Leseprobe
Zwei
Ich hasse sie nicht. Ich liebe sie nicht. Aber ich
muss sie töten. Es gibt Menschen, die den Tod verdienen, und sie
gehört dazu.
Doch der Reihe nach: Ich heiße Antero Kartano. Manche finden meinen
Namen witzig. Fast dieselben Buchstaben im Vor- und Nachnamen. Meiner
Meinung nach ist es ein klangvoller Name, ich finde, da gibt es nichts
zu lachen.
Und wer ist sie? Sie ist eine junge Frau, die in derselben Firma arbeitet
wie ich. Vor fünf Jahren kam sie ins Haus, wie alle Bosse ihr Unternehmen
leutselig, aber allzu selbstgefällig nennen. Fünfmal bin ich
ihr begegnet und fünfmal hat sie mich abgewiesen. Das darf nicht
ungesühnt bleiben.
Was bildet sie sich nur ein? Sie kann Maschine schreiben und verdient
sich damit ihr Geld. Was ist das schon? Motorik, nichts als Motorik.
Sie hat kein Fitzelchen Verstand. Den ganzen Tag sitzt sie vor ihrer
elektrischen Schreibmaschine und hält ihre Möse warm. Und
lächelt die Chefs an. Sie glaubt wohl, die Chefs hätten etwas,
was ich nicht habe.
Obwohl ich viel lese, komme ich mit den Worten nicht zurecht. Ich lese,
ich schreibe nicht. Mein Gebiet sind die Zahlen. Es kann daher sein,
dass ich mich unklar ausdrücke. Aber ich denke, jeder Mann wird
mich verstehen.
Ja, die Zahlen. Manchmal verschwinden welche. In Firmen geschieht das
erstaunlich oft. Wenn zum Beispiel vier oder fünf Nullen verschwinden,
ist das schon eine schlimme Sache. Schlimm für den, der sie verloren
hat. Und ich verstehe mich auf Zahlen; ich liebe sie. Ich könnte
ohne weiteres Nulle~ verschwinden lassen. Meinetwegen auch für
einen anderen. Und es sind welche verschwunden. Bisher habe ich mit
niemandem darüber gesprochen. Ich habe nämlich eine
Idee: Wenn ich die richtige Person finde, jemanden, bei dem es denkbar
wäre, dass er plötzlich in den Besitz überzähliger
Nullen gelangt, könnte auch für mich etwas dabei herausspringen.
Was die Firma herstellt? Irgendwelche Apparate, technischen
Kram eben; wie gesagt, mein Gebiet sind die Zahlen. Soweit ich weiß,
handelt es sich um kleine Computer, die nach Schweden oder in irgendein
unterentwickeltes osteuropäisches Land exportiert werden, während
man ängstlich darauf wartet, dass IBM die Bude in den Konkurs treibt.
Die Firma hat einen reizenden Namen: Systec.
Die Sache mit Virpi habe ich schon viel zu lange aufgeschoben. Ich denke,
es ist Zeit, unser Verhältnis endgültig zu klären. Virpi
heißt die junge Frau, Virpi Hiekkala. Nach reiflicher Überlegung
bin ich zu dem Ergebnis gekommen, dass Mittsommer der passende Zeitpunkt
ist, ihrem Leben ein Ende zu setzen. Darin liegt eine zarte Ironie,
an der ich meine heimliche Freude habe. Nämlich: In der Mittsommernacht
wird sie sich wahrscheinlich einen unserer Chefs krallen, vermutlich
Mitrunen. Sie glaubt, damit würde ihr Leben beginnen. Weit gefehlt.
Es endet.
Ich habe herausgefunden, wo sie feiern wird. Sie ist in das Sommerhaus
von Heikki Mitrunen eingeladen, zum Saufen und bestimmt auch zum Vögeln.
Diplomingenieur (DI sagt er selbst, haha) Mitrunen ist Junggeselle.
Ich denke, damit ist alles gesagt.
Derartige Dinge findet man mit einer ganz einfachen Technik heraus.
Heute früh, als Virpi zur Arbeit kam, ging ich in ihr Büro,
legte ihr meine Hand ganz leicht auf ihre Schulter und sagte:
"Liebe Virpi, was hältst du davon, wenn wir gemeinsam Mittsommer
feiern? Ich habe ganz in der Nähe ein kleines Sommerhaus gemietet.
Wir könnten saunen, schwimmen und uns ein paar schöne Stunden
machen."
Virpi schüttelte meine Hand ab. Heftiger als nötig, denn meine
Geste war kumpelhaft gewesen. Keine erotische Anäherung, nicht
im Geringsten. Sie lachte und sagte: "Ich habe andere Pläne."
Ich glaube, dieses spöttische Lachen besiegelte meinen Entschluss.
Ja, das war das sechste Mal. Das sechste Mal.
Ich riss mich zusammen und fragte harmlos: "Was hast du denn vor?
Ich meine ... es geht mich natürlich nichts an, aber du kannst
es mir doch ebenso gut sagen."
"Es geht dich tatsächlich nichts an, aber du sollst es ruhig
wissen." Nun lag ein leiser Stolz in ihrer Stimme. Ich kenne die
Menschen, ich wusste, dass Virpi mir auf den Leim gehen würde.
Eitler Stolz zwang sie zu sagen: "Direktor Mitrunen hat ein eigenes
Sommerhaus, gar nicht weit von hier."
Ich war die Ruhe selbst: "Ach so. Wird es eine große Party?"
Und wieder eine hochnäsige Antwort: "Direktor Mitrunen hat
einige Freunde und Kollegen eingeladen. Wir sind ziemlich viele, sicher
ein Dutzend."
Ich trat etwas näher an sie heran, sah ihr in die Augen und lächelte.
"Na dann, viel Spaß. Vielleicht kommen wir ein andermal zusammen."
Und dann, ganz beiläufig: "Wo liegt Mitrunens Sommerhaus eigentlich?"
Buchtipp |
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"In Aitolahti." Erneut eine unbedachte Antwort.
Aitolahti ist nicht so klein, dass die Auskunft präzise genug gewesen
wäre, aber ich würde das Sommerhaus schon ausfindig machen.
Nur Dummköpfe suchen vergebens.
"Aha", sagte ich mit unbewegtem Gesicht, als wäre mir
das Ganze gleichgültig.
Virpi nahm die Schutzhaube von der Schreibmaschine und wandte sich ab.
Ihr von dunklem glänzendem Haar bedeckter Hinterkopf war direkt
vor meinen Augen, wie auf dem Präsentierteller. Schöne gewellte
Haare, die dazu einluden, sie zu streicheln, und darunter der zerbrechliche
Schädel
Danke an den Grafit Verlag für die Veröffentlichungserlaubnis. |