild denselben Mann darstellte,
der stumm und zurückgezogen seine letzten Tage in Rosengård
verbracht hatte. Noch weniger vorstellbar war es, daß das Bild
einen Mann zeigte, der sich eines Tages das Leben nehmen würde.
Aber Wallander wußte, wie falsch er dachte. Selbstmörder
ließen sich nicht nach starren Schablonen beurteilen.
Er fand den farbenfrohen Käfer und nahm ihn mit ans Fenster. Auf
der Unterseite der Schachtel glaubte er zu erkennen, daß dort
Brasil gedruckt stand. Ein Souvenir, das Hålén auf irgendeiner
seiner Fahrten gekauft haben mußte.
Wallander ging die Schubläden weiter durch. Schlüssel, Münzen
aus verschiedenen Ländern - nichts, was seine Aufmerksamkeit gefangennahm.
Halb unter dem schäbigen und brüchigen Regalpapier, mit dem
die unterste Schublade ausgelegt war, steckte ein brauner Umschlag.
Wallander öffnete ihn; er enthielt eine alte Fotografie. Ein Hochzeitspaar.
Auf der Rückseite der Name eines Fotoateliers und ein Datum: 15.
Mai 1894. Das Atelier war in Härnösand. Außerdem stand
dort: Manda und ich am Tag unserer Hochzeit. Die Eltern, dachte Wallander.
Vier Jahre später wird der Sohn geboren.
Als er mit der Kredenz fertig war, ging er hinüber zum Bücherregal.
Zu seiner Verwunderung standen dort mehrere deutsche Bücher. Sie
waren abgegriffen und gründlich gelesen. Außerdem standen
einige von Vilhelm Mobergs Büchern da, ein spanisches Kochbuch
und ein paar Hefte einer Zeitschrift für Modellflugzeugbau. Wallander
schüttelte verwundert den Kopf. Das Bild von Hålén
war bedeutend komplexer, als er geahnt hatte. Er wandte sich vom Bücherregal
ab und schaute unter das Bett.
Nichts. Dann ging er weiter zum Kleiderschrank. Die Sachen waren ordentlich
aufgehängt. Drei Paar geputzte Schuhe. Nur das ungemachte Bett,
dachte Wallander wieder, das stört das Bild.
Er wollte gerade den Kleiderschrank zumachen, als es an der Tür
klingelte. Wallander fuhr zusammen. Wartete. Es klingelte von neuem.
Wallander hatte das Gefühl, sich auf verbotenem Gelände zu
befinden. Er wartete noch einen Augenblick.
Als es zum drittenmal klingelte, ging er hin und öffnete.
Danke an den Zsolnay Verlag für die Veröffentlichungserlaubnis.
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